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Über das Gefühl aller Gefühle

Peter Trawnys funkelnde Denkbilder einer
»Philosophie der Liebe«

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Max Scheler hat einmal behauptet, die der Liebe innewohnende Kreativität beginne bereits im Blick, mit dem der Liebende dem Anderen begegnet. Durch diesen Blick werde dem Gegenüber ein neuer Wert zugesprochen und ihm zugleich eine neue Zukunft eröffnet. Die »Spur des Unendlichen« im Antlitz des Anderen sei von geradezu unschätzbarem Wert, glaubt auch der Philosoph Emmanuel Lévinas, der aus dem Blick eine Verantwortung für den Anderen ableitet.
Liebe auf den ersten Blick jedoch bleibt eine Seltenheit: Es ist vielmehr Anziehung, Begierde oder Sehnsucht, die uns plötzlich befallen. Aus ihnen kann Liebe entstehen, sicher ist das nicht.

Doch was ist eigentlich Liebe? Und wie entsteht dieses »Gefühl aller Gefühle«?
Der Philosoph Peter Trawny hat sich diesen Fragen in vielen kurzen wie längeren Fragmenten gewidmet. Das Bruchstückhafte seiner Abhandlung ist bewusst gewählt, weil der Liebe mittels Worten nicht ganz beizukommen sei.
Doch wer anders als der Philosoph könnte versuchen, dieses Gefühl in Worte zu kleiden, ist die Philosophie doch selbst eine Form der Liebe – der Liebe zur Weisheit, die Novalis mit einer Liebkosung gleichsetzte.

Trawny selbst bringt die Liebe mit dem Anfang in Verbindung, die Philosophie der Liebe sei insofern Anfangs-Philosophie. Hier spielt gewiss Hannah Arendts, an Augustinus angelehnte Idee eine Rolle, die den Menschen selbst als Anfang begreift: Initium ut esset creatus est homo – ein Zitat, das Arendt oftmals in Verbindung mit dem von Kant in die Diskussion eingebrachten Vermögen, eine Reihe von vorn anzufangen, erwähnt.

Trawny versteht diesen Neubeginn als den Sinn des Seins, der stets begleitet wird von der Zerbrechlichkeit und der Austauschbarkeit von Beziehungen, begleitet von Zweifel und Unsicherheit, von Leidenschaft und Trennungsschmerz. Zudem stehe die Liebe in ewiger Konkurrenz zum Selbstbild des Liebenden.

»Die vertraute Schönheit Deiner alternden Hand auf meiner ist unvergleichlich.«

Lässt sich über so viel Gefühl überhaupt sprechen? Roland Barthes hielt eine Philosophie der Liebe noch für ein »Monstrum«, doch Liebe braucht eine Lehre, soll sie mehr sein als ein diffuses Bauchgefühl. Als »Kunst« ist sie jedenfalls nur möglich, wenn es Regeln und Rituale des Liebens gibt.
Dieser Kunst spürt Trawnys Philosophie nach und flechtet dabei fast unbemerkt und ganz geschickt Klassiker der Liebes-Philosophie in seinen Essay ein. Wir treffen auf Niklas Luhmann (»Ehen werden im Himmel geschlossen, im Auto gehen sie auseinander«), auf die derzeit wohl prominenteste Vertreterin einer Philosophie der Gefühle: Eva Illouz, zudem auf Martin Heidegger und seinen Ausspruch volo ut sis (Ich will, dass Du seist!). Aber auch Hölderlin, Richard David Precht (dem Trawny »Schlager-Philosophie« attestiert), Erich Fromm und Sigmund Freud, Alain Badiou und George Bataille ergreifen das Wort.

Trawny sinnt über die Ekstase nach, in der wir »ans Heilige rühren«, und über die Ehe, jenen verzweifelten Versuch, die Liebe zu verewigen. Die Ehe verleihe der Liebe Würde, was Trawny in dem folgenden, sehr schönen Satz zu Papier bringt: »Die vertraute Schönheit Deiner alternden Hand auf meiner ist unvergleichlich.«
Einzelne Fragmente seiner Philosophie widmen sich der Literatur, etwa der Beziehungen von Dante zu Beatrice, von Petrarca zu Laura, von Novalis zu Sophie von Kühn, die in heutiger Lesart allesamt als Pädophilie zu bezeichnen wären. Das wohl berühmteste Beispiel in der Literatur in diesem Zusammenhang entwarf wohl Vladimir Nabokov mit seiner »Lolita«, auf die Trawny ebenfalls zu sprechen kommt.

Auch Reflexionen zur Pornografie fehlen bei Trawny nicht, schließlich gibt es inzwischen an mehreren Universitäten Seminare über jene Filme, in denen Dessous, Orgasmen und Eiswürfel, Fisting, Gang-Bang und Fesselspiele eine große Rolle spielen und kaum noch etwas zu spüren ist von der vernichtenden Kritik, mit der einst Jean Baudrillard die Pornografie belegte, als er davon sprach, der Porno sei sexueller als der Sex: Er zerstöre das Geheimnis und die Verführung und schaffe lediglich »kalte Obszönität«. In die kalte Obszönität sind vielleicht auch die von Trawny erwähnten Travel-Pussies und die Sex-Dolls einzuordnen, die Namen tragen wie die »schöne Cathy … mit ihrer einladenden Vagina oder dem engen Anus zwischen den prächtigen Pobacken.« Cathy markiert nicht zuletzt den Übergang von der Philosophie zur Nekrophilie, zu der Trawny auch die so genannte »freie Liebe« zählt, die insgeheim einer »nekrophilen Tendenz des Kapitalismus« gehorche, »indem sie die Körper vor allem als fuckable versteht.«

Auch dreht sich vieles um die schöne neue Liebeswelt in den sozialen Medien: Von der Dating-App Tinder bis hin zum Mangamädchen Hatsune Miku mit den türkisfarbenen Haaren kreisen die Gedanken Trawnys, der den einzelnen Abschnitten seines Buches so kreative Überschriften gibt wie »Björk und Spinoza«, »Ekstase der Durchbohrung«, »Philosophische Erektionen” oder »Interracial Couple«, das das politisch korrekte Sprechen über die Liebe in den Blick nimmt – und einmal mehr an eine Porno-Website erinnert.

Trawny liefert mit seiner »Philosophie der Liebe« ein kluges wie gleichsam unterhaltsames Werk, das zu eigenen Gedanken über den Gegenstand anregt.


Artikel online seit 09.12.19
 

Peter Trawny
Philosophie der Liebe
S. Fischer
272 Seiten
978-3-10-397431-7
22,00 €

Leseprobe

 

 


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