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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Was vom gekränkten Nationalontologen bleibt

Eine Nachlese zur Feuilleton-Debatte um
Martin Heideggers »Schwarze Hefte« (GA Bd. 94-96)

1. Teil

von Timotheus Schneidegger
 

In der Aufregung um Sibylle Lewitscharoffs öffentliche Ablehnung von Kindern, deren Dasein seinen Ursprung nicht in Schweiß, Schleim und Sperma der Eltern hat, schrieb Gregor Keuschning einen Text, der ausnahmsweise nicht von der besonderen Klugheit seines Autors kündete. Denn solcher bedarf es wenig, um die Boulevardisierung zu bemerken, im Zuge derer sich das Feuilleton als letzten Ort für auch abseitige Debatten selbst erledigt:
»Es genügt nicht, einen Text einfach nur einmal ‚töricht‘ zu nennen. Oder Unsinn. Es geht immer und sofort ums Ganze. Fast immer wird auch gleichzeitig der Dschihad des Feuilletons, der Kulturkampf, herbeigerufen. In einer zweiten Phase wird der Autor, die Autorin, ad hominem angegriffen, das Werk mit einem Federstrich gleich mit diffamiert und unter Generalverdacht gestellt.«

In der seit dem Jahreswechsel laufenden Debatte um die Veröffentlichung von Martin Heideggers Notizen der Jahre 1931 bis 41 (»Schwarze Hefte«) »fällt auf, dass die deutschen Kritiker bisher fast nur die wenigen, eindeutig antisemitischen Äußerungen heraus geklaubt haben«, bemerkt Ruthard Stäblein im Deutschlandfunk. Heideggers Schwarze Hefte seien also »ein philosophischer Wahnsinn und in einigen Abschnitten ein Gedankenverbrechen«, schreibt Thomas Assheuer in der ZEIT mit einer Emphase, die erahnen lässt, wie sehr er sich darauf gefreut haben muss, seiner Leserschaft das Streichen Heideggers von der Leseliste als antifaschistischen Akt empfehlen zu können. Endgültig aus sei es nun mit der apologetischen Mär, Heidegger habe sich lediglich für die zwölf Monate seines Freiburger Rektorats mit den Nazis eingelassen und danach in die innere Emigration zurückgezogen (oder gar der südwestdeutschen Widerstandsbewegung um Filbinger angeschlossen).
Hat sich Heidegger nun selbst erledigt knapp ein Jahrzehnt nach der letzten in einer langen Reihe von Feuilletonschlachten, die Emmanuel Fayes Studie »Heidegger. Die Einführung des Nationalsozialismus in die Philosophie« (dtsch. bei Matthes & Seitz) 2004/05 ausgelöst hatte?
Oder bleibt es dabei, dass, wie Holger Zaborowski in seiner historisch-philosophischen Untersuchung 2010 urteilte, »die Frage nach Heideggers Verhältnis zum Nationalsozialismus äußerst komplex« sei, was völlig richtig, aber dem Feu-Boulevard nicht sexy genug ist?

Winke in der Gesamtausgabe

Es ist ein seltsames Unterfangen, Bände aus der Heidegger-Gesamtausgabe zu rezensieren. Normalsterbliche kommen an sie nämlich nicht so einfach heran. Man muss die GA subskribieren und dem Klostermann-Verlag dann Band für Band abnehmen. Für Seminarbibliotheken selbstverständlich, ist das für den fern von Saus und Braus wesenden Heideggerianer kaum zu stemmen.
Assheuer et.al. haben den Eindruck erweckt, in den Schwarzen Heften ginge es hauptsächlich um Heideggers antisemitische Enttäuschung vom Nationalsozialismus. Die Tatsache, dass er bei der Planung in den frühen 70ern die Schwarzen Hefte am Ende seiner Gesamtausgabe platziert wissen wollte, wurde weithin als Beleg dafür angeführt, wie uneinsichtig Heidegger nach 1945 in Sachen Nationalsozialismus geblieben ist. Keiner der Rezensenten – es haben sich in der Tat nur Herren geäußert, wie auch Heidegger-Tagungen üblicherweise sausage fests sind – kam auf die Idee, es könne dem Todtnauberger bei der Entscheidung, die Schwarzen Hefte zum Schlussstein seiner Werke zu machen, um die darin notierten philosophischen Gedanken gegangen sein.
Die einhellig verzerrte Darstellung spricht dafür, dass sich die Notabiturienten in den Redaktionen darauf beschränkt haben, Band 96 durchzublättern. Die Datierung 1939-41 verspricht leichte Beute, überdies ist es der mit Abstand dünnste Band der drei und was soll man auch machen, wenn man vom CvD nur drei Nachmittage und zwei Spalten gekriegt hat!
Die Notizen in den Schwarzen Heften werden schon aufgrund des Ranges, den ihnen ihre Position in der Gesamtausgabe verschafft, Heidegger-Doktoranden noch auf Jahrzehnte als winkendste Winke (inkl. Publikumsbeschimpfung) beschäftigt halten. Alle anderen Menschen werden nicht in die Verlegenheit kommen, sich für das zu interessieren, worüber der Feuilleton so deutliche Urteile gefällt hat. Falls Sie zu der schwindenden Minderheit gehören, die es trotzdem gern genauer wüsste, setzen Sie mal einen Kaffee oder Tee auf oder stellen Sie noch besser ein Sixpack kühl – denn diese Nachlese verlangt Ihnen nicht nur eine Menge Zeit ab.

Zunächst die Draufsicht: Band 94 (im Folgenden GA94) umfasst die »Überlegungen« II bis IV aus den Jahren 1931 bis 38. Hier schlagen sich Heideggers Hoffnungen auf den nationalen Umbruch und das Rektoratsamt nieder, ehe er sich wieder seinem »eigentlichen« Vorhaben widmet: dem neuen Anfang der Philosophie und dem Weg dahin sowie den Begriffen der Machenschaft, Technik und Geschichte. Band 95 (GA95) enthält die »Überlegungen« VII bis XI aus den Jahren 1938/39, in denen Heidegger die Ent-scheidung, das historische Tier und das »Leben« thematisiert, mit Kriegsausbruch auch den Tod und die ontologische Endzeit. Band 96 (GA96) enthält die in den ersten Kriegsjahren angelegten »Überlegungen« XII bis XV zum Bolschewismus und Planetarismus. Auf Textstellen wird im Folgenden verwiesen, indem der entsprechende Band der Gesamtausgabe gefolgt von der Seitennummer darin genannt wird, die nicht mit Heideggers eigener Nummerierung der Seiten und Abschnitte übereinstimmt. 

