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Ein engagierter Rundumschlag

Patrick Bahners biotopische Kritik der Islamkritiker ist selbst eine Panikmache.

Von Klaus-Jürgen Bremm

Einen hörbaren Akkord gegen das anschwellende Wolfsgeheul der so genannten Islamkritiker möchte Patrick Bahners in seiner jetzt beim Beck-Verlag erschienenen Streitschrift: Die Panikmacher anstimmen. Herausgekommen ist ein fraglos dichtes und gedankenreiches Buch, das die bekanntesten Parolen namhafter Autoren wie Peter Sloterdijk, Henryk Broder oder Necla Kelek aufgreift und mit scheinbarer Leichtigkeit als kontraproduktiv, ja mehr noch als panische Gefährdung des inneren Friedens entlarvt.

Den von Sloterdijk geführten Angriff auf die hierzulande herrschende Political Correctness, die abweichende Meinungen – wie im Fall Thilo Sarrazins – angeblich mit dem Existenzverlust bedroht, kontert der Feuilletonchef der FAZ mit dem Hinweis auf eine bewährte bürgerliche Gesprächskultur, in der Radaubrüder und Tabubrecher keinen Platz haben sollten. Es gefährde, so Bahners, den inneren Frieden des Landes, wenn Probleme allzu deutlich und ohne Rücksicht auf die Befindlichkeiten der Betroffenen in der Öffentlichkeit debattiert würden. Der so heftig von den Islamkritikern gescholtenen Politik bescheinigt der Verfasser dann auch – von einigen Ausnahmen abgesehen – die vorhandenen Probleme der Integration längst erkannt zu haben und bisher meist auch angemessen mit ihnen umgegangen zu sein. Nicht die Lehre des Propheten und ihre angebliche starre Rückständigkeit seien indes, so Bahners, die tatsächliche Ursache aller so vehement beklagten Integrationsprobleme, sondern mangelnde oder fehlgeleitete Fördermittel, vor allem aber die Kaltherzigkeit der Aufnahmegesellschaft und eine zunehmend die Zuwanderer diffamierende öffentliche Stimmung.

Bahners sieht bereits deutliche Anzeichen, dass sich das menschenverachtende Vokabular der Islamkritiker in die politische Sprache einnisten könnte. Während seine Gegner wie Broder, Sarrazin und vor allem Necla Kelek von einer schleichenden Islamisierung unserer Gesellschaft sprechen, sieht Bahners eine ebenso schleichende Infizierung der öffentlichen Debatte durch rassistische und antiislamische Codes. Dass fast 60 Prozent der autochthonen Bevölkerung den Islam und seine religiösen Bräuche als eine Gefahr bewerten, lässt der Verfasser nicht gelten und erteilt der Politik den Auftrag, hierzu endlich klare Worte zu finden: Der Bürger habe sich mit diesen Zuständen gefälligst abzufinden. Eine Selektion der Migranten nach Brauchbarkeit und Integrationsfähigkeit, wie es Thilo Sarrazin in seinem Bestseller gefordert hatte, sei nach Bahners Ansicht eben nicht mit dem Grundgesetz vereinbar. Ebenso wenig lasse sich daraus die von Necla Kelek immer wieder geforderte Assimilierung der Zuwanderer ableiten. So sei etwa das Anlegen eines Kopftuches im privaten wie auch öffentlichen Bereich nach Bahners Ansicht als persönliche Entscheidung peinlichst zu achten. Wenn Feministinnen wie Alice Schwarzer darin jedoch eine Distanzierung zu unserer modernen und inzwischen weitgehend emanzipierten Gesellschaftsordnung sehen wollen und die Freiwilligkeit ihrer Trägerinnen in Frage stellen oder gar als Schizophrenie verächtlich machen, hält Bahners kühl dagegen, dass sich mit der um sich greifenden Verhüllungspraxis moslemischer Frauen nur ein authentisches Schamgefühl manifestiere, das auch einer modernen Gesellschaft nicht schlecht anstehen würde. Hatte sich doch schließlich auch Alice Schwarzer einst im Kampf gegen die Pornographie engagiert.

