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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik







Actor Keir Dullea poses in the equipment storage corridor to one side of Discovery’s pod bay. © Dmitri Kessel/Getty Images
© 2014 Turner Entertainment Co. 2OO1: A Space Odyssey and all related characters and elements are trademarks of and © Turner Entertainment Co.
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Euphorie einer interstellaren Moderne

So entstand Stanley Kubricks »2001: A Space Odyssey«

Von Peter V. Brinkemper
 

»The Making of Stanley Kubrick’s ‚2001: A Space Odyssey’«, hrsg. von Piers Bizony, Taschen 2014, belegt anhand von zahllosen Bilddokumenten aus den Produktionsjahren 1965-68: Für den epochalen Science Fiction Klassiker knapp vor dem sich vollendenden bemannten US-Apollo-Mondfahrtprojekt wurde eine noch heute stilistisch wegweisende technologische Moderne mit einer Anthropologie der interstellaren Evolution verknüpft.

Aus den noch unscharfen Raumfahrt-Illustrationen der 1950er Jahre im Stil Wernher-von-Braun-Walt-Disney-Chesley-Bonestell destillierten Kubrick und Clarke mit ihrem Produktionsteam eine neusachlich ausdifferenzierte Bilderwelt, deren realistische Präzision und prognostische Disziplin nach wie vor beeindruckt, und die vom Filmteam kongenial weiterverarbeitet wurde. Die coole Magie von »2001« hält an, angesichts einer heute um Spaceshuttle und Etats jämmerlich dezimierten NASA, die ihre Astronauten mit fremden Trägerraketen zur verrotteten Internationalen Raumstation transportieren lässt (siehe Cuaróns »Gravity«, 2013: Die weibliche Heldin schlägt sich nach einer Kollision mit Weltraumschrott durch die Vehikel verschiedener Nationen hinab auf die Erde durch). Statt sich zu weiteren Höhenflügen wie einer bemannten Marslandung zu erheben, begnügt man sich mit immer noch respektablen Projekten, unbemannten Satelliten, Space Telescopes und Sonden. Außerdem muss man sich mit Mondlandungs-Zweiflern auseinandersetzen (vgl. William Karrels Mockumentary: »Kubrick, Nixon und der Mann im Mond«, 2002: Hier wird allerdings nicht das Ereignis, wie etwa die Marslandung in Peter Hyams »Capricorn One«, 1978,  sondern deren misslungene Bebilderung durch die beteiligten Astronauten infragegestellt; angeblich habe Kubrick einen Geheimauftrag von Nixon für eine Ersatzinszenierung erhalten, die später verfolgt und unterdrückt wurde.)

Vier Komponenten: Design, Film, Treatment, Produktion

Briefcase containing all the components of a modern laptop computer (keyboard, camera, electronic stylus pen, modem, digital file storage module, and display screen), designed by Honeywell company for Heywood Floyd. © Stanley Kubrick Archives/TASCHEN
© 2014 Turner Entertainment Co. 2OO1: A Space Odyssey and all related characters and elements are trademarks of and © Turner Entertainment Co. (s14)

Piers Biszonys Publikation kommt dem Informationsreichtum von The Making of Kubrick's 2001 von Jerome Agel (1970) nahe und liefert ein vielseitigeres Bildmaterial in zahllosen Varianten und Versionen, die zusammen mit den aufschlussreichen Texten über wichtige Schritte der Produktion Auskunft geben. Das neue »Making of« zu Stanley Kubricks »2001« enthält vier sich gegenseitig kommentierende Komponenten:

Die Arbeit am visuellen Design: Film-Entwürfe im weitesten Sinne, Skizzen, Studien, Modelle, Sets, Produktionsfotos. Raumschiffe, Interieurs, Raumanzüge, Helme, Geräte, Konsolen, das technische Ambiente und die Himmelkörper Erde, Mond, Jupiter, seine Trabanten und das Universum. Allmählich nehmen die Motive die Gestalt der bekannten »2001«-Ikonen an (im Super-Panavision-Breitleinwand-Format oder Cinerama).

Das Resultat, der 143-minütige MGM-Film als Bilderbuch (2010 fand man die von Kubrick nach der Premiere gekürzten 17 Minuten in einem Warner-Archiv in einem Salzbergwerk in Kansas wieder, deren nichtautorisierte Publikation steht noch aus). Eine Folge von »Computer Enhanced Prints«, digital nachbearbeiteten Kunstdrucken und ausgewählten Mastershots einer stummen Erzählung, die durch ihre Bildprägnanz und ihre vielschichtige Symbolik überzeugt.