Der Ton in den Schwarzen Heften

Die »Mischung aus Brutalität und Heulerei«, die Ijoma Mangold (Die ZEIT) in Akif Pirinçcis Schmähschrift zur Rettung Deutschlands ausmacht, prägt auch den Ton der Schwarzen Hefte. Diese Melange war und ist typisch für weiße Heteromänner und verwöhnte Kinder, wenn sie mal nicht als Erste drankommen oder teilen sollen. Heideggers bis 1939 anhaltende begriffliche Kraftmeierei (»erobern«, »jagen«, »Unerbittlichkeit«, »Kampf«, »Härte des Begriffs«) nebst seiner Klagen über die Tyrannei des Kleinen und Mittelmäßigen sind Symptom einer standes-, zeit- und volksgemäßen narzisstischen Kränkung, bei der Größenwahn und Selbstzweifel Hand in Hand gehen. Heidegger ist des Uni-Betriebs überdrüssig, der frechen Studenten, Denk-Amateure, Rezensenten und (v.a. lebens- und existenzphilosophische) Konkurrenten, mit denen er nicht verglichen oder gar gemein gemacht werden will (GA94 32f., 48).
Sein Wankelmut betrifft auch die Philosophie, die er mal aristotelisch zu der Wissenschaft schlechthin erklärt und der er dann wieder nietzscheanisch bis hin zur Redundanz ein verdientes Ende im bloßen Massenmeinen und politisierten Uni-Betrieb wünscht (vgl. GA94 395f., 489, 493). Demgegenüber stilisiert er sich selbst zum einsamen Großdenker (GA94 299; GA96 170), der erkannt hat, Wahrheit könne nur Esoterik sein – oder gleich ganz unsagbar – in einer Welt voller Idioten und letzter Menschen. (GA94 54f., 82, 87f., 218, 391f., 400, 503)

Alle zu blöd also, außer vielleicht Nietzsche – neben Hölderlin die mit Abstand am häufigsten genannte Person in den Schwarzen Heften und das große Vorbild als Überwinder und als Vorbereiter einer »Philosophie der Zukunft« (vgl. den Untertitel von »Jenseits von Gut und Böse«; GA94 325, 349, 374-376; GA95 434f.; GA96 11f., 64f.). Obwohl dieser an seiner Einsicht in die Grundverkehrtheit des abendländischen Denkens zerbrach, blieb selbst nach diesem »alles beim Alten«. (GA94, 39, 49, 324; GA96 177, 227) Zumal auch Nietzsche nicht über die verirrte Metaphysik hinauskam und noch zu überwinden wäre. (GA95 217-220, 224f., 250, 254-258, 347f., 351f., 412f.; GA96 24-26, 134, 199)
Die Schwarzen Hefte sind, da Heidegger um das denkerische Gewicht der Sprache weiß, aber nicht einmal annähernd über den Witz und die Souveränität seines Vorbilds verfügt, hauptsächlich ein Gezeter von kaum erträglicher Griesgrämigkeit, die Heidegger als Ausweis von Tiefsinn und allerschütternder Schwere pflegt. Dabei kommt das Adjektiv »einzig« im Superlativ bei ihm so oft vor wie sonst nur im Trash-TV.
Lohnend ist die mühselige Lektüre der Schwarzen Hefte immer dann, wenn Heideggers Verachtung mal die Richtigen trifft, etwa die Freiburger Ureinwohner (»aufgespreizt und laut und verschlagen«, GA96 200; GA94 350) oder diejenigen, die sein Denken zum Gegenstand von Dissertationen machen (GA94 356).

Es finden sich darin aber auch knackige Einlassungen aus erster Hand, etwa Leselisten zum optimalen Einstieg in Heideggers Gesamtwerk (GA94 290) und in die Philosophiegeschichte (GA94 492f.) sowie Erklärungen zu seiner »Bildersprache«, die er (giftig!) gegen Kritik verteidigt (GA94 100), oder zu seinem seynsgeschichtlichen Programm (GA94 178f.): Das Christentum hat den antiken Anfang des Denkens zum Ergebnis umgebogen, das Sein auf Anwesenheit reduziert und damit im Zuge der Aufklärung die heutige Rationalität hervorgebracht. (GA94 49, 458; GA95 345; GA96 11, 55, 255f.) Eine solche pragmatische Verkürzung des Seins (und des Menschen als Subjekt und animal rationale, vgl. GA94 491f.; GA95 224f.) ist in etwa so, als würde der Begriff der Wahrheit auf logisch wahre Sätze reduziert. Schon das Verbalsubstantiv »Sein« sei irreführend (GA94 86, 279), weshalb er recht bald zum »Seyn« übergeht.

Im Versuch, an die zugeschüttete Geistesströmung der Vorsokratiker wieder anzuknüpfen, deutscht Heidegger antike Begriffe ein und denkt von da aus weiter entlang der »Gesetzlichkeit des Wortes, entsprungen aus der Geschichte des Seyns« (GA95 20; GA96 49, 82). Die οὐσία ist nicht »Sein«, sondern Haus und Anwesen, aus der aristotelischen ἐπιστήμη wird »davor und darüber stehen«. Daraus entfaltet sich ein ganzes »denkerisches Sprachwerk« (GA94 242) einer Metaphorik von Bewegung, Ballsport, Raum- und Bauwesen: Da wird vorgelaufen (etwa auf den vom »Vor-läufer« Hölderlin erdichteten Pfaden) bis zum ersten Anfang, um Anlauf zu nehmen für den Sprung zum zweiten bzw. für den gründenden Einsprung in das Da-sein. (vgl. GA94 385f., 487; GA95 160f., 375f.)

Philosophische Fachbegriffe kann man lernen, auf Heideggers wortbildliche Sprache (vgl. GA95 307-309), die ein »wesentlich gewandeltes Denken« (GA96 104) voraussetzt, muss man sich einlassen. Das entspricht ganz seiner philosophischen wie persönlichen Absicht: Heidegger sitzt in der Falle seines Denkens und gibt sie, als besonders schlauer Fuchs, einfach als seinen Bau aus, wie Hannah Arendt in ihrem Denktagebuch nach einem Besuch bei Heidegger Anfang der 1950er schreibt.