Im Baden-Württembergischen Kopftuchstreit der 1990-iger Jahre bezieht der Feuilletonist dann auch klar Position zugunsten einer bis in die höchste Instanz klagenden Lehrerin, der kein Gericht jemals nachweisen könne, dass ihr Beharren auf dem Kopftuch auch während des Unterrichtes notwendig zu einer Beeinträchtigung ihrer Dienstpflichten oder ihrer Verfassungstreue führen müsse. Den Hinweis auf das Grundrecht der Schüler auf negative Religionsfreiheit, die ja durch die ständige Präsenz eines religiösen Symbols an zentraler Stelle im Klassenraum in Frage gestellt wäre, bügelt Bahners mit dem Hinweis ab, dass die Erfahrung kultureller Vielfalt doch durchaus zum Lehr- und Erziehungsprogramm an deutschen Schulen zähle. Überhaupt müsse man dieses Problem, so der Verfasser einfühlsam, auch andersherum aus der Sicht der wachsenden Zahl moslemischer Schüler betrachten, deren Recht auf negative Religionsfreiheit umgekehrt durch das Auftreten von Lehrerinnen ohne Kopftuch gleichfalls tangiert sei.

Dem Islam gewinnt Bahners, der offenbar selbst in einem religiösen Kontext gesehen werden muss, überraschend positive Seiten ab. So fragt er tatsächlich, ob nicht etwa der Anblick von Betenden in der Öffentlichkeit auch beim Betrachter ein vielleicht heilsames Grübeln auslösen könnte. Ein wenig religiöse Entwicklungshilfe könne ja der sittenlosen säkularen Gesellschaft durchaus nicht schaden. Anders als die Islamkritiker sieht der oberste Feuilletonist der FAZ in der offen geäußerten Religiosität ein eher förderndes Element zur Integration und kann sich dabei sogar auf Necla Kelek berufen, der er vorwirft, in ihren späteren Schriften, wie etwa der „Fremden Braut“ von den Ergebnissen ihrer Dissertation abgerückt zu sein. Hatte sie darin noch am Beispiel junger Musliminnen zeigen können, dass erst die Zuwendung zur Religion den Frauen Halt und Selbstbewusstsein gerade in einer fremden Gesellschaft gegeben hatte, so vertritt sie in ihren populärwissenschaftlichen Büchern plötzlich die entgegenlautende These vom Islam als erstem Integrationshindernis.

Bahners nimmt diesen Gedanken auf und glaubt anhand anderer Beispiele nachweisen zu können, dass eine offen zur Schau getragene Religiosität – gleich welcher Konfession – nicht nur im Gegenteil die Integration von Migranten befördere, sondern auch ein wesentliches Element gesellschaftlicher Pluralität darstelle. Nicht etwa Religionen tendierten zu einer gesellschaftlichen Monokultur, dies sei eher das Ziel vermeintlich aufklärerischer Stalinisten, die ihre Forderung nach strikter Anpassung unter dem Deckmantel der Menschenrechte vorbrächten. Gerade unter prominenten Islamkritikern wie Aayan Hirsi Ali oder Necla Kelek, die er sogar als Jakobinerin etikettiert, sieht Bahners deutliche Ansätze zu einer totalitären und gleichmachenden Weltsicht.

Seine eindringliche Tour d’horizon durch das von den Islamkritikern gelegte argumentative Minenfeld schließt er mit einer Frage ab, die vor 130 Jahren schon der Althistoriker Theodor Mommsen an den renommierten Herausgeber der Preußisches Jahrbücher, Heinrich v. Treitschke, gerichtet hatte. Was mochte dieser mit seiner berüchtigten Invektive, die Juden seien an allem Schuld, eigentlich gewollt haben? Das Lostreten einer Welle antijüdischen Rassismus, wie es tatsächlich geschah, war es vielleicht nicht. Aber was dann? Was wollen nun, so fragt Bahners im analogen Anschluss, die Islamkritiker mit ihren antimoslemischen Tiraden erreichen? Dabei lässt er mit seinem Verweis auf Auschwitz keinen Zweifel, dass er die Möglichkeit eines neuerlichen Genozides als langfristige Folge dieser öffentlichen Verrohung durchaus nicht ausschließt.

