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Bundesarchiv, Bild 183-R98911 / o.Ang. / CC-BY-SA 3.0

Ein Typus wird entdeckt

Heinrich Mann zum 150. Geburtstag

Von Wolfram Schütte

 

Im kalifornischen Exil, als er »Ein Zeitalter wird besichtigt« schrieb, zog er das Resümee seines Rufs in den zwanziger Jahren in etwa so: mein »Professor Unrat und die Beine der Marlene Dietrich«. Carl Zuckmayer hatte diesem »Ende eines Tyrannen« (wie der schmale Roman von 1905 im Untertitel hieß), die kritischen Zähne gezogen, Josef von Sternberg den sentimentalen Untergang eines alten Puritaners, der wie eine Motte an dem erotisch flackernden Licht verglühte, das von den mächtigen, übereinander geschlagenen nackten Oberschenkeln der Marlene Dietrich ausging, zum  ersten Tonfilm-Welterfolg der UFA gemacht.

Heinrich, der um 4 Jahre ältere Bruder Thomas Manns, der spätestens mit dem »Zauberberg« & dem dafür erhaltenen Literaturnobelpreis 1929 in der bürgerlichen deutschen Öffentlichkeit & im Bewusstsein des Auslands an ihm »vorbeizog«, hatte nach ersten erzählerischen Romanen im schwelgerischen Stil der französisch-italienischen Decadence mit seinem  Roman »Die kleine Stadt« (1909), eine wunderbar durchkomponierte expressionistisch-veristische Prosa-Oper, als Hommage an die ebenso leidenschaftliche wie menschenfreundliche, kulturliebende Kleinstadtwelt Italiens verfasst. Der leider nie richtig gewürdigte oder  ernsthaft wahrgenommene Roman  war der erste literarische Höhepunkt eines Romanciers, Novellisten & Essayisten, der sich eher in Italien als Person & in Frankreich als Intellektueller zuhause fühlte & wusste - als im verhassten »Land, wo die Kanonen blühen« (Erich Kästner).

Nach seinem »Loblied auf die Demokratie«, der »Kleinen Stadt«, wandte er sich mit »Der Untertan« der verflixt-verfluchten deutschen Welt & Gesellschaft zu. Jahrelang sammelte er, wie es Flaubert auch für das Bürgertum des Kaiserreichs Napoleon III. getan hat, den phraseologischen Schrott als Sprachfundus des Wilhelminischen Deutschlands, vor allem aus dem Munde des Kaisers. Ohne Flauberts satirische Ironie von »L'éducation sentimentale« hätte Heinrich Mann wohl kaum die ästhetische Kraftanstrengung gewagt, die gesamte zivile bürgerliche, bürokratische, administrative, militärische wilhelminische Gesellschaft einer satirischen Inspektion zu unterziehen.

Die umfangreiche »Geschichte der öffentlichen Seele unter Wilhelm II.« (Heinrich Mann) ist eben in einer »Prachtausgabe« bei Reclam erschienen (491 Seiten, 36 €). Der Herausgeber Werner Bellmann hat in seinen Anmerkungen akribisch nachgewiesen, worauf der Autor sich semantisch bezogen & worauf er zusätzlich im Schallraum seiner Zeitgenossenschaft bei seinen Lesern rechnen konnte, weil sie die Zitate wiedererkannten & identifizierten. Das ist (übrigens ganz ähnlich wie bei Flaubert) ein äußerliches Surplus, das der Nachwelt nur noch qua Anmerkungen zugänglich wird - sofern sie sich überhaupt noch dafür interessiert. Aber beide Bücher – jeweils literarisch-formale Unikate ihrer Nationalliteraturen - haben Bestand & machen heute Lesevergnügen auch ohne solchen zeithistorischen Verweisen nachzugehen.

Das Gleiche gilt nicht für die Illustrationen Arne Jyschs, die nichts zu tun haben mit der hellsichtigen Schärfe und stilistischen Lakonie Heinrich Manns (»Nicht Stolz oder Eigenliebe leiteten Diederich: einzig sein hoher Begriff von der Ehre der Korporation. Er selber war nur ein Mensch, also nichts; jedes Recht, sein ganzes Ansehen und Gewicht kamen von ihr«: der schlagenden Verbindung damals, später von der Partei oder der Wehrmacht etc.)

Hat der Verlag der sprachlichen Evokationskraft Heinrich Manns & der davon affizierten Phantasiearbeit seiner Leserschaft nicht mehr getraut, oder gar geglaubt, den Namen des Illustrators als Zugpferd vor den »Untertan« spannen zu müssen – um Käufer »dort abzuholen, wo sie als Comic-Leser stehen«?

Die enthusiastischste Begrüßung des zwar pünktlich zum Kriegsausbruch 1914 beendeten, aber erst nach dessen Ende 1918 erschienenen Romans stammt von Kurt Tucholsky, sie ist unübertrefflich, trifft  auf den Roman noch heute zu (& ist im Internet abrufbar).

