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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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Die
Blüte der arabischen Wissenschaften
Nun ist es endlich heraus: Die europäische Moderne ruht auf arabischen Fundamenten! So jedenfalls will es der deutsche Untertitel des sonst durchaus sachlichen Buches von Jim Al Khalili dem Leser suggerieren. Der im Vorspann aufgeführte englische Originaltitel lautet allerdings nur schlicht: Pathfinder. The Golden Age of Arabic Science. Was wollen uns also die deutschen Buchmacher mit ihrer Version mitteilen? Dass Islam und Wissenschaft doch mit einander vereinbar sind? Oder dass europäischer Dünkel gegenüber dem Orient unangebracht sei? Wie auch immer: Der britisch-irakische Professor für Theoretische Atomphysik an der Universität von Surrey, Jim Al Khalili, spricht in seinem Buch ausdrücklich von einer Blüte der arabischen (nicht der islamischen) Wissenschaften, scheint aber selbst mit dieser Nomenklatur noch nicht besonders glücklich zu sein. Denn weder waren die Protagonisten des fraglos bemerkenswerten Aufschwungs nahöstlicher Gelehrsamkeit und Forscherdrangs im Abbassidenreich des frühen 9. Jahrhunderts durchweg Araber, noch waren sie in ihrer Mehrheit zum Islam konvertiert. Lediglich die arabische Sprache, in die damals die wichtigsten Werke der antiken Wissenschaft übertragen wurden, dient dem Autor hier als etikettierende Klammer, vergleichbar der kulturellen Rolle des Lateins im damaligen Westen. Die systematische Übersetzungsleistung von Persern, Juden, Griechen und Syriern bildete dann auch, so Al Khalili, die Initialzündung zur Etablierung eines regelrechten Wissenschaftsbetriebes in der neuen abbassidischen Weltmetropole Bagdad. Der Verfasser stellt diese Entwicklung allerdings von Anfang an in den viel weiter gefassten Kontext einer altbabylonischen Forschertradition und vergleicht den Kalifen Al Ma’mun sogar mit den bedeutendsten Herrscherpersönlichkeiten des alten Zweistromlandes. Tatsächlich gelang es dem Sohn des im Westen weitaus bekannteren Harun Al Raschid in seiner kurzen Regierungszeit die namhaftesten Gelehrten des Orients in seiner prosperierenden Hauptstadt zu versammeln und mit dem Bau einer Sternwarte in Bagdad wohl das erste staatlich finanzierte Großforschungsprojekt der Welt zu initiieren. Es war ohne Frage eine einzigartige Zusammenballung nahöstlicher Intelligenz. Den Gelehrten und Forschern gelang es aber nicht nur, das reichhaltige Wissen der Antike für die (europäische) Nachwelt zu bewahren, sondern in vielen Bereichen auch erheblich zu erweitern. Dies gilt vor allem für die Mathematik, deren Entwicklung vor allem von dem iranischen Gelehrten Al Khwarizmi vorangetrieben wurde, einem Zoroastrier, von dem man nicht genau weiß, ob er tatsächlich zum Islam übergetreten ist. In seiner auf dem indischen Dezimalsystem beruhenden Al Jebr (Das Werk über das Rechnen durch Wiederherstellung und Ausgleich) befasste sich der allerhöchste Geograph des Kalifen bereits mit der Lösung quadratischer Gleichungen und Gleichungssystemen, die später unter dem Namen Algebra als dritte Disziplin der Mathematik (neben Geometrie und Arithmetik) zusammengefasst wurden. Mit dem Islam als Religion und Kultur schien dieser bemerkenswerte Erkenntnisdrang allerdings nur recht wenig zu tun zu haben, auch wenn die Vertreter einer damals noch einflussreichen rationalen Interpretation des Koran, die so genannten Mu’taziliten, dem wissenschaftlichen Betrieb in Bagdad zumindest keine Steine in den Weg legten. Welche Rolle nun aber das so genannte dortige Haus der Weisheit in dieser Hochzeit orientalischer Wissenschaft spielte, in welcher Form und Intensität hier die Forscher mit einander diskutierten und ob es zu bestimmten Projekten auch schon eine professionelle Arbeitsteilung gab? Das vermag der euphorische Al Khalili nicht wirklich präzise zu beantworten, auch wenn er als Resümee die für einen Naturwissenschaftler etwas eigenartige Folgerung zieht, man besitze zwar nur wenige Informationen über dieses Haus, doch sein großartiger Ruf und der seiner Gelehrten seien vollkommen gerechtfertigt.
Im allerbesten
angelsächsischem Erzählstil mit wohldosierten Abweichungen berichtet der im Irak
geborene Verfasser über die Leistungen von Astronomen, Ärzten und sogar
Chemikern aus dem Wirkungskreis dieser frühmittelalterlichen
Forschergemeinschaft, die fraglos die wissenschaftliche Revolution des Westens
vorbereiteten. Bemerkenswert erscheint auch die Vorliebe der Bagdader Forscher
für empirische Verfahren, worin sie sich deutlich von ihren spekulierfreudigen
griechischen Vorgängern unterschieden.
Trotz seiner nur mäßig
versteckten Sympathie für den islamischen Kulturkreis kann der bekennende
Agnostiker Al Khalili nicht erklären, weshalb sich dieser so hoffnungsvolle
wissenschaftliche Takeoff dann aber nicht in der islamischen Welt fortsetzte,
warum er nicht dort eine Moderne anbahnen half, sondern in seinen bedeutendsten
Versatzstücken schließlich in den Westen gelangte. Auf welchen Wegen nun die
Errungenschaften der arabischen Wissenschaft Eingang in die europäischen
Gelehrtenstuben gefunden haben, kann auch Al Khalili nicht schlüssig
beantworten. Hier liegen ganz offensichtlich auch die Grenzen seines
populärwissenschaftlichen Ansatzes, der eben eine Kärrnerarbeit wie die von Hans
Blumenberg (Genesis der Kopernikanischen Welt) nicht zulässt. Über die von den
Astronomen Al Tusi und Al Shati entwickelten Modelle der Planetenbahnen, die
möglicherweise Kopernikus die entscheidende Anregung für dessen Heliozentrismus
geliefert haben, kann er daher nur Vermutungen anstellen. Der Weg ging
vielleicht über Konstantinopel, so glaubt der Verfasser, und Kopernikus könnte
die Theorien von Maragha (zu den Planetenbahnen) während seines mehrjährigen
Studienaufenthaltes in Italien kennen gelernt haben. Tatsächlich waren es
lateinische Autoren wie Robert von Chester oder Gerhard von Cremona, die schon
bald nach der Jahrtausendwende begonnen hatten, die wichtigsten Werke der so
genannten arabischen Wissenschaft ins Lateinische zu übertragen und zu
verbreiten. Gönnerhaft kommentiert Al Khalili diesen Vorgang: „Im Vergleich zum
islamischen Großreich war Westeuropa zwar immer noch tief im dunklen Mittelalter
gefangen, doch hier und da gab es aber aufgeklärte Herrscher, die eine begrenzte
Form von Gelehrsamkeit förderten.“ Doch diese angebliche geistige Begrenztheit
des Westens reichte immerhin aus, - im Gegensatz zu den nahöstlichen Epigonen -
die Bedeutung der arabischen Schriften zu erfassen und für die eigene Forschung
nutzbar zu machen. So dunkel also kann das europäische Mittelalter nicht gewesen
sein.
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Jim Al Khalili
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