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Biopic

Robert Seethalers »Der letzte Satz«

Von Wolfram Schütte
 

Ein weltweit heute noch vorhandenes Publikum an literarisch-musikalisch gebildeten Bürgern dürfte von Robert Seethalers schmalem Roman »Der letzte Satz« sehr angetan sein, weil die Erzählung kurzweilig ist & sie buchstäblich gestreuselt wird mit Vokabeln des Scheiterns, Abschiednehmens, der Resignation oder des Todes: naheliegenden Alterserfahrungen des prospektiven internationalen Lesepublikums des Bestsellerautors.

»Der berühmteste Dirigent seiner Zeit« & »die schönste Frau Wiens«: was will man da noch mehr? Den tief depressiven »Direktor« (der »Met««)  auf dem Sonnendeck des Luxusliners »Amerika« (nur umsorgt von einem einzig für ihn abgestellten Schiffsjungen): ganz allein im Angesicht des Meeres, das er ein letztes Mal überquert; einen ahnungsvollen Todkranken, dem die bekanntesten Momente aus Gustav Mahlers Biographie einfallen: die leidenschaftliche Liebe des kleinwüchsigen »Judenbengels« zu der dreizehn Jahre jüngeren Alma Schindler; der Diphterie-Tod der abgöttisch geliebten ersten Tochter Maria; die rastlose Tätigkeit als Wiener Operndirektor, der die statuarischen Sänger zu agilen Darstellern machte; der phänomenale Triumph bei der Münchner Premiere seiner 8. Symphonie »der Tausend«; Almas Ehebruch mit dem jungen Architekten Walter Gropius, der unwillentlich einen Liebesbrief an den Gehörnten adressiert & Mahlers zweitägige Eisenbahnreise zu dem in den Niederlanden urlaubenden Siegmund Freud & beider vierstündiger Spaziergang unter Touristen. »Der letzte Satz« nimmt sich aus, wie Seethalers Bonsai- Nach-Züchtung von Jens-Malte Fischers einst episch aufgeblühter Mahler-Biographie »Der fremde Vertraute«, die vor 17 Jahren im gleichen Verlag erschien ist.

Der kleine Roman, der eher den kurzweiligen Umfang & die charakteristische Form einer längeren Erzählung besitzt, mäandert in Erlebter Rede um Fixpunkte des Mannes Mahler & präsentiert biographischen Fundstücke in der trivialsten erzählerische Form, die besonders im Kino-Film eine lange Tradition hat: als Rückblenden eines Erinnernden.

Ich stelle mir vor, Seethaler sei von zwei ikonischen Gustav-Mahler-Bildern zu seinem Buch angeregt worden: zum einen durch das bekannte Bild des auf eine Schiffsreling gestützten Hutträgers Mahler mit abgespreiztem Spazierstock; zum anderen durch das Bild des von Dirk Bogarde verkörperten todkranken Gustav von Achenbach im Deckchair der »Esmeralda« bei der Fahrt über den Acheron in Viscontis »Tod in Venedig«.

Was ich damit sagen will? In »Der letzte Satz« hat man ein perfekt präpariertes »Biopic« vor sich, das bis in das Nachspiel hinein einem europäischen arthousefilm entspricht, der (noch) literarisch verpuppt ist.

Artikel online seit 03.08.20
 

Robert Seethaler
Der letzte Satz
Roman
Hanser Berlin, Berlin 2020
126 Seiten
19 €
978-3-446-26788-6

Leseprobe

 

 


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