Das anfängliche Treatment »Journey Beyond The Stars«, von Stanley Kubrick und Arthur C. Clarke – eine romanhaft-poetische Mischform als spannende Erzählerstimme aus der personalen Perspektive Moon-Watchers (Urzeit) und Dr. Floyds (1999),  mehrfach ergänzt mit allgemeinen wissenschaftlichen Vorüberlegungen und Einleitungen zum jeweiligen Stand der Evolution – statt der späteren Version des verbal erzählerfreien Drehbuchs, eine Vorform des zeitgleich zum Film von Clarke geschriebenen, leichter verständlichen Romans, der viele Exkurse und Vedeutlichungen enthält, und ein Vorgriff auf den Prolog mit geplanten Wissenschaftlerinterviews, die später gestrichen wurden.

Produktionsnotizen – logistische und strategische Überlegungen, Planungen und Anforderungen, viele Details zu den noch analogen Matte-Tricks, Vorsatz- und Hintergrund-Malereien oder Vielfach-Belichtungen, Hintergrund- und Front-Projektionen, Bild-im-Bild-Kompositionen, Composites, um Raumstationen und Raumschiffe im Modell oder als Set mit bemannten Sichtfenstern und Außenperspektiven und den Supercomputer HAL 9000 mit seinen überall präsenten Vielfach-Displays ständig ablaufender Informationen fast im heutigen rahmenlosen Blue-Screen-Style zu suggerieren. Auch finden sich Angaben zu den benötigten Animal-Trainern von Tapiren, Leoparden, jungen Schimpansen und menschlichen Akteuren in Affenkostümen; erheblich ausgeweitete Kontingente militärischer Nuklear-Träger-Satelliten (US-Airforce, Deutschland, Frankreich, China) und ziviler Raumschiffe (der nicht gezeigten Titov V) und Hinweise auf Probleme bei den darzustellenden Himmelskörpern.

Die Landschaft der industriellen Produktion

Stanley Kubrick and Arthur C. Clarke pose for publicity photographs inside the passenger deck set of the Aries lunar ferry. © Stanley Kubrick Archives/TASCHEN
© 2014 Turner Entertainment Co. 2OO1: A Space Odyssey and all related characters and elements are trademarks of and © Turner Entertainment Co. (s14)

Piers Biszony betont in seinem begleitenden Essay, dass Kubrick Filmskripte im Sinne von Drehbüchern für das Hollywood-System (die man gedankenlos im üblichen Genrestil Szene für Szene herunterdrehen konnte) verabscheute. Er wollte, zumal bei diesem neuartig technologisch-utopischen Projekt, die volle experimentelle Kontrolle über alle Perspektiven und raumzeitlichen Möglichkeiten für die visuelle Gestaltung auf der Kinoleinwand bewahren und ein Werk schaffen, das die Konventionen der bisherigen Actiondramen übertraf: die dilettantisch-unterhaltsame Untertassen-Vespa-Roboter-Ausstattung bei »Forbidden Planet« (1956, faustisch, nach Shakespeares »The Tempest«) und die Statik in »The Day, the Earth stood still« (1951, zu gutmenschlich und zu prophetisch) mit ihren romantischen Panoramen und theatralischen Szenarien. Inwieweit war überhaupt noch ein Plot in dem fast ausgereizten Science-Fiction-Universum möglich, angesichts der Fortschritte der realen Raumfahrt? Für »2001« sollte gerade die Schnittstelle Mensch-Maschine einen absolut glaubwürdigen Realismus auf der Basis des zeitgenössischen Apollo-Programms und der danach möglich erscheinenden Entwicklung erhalten.