Der einsame Überwinder

Der Bau, in den Fuchs Heidegger sich immer tiefer hineinwühlt, ohne auch nur einen Gedanken daran zu verschwenden, ihn für Fremd- und Jungfüchse zugänglich zu halten, ist sein Großprojekt, die grundverkehrte abendländische Metaphysik auf neuen Boden – den Grund des Seyns – zu stellen.
Das Solitär gebliebene Hauptwerk »Sein und Zeit« war ein Versuch (GA96 215f.), die Ontologie mit Fundamentalontologie zu überwinden. Dessen Scheitern misst Heidegger zum einen an mangelnder Gegnerschaft (GA94 9); zum anderen macht er auch diese seine »Schriftstellerei« bis 1932 für das lose Ontologie-Geschwätz seiner Zeit verantwortlich (GA94 19f.), weil er noch zu sehr der Überlieferung verhaftet war, die er überwinden wollte. (GA95 309; GA96 178) Trotzdem bleibt »Sein und Zeit« für ihn das eine Buch der Seinsfrage, das immer wieder zu schreiben wäre, was er ja auch fortlaufend tut – in Gestalt von Vorträgen, die sein eigentliches Hauptwerk ausmachen. (GA94 22; vgl. GA82). Man erwarte Band 2, notiert Heidegger, dabei sei Band 1 noch nicht einmal richtig bzw. nur falsch verstanden worden, weshalb »Sein und Zeit« auch unvollständig bleiben solle. (GA94, 184; GA95, 169, 367-369, 424f.)

Nur selten lässt sich das verbitterte Genie in seinen Notizen zu Viertelalbernheiten hinreißen wie der, die beiden G in seinem Namen stünden für Güte und Geduld. (GA94 273) Oder das hier: »Jede Frage eine Lust – jede Antwort ein Verlust.« (GA94 36) Leider ist diese aphoristische Leichtigkeit so unbeabsichtigt wie die Komik der heideggerschen Sprache. Denn das ist bier-, wenn nicht gar todernst gemeint als Haltung einer Philosophie, die auf die Ankunft von Göttern vorbereiten soll (GA94 427) und sich der Antworten wie dem Nutzen verweigert. (GA94 429f.) Diese nämlich würden bloß das Bekannte bestätigen, das Fragen der Philosophie jedoch müsse erschüttern. (GA94 251-254; GA96 18-22, 26-29)
Echte Philosophie ist keine Satzwahrheit (GA94 234), Kenntnisse stehen dem Wissen im Wege (GA94 266f.) wie es überhaupt um Wege statt Ergebnisse geht (GA94 492; GA95 214): Besinnung – so sei im Folgenden die Philosophie genannt, wie Heidegger sie sich vorstellt – ist als seynsgeschichtliches Denken weder abstrakt noch konkret, sondern unabschätzbar (GA95 112, v.a. 220-223), es denkt das Sein un-bedingt und un-gegenständlich (GA96 8f., 69).
Das erklärt Heideggers behäbigen und amorphen Duktus, der sich Festlegungen, Debatten und Kritik entzieht, was für jemanden, der den »Waffenklang« in der Philosophie vermisst, ziemlich armselig ist. Heidegger weiß um den Vorwurf der Willkür und Unentschiedenheit und fügt ihn seiner Individualmythologie vom Eisendenker in Rezensentengewittern hinzu (vgl. GA94 474-476, 520; GA95 123f., 187, 297; GA96 42, 235f.). Mit Ernst Jünger beharrt er darauf, jemand mit Niveau dürfe sich nicht selbst auslegen. (GA96 218f., 274)
Er hätte ja auch nur Perlen vor die Säue zu werfen: Das dumpfe Gerede da draußen und die Würde des Gegenstands seines Denkens verlangen nach Schweigen und Einsamkeit des Philosophen, was freilich zu Heideggers Verdruss ein zu ausgelutschtes Thema ist, um noch jemanden vom Hocker zu reißen. (GA94 449f.; GA95 36f., 37f., 322, 393)

Machenschaft: Technik und Historie

Grundverkehrt ist für Heidegger das abendländische Denken, das alles in Subjekt und Objekt aufteilt, wobei jenes stets etwas mit diesem macht. Diese Zweckrationalität – genannt Machenschaft – beruht auf dem Vorrang des Seienden, der christlich-sokratisch angelegt, von Descartes verschärft (das Seiende als höchste Gewissheit) und in der neuzeitlichen Metaphysik von Hegel und Nietzsche (als deren Umwerter) vollendet wurde. (GA95, 310-313)
Machenschaft ist die wirk-liche Herrschaft des Seins bei völliger Seynsvergessenheit (GA95 385) und Machbarkeit alles Seienden (GA95 312; vgl. GA96 79). Da sie dem Vorrang der Richtigkeit vor der Wahrheit entspringt, die noch zu gründen wäre (GA94, 383f., 400f.), sieht Heidegger das abendländische Denken nicht auf tönernden Füßen stehen, sondern aus Furcht vor dem Absturz immer höher, schneller, weiter rotieren.

Die Machenschaft reduziert alles auf Bedürfnisse und Interessen (GA94, 331f., GA96 125f., 130), um wiederum alles und jeden zu deren Befriedigung einzuspannen. Sie zeigt sich in der Welthektik der modernen Massengesellschaft (GA94 272-274, GA96 56), Zerstörung der Erde (GA94 295), dem Diktat der Nützlichkeit (GA94 319) und »Geschäftemachen ohne Sinn und Ziel« (GA94 316). Unter solchen Bedingungen stellt sich Heideggers Leitfrage nach dem Sinn vom Sein natürlich nicht mehr. (GA94 289) In der neuzeitlichen Überzeugung, Wissen müsse nutzen, ist die Antwort darauf, wie spät es ist, alles und die Frage nach dem Wesen der Zeit nichts. Sie ist überflüssig, wird nicht mehr gestellt, und daran zeigt sich die Besinnungs- und Fraglosigkeit nebst Seynsvergessenheit der Moderne. Am Ende »gibt es« nur noch das Nützliche, das bloß Seiende der Machenschaft als die »Jedermannswirklichkeit«. (GA94 450)

An der Universität beobachtet Heidegger, wie sich die Machenschaft als Wesen der Neuzeit in den Naturwissenschaften (als Technik) und in den Geisteswissenschaften (als Historie) ausbreitet. Die Machenschaft trägt die Brutalität der Herrschaft in sich, zu der u.a. gehört, über das tatsächliche Herrschaftsverhältnis zwischen Mensch und Maschine hinwegzutäuschen. (GA95 360-362, 394-397) Historie und Kulturpolitik (GA95, 322-325; GA96 41f., 118) eignen sich Mensch, Geschichte und Natur ebenso machenschaftlich an, täuschen mit ihren Erfolgen über die tatsächliche Ahnungslosigkeit hinweg und sind ängstliches bis bequemes Ausweichen vor der Fragwürdigkeit des Seyns. (GA94 443-445, 452f., 459, 461f.; GA95 3f., 77-81, 246f., 394; GA96 222)

