Der wirtschaftliche und künstlerische Erfolg von AutorInnen hängt wesentlich
auch von der Kompetenz des Lektorats, des Werbebudgets und dem Engagement der
Verlegerin oder des Verlegers ab. Umsomehr darf man sich
darüber freuen, daß der schottische Autor William Boyd nach der jahrelangen Odyssee des
Berlin-Verlags, erst geschluckt von Bloomsbury, dann als Label in der
Bonnier-Gruppe gestrandet,
rechtzeitig zu seinem 70. Geburtstag im noch jungen Kampa-Verlag einen ihm
gebührenden Ankerplatz gefunden hat.
William Boyd wurde
7.03.1952 als Sohn
schottischer Eltern in Accra, Ghana geboren, ist dort und in Nigeria aufgewachsen,
bevor er in Großbritannien zur Schule ging und an der Gordonstown School, der
Glasgow University und am Jesus College in Oxford Philosophie und Englisch studierte
und mit einer Arbeit über
Percy Bysshe Shelley promovierte. Sein erster Roman,
»Unser Mann in Afrika« erschien 1981 und gewann den »Whitehead First Novel Award«
und den »Somerset Maugham Award«. Heute sind bei Kampa 14 Bücher von ihm
lieferbar und er gilt als einer der bedeutendsten und erfolgreichsten Erzähler
der zeitgenössischen Literatur. William Boyd lebt mit seiner Frau in London und
im südfranzösischen Bergerac.
Boyd zu
lesen, bedeutet immer auch, schon nach wenigen Seiten tief in die
Lebensgeschichten seiner Romanfiguren hineingezogen zu werden, wie in die von
Logan Gonzago Mountstuart,
Sally Gilmartin (Eva Delektorskaja) und Hope Clearwater, um mit ihnen die Höhen
und Tiefen des 20. Jahrhunderts zu durchleben.
Zum Einstieg in die fesselnden Lebensgeschichten des William Boyd seien die vier
folgenden Titel besonders empfohlen:
Eines Menschen Herz
In Form eines fast siebzig Jahre umfassenden fiktiven Tagebuchs erzählt William
Boyd das bewegte und bewegende Leben eines außergewöhnlichen Mannes, der sich
durch die Londoner, New Yorker und Pariser Kunstszene trinkt und schreibt. Das
schillernde Porträt eines Lebenskünstlers und eine atemberaubende Reise durch
das 20. Jahrhundert. 1906 in Uruguay geboren, er ist Schriftsteller,
Kunsthändler, Spion. Ein Mann mit vielen
Talenten und ebenso vielen Schwächen: Mit Anfang zwanzig erlangt er frühen Ruhm
als Shelley-Biograph und heiratet in den englischen Landadel ein, später geht er
als Berichterstatter in den Spanischen Bürgerkrieg und wird Leutnant beim Secret
Service. Er trifft Berühmtheiten wie Evelyn Waugh und Virginia Woolf, lernt in
Paris Ernest Hemingway und Pablo Picasso kennen und kauft für wenig Geld Gemälde
unbekannter Künstler: Paul Klee und Juan Gris. Noch später arbeitet er für
Bond-Erfinder Ian Fleming und landet in einem Schweizer Gefängnis. Im Laufe
seines Lebens hat Mountstuart nahezu überall gelebt. Schließlich, als alter
Mann, wird er glücklich – beinahe.
Trio
Es ist der
Sommer 1968: In Paris gehen die Studenten auf die Straße, in Vietnam wütet der
Krieg, Martin Luther King wird ermordet. Während die Welt in Aufruhr ist,
wird im sonnigen Brighton ein aparter Kinofilm gedreht. Hier kreuzen sich die
Wege eines Filmproduzenten, einer Schriftstellerin und einer Schauspielerin.
Alle drei führen ein Doppelleben: Elfrida, der keine Zeile mehr einfällt und
deren Ehe zerrüttet ist, ertränkt ihren Frust in Wodka. Talbot, der
Filmproduzent, hat ein geheimes Hobby und macht gute Miene zum bösen Spiel, denn
er weiß, dass sein Geschäftspartner versucht ihn auszubooten. In Anny, die
umwerfende Hauptdarstellerin, ist die ganze Welt verliebt, aber ihre
Liebschaften bereiten dem Filmstar nur Scherereien: Sie hat eine Affäre mit
ihrem Filmpartner, und natürlich taucht ihr Liebhaber, ein Philosoph aus Paris,
überraschend am Set auf. Außerdem sitzt Anny ihr Ex-Mann im Nacken – und das
FBI. Während die Dreharbeiten bei scheinbar ausgelassener Stimmung
voranschreiten, rumort es hinter den Kulissen gewaltig. Die Geheimnisse des
Trios drohen aufzufliegen. Wie lange kann jeder seine Rolle spielen? Und wer
inszeniert das größte Drama?
Ruhelos
»Eines Tages kommt jemand und bringt mich um«, hat Sally Gilmartin ihrer Tochter
schon vor Jahrzehnten gesagt. Nun, da sie alt ist, macht Ruth sich ernsthaft
Sorgen und fragt sich, ob ihre Mutter unter Wahnvorstellungen leidet.
Schließlich offenbart Sally ihrer Tochter, dass sie in Wahrheit nicht Sally
Gilmartin heißt, sondern Eva Delektorskaja, und dass sie als russische
Emigrantin 1939 in Paris vom britischen Geheimdienst angeworben wurde. Während
alles, was Ruth je meinte, über ihre Mutter gewusst zu haben, in sich
zusammenfällt, spürt sie schon bald, dass ihre Mutter ihr diese Geschichte nicht
ohne Hintergedanken erzählt. Die ehemalige Spionin hat noch einen letzten
Auftrag, den sie nicht allein erledigen kann.
Brazzaville Beach
Ein Ort am Rande Afrikas. Die junge Verhaltensforscherin Hope Clearwater sitzt an diesem Strand, der ihr Zuhause geworden ist, und fragt sich,
was sie hier eigentlich macht. Sie braucht Zeit, um sich von dem zu erholen, was
geschehen ist. Zwei Geschichten will sie erzählen: Die erste spielt in England,
wo sie mit einem genialen Mathematiker verheiratet war, eine Ehe, die
fürchterlich gescheitert ist, die zweite in Afrika, dem Ort, an den sie
geflüchtet ist. Sie beginnt, von den Schimpansen zu erzählen, die sie beobachtet
hat, bis ihr Chef anfing, ihre Arbeit zu sabotieren. Und dann war da noch ihre
Affäre mit Usman, einem ägyptischen Söldner, der aufseiten der kongolesischen
Regierung im Bürgerkrieg kämpfte. Ein intellektueller Thriller, eine
Abenteuergeschichte, vor allem aber ein großer Roman über Fragen der Schuld und
des menschlichen Zusammenlebens.
Artikel online seit 06.03.22
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Foto:
Michael
Fennell
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