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Zwei besondere Narren

Peter Handkes »Zwiegespräch«

Von Lothar Struck
 

Da ist diese Widmung zu Beginn von "Zwiegespräch", dem neuesten Buch von Peter Handke: "für Otto Sander und Bruno Ganz". Sofort erinnert man sich an Cassiel und Damiel, die beiden "Engel" aus dem "Himmel über Berlin", dargestellt und verkörpert von ebenjenen Schauspielern. Stellt man sich nun die beiden bei der Lektüre vor? Imaginiert deren Duktus auf die Figuren? "Zwiegespräch" ist ein Dialog zwischen zwei namenlos bleibenden, älteren Männern. Die beiden kennen sich und erzählen ihnen jeweils leidlich bekannte Reminiszenzen. Sie nennen sich zu Beginn "Narren", was dem Text Schwere nimmt.

Aber dieser Dialog dient anders als in so manchem Handke-Stück nicht als Binnentext, um einen dramatischen Konflikt zu veranschaulichen, wie etwa bei Quitt/Paula in "Die Unvernünftigen sterben aus", oder, noch deutlicher, zwischen Pablo und Felipe in "Zurüstungen für die Unsterblichkeit". "Zwiegespräch" ist ein autarkes Kammerspiel; von Ferne eher eine Variation von "Die schönen Tage von Aranjuez", den "Sommerdialog" zwischen Mann und Frau.

Handke-Leser entdecken Einsprengsel von Motiven aus dem Werk des Dichters, etwa das platonische Liebespaar, die Scheunenmetapher oder auch das Bewusstsein der Figuren, Teilnehmer in einem Schauspiel zu sein. Anderes wird detaillierter behandelt. Etwa die Persiflage des "Ahnenkults" eines der beiden Protagonisten. Plötzlich entsteht als diskursives (Zwischen-)Ergebnis die Befragung der Lichtgestalt des eigenen Großvaters wie auch des österreichischen "Großvatertums" insgesamt. Da gibt es wenig schmeichelhaftes vom Kämpfer an der Isonzo-Front, Geschichten von Gewalt gegen Mensch und Tier, eine aufgespießte Schlange. Und plötzlich wird "Großvater" zum Symbol des vom "Großen Verführer" Verführten, vom Mitmachen des Schändens der Sprache und die einstigen Anekdoten und (Kinder-)Erzählungen erscheinen in anderem Licht: "Und daß alle eure Enkel jetzt und hier weiter hereinfallen auf euer eine grundfalsche Güte ausstrahlendes Großvatertum, liegt das vielleicht an der Natur der Geschichte, Natur von Geschichte überhaupt? Oder einzig an der zur Unzeit pervertierten Historie in unseren Breiten?" Sogar eine Tragödie wird herbeiphantasiert, "klassisch, in fünf Akten, ohne Katharsis", ein Drama, in dem der "einst verehrte Großvater" von seinem Enkel erschlagen wird.

Der Partner besänftigt den Zorn. Später dann noch einmal der (plötzlich gemeinsame? sind es Brüder?) Großvater, kartenspielend, alleine; seine Mitspieler sind verstorben und das einsame Sterben eines Mannes. Schließt sich hier der Kreis, der einst in der Kartenspielszene des Protagonisten in den "Hornissen" begann (oder ist es eine eigene Erzählung?), als dieser als Kind unter dem Tisch der spielenden Männer sitzt und kauert?

Was noch? Der Glanz des Theaters, die langjährige Theaterbegeisterung – "das war einmal". Und auch die "Schwesternkunst Film, auch die hat, vorderhand, ihren Moment verloren. Zwar triumphieren manche auch aller Ehren werten Filme dank Momenten von Aktualität, Großaufnahmen, Universalmusik. Doch das sind nicht die Momente, die ich meine, und schon gar nicht die 'Kult'-Momente. Auch alle die heutigen Filme, ja, sämtliche, haben, wie die Bühnenspiele, die Dauer verloren, und zwar, behaupte ich wenigstens, wegen und aufgrund des Momentverlusts der Schwesternkunst Theater."

Erodieren hier auf einmal Überzeugungen? Das Spiel des Wieder-Holens, das Vorwärts-Erinnern  - stockt es? Sind die einst wuchtigen, so fruchtbaren, lebensbestimmenden Evokationen einer profanen, seufzenden Rückblende auf eine Vergangenheit gewichen, die nicht mehr wiederkommt und die es nicht mehr wert ist, wiedergeholt zu werden ? Oder sind das es nur "Hirngespinste", wie der andere Zwiegesprächler meint?

Der Leser stockt bisweilen bei diesem Konglomerat aus Desillusionierung, Selbstzweifel und dann doch wieder sanfter Zuversicht mit dem Blick auf eine mögliche Zukunft, "da das Wünschen wieder helfen wird". Hierfür wird ausgerechnet ein Hoch auf den "menschlichen Trotz" ausgesprochen, was natürlich eine trotzig-selbstironische Geste ist. Nein, ein Idyllendichter war Handke nie. Er fürchtet sich geradezu davor.

Am Ende zeigt sich: Es ist ein Zwiegespräch mit sich selber, ein "innerer Dialog an den Rändern", wie auch der Titel des demnächst bei Jung und Jung erscheinenden neuen Journalbandes heißt, der Notizen aus den Jahren 2016 und 2021 enthält. "Zwiegespräch" ist kein Engel-Dialog, eher das, was sich im "Spiel vom Fragen" zwischen dem "Mauerschauer" und dem "Spielverderber" (vor allem Martin Schwab und Peter Fritz in der Inszenierung des Burgtheaters 1990) ereignete; ein Meisterstück Handkes, ein Zeugnis der inneren Zerrissenheit eines Menschen zwischen zwei Temperamenten (auch hier eine Widmung mit Symbol- und Strahlkraft: Ferdinand Raimund und Anton Tschechow). Die Kunst war, dass dies in einem spielerisch-heiteren Dialog sicht- und erfahrbar wurde. Und derart, als innerer Dialog gelesen, wird "Zwiegespräch" plötzlich ein anderer Text, verwandelt sich, wird zur Parabel auf das Dasein.


Artikel online seit 01.04.22
 

Peter Handke
Zwiegespräch
Edition Suhrkamp
72 Seiten
18,00 €
978-3-518-22536-3

 

 

 


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