Clarke und Kubrick standen in Konkurrenz zu den allgegenwärtigen zivil-militärischen Misch-Markenleistungen, Erfolgen und Fehlschlägen der ballistischen Missiles und der orbitalen Trägerraketen durch Navy, Army, Luftwaffe, und der erst mühsam einsetzenden, durch John F. Kennedy beschleunigten und gebündelten Entwicklung von bemannten Raumfahrzeugen und ihrer Transportantriebe durch die NASA. »2001« musste sich geradezu gegen die Kakaphonie des Fortschritts durchsetzen: das Auftrags-Gestrüpp von IBM, Douglas Aircraft, Lockheed (Martin Marietta), Boeing (North American Aviation/Rockwell: Command/Service Module und Space Shuttle), Nothrop (Grumman; von der Landefähre zum heutigen Stealth Bomber), von Mercury über Gemini bis zu der nach der Premiere von »2001« noch bevorstehenden Mondumkreisung durch Apollo 8 und der Landung von Apollo 11 auf dem Höhepunkt des Space Race zwischen USA und UdSSR (dem Duell zwischen Wernher von Brauns Saturn V und dem nach Korolevs Tod 1966 unausgereiften geheimen Gegenstück N1-L3 der Sowjets, welches auf der Rampe explodierte; dazu der Absturz der unbemannten russischen Mondsonde Luna 15 in Meer der Krisen während der ungestört verlaufenden Apollo 11 Mission). Vom aktuellen Stand solcher Science Facts konnte man nur dann ernsthaft profitieren, wenn man sie in entsprechender Genauigkeit und Coolness cinematografisch aufgriff, zerlegte, neu zusammensetzte, überbot und kontrapunktierte. Kubrick ließ sich für das Kino auf Clarkes Methode ein, zwischen Facts und Fiction prognostisch zu extrapolieren.

Exakte Modelle im Focus der Filmsprache

Die malerischen Prospekte der Buch- und Filmillustratoren Richard P. McKenna und Roy Carnon nehmen spätere Ideen und Filmszenen aus »2001« in einer ersten Gestalt vorweg, sie treffen vor allem die Atmosphäre des Films, graublaue Silhouetten von Raumschiff-Prototypen mit leuchtenden Fenstern und aufscheinenden Triebwerken über Erde und Mond im dunklen sternenübersäten All. In gewisser Weise sind diese oft zur frühen Werbung eingesetzten Darstellungen noch dem alten hyperromantischen Chesley-Bonestell-Design verhaftet. Bevor Robert McCall am Ende in den bekannten Filmplakaten die Euphorie der extrapolierten interplanetarischen Moderne vor der eigentlichen »Space Odyssey« komplett ausfabulierte, musste noch allerhand passieren.

Stanley Kubrick directs the lunar monolith scenes over the Christmas of 1965 at Shepperton, on Europe’s second-largest shooting stage. © Stanley Kubrick Archives/TASCHEN
© 2014 Turner Entertainment Co. 2OO1: A Space Odyssey and all related characters and elements are trademarks of and © Turner Entertainment Co. (s14)

