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& der Grappa?

Eine Anmerkung zu Dieter Richters Salto-Band »Con gusto«

Von Wolfram Schütte
 

Dieter Richter, emeritierter Bremer Kulturwissenschaftler, der halbwegs auch heimisch ist im schönen Amalfi (als Ehrenbürger!), ist der lustvoll tätige literarische Hausgott des Wagenbach-Verlags & seines namensgebenden italophilen Gründers.

Nachdem Richter im Berliner Verlag eine ganze Reihe von kulturhistorischen Büchern über Capri, Neapel & den Vesuv (alle gewissermaßen vor seiner »Haustür« gelegen) publiziert hat, ließ er ihnen nun »Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht« unter dem Titel »Con gusto« als jüngste seiner literarisch-essayistischen Feiern des geliebten italienischen Südens folgen.

Ein schönes Buch in der bekannten Salto-Reihe des Verlags, voller amüsanter Anekdoten & kulturhistorischer Schnurren (deren Herkunft mehr als 350 Anmerkungen annoncieren!), wohl versehen mit einigen Illustrationen als optischen Belegen. Man erfährt in seinem ersten Teil »die Kulinarische Geschichte der italienischen Reise«, will sagen sowohl vielfach Abfälliges über »stinkendes Olivenöl« & »harten Makkaronifraß« als auch manch aufmerkendes Erstaunen über die neapolitanische Streetfood-Pizza/Pasta von den vielen »Grand Touristen« des 18. bis 20. Jahrhunderts. Der zweite, etwa gleichlange Teil berichtet von der »kulinarischen Meridionalisierung des Nordens«, vulgo: wie die italienische Ess- & Lebenskultur (von Zitronen über Pasta & Pizza, bis zu Gelato) nach Transalpinien, speziell nach Deutschland kam – oder sogar auch bis in die USA.

Soweit, so gut.

Aber kann man ein solches Buch schreiben - ohne den Grappa zu würdigen? Den Prosecco? Extra Vergine? Die bauchige Chianti-Flasche seligen  Angedenkens? Die einst unterschiedlichen Pane & Coperto-Preisschilder an den Trattorien Italiens? Und von Mafia, Camorra, Ndrangheta zu schweigen?

Offenbar liegt das Italien, in dem sich Richter gut auskennt, wenn nicht einzig, so doch vornehmlich jenseits von Rom im Süden – während das Land der Deutschen-Sehnsucht in Vergangenheit & Gegenwart für die meisten von uns sich nur bis Rom erstreckt. Vermutlich deshalb hat Richter den jahrzehntelangen kontinuierlichen Prozess des Austauschs & der wechselseitigen kulinarisch-gastronomischen Annäherung der beiden Länder zwar im großen & ganzen zutreffend beschrieben, aber denn doch sehr verkürzt, statt ihn lebendig aus eigener Anschauung darzustellen.

Denn das Verhältnis von BRD-Touristen aller sozialen Schichten zu Italien & italienischer »Gastarbeitern« vornehmlich aus dem agrarischen Süditalien in den Industriezonen der BRD ist einzigartig in Europa, wenn nicht gar auf der Welt. Es hat langfristig zu einer kulinarischen Misch-Kultur vor allem in Deutschland geführt. Denn in Italien sind die deutschen Urlauber, zumeist im Sommer an den Adria-Stränden & oft über Jahre hin im gleichen Hotel, nur saisonal präsent, während viele italienische Arbeitsemigranten in der BRD heimisch wurden.

Auf dem langen Weg zueinander gaben die Italiener zwar ihr Pane e Coperto als Entrébillett im Ristorante auf & nahmen auch hin, dass die deutsche Kundschaft im Lokal sich setzte, wie sie wollte & auch nicht immer ein mehrteiliges Menü, sondern oft nur (eine größere Portion) Pasta verzehren wollte. Den als »Geschenk des Hauses« firmierenden einfachen Rachenputzer, namens »Grappa« nahmen die überraschten fremden Gäste natürlich dankend an, wenngleich sie erst einmal in Erfahrung bringen mussten, dass es sich dabei um einen bis dato völlig unbekannten, bäuerlich-vulgären Trester-Schnaps handelte, der aus den Maische-Abfällen der Weinproduktion stammte.

Der geschenkte Digestiv für die (saisonale) Stammkundschaft war nicht das einzige, was »der Italiener um die Ecke« dann als Lockmittel seiner Gastronomie nach Deutschland exportierte. Richter weist zurecht  auf den zeremoniellen Charakter eines Restaurantbesuchs in Italien hin: von der Begrüßung durch den Chef(-Ober), die Platzanweisung, die persönliche Tagesempfehlung bis zum drei-bis viergängigen Menü & die Separierung der Speisenteile auf einzelnen Tellern. Alle Abweichungen von der deutschen Gastronomie dienten der Respektserweisung sowohl gegenüber den einzelnen Speisen als auch gegenüber dem Gast. Sie sollten sich in einer »festlich«-familiären Atmosphäre der Gastlichkeit mit einer rundum ebenso professionellen wie warmherzigen Dienstleistung aufgehoben fühlen.

Die italienische Esskultur, die auch die bislang freudlose deutsche zivilisierte, ist in Deutschland längst keine exotische mehr - wie es asiatische oder z.B. die griechisch/türkische Küche noch immer ist, obwohl ja heute z.B. Kebab bis ins hinterletzte Kaff vorgedrungen ist. Für ihre Integration in die deutsche Gastronomie dürfte auch die Expansion der Mafia ins Geldwäscher-Paradies Deutschland verantwortlich sein, ohne deren finanziell-ökonomische Engagement die Vielzahl, Vielfalt & Allgegenwärtigkeit italienischer Gastronomie in Deutschland wohl nicht denkbar ist.

Die transnationale Expansion der cucina italiana, erweiterte deren sichere Absatzmärkte (Barilla!) & provozierte vielfältige gastrosophische Verfeinerungen, die allen ihren Nutznießern zugutekamen. Die Veredelung des einst primitiven italienischen Tresterschnaps in eine weit gefächerte Diversität edelster »Tropfen«, deren Vielfalt, Qualität & Preise es leichthin mit dem schottischen Angebot an Malt-Whiskys aufnehmen kann, ist wohl die erstaunlichste & signifikanteste dieser kulinarischen Gewinne aus der Symbiose von Deutschem Konsum & der cucina italiana.

P.S. Kopfschüttelnd über deutsche Italienreisenden im 18. & 19. Jahrhundert, die ihre Abscheu gegen den »Gestank« des Olivenöls äußerten, fragt man sich, ob nicht vielleicht erst die Entwicklung des Olivenöls bis zum »extra vergine« die Geruchsbelästigung beim Braten reduziert hat. Es hat ja jeder heute wohl den ekelhaften Gestank in der Nase, wenn die Pommes mit miserablem Öl frittiert wurden.  

Artikel online seit 29.08.21
 

Dieter Richter
Con gusto
Die kulinarische Geschichte der Italiensehnsucht
168 Seiten, 30 Abb. Wagenbach
20,00 €
978-3-8031-1362-7

 

 


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