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Mangel-Wirtschaft

Spekulationen über den derzeitigen & künftigen Zustand der Gastronomie

Von Wolfram Schütte
 



Wir sind mitten in einer radikalen Veränderung unserer gesellschaftlichen Lebensweisen. Erst führten die Lockdowns der Pandemie dazu, dass der Sektor der Dienstleistungen – vor allem in der Gastronomie, den Bäcker-& Metzgereien – personell ausgedünnt wurde & die temporär frei gesetzten, sprich: entlassenen Arbeitskräfte in andere, besser bezahlte & angenehmere Arbeiten wechselten; dann sorgte die düstere politische Situation & die explosionsartige Erhöhung der Lebenshaltungskosten für eine allgemeine Einschränkung des bislang fraglosen Konsumverhaltens der Bevölkerung, vor allem in der Gastronomie.

In der Gastronomie ist die Veränderung am deutlichsten zu spüren. (Ich gehe von Erfahrungen in Hessen aus.) Schon in der näheren Vergangenheit der letzten 10 -20 Jahre war es Usus geworden, dass „auf dem Land“ (i. e. außerhalb der Metropolen) die meisten Gaststätten nur abends geöffnet waren. Wer, bitte schön, sollte unter der Woche mittags in einer Dorfkneipe denn speisen?

Wo jedoch „in der Stadt“ mit dem stetigen Zufluss von Laufkundschaft gerechnet werden konnte, waren Restaurants oder Kneipen auch mittags geöffnet, obwohl mit „Finger-oder Streetfood“ alle möglichen  Imbissmöglichkeiten die mittags ausschwärmenden Angestellten abzufischen versuchten. Solche urbanen mittäglichen Verköstigungsformen wurden für ihre Betreiber prekär, weil mit dem „home-office“ die bisherige Kundschaft einschmolz.

Wer jedoch unter der Woche „auf dem Land“ unterwegs ist, muss achtgeben, damit er irgendwo einen Mittagstisch findet. Im Odenwald haben ca. 10 Landgasthäuser, die unterm Siegel der Regionalküche ein qualitativ höheres gastronomisches Niveau als das übliche Schnitzel/Bratwurst-Angebot pflegen, sich zu einem Qualitätsverbund zusammengetan & auch mittags geöffnet. Intelligenterweise hatten sie bisher nicht alle (wenn auch viele) montags geschlossen (wie bundesweit die Museen). Seit kurzem haben alle diese Restaurants nun aber zwei Ruhe-Tage in der Woche, fast immer montags & dienstags.

Die Reduzierung der Öffnungstage (sowohl durch Personal- als auch Kundenmangel) hat mittlerweile schon manchen Gasthof in der Stadt erreicht. Das prominenteste Lokal in Frankfurt ist die weltbekannteste Apfelweingaststätte Sachsenhausens: das „Gemalte Haus“. Es hat montags & seit kurzem auch dienstags geschlossen. Bislang scheint aber die Zahl seiner Kellner nur geringfügig vermindert.

Andernorts – z.B. im mittags geöffneten Restaurant „Fegerer“ (Aschaffenburg) – bedient derzeit neben einer fest angestellten Kellnerin auch der Pächter selbst mit. Wo immer man im Zimmerreichen „Fegerer“ bis hin zur Toilette sich bewegt, wird man durch Plakatierungen angesprochen. Mit ihnen sucht das Lokal, gewissermaßen Hände ringend, unter seinen Gästen dringend Dienst- & Küchenpersonal. Es dürfte schwerlich zu finden sein.

Womöglich rächt sich jetzt in der Gastronomie das frühere Wirtschaften mit den 450€-Kräften, die in der Pandemie als erste entlassen worden waren & zu einem Exodus von einer viertel Million Arbeitskräften führte, die als Verkäufer, bei Speditionen oder Lebensmittelherstellern anheuerten.

In dem SZ-Bericht (19.10.22), dem ich diese Nachrichten entnehme, wird weiterhin von einer Untersuchung der Gewerkschaft berichtet, die einen schon jahrelang währenden Abwärtstrend bei den Gastronomie-Beschäftigten konstatiert. Immer weniger junge Leute wollen in der Gastronomie arbeiten, bzw. bleiben. 34% der Beschäftigten erklärten, der Gastronomie langfristig Valet zu sagen, weitere 29 % zweifeln, ob sie bleiben werden. Als häufigste Gründe für die Flucht aus dem Gastgewerbe wurden vornehmlich Personalmangel, Zeitdruck, kurzfristige Vertretungs- & Überstunden angegeben. Ein Circulus vitiosus.