Die Machenschaft kennt keine Erinnerung. Darum ist Geschichte für sie nicht wie in Heideggers Vorlesungen geschichtliche Besinnung (GA95 206-208, 335f.; GA96 211; Geschichte wieder wörtlich, also räumlich gemeint: Ge-schichte, Schichten, Grund), sondern besinnungslose Historie: die fraglose Chronologie machenschaftlicher Erlebnisse (GA94 315), ohne Bewusstsein für Zeithorizonte angehäuftes Bisheriges (GA94 358-360, 296f., 432f.; GA95 105; GA96 179). Das zeigt sich etwa an der Journalistik (GA95 161, 413-415) und ihrem Abfeiern von Jubiläen, für das unerheblich ist, ob es ums Torpedoboot oder Hölderlin geht (GA94 320).

Die Reklame »Hellas erleben« der Kraft-durch-Freude (GA95 366f.) ist Heidegger nicht bloß peinlich, sondern Zeichen der Zeit: Die Kunsthistorie reduziert Kunst zu Technik und Erlebnis. Auf diese Weise ebnet sie den Zugang zur Fragwürdigkeit des Seyns ein, der in der Kunst liegen könnte (GA95 208f., 209-212, GA96 5-7, 194, 216-218, 231, 264). »Lohengrin« und Panzerwagen sind in der Machenschaft dasselbe (GA95 133, 134-137). Fuchs Heidegger erinnert uns Wagnerianer damit an die Bedingung, unter der Lohengrin bereit ist, Elsa zu dienen: Sie darf nicht nach seiner Art und Herkunft fragen.

Man kehre nur mal an den Ort der Kindheit zurück, nehme den Schulweg von damals und sage dann, das, was einem dabei durch Kopf und Gedärme geht, sei mit GPS-Daten, Jahreszahlen und dem psychologischen Konzept »Nostalgie« angemessen beschreibbar. Die meisten Menschen geben den »Fakten« Vorrang, obwohl sie auch als Nichtlateiner wissen müssten, dass es sich um »Gemachtes« (und damit um etwas Technisches) handelt (vgl. GA96 62-64), und das ist mindestens so bedenkenswert wie die Frage, was Geschichte »eigentlich« mit uns macht – im Gegensatz zur gemachten Historie (vgl. GA96 233).

Aber es wird nicht gefragt, sondern gerechnet und gehandelt: Heidegger sieht Geschichte wie Philosophie zu Historie, Kulturpolitik und Propaganda verzweckt und verkitscht (GA95 157-159, 214f.; GA96 32-34, 272f.). Durch ihren Massenbetrug und ihre Verdumpfung der Gegenwart (GA95 97-100, 112-116, 182f., 376, 387, 410, 428f.; GA96 176, 250) werde die Historie über kurz oder lang die Geschichte vernichten (GA95 64f., 419-422, 427, 436f.; GA96 205f.), ehe die Machenschaft selbst von der Alltäglichkeit gänzlich Besitz ergreift. (GA95 97)

Historie ist wie die Technik im rechnenden Vor- und Her-stellen des Seienden, von Gegen-ständen für das Subjekt. (GA95, 100-104, 189f., 210-212, 235f.) »Technik ist die Historie des Seienden« (GA95 116), indem sie alle und jedes als gemacht und machbar darstellt (GA96 188). Um alles immer rationaler zu rationalisieren, nimmt sich die machenschaftliche Rationalität, die vom Bewusstsein und Subjekt ausging und dabei stehenblieb, auch den Menschen vor. (vgl. GA96 27) Sie reduziert ihn zum Tier (GA95 320-322; GA96 67) und sein Inneres auf Pläne und Gefühle. Die Psychologie erkläre nur den seienden Menschen ohne etwas vom Menschsein zu ahnen. (GA95 106-109) Demgegenüber versuchte Heidegger bereits in »Sein und Zeit«, mit dem Begriff der »Gestimmtheit« von der Seinsfrage her den Menschen als Da-sein zu bestimmen (GA95 154-156), das ereignishaft »aus der Stimme der Stille des Seyns« (GA96 86f.) bewegt wird.

Ab 1939 bringt Heidegger mit dem »historischen Tier« Nietzsches letzten Menschen auf den neuesten Stand der Technik. (vgl. GA95 285) Die Seynsabgewandtheit und das Wesen des historischen Tiers, das ein machenschaftliches Raub-Tier ist, bedingen einander. (GA95 287, 397, 422f.) Der Mensch in seinem machenschaftlichen Selbstbild ahnt nicht einmal mehr von seiner Besinnungslosigkeit (GA96, 4, 41, 251), ist aber höchst erfolgreich darin, sie mittels Rundfunk und Motorkraft über die ganze Welt zu verbreiten.

Antimodernistischer Anschluss

Eigentliche Existenz und das Fragen der Seynsfrage hieße demgegenüber, sich nicht mehr ums bloß Vorhandene und Unwesentliche zu kümmern. (GA94 56; GA95 373) Heideggers Gekränktheit, Überforderung und hasserfüllte Weltabgewandtheit werden so zur philosophischen Haltung. (GA96 107)
Skepsis gegen den Nationalsozialismus mit seinen Massenveranstaltungen und seinem von Blut-und-Boden-Gerede bemäntelten Technikfetisch wäre da nur konsequent, bricht sich aber erst nach dem Rücktritt vom Rektoratsamt 1934 die Bahn, als Heidegger sich als nationalkonservative Ein-Mann-Gegenelite inszeniert. Vorerst aber ist in den Schwarzen Heften zu besichtigen, wie Heidegger sich auch begrifflich in Opposition zur Moderne (oft unter dem Etikett »Amerikanismus«) bringt: Schweigen und Stille der Besinnung hier, Gerede und Lärm der Besinnungslosigkeit da; das Warten hier, der Fortschritt da. (GA94 38; GA95 228; GA96 92, 253)

