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Über das
Gefühl aller Gefühle |
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Max Scheler hat einmal behauptet, die der Liebe innewohnende Kreativität beginne
bereits im Blick, mit dem der Liebende dem Anderen begegnet. Durch diesen Blick
werde dem Gegenüber ein neuer Wert zugesprochen und ihm zugleich eine neue
Zukunft eröffnet. Die
»Spur
des Unendlichen«
im Antlitz des Anderen sei von geradezu unschätzbarem Wert, glaubt auch der
Philosoph Emmanuel Lévinas, der aus dem Blick eine Verantwortung für den Anderen
ableitet.
Doch was ist eigentlich Liebe? Und wie entsteht dieses »Gefühl aller Gefühle«? Trawny selbst bringt die Liebe mit dem Anfang in Verbindung, die Philosophie der Liebe sei insofern Anfangs-Philosophie. Hier spielt gewiss Hannah Arendts, an Augustinus angelehnte Idee eine Rolle, die den Menschen selbst als Anfang begreift: Initium ut esset creatus est homo – ein Zitat, das Arendt oftmals in Verbindung mit dem von Kant in die Diskussion eingebrachten Vermögen, eine Reihe von vorn anzufangen, erwähnt.
Trawny versteht diesen Neubeginn als den Sinn des Seins, der stets begleitet
wird von der Zerbrechlichkeit und der Austauschbarkeit von Beziehungen,
begleitet von Zweifel und Unsicherheit, von Leidenschaft und Trennungsschmerz.
Zudem stehe die Liebe in ewiger Konkurrenz zum Selbstbild des Liebenden.
Lässt sich über so viel Gefühl überhaupt sprechen? Roland Barthes hielt eine
Philosophie der Liebe noch für ein »Monstrum«, doch Liebe braucht eine Lehre,
soll sie mehr sein als ein diffuses Bauchgefühl. Als »Kunst« ist sie jedenfalls
nur möglich, wenn es Regeln und Rituale des Liebens gibt.
Trawny sinnt über die Ekstase nach, in der wir »ans Heilige rühren«, und über
die Ehe, jenen verzweifelten Versuch, die Liebe zu verewigen. Die Ehe verleihe
der Liebe Würde, was Trawny in dem folgenden, sehr schönen Satz zu Papier
bringt: »Die vertraute Schönheit Deiner alternden Hand auf meiner ist
unvergleichlich.« Auch Reflexionen zur Pornografie fehlen bei Trawny nicht, schließlich gibt es inzwischen an mehreren Universitäten Seminare über jene Filme, in denen Dessous, Orgasmen und Eiswürfel, Fisting, Gang-Bang und Fesselspiele eine große Rolle spielen und kaum noch etwas zu spüren ist von der vernichtenden Kritik, mit der einst Jean Baudrillard die Pornografie belegte, als er davon sprach, der Porno sei sexueller als der Sex: Er zerstöre das Geheimnis und die Verführung und schaffe lediglich »kalte Obszönität«. In die kalte Obszönität sind vielleicht auch die von Trawny erwähnten Travel-Pussies und die Sex-Dolls einzuordnen, die Namen tragen wie die »schöne Cathy … mit ihrer einladenden Vagina oder dem engen Anus zwischen den prächtigen Pobacken.« Cathy markiert nicht zuletzt den Übergang von der Philosophie zur Nekrophilie, zu der Trawny auch die so genannte »freie Liebe« zählt, die insgeheim einer »nekrophilen Tendenz des Kapitalismus« gehorche, »indem sie die Körper vor allem als fuckable versteht.« Auch dreht sich vieles um die schöne neue Liebeswelt in den sozialen Medien: Von der Dating-App Tinder bis hin zum Mangamädchen Hatsune Miku mit den türkisfarbenen Haaren kreisen die Gedanken Trawnys, der den einzelnen Abschnitten seines Buches so kreative Überschriften gibt wie »Björk und Spinoza«, »Ekstase der Durchbohrung«, »Philosophische Erektionen” oder »Interracial Couple«, das das politisch korrekte Sprechen über die Liebe in den Blick nimmt – und einmal mehr an eine Porno-Website erinnert.
Trawny liefert mit seiner »Philosophie der Liebe« ein kluges wie gleichsam
unterhaltsames Werk, das zu eigenen Gedanken über den Gegenstand anregt. |
Peter Trawny |
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