Wenn auch, zumindest in Deutschland, augenblicklich die einschüchternde Autorität des Kaisers fehlt, dessen spiegelbildliche Parodie in der untertänige Gestalt des Dietrich Heßling uns Lesern vorgeführt wird, hat Heinrich Mann im Porträt seines negativen Helden eine Figur geschaffen, die den revolutionären Citoyen durch dessen historische Fortsetzung im geistlos-opportunistischen Bourgeois erstickt. (Auch das ist eine Parallele zu Flauberts erotomanischen Panorama des kapitalistisch erblühten Frankreich unter Napoleon III.).

Als Theweleit-Leser fällt einem heute auf, wie psychoanalytisch Heinrich Mann argumentierte, als er die Seele des »Untertan« zwischen Sadismus & Sadomasochismus lokalisierte. Sentimentalität & Brutalität, Arroganz & Servilität sind zwei Seiten dieses chamäleonhaft changierenden Sozialcharakters. Wie Moliere z.B. in Tartuffe einen menschlichen Typus dingfest gemacht hat, der wiederkehrt & überdauert, selbst wenn der ursprüngliche Schmierstoff des Katholizismus heute im Schwinden ist, so stellte uns Heinrich Mann den Untertan als Typus in seiner ersten deutschen Erscheinung vor Augen. Kürzlich stand er modernisiert im US-Capitol wieder auf der Tagesordnung & in jeder derzeitigen autokratischen Gesellschaft dürfte er präsent sein – jeweils dort, wo einer weiß, dass er loyal zur Macht sein muss, um »im Existenzkampf« (H.Mann) wider andere Konkurrenten etwas zu werden. Ja selbst im Deutschland dieser Tage tritt er in der Anonymität der »Sozialen Medien« als niederträchtiger Verunglimpfer & Verschwörungsbeschwörer auf, wo immer einer autoritätsgläubig nach oben buckelt & nach unten tritt.

Es sieht ganz so aus, als werde vom umfangreichen Werk Heinrich Manns nur »Der Untertan« überdauern; erstaunlicherweise auch wieder durch die Schubkraft seiner (diesmal adäquaten) filmischen Adaption, mit der Wolfgang Staudte 1951 der DEFA für einen Moment weltweite Anerkennung verschaffte.

Das ist umso bedauerlicher, als die einzigartige, nahezu lebenslange Verbindung des in Lübeck geborenen Schriftstellers mit Frankreich & seiner geistigen, vornehmlich literarischen Kultur ganz aus dem Blick gerät. Diese geistige Liebe hat vielfachen & vielfältigen Ausdruck im Oeuvre des Autors gefunden, wie bei keinem zweiten deutschsprachigen Autor. Zuerst als Übersetzer von Choderlos de Laclos' Briefroman der »Gefährlichen Liebschafen« & dann als Essayist, dessen rhetorisch mitreißender, identifikatorisch-symbolischer »Zola«-Essay 1915 eine geistespolitische Selbstverständigung & pazifistische Kampfansage an das wilhelminische Deutschland & seine nationalistischen Intellektuellen (wie seinen chauvinistischer Bruder Thomas) war.

Heinrich Manns Frankreich-Verbundenheit gipfelte in der zweibändigen erzählerischen Beschwörung »Henri Quatres« – dem alternativen Charakter (des menschenfreundlichen Aufklärers & Genießers) zum schleimigen »Untertan«.

In der ebenso geschehnisbunten wie personenreichen Lebensgeschichte des gewitzten, populären Frauenliebhabers setzte er dem »guten König Henri« ein Denkmal. Darin lässt er den ermordeten Humanisten nicht nur Montaigne aufsuchen & mit ihm diskutieren, sondern auch mehrfach vom Himmel herab die Welt kommentieren: in Französisch! Dieser partiell zweisprachige barocke Historische Roman (1935/38) entstand zum größten Teil im Französischen Exil, in dem Heinrich Mann als regelmäßiger Kolumnist der südfranzösischen Tageszeitung »Dépeche de Toulouse« antifaschistisch arbeitete. Im »Atem«, seinem letzten zu seinen Lebzeiten erschienenen Roman – einem symbolischen Abschied vom alten Europa –, tritt an die Seite des Französischen noch das Italienische. In diesen Spätwerken hat Heinrich Mann aber längst auch sein Deutsch der Syntax der beiden romanischen Sprachen angeglichen: bis zur Manier.

Im letzten Augenblick zusammen mit anderen Exilierten zu Fuß über die Pyrenäen 1939 dem Zugriff der Deutschen entkommen & in der Nähe seines reichen Bruders in Los Angeles lebend, starb Heinrich Mann 1950, bevor er womöglich seinem letzten Irrtum durchleben & der Einladung in die DDR folgen konnte. Heute vor 150 Jahren wurde Heinrich Mann geboren.

Vielleicht tut man als Deutscher gut daran – um zu wissen, wer man ist – in jedem Jahr einmal Lessings »Minna von Barnhelm« & Heinrich Manns »Der Untertan« zu lesen.  

Artikel online seit 26.03.21

 



Heinrich Mann
Der Untertan
Roman
Illustriert von Arne Jysch
Hrsg. von Werner Bellmann
Nachw. von Andrea Bartl
Reclam
Geb. mit Schutzumschlag, Fadenheftung, Lesebändchen.
Format 16 x 24 cm
494 S. 25 Ill. 7 Abb.
36,00 €
978-3-15-011326-4

 

 


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