Besinnung ist gegenstandsloses Fragen nach dem Seyn jenseits des bloß machenschaftlichen Vordergründigen. (GA95 68f., 206, 258; GA96 85) Das Sein (bzw. »Seyn«) kann nämlich kein Gegenstand von Forschung, Denken und Vorstellen sein (GA94 362, 502f.) und ist auch nicht von der bisherigen Sprache zu fassen (GA95 93f., 288f.).
Heideggers wenige Versuche sind zugleich auch immer lyrische Versuche: Das Schweigen der Besinnung auf das Seyn ist wie der Winter vor dem Frühling (GA94 34). Im Zusammenhang mit dem Seyn spricht er in der ersten Hälfte der 30er etwa vom Tiefsten, Weitesten, Äußersten, von Furchtbarkeit, Langeweile, Segen, Geschenk, Jubel und Schauer in einer Weise, die auf seine Hölderlin-Lektüre zurückzuführen ist (GA94 428). Das Seyn ist wie die Nacht, zwischen Erde und Welt, und seine Wahrheit ist der »Zeit-Spiel-Raum«. (GA95 93, 358; GA96 136)
Heidegger denkt das Seyn nicht idealistisch-platonisch (vgl. GA95 244) und Raum und Zeit nicht als bloße Medien. (GA96 183) Vielmehr will seine Besinnung auf das Andere selbst anders sein als das begriffliche Denken, das sich aus dem verkorksten ersten Anfang der Philosophie ergab. (GA96 144f., 232)
So vermag Heidegger auch nicht mehr über das Seyn zu sagen, als dass es vorbereitet werden muss und seine Wahrheit nicht Ziel, sondern der Grund (wie immer im doppelten Sinne) ist (vgl. GA94 337, 496; v.a. GA66), von dem aus in dem neuen Anfang die Welt erst geschaffen werden kann, die es bisher nur scheinbar gibt als eine, die man haben kann. (GA94 210, 218, 228)

Der Denkweg nimmt sich dabei wie eine Hochgebirgsexpedition aus (vgl. »Ab-grund« und Chaos: GA95 294f., 426). Heidegger will fern des Nützlichen und Bekannten über das bloße »Leben« (das er verächtlich in Anführungszeichen schreibt) hinausdenken, um dessen Grund im Seyn zu finden. Denn die Wahrheit des Seyns kann nicht dem Seienden entnommen werden, weshalb der andere Anfang nötig ist. (GA95 422) Dieser neue Anfang kann nicht hergestellt werden, er muss erschwiegen und erharrt werden – und zwar vom seltenen Selbst. (GA94 6f., 19; GA95 91, 294-297, 304-309, 327, 337f.; GA96 213) Das kann nur glücken oder nicht, denn es geht um Stimmung statt Empirie. (GA96 253) So kann Heidegger einmal nichts als diesen Satz notieren: »Wie weit das Herz mit der Stimmung des Seyns überein-stimmt.« (GA96 79)

Das Befremden, das solches Geraune auslöst, nimmt Heidegger zufrieden als Ausweis machenschaftlicher Seynsvergessenheit zur Kenntnis. Er hat sich nämlich mehr vorgenommen als die Stürmer-Bestseller-Liste zu erobern: Der Mensch soll »in die Befremdung des Seins« zurückgestellt und die Wahrheit des Seyns zum Ereignis gebracht werden – das ist einfach und schwierig, unsagbar und nutzlos, weil es sonst nicht befremdlich wäre. (GA94 411, 430, 447f.; GA95 266, 276f.) Die Befremdlichkeit ist Signum des neuen Anfangs als gänzlich Anderes. (GA94 212, 448f.; GA95 213; GA96 5, 228f.)

Die Seynsfrage möge darum nicht mit »dem elenden Wühlen in der erbärmlichen Menschlichkeit« behelligt werden. (GA94 77; GA95 400) Stattdessen müsse »der denkerische Blick« sich auf die Vollendung der bisherigen Metaphysik richten (GA96 45) – frei von Pessimismus und von »moralischer Tantenhaftigkeit« sowieso. (GA96 114) Heideggers Antimodernismus, seine Verachtung des Subjektiven und die Hoffnung auf einen radikalen Umbruch, die sich nicht nur Anfang der 1930er mit knöchrigstem Konservatismus vereinbaren lässt, machen ihn für den Nationalsozialismus anfällig.

Die Deutschen als Seynsgründer

Die Frage, um die es in der Debatte nur vordergründig gehen konnte, weil in ihr das Denken kaum vorkam, ist doch, ob Heideggers Philosophie »bis in die letzten Verästelungen nationalsozialistisch« war, wie Micha Brumlik in der taz schreibt. Brumliks Urteilsbegründung in der taz erfasst immerhin recht genau die philosophische Motivation Heideggers, der hinter Aufklärung und Mythos zurückgehen will, um das Weltverhältnis des Menschen als »mimetisches« (oder besser gesagt: superholistisches) neu zu begründen.
Wer die Schwarzen Hefte nicht nur nach Schlagworten durchsucht, bemerkt den philosophischen Privatnationalsozialismus, den Heidegger darin pflegt. Er hätte damit gewiss öffentlichen Argwohn erregt, gerade weil sich der Nationalsozialismus Himmlers deutlich von dem Hitlers oder Rosenbergs unterschied.
Der NS ist der Philosophie stets untergeordnet, taugt für Heidegger Anfang der 30er Jahre aber dazu, eine neue Grundstellung zum Seyn vorzubereiten. (GA94, 190) Sein Übergang von Metaphysik zu Metapolitik ist nicht notwendig, war 1933/34 aber opportun (vgl. GA94, 124) und danach als Irrweg leicht zurückzunehmen. Heidegger findet den Nationalsozialismus aber vor allem als Kampfmittel gegen das Christentum attraktiv (vgl. GA94 120, freilich auch hier bald Enttäuschung: GA94 401). Der Hauptfeind in den Schwarzen Heften ist nämlich nicht das Judentum, sondern es sind Deutsche Christen, Bekenntnisfront, Jesuiten, Protestantismus und Katholizismus (GA94 439-441, 457, 522f.; GA95 325f., 342-346; GA96 138, 194f., 214f., 266f.), die er hasserfüllt für die Machenschaft verantwortlich macht. (GA95 4-7, 144f.)