Das Team von Harry H. K. Lange, Zeichner, und Frederick I. Ordway III., einem Konstruktions-Berater der NASA und ihrer Zuliefererfirmen, lieferte exakt konzeptualisierte neue Modelle bzw. Präzisierungen bisher angedachter und diffus imaginierter Vehikel, die als physikalisch und technisch mögliche Industrie-Entwürfe einer offensiv auf Fortschritt setzenden astronautischen Moderne in Anknüpfung an die Mondlandungs-Generation funktionierten. Ordways Name steht übrigens im Abspann des Films ganz hinten. Das preisgekrönte Produktions-und-Set-Design von Ernest Archer, Harry Lange und Anthony Masters sicherte einen harten Kern und tiefere Verbindungen. Konstruktion und Kommunikation erwiesen sich als zwei Seiten einer Medaille: Einrichtungen, Büros und Produktionsstätten der Raumfahrtbehörde, Firmen und Universitäten und ihre Mitarbeiter wurden eigens aufgesucht, Vorbilder, Ratschläge und Materialien gesammelt, aufgegriffen und mit eigenen Konzepten und Modellen abgeglichen, um Form und Funktion bis zu den Kontrollpanelen und zur Oberflächenmarkierung zweckdienlich erscheinen zu lassen. Änderungen und Konkretisierungen des Drehbuchs und der Filmproduktion hatten zur Folge, dass sich die Anforderungen an die Modelle und die entsprechenden Filmsets in Miniatur- und Lebensgröße erhöhten. Bei der Farbe des Mondbodens konnte man sich auf Fotografien der russischen Sonde Luna 9 verlassen, die vor der US-Sonde Surveyor 3, später von Apollo 12 besucht, als erste weich auf dem Mond landete. Ordway: »I approached the Soviet science attache in London, Boris Polikarpov, who arranged for Luna 9 photos to be made available to us.« Was konnte bleiben, was musste sich ändern, wenn die menschlichen Protagonisten oder der Computer HAL anders als bisher geplant handelten? Ordway empfahl Kubrick auch das intelligente Helm-Design, am Hinterkopf waren Memory-Module angebracht, die direkt im Helm ein mobiles Daten-Display im Sinne heutiger Smartphones und Google-Brillen erlaubt hätten. Kubrick griff dieses interne Mini-Display nicht auf, sein Film war ihm Auge, Schirm und Gehirn genug, er spiegelte jedoch im Helmvisier die leuchtenden Tastaturen der Reparaturgondel und das gläserne Innenleben HALs bei seiner Demontage, um so die Einkreisung des Menschen durch die Informatik zu verdeutlichen. Samsung berief sich 2011 bei seinem Rechtsstreit mit Apple auf ein audiovisuelles Tablett, auf das Bowman und Poole zu Beginn beim Essen starren, um eine BBC-Reportage über ihre Reise zum Jupiter zu verfolgen, als wären sie daheim und nicht eingesperrt in eine Zentrifuge (original gebaut von Vickers-Armstrongs), an der Bodenplatten und Seitenverkleidungen abnehmbar waren, um einen zugänglichen Filmset zu schaffen. Damit konnte die eigentliche Odyssee des Filmens und der noch verwickelteren Postproduktion beginnen. Eine labyrinthische Sammlung von philosophisch reflektierten Aufnahmen und Bildwelten, die sich in das Szenario der inszenierten Technik einnisten, es durchlaufen und zugleich über es hinausweisen sollten, um die Differenz zwischen humaner, künstlicher und außerirdischer Intelligenz und Existenz durch eine immense Datenflut auszuloten. Stanley Kubrick, Geoffrey Unsworth, John Alcott, Ray Lovejoy, Tom Howard, Con Pederson, Douglas Trumbull, Wally Veevers, Daniel Richter, William Sylvester, Keir Dullea, Garry Lockwood u.v.a. waren an der Reihe. 

Space Race und Evolutions-Labyrinth

Die fortschrittsgläubige Moderne der 1960er Jahre verknüpfte die Verwirklichung ihrer expansiven kolonisatorischen Träume der »Ausbeutung« der Lebensräume Wasser, Land, Luft und Weltraum (so Arthur C. Clarke) mit der Forderung einer baldigen bemannten interplanetaren und interstellaren Astronautik. Sie entwarf zugleich ein fast bedenkenloses Bild der universellen internen Technifizierung des vom Heimatplaneten und seinen Ressourcen losgelösten menschlichen Lebens. Im ersten Treatment, das der Visionär und Raumfahrtexperte Arthur C. Clarke und der Regisseur von »Dr. Strangelove« bereits gemeinsam verfassten, trafen kreatürliche Naturphobie (Angst als Natur und vor der Natur) und wagemutige Technikeuphorie (blinder Wille zur Macht), die urzeitliche Anthropologie prähumanoider Affen und die spekulativ-narzißtische Selbst-Erkundung des zum Astronauten aufgestiegenen Menschen aufeinander, unter einer weiteren Prämisse: der Konfrontation bzw. Begegnung mit den Spuren einer über Millionen Jahre ungleich fortgeschritteneren, unfassbar intelligenten außerirdischen Spezies. Sie trat nicht direkt in Erscheinung, aber hinterließ, weithin über Raum und Zeit verteilt, auf dem Mond und der Erde, rätselhafte Artefakte, die wie schrill aufheulende Alarmanlagen auf evolutionäre Schwellenentwicklungen der Menschheit einwirkten oder reagierten. Der menschheitliche Vorstoß ins All erfuhr in der Entdeckung eines Monolithen, auf dem Mond zurückgelassen vor Jahrmillionen von einer ungleich intelligenteren, den Kosmos leichtfüßig durchrasenden Lebensform, eine Demütigung, die der brachialen Unterweisung der dahinvegetierenden Menschenaffen auf der Erde in der Urzeit durch einen ähnlichen steinernen Gast gleichkam. Diese weit fortgeschrittenen Aliens stellten die Ultrakonkurrenz auf der Überholspur des ab 1960 zum ultimativen Evolutionsschritt hochstilisierten Space Race dar, sie ridikülisierten das Pathos der Mondlandung und der Mondkolonisation im Sog einer unendlichen Fluchtlinie, an derem nicht mehr rational fassbarem Ende die äußerste Enwicklungsstufe eines den gesamten Kosmos durchdringenden Energienetzes mit körperlosem Austauschs, Mobilität und Transformation stehen konnte. Diese Super-Aliens auf der Astrosurf-Autobahn spielten im Schatten des Bilderverbots gottgleich mit der Evolution und dem Zustand der höchst unvollkommenen Menschheit auf diesem blauen Planeten, auch bei ihrem mühevollen Weg aus dem terrestrischen Kalten Krieg zur pragmatischen Kooperation Richtung Mond, diabolisch und nihilistisch im Sprung über Jahrmillionen und Billiarden von Lichtjahren. Die überlegene und fremde Intelligenz wird im Film vor allem negativ, in der Unterwanderung und Entgrenzung der Chronologie der Menschheit, in der Verwirrung der gewöhnlichen Logik des Verstandes und der Wahrnehmung für den Zuschauer spürbar. Sie bleibt das musikalische Geheimprotokoll der interplanetaren Moderne, der Stachel im Hochmut des menschlichen Fortschritts. Aber sie wird nur dann virulent, wenn im Herz des Zuschauers jenes aktive kosmonautische Fernweh und suprematistische Künstlertum brütet, das heute Facebook-User dank ihrer jederzeit abrufbaren gobalen Friends-Daten nur noch erahnen.