Ganz offensichtlich geht es Bahners in seiner Streitschrift vor allem um die hiesige Debattenkultur, nicht aber um die Zustände im Lande. Die tatsächlichen Gefahren sieht er, ganz Intellektueller, auf dem diskursiven Feld, von wo sie allerdings auf die reale Welt durchschlagen könnten. Genau umgekehrt sehen es die Islamkritiker: Ihre Diagnosen und Therapievorschläge liegen längst klar auf den Tisch und sind keineswegs so abwegig, wie Bahners sie darstellt. Was wäre tatsächlich so verwerflich daran, zukünftig eine effektivere Kontrolle der Migration vorzunehmen oder endlich die eigene kulturelle Tradition gegenüber dem Islam zu betonen – auch um den Preis einer stärkeren Abgrenzung? Auch wäre es Zeit, gegenüber dem unverhohlen sich äußernden Antisemitismus in moslemischen Bevölkerungsgruppen deutliche Maßnahmen bis hin zur Ausweisung zu ergreifen. Ein gesundes Misstrauen gegenüber Vertretern des hiesigen Islams, ob nun Imane oder Verbandsfunktionäre, sollte gleichfalls nicht von der Tagesordnung genommen werden. Zwar tut Bahners den bei Islamkritikern beliebten Hinweis auf die Verstellungspraxis von Moslems in der Diaspora – die so genannte Taqiya - als abwegig ab und fürchtet das Wiederaufleben des alten Topos vom verschlagenen Orientalen. In einer Bürgergesellschaft schädige dieser Generalverdacht das notwendige Grundvertrauen nachhaltig. Die Erfahrungen mit den Attentätern von New York, Madrid und London lehren indes etwas anderes.

Man könnte nun auch fragen, ob Bahners nicht selbst als Panikmacher zu bezeichnen sei, wenn er die von ihm gescholtenen Islamkritiker, die nach seiner Überzeugung den Islam zu einem immer mächtiger wirkenden Popanz aufblähen, ihrerseits zu einer einflussreichen Gruppierung mit internationaler Vernetzung stilisiert. Eine beeindruckende Bewegung jedenfalls ist auch die islamkritische Szene bisher nicht. Die wenigen Dutzend Demonstranten und auch die stagnierenden Besucherzahlen der berüchtigten Seite „Politically incorrect“ belegen dies ganz klar.

Bahners Streitschrift ist letztlich in zweifacher Hinsicht biotopisch. So blendet er den Islam und seine hiesigen – als befremdlich empfundenen - Erscheinungsformen praktisch vollkommen aus und vermeidet auch weitgehend eine echte Debatte der Argumente von Sarrazin, Broders oder Kelek, die er nur auf ihre innere Widersprüchlichkeit oder ihre Konformität zum Grundgesetz untersucht. Ob sie vielleicht tatsächlich Sachverhalte zutreffend beschreiben, scheint ihn gar nicht zu interessieren.

Das zweite biotopische Element seines Buches ist indes sein „rebus sic stantibus“. Zusammen mit der Kanzlerin hält er den Islamkritikern trotzig und irgendwo auch schon etwas hilflos entgegen: In Deutschland gelte das Grundgesetz und nicht die Scharia. Angesichts der längst unumkehrbaren demographischen Entwicklungen darf man jedoch fragen: Wie lange noch?
 

Patrick Bahners
Die Panikmacher
Die deutsche Angst vor dem Islam
Eine Streitschrift, München 2011
ISBN 978 3 406 616 457
320 Seiten
19,90 €

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