Mit dem Christentum verflachte das von den Griechen begonnene abendländische Denken, an dem er die cartesische Selbstgewissheit des Subjekts (GA95, 172f.) und die Dialektik als rechnendes Vorstellen (GA95, 7f.) kritisiert. Mit letzterer geht er besonders hart ins Gericht, weil sie als Denkbewegung eben auch Konkurrenz zu seiner Besinnung und unvereinbar mit seiner superholistischen »Zugehörigkeit« ist. (GA95 28-30, 35) In seinem antiidealistischen Überschwang stellt er Hegel (und Marx) nicht bloß vom Kopf auf die Füße, sondern diese auf Blut und Boden. (vgl. GA94, 127)
Besinnung heißt Unterwegs-sein, und das ist mitunter so lauschig oder gruselig – also lyrisch wie eine Schwarzwaldwanderung. Das Seyn verlangt also einen dichtenden Zugang (GA94, 216): Der Denker (Heidegger) muss dem nach-denken, was der Dichter (Hölderlin) voraus-gedichtet hat. (GA94 70, 299f., 512f.; GA96 263) Dafür muss die dichtende Kraft aus dem Dunkel befreit werden. (GA94 26) Das Seyn neu, d.h. ursprünglich zu dichten ist volklicher Wille und Auftrag der Deutschen, die dabei nie an die »Sonderfälle« des Ich oder Du denken. (GA94, 27f.; GA95, 26-28, 181)

Auf die fixe Idee, die Deutschen seien auserwählt zu Umkehr und »Austrag eines unentfalteten Anfangs« (GA94 172; GA96 235), mag Heidegger ausgerechnet durch den den Deutschen wenig schmeichelnden Schluss von Hölderlins »Hyperion« gekommen sein. (vgl. GA94 329f.; GA95 56)
Das Volk werde erst eines durch sein Verhältnis zur Metaphysik (GA95 170, 173) und das Maß, unter das es gestellt wird (GA94 188f., 318, vgl. GA95 1; GA96 204). Für Heidegger sind die Deutschen mit ihrem Sinn für Rang und Stände gefeit gegen das Mittelmaß (vgl. GA96 103). Das bestimmt sie für ihren seynsgeschichtlichen Auftrag, der das deutsche Volk überhaupt erst hervorbringen und in die Lage versetzen wird, geistige Solitäre (wie Heidegger) bzw. ein für den seynsgeschichtlichen Auftrag geeignetes zukünftiges Geschlecht hervorzubringen. (vgl. GA94 287-289, 389f., GA95 196-199, 237f., 372) Den Kampf um ihr Volkswesen werden die Deutschen allen voran dichtend kämpfen, weshalb Besinnung auf ihre Sprache nötig ist. (GA95 11, 30f., 104, 231f.; GA96 239-242) Glücklicherweise ist das Deutsche ist die andere denkerische Sprache »nach der ersten der Griechen« (GA95 309). Diese waren für den ersten, die Deutschen sind für den anderen Anfang vorgesehen (GA95 186f.), was Heidegger eher an ihrem idealistischen Hang zum Ursprung (Hegel und Schelling) abliest als an Rassegesetzen. (GA96 7-11)

Neben den zeitgemäßen völkischen Sperenzchen hat Heideggers Umwidmung der andersanfänglichen Philosophie zur Dichtung (GA94 41,65, 86) hat auch taktische Gründe. Heute würden wir sagen, Heidegger brande auf diese Weise seine unique selling proposition innerhalb der scientific community. Das Seyn ist unumgänglich und unerrechenbar (GA94 64) und deshalb den der Machenschaft anheimgefallenen Wissenschaften wesenhaft unerreichbar. (GA94 409-411, 463)
Die Abgrenzung zum bloß rechnenden Denken (GA94 35, 60) wird umso nötiger, als Heidegger die machenschaftliche Versumpfung der Philosophie bemerkt, die seinem Irrationalismus scheinbar nahekommt. (GA95, 59-61)
Sein Ziel ist keine trockene Lehre, sondern das Da-sein als Grund der Wahrheit des Seyns zu gründen (GA94, 292) und damit nicht einen neuen, sondern einen ganzen Mensch (GA96 7, 81) zu ermöglichen. Der müsse sich verlassen und als Fremder (als »Wächter der Wahrheit des Seyns«, GA95 38) wiederkommen. (GA94 24, 71) Gegründet wird dieser Mensch in Boden, Werk und Kampf (GA94 82), was dem Nationalsozialismus nicht gerade diametral entgegengesetzt ist. Dieser ist Heidegger zwar noch zu positivistisch geprägt, aber es besteht die Hoffnung, die Jugend werde es richten. (GA94 157f., 196) Um ihr von Freiburg aus den Weg zu zeigen, muss er 1933 als Rektor ran.

Das Rektorat 1933/34

Philosophen, die sich als Lieferanten für Wert- und Orientierungssysteme verstanden, waren im Dritten Reich anfällig für eine Selbstinstrumentalisierung zugunsten des Totalitarismus. Die Wissenschaftsgeschichte nennt dafür zwei Gründe: Erstens die schon in der Weimarer Zeit herrschenden Dünkel und den Korpsgeist der gebildeten Stände, zweitens die erstarkende naturwissenschaftliche Konkurrenz um den Platz der Leitwissenschaft. Im Verteilungskampf um wissenschaftliches Kapital schreckten die wenigsten davor zurück, politisches Kapital durch Ergebenheitsadressen zu erwerben und einzusetzen. Konkurrierende Denker als formalistisch oder individualistisch zu kritisieren kam einer Denunziation gleich, die nach 1933 »zur Standardform der Auseinandersetzung« wurde (Gereon Wolters: »Der ‚Führer‘ und seine Denker«, DZPhil Bd. 47, 2, Apr. 1999).
Auch Professor Heidegger ließ sich auf das Spiel ein, in dessen Verlauf er etwa Richard Hönigswalds und Eduard Baumgartens Karrieren via Gutachten zerstörte und sich, als er seinerseits durch ein Gutachten von Erich Jaensch zurückgeworfen wurde, als schlechter Verlierer erwies – obschon er nicht wie Hönigswald ein Jahr im KZ verbringen musste. Seitenweise lässt er sich in den Schwarzen Heften über Ernst Krieck (GA94 138, 177, 179) aus (»Volkschullehrer!«; GA96 234), dessen erziehungswissenschaftliche Vorstellungen (wie auch Alfred Baeumlers) im Gegensatz zu denen Heideggers bei den NS-Granden auf offene Ohren stießen.
Seine Vorstellungen und Ambitionen gehen weit über das hinaus, was er als »Volksphilosophie« verachtet, die sich bloß an den NS heranwanzt (GA94 291, GA95 236f.; GA96 37f., 44). Davon kündet jedenfalls das dritte Schwarze Heft, begonnen im Herbst 1932 (GA94 107-203). Es behandelt die Zeit seines Rektorats, das Heidegger »gegen die innerste Stimme« annimmt. (GA94, 110) Er opfert sich dem schnöden Amt an der Universitätsspitze, was er getreu dem Untergangsmotiv aus dem Zarathustra als Zeichen von Größe versteht. (vgl. GA94 111, 214, 217, GA95 318f.)