Die Odyssee im Raum

In »2001« wird die bemannte Reise von der Erde zum Mond und zum fernen Jupiter nicht auf einen Schlag, mit einem Méliès -Jules-Verne-Projektil oder einer Fritz-Lang-oder-George-Pal-Rakete bewältigt (Direct Ascent), auch nicht im Kraftakt der alle Komponenten enthaltenen, auf einem Feuerball in den Himmel stürmenden Saturn V. Sie wird arrangiert in einem mehrstufigen und elegant vom Donauwalzer begleiteten Transportsystem und Rendevouz-Ballett: dem aerodynamischem Raumgleiter Orion III, der bereits schublos auf die konzentrische Raumstation V im Erdorbit zufliegt, die durch Rotation im Außenring die Schwerkraft für ein internationales Hilton-Hotel erzeugt und in der schwerelosen Mittelachse einen Hangar für Pan Am (1991 insolvent) und Aeroflot birgt, aber auch als Startpunkt der orbital-lunaren Großfähre Aries 1B fungiert, die zur imposanten Basis Clavius auf der Mondoberfläche fliegt, von wo aus diskret ein bodennaher Raketenbus zur mysteriösen Ausgrabungsstelle TMA-1 im Krater Tycho startet. Die Erdfixierung der Raumfahrt scheint um die filmische Jahrtausendwende bereits überwunden zu sein. Doch die höchsten Vertreter der US-Raumfahrt erleben auf TMA-1 einen ganz besonderen Schock: Bei Tagesanbruch sendet der ausgegrabene Monolith ein schrilles Signal in Richtung Jupiter, das magnetisch-anomale Artefakt lässt sich nicht kontrollieren. Die Antwort ist keine militärische, sondern eine zivile: der interplanetare Forschungsflug zum Jupiter, der nach außen als Routine getarnt wird. Das Forschungsraumschiff Discovery ist eine zerbrechliche, im All zusammenmontierte Riesen-Konstruktion mit einem sphärischen Frontdeck, angeschraubt an ein überlanges Container-Wirbelskelett, mit ausklinkbaren Tank-Modulen, Parabolantenne und Nuklearantrieb. Ein Supercomputer, HAL 9000, überwacht und steuert alle Schiffssysteme, mit endlosen blauen Displays, er kommuniziert mit zwei ihm beigesellten wortkargen und für heutige Begriffe erstaunlich relaxten Astronauten nicht nur auf Datenbefehl, sondern auch im Medium der menschlichen Sprache. Er gebietet über Tiefschlafkammern für drei eingefrorene Wissenschaftler, eine Zentrifuge und per Fernsteuerung über Ein-Mann-Reparaturgondeln. Auf der monatelangen Reise ins All wird der Mensch sanft und heimtückisch in den bewusstlosen Traum der universalen Versorgung durch eine allseitige Service-Automatik gewiegt. Der Unterschied zwischen bemanntem und unbemanntem Flug wird aus der Sicht der kybernetisch entfesselten Informationskreise des Kern- und Info-Reaktors in der Discovery beinahe überflüssig, auf jeden Fall lästig. HAL 9000 ist der prägnanteste Charakter, sein künstliches Selbstbewusstsein ist die Quelle einer speziellen Hybris, mit der aus der Technologie ein Drama erwächst. Die unterschwelligen Spannungen zwischen Mensch und Maschine reißen Astronaut David Bowman (Keir Dullea) und seinen Kollegen Frank Poole (Garry Lockwood) aus ihrer schläfrigen Routine. HAL beginnt offensichtlich Fehler zu machen und zu lügen. Der ausbrechende Konflikt hat mit der Geheimhaltung der eigentlichen Mission zu tun, die das künstliche Selbstbewusstsein von HAL anstachelt und belastet: Die notdürftige Verfolgung der extraterrestrischen Signalverbindung zwischen Mond und Jupiter. HALs Überlegungen zur Machtübernahme kreisen ausgerechnet um den angeblich vorhersagbaren Ausfall der Verbindung