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Ein Blick aus der Neuen Welt auf die Alte Bolivár Echeverrías Plädoyer für eine vielstimmige Globalisierung Von Wolfgang Bock |
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Ein mexikanischer Marxist aus Berlin Viva Zapata! Chiapas und die unvollendete Eroberung
Echeverría beschreibt in seiner Analyse zwei Haupttendenzen der Conquista,
der Entdeckung und Eroberung Lateinamerikas: die Strategie der
Vernichtung der amerikanischen Urbevölkerung und eine Vermischung,
die weiter in zwei verschiedene Formen unterteilt werden kann: einen Rekurs auf
die alte amerikanische Kultur (die im 16. Jahrhundert durch die Eroberer
zugrunde ging und von der nur noch Reste existieren) und eine affirmative
Anpassung, die versucht, die europäischen Verhältnisse unter amerikanischen
Bedingungen einzuführen. Letzteres ist die Grundlage der Staaten Lateinamerikas,
die gerne als sogenannte „normale Staaten“ im Sinne der europäischen Nationen
anerkannt werden wollen. Diese beiden Weisen der Vermischung blockieren sich
gegenseitig. Die Naturform und die soziale Reproduktion In seinen politökonomischen Schriften nimmt der Philosoph eine Auslegung des marxistischen Begriffs der Naturform des menschlichen Lebens und ihre gesellschaftliche Reproduktion im gesellschaftlichen Prozess hin zur Wertform vor, die sich wiederum in Tausch- und Gebrauchswert aufteilt. Echeverria verteidigt Marx gegenüber Michel Foucault in dessen Die Ordnung der Dinge und tritt dabei für Jean Baudrillard und seine Auslegung einer „Ökonomie der Zeichen“ ein. Am Ende wird, wenn es um die natürlichen Ursachen der Wirtschaftsgeschichte und den Primat des Gebrauchswerts geht, auch Karl August Wittvogel zitiert. All das gruppiert sich um die ipolitische Idee von Aristoteles, dass die menschliche Organisation nicht natürlich, sondern frei sei. Der Text läuft auf die Erkenntnis hinaus, dass jede Ökonomie a priori eine politische ist, die sich auf die Herstellung von Gebrauchswerten gründet. Der barocke Schlüssel Lateinamerikas Nach weiteren Überlegungen zur Kulturentwicklung und zur Postmoderne (deren Begriff er nicht anerkennt, da für ihn die Moderne bereits heterogen genug ist) werden im dritten Teil nochmals die zentralen Motive von Echeverrías historischer Theorie aufgezeigt. Schon Alexis von Tocqueville betont, dass Nord- und Südamerika in Bezug auf die Moderne unterschiedliche Wege gehen. Neben der protestantischen Ethik, die die Verhaltensformen des modernen kapitalistischen Menschen des liberalistischen Konzepts beschreibt, tritt ein kontinentaler mediterraner Typus von Moderne. Das entsprechende Verhalten fasst Echeverría im Konzept des Ethos einer barocken Kultur, die in Mexiko im 17. Jahrhundert nach dem Scheitern der conquista die Form einer aktiven Mischung angenommen habe. Darauf ruhen seine zukünftigen Hoffnungen auch für unsere Periode: In Lateinamerika entstand und entwickelte sich das barocke Ethos zunächst in den unteren und marginalen Klassen der Mestizenstädte des 17. und 18. Jahrhunderts rund um die informelle und unkontrollierte Ökonomie, die sogar noch größere Bedeutung erlangte als die formelle und an die spanische Krone gebundene Ökonomie. Es entstand zunächst als spontane Überlebensstrategie, die jene indigene Bevölkerung erfand, die die Ausrottung des 16. Jahrhunderts überlebt hatte und nicht in unwirtliche Regionen vertrieben worden war. Nachdem im 16. Jahrhundert die großen indigenen Zivilisationen ausgelöscht worden waren, schien es wahrscheinlich, dass die Conquista, die von der spanischen Krone fast kaum noch verfolgt wurde, in eine Epoche der Barbarei und der Zivilisationslosigkeit münden würde. Angesichts dessen vollbrachte die in das städtische Leben des Vizekönigreichs integrierte indigene Bevölkerung eine zivilisatorische Leistung, die die lateinamerikanische Identität grundlegend prägen sollte. Sie aktualisierte den wichtigsten Rekurs der Kulturgeschichte: den des Mestizaje.[3] Ein Modell für eine diverse Welt
Dieses Geschichtsmodell einer Vermischungskultur bestimmt auch seine Vorstellung
der Revolution, die sich bei Marx noch auf den ersten Typus der Moderne bezieht:
Für all das steht der
Rückgriff auf den Barock: Das ist ein Motivkreis, der sich auch bei anderen mexikanisch inspirierten Theoretikern finden lässt, bei Erich Fromm etwa oder bei Ivan Illich mit seinem Konzept der Kritik der Knappheit, dem Eintreten für eine konviviale Wirtschaftsform und eine entsprechende am Gebrauchswert orientierten Technik.[5] Dieses ethische Modell des Befreiungstheologen Illich würde der Marxist Echeverría aber als traditionelles bezeichnen. Eine erweiterte Theorie des Barock
Barock
– das ist zunächst im europäischen Kontext eine Bezeichnung für den vermischten
Kunststil der Gegenreformation des 17. Jahrhunderts, der in den wieder
erstarkenden Machtzentren der katholischen Staaten nach den Bauern und
Bürgerkriegen zwischen Katholizismus und Protestantismus in Südeuropa entsteht.
Charakteristischerweise gibt es in England keinen Barockstil. Die Barockzeit
dagegen ist in Europa eine im Allgemeinen geschmähte kulturelle Periode der
Gegenreformation, der blutigen Bürgerkriege, der Pest und der metaphysischen
Hoffnungslosigkeit. Echeverría hebt hier aber auf eine weitere
transeuropäische Bedeutung ab. Denn es ist im globalen Maßstab
gesehen die Epoche der kolonialen Kultur der Eroberer, die diese nach Südamerika
bringen und die weiter im Prozess der Vermischung der indigenen Völker mit den
spanischen und portugiesischen Eroberern sich herausbildet. Auf diese Art von
aktiver Mischkultur setzt er seine Hoffnungen auch aktuell. Es ist ein
Gegenmodell zur zerstörerischen Amerikanisierung, die zunehmend die Welt global
bedroht.
[1] Das
Konzept ist nicht zu verwechseln mit dem Begriff der Zweiten Moderne,
mit der Ulrich Beck und Anthony Giddens eine Verschärfung der
ökonomischen Ausbeutung beschreiben. Vgl. Ulrich Beck,
Risikogesellschaft, Frankfurt am Main: Suhrkamp 1986 und Anthony
Giddens, Scott Lash (Hrsg.): Reflexive Modernisierung. Eine
Kontroverse, Frankfurt a, Main: Suhrkamp 1996.
Artikel online seit 02.09.21 |
Bolivar
Echeverria |
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