Leitmotiv des Rektors Heidegger war die im Minderwertigkeitskomplex gepflegte Überzeugung, Wachstum und Stärke seien nur durch Gegnerschaft und Not zu haben. Es braucht also den Kampf und Feinde. (GA94 141, 377, 507; GA95 74f.; GA96 227) Was sich beim einsamen, kranken Nietzsche noch als autosuggestive Durchhalteparole liest, wird zur allgemeinen Bedrohung, sobald die solchen Trosts Bedürftigen die Macht ergriffen haben.
Heideggers private Disposition passt zum Zeitgeist des »erwachenden Deutschlands« wie der Arsch auf den Eimer. 1933/34 verbindet er sein philosophisches Denken mit Begriffen des Nationalsozialismus und beschwert sich in seinen Notizen darüber, dass keiner der Nazi-Lautsprecher die einschlägigen Vokabeln richtig (d.h. fundamentalontologisch) versteht. (GA94 173) Mit Bezug auf das Buch »Volk ohne Raum« murrt Heidegger, Raum möge endlich nicht mehr als kantianisch-newtonsche Geographie-Floskel, sondern als Da, als Möglichkeit einer geschichtlich-schaffenden Bodenständigkeit verstanden werden. (GA94 18, 265, 421; GA95 279) Heidegger will mit anderen Worten, dass die Deutschen das Seyn, nicht den Ural erobern.
Schon vor 1933 übernimmt Heidegger die Fetischisierung von »Kampf«, »Arbeit« (GA94 140, vgl. GA94 420) und »Volk« und überträgt diese Begriffe auf das Denken. Auch daher seine militante Sprache, in der er seine Schwarzen Hefte als »Vorposten« oder »Nachhutstellungen« zur »Eroberung« eines Wegs des seynsgeschichtlichen Denkens bezeichnet. (GA95 274, vgl. 376f.)

Die berüchtigte Rektoratsrede vom Mai 1933 ist als Versuch, die Universität zur Besinnung auf den seynsgeschichtlichen Auftrag der Deutschen zu bringen, ausdrücklicher Teil seines denkerischen Projekts. (GA94 286, 324f.) Philosophie und Universität sollen als Gerede und Paukanstalt überwunden werden. Also begann ihr Untergang (GA94 115f, 225f., 232) zugunsten von Metapolitik hier und geistig-politischer Führung (vgl. GA94 128) da, um einem neuen Geschlecht und seiner Wahrheit den Boden zu bereiten. (GA94 124) Die Notizen bieten umfangreich Einblick in Heideggers Traum von der Wissensakademie zur »Zucht höchster Denkart« als »Beherrschtheit im Wesentlichen« (GA95 340).
1933 hatte Heidegger schon Zweifel, ob der Deutschen nicht doch eher
άτολμος (zurückhaltend, zaudernd) bezüglich seines Auftrags (GA94 95), ob also die Zeit für den neuen deutschen Anfang schon reif wäre (GA94 109). Als Rektor scheitert Heidegger mit seinen hochschulpolitischen Ideen schnell an den Mühen der Ebene. Die Studentenschaft taugt nicht für die ihr vorgesehene Aufgabe. (GA94 116, 128, 151f.) Hinzu kommt das zermürbende Tagesgeschäft an der Uni: Die »unerzogene Masse« spielt sich in der Partei auf (GA94 119) und bremst ihn ebenso aus wie das Kleinklein diverser hochschulpolitischer Organisationen (GA94 130-133, 171, 187), das ihm noch schlimmer vorkommt als der beseitigte Parlamentarismus. (GA94, 151)

Zwar sieht Heidegger seine Aufgabe nicht darin, dem NS den philosophischen Unterbau zu liefern (GA94 134f.), fühlt sich andererseits aber mit seinem Beitrag zum nationalen Kampf nicht ernst genommen als »Arbeiter der Stirn«, wie er sich seine »Führeraufgabe in der Wissenserziehung« überhaupt ganz anders vorgestellt hat. (GA94 139; vgl. GA96 177) Seitenweise schreibt sich Heidegger den Frust über die Scheinrevolution an der Universität von der Seele. (GA94 144-147, 180) Geradezu zeitlos sind seine Klagen über die Vernutzung der Universität zur technischen Fachschule (GA94 183, 193; GA95 314-316) und die Verkehrung des Wissens zum bloßen Werkzeug (GA94 222f.; GA96 172, 175, 182f. 197, 226, 239). Als wäre es nicht vor 80 Jahren geschrieben: »Das Wichtigste an der heutigen Universität ist das Presseamt – mit einem möglichst großen Stab besetzt.« (GA94 148)

Besinnung kommt nicht gut an, weil sie – ausdrücklich nutz- und wirkungslos, unerfreulich und erschütternd – den Fortschritt des besinnungslos-machenschaftlichen Universitätsbetriebs hemmt und für die Jugend wenig attraktiv ist. (vgl. GA95 17-19, 163f., 409) Schließlich wirft Heidegger das Handtuch und zieht sich in die unsichtbare »Front des geheimen geistigen Deutschland« (GA94 154f.) bzw. in die »bejahende Opposition« zurück, die sich ihre guten Ideen klauen lassen muss (GA94 156) wie etwa die von der Dozentenakademie, die freilich das Gegenteil von dem wird, was Heidegger in der seynsgeschichtlichen Hochschulpolitik hatte durchsetzen wollen. (GA95 102f., v.a. 125f.)