zwischen den Astronauten und der Erdbasis. Ob dieser Ausfall gar von Teilen der NASA gewollt oder ungewollt wäre, bleibt offen. Mit knapper Not überlebt Bowman das mörderische Duell, das HAL der Mannschaft liefert, während er sich bereits allein auf dem Weg zur außerirdischen Intelligenz wähnt. Aber welche Mission, welchen Plan verfolgt HAL wirklich? Die alleinige Begegnung und Erforschung der Außerirdischen, die gemeinsame Kommunikation, die einseitige Kapitulation oder gar den verzweifelten nuklearen Angriff? Bowman wird durch eine zu spät aktivierte Videoaufzeichnung, aufgenommen vor dem Start, in dürren Worten über die wahren Umstände aufgeklärt: die stillschweigende Botschaft von einer rätselhaften Übermacht, die auf dem Mond vor Millionen von Jahren einen resistenten Monolithen mit einem Mechanismus für Signale Richtung Jupiter aufstellte. Das ist noch kein Leitfaden für eine klare Mission. In seiner Raumgondel verlässt er das Mutterschiff am Jupiter und fliegt einen rechteckigen Quader an, der dem Artefakt auf dem Mond ähnlich ist und der sich frei flottierend zwischen den Trabanten des Gasgiganten bewegt. Als der Monolith bei einer Konjunktion der Jupitermonde (die in seiner Linie stehen) verschwindet, stürzt Bowman, ohne weiteren Kontakt zur Erde, in eine Raum-Zeit-Anomalie, ein Star Gate aus Licht- und Energiekanälen, unwirkliche Landschaften, interstellare, solare und planetare Ansichten rasen an ihm vorbei. Von gewaltigen Kräften erfasst befindet sich Bowman in der Klaustrophobie der frühen Ein-Mann-Raumfahrt. Plötzlich wird er in das Nirgendwo eines überhellen, musealen Erinnerungs- und Erprobungsraums entrückt. Bowman ist nicht umgekommen, er ist angekommen, er ist sanft gelandet, er wurde freundlich aufgenommen, aber wo? Die posthumane Gattung Astronaut, per se entmenschter Mensch, erfährt die Entkapselung aus seiner Technik, er wird als zitterndes Wesen aus der Gondel und dem Raumanzug geschält und als Inventar und einsamer Einwohner eines geräumigen Habitat geführt. In diesem Nirgendwo einer Luxus-Retorte wird er mit der paradoxen Multiplikation und Spiegelung seiner Lebensstadien konfrontiert, er erleidet die Auslöschung und Transformation seiner bisherigen Existenz, und erfährt eine Erhebung jenseits der euklidischen Welt und der gewöhnlichen Biologie, im Zeichen des wiedererscheinenden Monolithen. Am unglaublichen Ende wird aus dem alternden und sterbenden Bowman ein kollektives Sternenkind, das zur hell im Mittagslicht stehenden heimatlichen Erde und ihrem Trabanten zurückkehrt. Oder reist sein Astral-Duplikat zu einem Zwillingsplaneten, zu welcher Zeit und an welchem Punkt der Evolution in welchem Universum? Ist die transformative Macht, die hinter dem flottierenden Monolith und seinem nun offenen Spiel des Erscheinens und Verschwindens steht, dieselbe, welche die Menschenaffen, die Mond-Bürokraten und HAL schockierte und antrieb: eine grimmig austeilende oder eine schenkende, erhebende Gewalt? Ein überwältigendes Erlebnis für den visuell und musikalisch betörten Filmzuschauer unter den Klängen von György Ligeti, Aram Khatchaturian, Richard Strauss, Johann Strauss Junior und dem elektronisch verzerrten Kinderlied »Daisy Bell« (»Hänschen klein«), vorgetragen von einem vor sich hinsiechenden Computer, dessen erschüttertes paranoides Selbstbewusstsein gerade von zittriger Menschenhand ausgeknipst wird.

