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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik |
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»Der
Stellvertreter Brechts auf Erden« Von Stefan Geyer Die schwierigsten Kundenfragen in meinem zwanzigjährigen Buchhändlerleben betrafen immer Bertolt Brecht – wo ist dieses Gedicht zu finden, in welchem Band steht jenes Stück, wo diese Erzählung? Es war die Zeit der Papierrecherche, des »Verzeichnis Lieferbarer Bücher«, VLB, in mehreren Bänden. Internet gab es noch nicht und das VLB nannte nur die Titel der Bücher, nicht aber deren Inhaltsverzeichnis. Kurz, es war eine ewige Sucherei, wenn man seinen Brecht nicht im Kopf hatte. Ich war froh als ich in der Buchhandlung irgendwann nur noch mit Krimis und Comics zu tun hatte – da blieben mir die elenden Brecht-Fragen erspart.
Das änderte
sich, als ich anfing, bei Suhrkamp zu arbeiten, dem Verlag Bertolt Brechts. Dann
kamen sie wieder, die Brecht-Fragen. Jetzt stammten sie aber von Buchhändlern,
die mit denselben Fragen der Kunden konfrontiert waren, wie ich in meiner Zeit
als Buchhändler. Und doch war es bei Suhrkamp ungleich einfacher, diese Fragen
zu beantworten. Wolfgang Jeske war ein kleiner, schmächtiger Mann mit schütterem Haar. Er trug immer dunkle Stoffhosen, Hemd und Strickweste. Darin wirkte er, als müsse er noch reinwachsen. Bei offiziellen Anlässen kleidete er sich auch mal mit seinem grauen Anzug. Auch dieser war ihm zu groß. Man hatte Angst, Wolfgang Jeske könnte eines Tages immer weniger werden und verschwinden, einfach so. Aber Wolfgang Jeske war stets präsent, sei es als Brecht-Lektor, als Betriebsrat, dem er all die Jahre angehörte, in denen ich bei Suhrkamp arbeitete, oder als Verwalter der Sozialkasse des Verlags. Im November versäumte er es nie, die Kolleginnen und Kollegen per Aushang auf eventuell noch einzureichende Arztrechnungen hinzuweisen bevor diese verfielen. Kurz, Wolfgang Jeske kümmerte sich um seine Kolleginnen und Kollegen und diese mochten und schätzten ihn. Morgens konnte man ihn oft vor dem Eingang treffen, neben sich den karrierten Einkaufstrolly mit dem er seine Arbeitsunterlagen transportierte. In der Hand die unvermeidliche Zigarette, die noch zu Ende geraucht werden musste, bevor er den Verlag betrat. Freundlich schenkte er jedem zur morgendlichen Begrüßung sein verschmitztes Lächeln.
Gut kann ich
mich erinnern, wie Jeske mir einst die berühmte Bibliothek im Keller der Unseld
Villa in der Frankfurter Klettenbergstraße zeigte. Hier standen sie alle, die
Bücher die der Verlag im Laufe seiner Geschichte publiziert hatte, in jeder
Ausgabe und immer in der Erstauflage. Tausende Bände in großen Rollregalen, das
Gedächtnis des bedeutendsten Verlages der deutschen Nachkriegsgeschichte.
Niemand, außer Siegfried Unseld, kannte diese Bibliothek besser als Wolfgang
Jeske und seine Augen leuchteten als er sie mir zeigte. Hier hatte er Monate und
Jahre zugebracht um für das fünfzigste Jubiläum des Verlags im Jahre 2000 die
Suhrkamp Bibliographie zu betreuen und zu bearbeiten. Fünfzig Jahre
Suhrkamp-Geschichte in einem Band, ein Schatz und ein unverzichtbares
Nachschlagewerk, dass es jedem Buchhändler ermöglichte auch noch entlegenste
Brecht-Texte zu finden. Dieses Werk war Wolfgang Jeskes Verdienst und wir
nannten die Bibliographie bald nur noch den »Großen Jeske«. Diese umfassende
Bibliographie ist erst zwei Jahre nach dem 50. Jubiläum des Verlages erschienen,
am 21.10.2002. Fünf Tage später starb Siegfried Unseld. Noch im Sterbebett
konnte der Verleger sein Vermächtnis, die Bibliographie seines Lebenswerkes, in
Händen halten. Ein größeres Geschenk hätte Wolfgang Jeske dem sterbenden
Verleger nicht machen können.
Am 11. Februar
2012 ist Wolfgang Jeske unerwartet in einem Berliner Krankenhaus gestorben. Er
wurde sechzig Jahre alt. |
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