Wenn man noch hinzunimmt, dass diese berufsbedingten Kollateralschäden wegen einer zu geringen Mitarbeiterzahl mit einem durchschnittlichen Monatslohn für eine Fachkraft in der Gastronomie mit nur 2340 € honoriert werden, während das mittlere Einkommen aller deutschen Fachkräfte bei 3400 € liegt, darf man sich nicht wundern, wo die Gastronomie heute gelandet ist. Auch der kürzlich gewerkschaftlich erkämpfte Mindestlohn von 12 € wird nicht helfen, zum einen weil er auch bei Vollzeit zu gering ist, zum andern weil nur 23% der Betriebe daran gebunden sind.

Die Aussicht auf eine Rezession & erhöhte Preise für Strom & Heizung hat die Arbeitgeber schon jetzt ihre Preise kräftig anziehen lassen: teils erkennbar durch Preiserhöhung um 2-4 € pro Gericht, teils insgeheim z.B. durch kleinere Portionen. Das dürfte die Zahl der Gäste gewiss nicht erhöhen (& das Trinkgeld der Bedienenden schmälern).

Langfristig wird die Gastronomie jedoch nicht umhin kommen, den Beschäftigten höhere Gehälter zu zahlen & für die Gäste wird ein Restaurantbesuch wesentlich teurer werden. Denn die generelle Zukunft der Gastronomie sollte wohl nicht werden, womit augenblicklich z.B. bei „Hummus Küch'“ in FFM-Sachsenhausen experimentiert wird: der Gast bestellt (noch nicht per Handy), holt seine Bestellung selbst ab & lässt das benutzte Geschirr stehen, das eine Hilfskraft abräumt, die zugleich den gebrauchten Platz & Tisch säubert. Das gleicht der Kantinenabfertigung. Soll das zur Alltagsgastronomie werden? Es läge zumindest im Trend, der im Laufe der letzten Jahre dazu geführt hat, die Kundschaft überall, wo bisher Dienstleister tätig waren, zwangsweise selbst tätig zu werden.

Jedenfalls verlöre derart der Restaurantbesuch jeglichen kommunikativen Wärmestrom zwischen Gast & Kellner. Der letzte Rest eines „festlichen“, spielerisch bewegten Geschehens (wie es an der mediterranen Gastronomie von uns geschätzt wird) verschwände vollkommen & zurück bliebe die Kälte eines nackten, von jedem Charme freien Geschäftsverhältnisses, das außer dem Ziel der Nahrungssättigung kein emotionales Surplus mehr generiert.

In der Spitzengastronomie des Odenwalds, z. B. dem Vier Sterne Hotel-Restaurant „Siegfriedbrunnen“(Grasellenbach), sieht man eine Vielzahl asiatischer Angestellter. Auf Nachfrage erfährt man, dass es alles Indonesier (!) sind. Offenbar sind sie als Kollektiv angeworben worden, manche von ihnen sprechen Deutsch nahezu akzentfrei. Womöglich leben sie auch zusammen, zumindest dürfte eine akzeptable Unterbringung auf dem Land problemloser sein als in den Metropolen.

Wenn die Gastronomie künftig häufiger an 2 Wochentagen geschlossen hat, dürfte das noch weitere Veränderungen im Binnentourismus nach sich ziehen. Zum einen könnten damit die Wochenanfangstage noch unattraktiver werden. Zum anderen werden Kleinstädte mit reduzierter Gastronomie – auch wenn & weil die verbliebenen Restaurants zu unterschiedlichen Zeiten (Tagen) geöffnet sind – eine Adresse einrichten, auf der sich der Fremde darüber informieren kann, wo er denn an diesem & jenem Tag einkehren können wird. Ohne den Pilotfisch seines Handys wird sich keiner mehr in die Provinz begeben. Schon heute begegnet man Touristen auf den Straßen der Großstädte, die auf ihre Handys starren, in der Hoffnung, am fremden Ort sich orientiert zu haben.

Artikel online seit 14.12.22
 

 

 


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