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Epische Analyse?

Daniel-Pascal Zorns ausgezeichnetes Portrait postmoderner Philosophien

Von Jürgen Nielsen-Sikora
 

Das »Absolute« zählt zu den Grundbegriffen der Philosophie. In der Philosophie der alten Griechen korrespondiert dem Absoluten am ehesten der Begriff des Unbedingten: πρτερον πλς (das Voraussetzungslose) bei Aristoteles und ρχν νυπόθετον (der unbedingte Urgrund) bei Platon – ein Ausdruck, der aus moralphilosophischer Sicht eng mit der Idee eines absolut Guten (Gott) verbunden ist.            

Das Absolute ist zunächst das zentrale Thema metaphysischer Spekulation, mit der die Frage einhergeht, was die Welt im Innersten zusammenhält. Der theologische Impetus dieser Frage ist unverkennbar. Noch bei Leibniz und Hegel charakterisiert das Absolute die Wirklichkeit als zusammenhängende Einheit. Hegel kennt gar – mit Blick auf die geschichtliche Wirklichkeit – einen absoluten Geist, in dem sich die Vernunft prozesshaft selbst entfaltet und die gesellschaftliche Normativität zum Gegenstand kritischer Reflexion wird.

Mit Nietzsches radikaler Moralkritik (dem Tode Gottes, d.i. des Absoluten) und seiner Suche nach Werten jenseits bestehender, aus der Geschichte, der Tradition und der Religion entwachsener Normen gerät diese Idee in eine Krise, die bis heute anhält.
Insbesondere die französische Philosophie in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts hat die Idee des Absoluten unter die Guillotine ihrer Reflexionen gelegt. Denker wie Deleuze, Foucault, Lyotard, Derrida und andere sind angetreten, das Absolute als ein Gespenst der Geistesgeschichte zu entlarven.

Hierbei geriet jedoch weniger das Absolute selbst in eine Krise (wie sollte es auch?), als vielmehr der Glaube des Menschen an einen seinsbestimmenden Urgrund: Das so genannte »postmoderne« Wissen seziert insofern die Annahmen, die mit dieser Vorstellung seit der griechischen Antike verbunden waren.

Der Philosoph Daniel-Pascal Zorn widmet sich in seinem voluminösen Buch diesem Wissen und seinen zahlreichen historischen wie geistigen Kontexten, die eine zweieinhalbtausend Jahre währende Denktradition gegen den Strich bürsten, und kommt zu einem durchaus interessanten Fazit, wenn es heißt, dass »Postmoderne« eine Moderne meint, »die sich auf sich selbst kritisch besinnt, die über sich nachdenkt. Eine Bewegung, die nach einem berühmten Ausspruch Hegels erst in der Abenddämmerung beginnen kann, in der Rückschau auf das, was die Moderne war und zu was sie geworden ist. Die Autoren dieser Bestimmung von Postmoderne als kritische Selbstreflexion der Moderne sind Jean-François Lyotard und Richard Rorty …«

Ganz so radikal wie Zorn diese Kritik sieht, ist sie dann am Ende wohl doch nicht. So hat bereits Jürgen Habermas in den späten 1980er Jahren in Auseinandersetzung mit Michel Foucault gezeigt, dass, wenn Kritik selbst als eine Form der Macht aufgefasst wird, es unmöglich ist, eine Kritik der Macht zu formulieren, ohne die eigene Argumentation zu unterlaufen. Gerade die Reflexion auf die eigenen Sinn- und Geltungsansprüche wird von »postmodernen« Autoren allzu oft sträflich vernachlässigt. Soll die Kritik des postmodernen Wissens etwa nicht wahr sein? Soll sie keine (neue) Erkenntnis sein usw.?

Das jedoch schmälert keineswegs den Wert von Zorns Buch, das die Ideen, Personen und die zeitlichen Umstände ihres Denkens ausführlich zu Wort kommen lässt, ganze Werke pointiert zusammenfasst und einzelne Zusammenhänge zwischen den Akteuren offenlegt. Der ein oder andere Exkurs gibt dem Buch Substanz und verleiht ihm einen Duktus, der anderen Werken zum Thema fehlt. Das ist ausgezeichnet.

Allein der Untertitel bleibt ein wenig rätselhaft, denn sehr wohl ist das Buch eine beeindruckende und belesene Darlegung dessen, was man als »Postmoderne« bezeichnet. Was sie aber darüber hinaus hätte sein können, bleibt auch am Ende eher offen und fraglich.

Artikel online seit 03.05.22
 

Daniel-Pascal Zorn
Die Krise des Absoluten
Was die Postmoderne hätte sein können
Klett-Cotta
656 Seiten
38,00 €
978-3-608-98349-4

Leseprobe
 

 

 


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