Er tröstet sich (wie auch in seiner Abschiedsrede am 28.04.1934) über das »verlorene Jahr« mit dem Scheitern als Lehre: Das Eigentliche verhüllt sich im Unwesentlichen, weshalb dieses jenes erahnbar macht an dem, was das Unwesentliche am Eigentlichen verbirgt. Der Witz an Heideggers – später in der Technikphilosophie vollends ausbrechenden – Denkbewegung besteht darin, zen-mäßig auf den Vorhang zu starren. Ähnlich wie in der Sorge (»Sein und Zeit«) sich das Da verweigert und darin zeigt (GA94, 495), wie das Seyn im neuzeitlichen Wesen (GA95 3) oder die Dichtung im Kulturbetrieb (GA96 168) als Vergessenes aufgehoben ist, so meint Heidegger, die Verstrickung ins machenschaftliche Denken noch besser ermessen zu können, nachdem er die Alltäglichkeit eines Universitätsrektors durchgestanden hat. (GA94 160-162) Trotzdem oder deswegen das beleidigte Schlusswort: »Es lebe die Mittelmäßigkeit und der Lärm!«

Zurückgezogen in seinen Schmollwinkel auf dem Todtnauberg muss Heidegger in den Jahren nach seinem Rücktritt mitverfolgen, wie machenschaftliche Propaganda die Besinnung als dadaistische Hochstapelei für Freaks abtut. (GA94 247f.; GA96 36f.; 51f., 182) In der Folge hält Heidegger ein übers andere Mal sein Privatgericht über die etablierte Philosophie, die nichts versteht oder achtet (GA94 353-355, 368-372, 405f., 431, 435-437; GA95 9), und über die machenschaftlich verkommene Universität (GA94 467f., 487, 506; GA96 254). Echte Philosophie könne es nur abseits des Zeitgemäßen und Mittelmäßigen geben (GA94 246f., 280f., 302, 348, 517-519; GA95 411), wo sie sich als Besinnung nutzlos, wirkungslos und ziellos in der Irre herumtreibe. (GA95 14, 16, 147f.; GA96 76, 78, 100)

Hannah Arendts schlauer Fuchs bekundet nach dem raschen Karriere-Ende, die viel zu sauren Trauben ohnehin nie gewollt zu haben: Er schütze seine Philosophie mit ihrer »Wirkungslosigkeit« davor, von den Machenschaften vernutzt (GA94 378f., 469f.) oder durch Psychologisierung verharmlost zu werden (vgl. GA94 374f., 390).

Lesen Sie im zweiten Teil:

Vom Privatnationalsozialismus zur Privatopposition –
Heidegger und die Nazis, Russen und Juden – Die falsche Debatte

 

Timotheus Schneidegger ist Herausgeber des »Lichtwolf - Zeitschrift trotz Philosophie«.
Er lebt als freiberuflicher Logos-Söldner und Schlickfarmer an der Nordsee.



Aus dem Hause Klostermann erreichte uns eben eine Replik, die wir hier zwecks Klärung eventueller Missverständnisse gerne bringen:

Lieber Herr Schneidegger,

im ersten Teil Ihrer Besprechung der "Schwarzen Hefte" Martin Heideggers behaupten Sie, "Normalsterbliche" kämen an die Bände der Heidegger Gesamtausgabe nicht so einfach heran - man müsse die Ausgabe subskribieren und dem Verlag dann "Band für Band" alles abnehmen, was "für den fern von Saus und Braus lebenden Heideggerianer kaum zu stemmen" sei.

Dies, mit Verlaub, lieber Herr Schneidegger, ist schlicht falsch - bitte erlauben Sie mir, den Sachverhalt richtigzustellen: Die "Ausgabe letzter Hand" der Schriften Heideggers (HGA) ist allerdings sehr umfangreich und wird, wenn sie einmal abgeschlossen ist, 102 Bände umfassen. Abgesehen davon, dass man das vielleicht nicht alles braucht, muss man es aber eben auch nicht alles kaufen. Es gibt allerdings Bände - so z.B. "Sein und Zeit" (HGA 2), die beiden Nietzsche-Bände (HGA 6.1 und 6.2) oder "Zur Sache des Denkens" (HGA 14) - die tatsächlich nur im Rahmen einer Subskription zu bekommen sind (und selbst dann muss man nicht "alles" abnehmen - die HGA ist in vier Abteilungen auf
geteilt, die getrennt subskribiert werden können). Aber das hat verlagsrechtliche Gründe, denn für diese Bände, die sämtlich zu Heideggers Lebzeiten erschienen sind, hat er selbst die Rechte an den Einzelausgaben an andere Verlage gegeben (de Gruyter, Klett-Cotta), wo sie auch heute noch sind. Von ein paar wenigen anderen Bänden, darunter auch einigen Vorlesungsbänden, abgesehen, kann man aber die weit überwiegende Mehrzahl der Bände der HGA einzeln kaufen, z.T. in preiswerten kartonierten Ausgaben - und einige wichtige Bände aus dieser Ausgabe gibt es mittlerweile auch als Taschenbuch (so z.B. die "Wegmarken" oder die "Erläuterungen zu Hölderlins Dichtung").

Ihre Darstellung ist geeignet, den Eindruck entstehen zu lassen, der Verlag sorge durch restriktive Subskriptionspolitik bewusst dafür, dass sich die Kenntnis der erhabenen Heideggerschen Gedankenführungen auf das Arkanum eines klei
nen Kreises eingeschworener und dazu noch gut betuchter apostolischer Heidegger-Illuminaten beschränke. Aber daran hat ja der Verlag keinerlei Interesse. Im Gegenteil ist ja die Tatsache, dass es sich um eine „Ausgabe letzter Hand“ handelt, unter anderem der Überlegung zu verdanken, dass – im Gegensatz zu historisch-kritischen Ausgaben – die Bände möglichst alle noch zu Lebzeiten der Leser erscheinen können sollten, und zwar zu einem einigermaßen erschwinglichen Preis. Denn auch wenn wir hier im Verlag, auch wenn man es nicht glauben mag, gar keine "Heideggerianer" sind und wir uns auch so gar nicht als Zentrale falsch verstandener Apologetik verstehen - in Saus und Braus leben auch wir hier nicht...

Mit freundlichem Gruß,
Ihr
Martin Warny



Martin Heidegger
Überlegungen II-IV
(Schwarze Hefte 1931-1938)
Herausgegeben von Peter Trawny
Vittorio Klostermann Verlag 2014. VI
536 Seiten. Ln 68,00 €
ISBN 978-3-465-03815-3
Martin Heidegger Gesamtausgabe 94

Überlegungen VII-XI
(Schwarze Hefte 1938/39)
Herausgegeben von Peter Trawny
Vittorio Klostermann Verlag 2014. VI
456 Seiten
ISBN 978-3-465-03833-7 Ln 58,00 €
ISBN 978-3-465-03832-0 Kt 48,00 €
Martin Heidegger Gesamtausgabe 95

Überlegungen XII-XV
(Schwarze Hefte 1939-1941)
Herausgegeben von Peter Trawny
Vittorio Klostermann Verlag 2014. VI
286 Seiten. Ln 44,00 €
ISBN 978-3-465-03839-8
Martin Heidegger Gesamtausgabe 96
 

 


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