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Amanda Gorman
zur Inauguration Joe Bidens

Foto: Chairman of the Joint Chiefs of Staff - Creative Commons Attribution 2.0 Generic

Hosen runter lassen!

Sex-Idenditäre machen mobil

Von Wolfram Schütte

Der Fundamentalismus ist in den letzten Jahren in Europa vornehmlich muslimisch aufgetreten & als sowohl geistige wie auch politische Bedrohung unserer multikulturellen demokratischen Gesellschaft aufgefallen.
In diesen Tagen aber trat er diesseits & jenseits des Atlantiks & in der alt-ehrwürdigen SPD auf. Ich spreche von der Übersetzung Amand Gormans Aufsehen erregendem Gedicht zur Inauguration Joe Bidens & von dem »Manifest«, unter dem sich 185 deutsche Schauspieler & Schauspielerinnen scharten, die eint, dass sie alle verschiedene sexuelle Orientierungen besitzen, die von der geläufigen, mehrheitlich heterosexuellen auf diese oder jene Art abweichen (»act out«).

Während ein niederländischer Verlag die Übersetzung aus dem Amerikanischen einer hochqualifizierten niederländischen Übersetzerin & Dichterin anvertraute, deren Wahl auch der US-Autorin willkommen war, kritisierte eine niederländische Kollegin in einer Zeitungsglosse die Entscheidung. Die Kritikerin argumentierte nicht gegen die übersetzerische Qualifikation der Erwählten, sondern sie dekretierte, diese sei allein deshalb ungeeignet, weil sie eine weiße Hautfarbe habe (& Gorman eine schwarze). Adäquat sei also eine schwarze Niederländerin – übrigens auch noch deshalb, weil damit die weithin bislang unbekannte schwarze niederländische Übersetzerin durch die Prominenz der schwarzen US-Dichterin bekannter werden könnte. Von beruflicher Qualifikation & literarischer Kompetenz als (Nach-)Dichterin war keine Rede mehr.
Wenn das nicht rassistisch ist, was dann?
Nachdem die weiße Dichterin daraufhin Opfer einer Hassorgie im Internet geworden war, kapitulierte sie (auch noch verständnisvoll) & gab den Auftrag zurück. Das eigene Gedicht, in dem sie den Casus reflektierte, war jedoch so brillant, dass es gleichsam Gormans Poesie nachempfunden schien.

Nicht wegen ihrer Hautfarbe, sondern aufgrund ihrer sexuellen Orientierung, behaupteten (in einer kollektiven Aktion im Magazin der »Süddeutschen Zeitung«) 185 deutsche Darsteller & Darstellerinnen, würden sie laufend berufliche Diskriminierungen erleiden & in bestimmten Rollen nicht besetzt. Wieso sich diese berufliche Situation ändern solle, wenn alle Welt über ihre jeweilige sexuelle Disposition aufgeklärt werde, gehört zu den Seltsamkeiten dieser diversen Sex-Fundamentalisten. Wie widersprüchlich die Wünsche der »Act out«-Protagonisten sind, demonstrierte eine Person, die beklagte, dass sie zu wenig Rollen bekomme, die ihrer sexuellen Identität entsprächen & eine andere, der missfiel, dass sie nur Rollenangebote bekomme, die ihrer bekannten sexuellen Disposition entsprächen.

Die FAZ-Feuilletonistin Sandra Kegel hatte sich in einer milden Glosse über Anspruch & Auftreten der 185 Selbstexponierer ein wenig ironisch mokiert. Vor allem aber hat sie wohl  die Imitation gereizt, mit der die 185 heutigen Manifestanten sich bewusst auf die denkwürdige feministischen Aktion von 374 Frauen beziehen, die sich 1971 öffentlich im »Stern« bezichtigten, abgetrieben zu haben. Damit »verstießen sie gegen geltendes Recht und riskierten viel – nicht zuletzt mehrjährige Haftstrafen. Bei einer Rolle übergangen zu werden, mag ärgerlich sein und sicherlich auch kränkend, aber lebensgefährlich ist das nicht«, resümierte Kegel spitz - & handelte sich damit einen »hate storm« in jenen Medien ein, die absurderweise »soziale« genannt werden, jedoch asoziales verbales Verhalten en masse provozieren & verbreiten.

Hilfreich wollte das Kulturforum der SPD der (selbstverständlich) unflätig Attackierten beistehen, indem es mit Kegel & einigen »queeren« Kritikern zu diskutieren beabsichtigte. Die LGBTI – die Lobby-Organisation für Schwule & Lesben etc. – hatte daraufhin ultimativ das Kulturforum aufgefordert, die eingeladene FAZ-Redakteurin auszuladen. Eine ziemliche Unverfrorenheit, symptomatisch aber für die Chuzpe, mit der augenblicklich alle möglichen Organisationen (wie z.B. auch der »Zentralrat der Muslime in Deutschland«) im Namen jeweils aller Betroffenen in der Öffentlichkeit auf- & im Opferdiskurs gegen einander antreten.

Danach konnte die Internet-Skype-Veranstaltung des hochherzigen SPD-Kulturforums nur noch scheitern – dank der lautstarken Empörung einzig der »queeren« TeilnehmerInnen über die ebenso sensibel wie ironisch argumentierende FAZ-Redakteurin. Um das geistig-moralische Elend dieser Tage & Situation – in meinen Augen – vollends ausreifen zu lassen, hat sich die »SPD-queer«-Gruppe bei allen »Beleidigten« entschuldigt; und weil man schon mal dabei war, haben SPD-Vorstandsmitglieder Eskens & Kühnert öffentlich erklärt, dass sie sich schämten für kritische Äußerungen des ehem. Bundestagspräsidenten Thierse, der in einem Artikel gefragt hatte: »Wieviel Identität verträgt die Gesellschaft?«

Offenbar vertragen die ins Kraut geschossenen Identitätspolitiker keine Kritik, sondern nur vollständige, sofortige Zustimmung. Andernfalls gerieren sie sich »stalinistisch«, wie nun in diesem jüngsten Fuß-Fall der SPD vor der LGBTI. Die brave, alte, humanistische SPD erntete dafür nur Hohn, Schimpf & Schande von den angeblich nun nicht nur von Sandra Kegel, sondern auch von der SPD »Beleidigten« & »Diskriminierten«.

Es ist sowohl zum Fremdschämen als auch zum aus der Haut fahren! Diese Fundamentalisten, die ihre angebliche »eigene Betroffenheit/Befindlichkeit/Beleidigtheit« zur Waffe instrumentalisieren, um alle anderen zu erpressen, sind dabei, auch noch den berechtigten Protest zu desavouieren.   

Artikel online seit 11.03.21
 

 

 


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