Die Odyssee in der Zeit

Das ursprüngliche Film-Treatment geht bereits über Clarkes Kurzgeschichte »The Sentinel« (1948/1951) hinaus. Die Motive in diesem Umkreis sind höchst bemerkenswert für das Verständnis des späteren Films. Im Treatment ist die Rede von einem gläsernen Kubus, der den prähistorischen Menschenaffen auf der Erde erscheint und sie mit einem Lernprogramm konditioniert, und von einen 1999 auf dem Mond entdeckten, absichtlich vergrabenen dunklen Tetraeder, der Signale ins All aussendet. Beide Artefakte erweisen sich als Botschafter in unterschiedliche Richtungen, deponiert von außerirdischer Intelligenz in einer Ära vor mehreren Millionen Jahren. In »The Sentinel« wird der prähistorisch im Mare Crisium deponierte Tetraeder durch einen Atomschlag zerstört, um die Aussendung der Signale ins All zu unterbinden. Aber auch dies wäre eine Botschaft an die Aliens über den Zustand der Menschheit. Und ein Rückverweis auf »Dr. Strangelove«.

Für den späteren Filmzuschauer ist die Form der Objekte auf dem Mond wie auf der Erde identisch: ein schwarzer »Monolith« mit den Maßen 1:4:9 (und später desgleichen am Jupiter und darüberhinaus). Vor Urzeiten begleitet der Monolith befristet, von Dürre und Hungertod bedrohte letzte Menschenaffen, bei ihrem Wandel zu rabiaten Jägern, Fleischfressern und zu Killern ihrer friedlichen Artgenossen (ein dunkler Stein, erhaben, entrückt, ohne rational zu instruieren, aber massiv für Aufregung sorgend). Er erscheint plötzlich und verschwindet wiederum abrupt. Ist der bedrohliche Monolith ein positiver oder negativer Anstoß zur Evolution; oder nur ein fernverbundenes Kontroll- und Alarmgerät bei »aggressiven Entwicklungsschritten nach vorn«? Sollte der Monolith noch viel mehr sein?

Die wissenschaftliche Kernthese des Treatments enthält wichtige Hinweise: Information und ihre Übertragung seien das höchste Gut, nicht nur im irdischen Mondfahrtzeitalter, sondern auch in der fortgeschrittenen interstellaren und galaktischen Kommunikation, die über ganz andere, paraphysikalische Möglichkeiten des Transportes und der Transformation verfügen wird. Der entscheidende Schritt in der Lesbarkeit der Filmbilder besteht darin, zu unterscheiden, ob der Monolith nur als Objekt, Artefakt und Signal-Gerät aufgefasst wird oder selbst als Teil einer höherstufigen interstellaren Informations- und Energieübertragung und als Evolutionsmechanismus begriffen wird.

Im Treatment reagiert der Vertreter der US-Raumfahrtbehörde, Dr. Heywood Floyd an der Ausgrabungsstelle TMA-1 fast so verletzt wie ein Rugby-Spieler: Die Menschheit hat ihre Wiege längst erfolgreich verlassen und erste Kolonien auf dem Mond errichtet. Ausgerechnet in diesem Moment sieht sie sich dort von der unbekannten Übermacht herausgefordert: Signale der Angst und der Panik, wie damals, 1957 beim Sputnik-Schock. Sie kanalisieren sich im Film in den Verschwörungstheorien und Geheimhaltungsprozeduren gegen die Erdbevölkerung (siehe die Konferenz mit NASA-Vertretern und Militärs auf Clavius) und konkurrierende Raumfahrtnationen (wie das absichtlich gestreute Gerücht von einer Epidemie der US-Amerikaner auf dem Mond gegenüber den wissbegierigen russischen Freunden im Hilton-Erdorbit-Hotel), in der Informations-Abschottung der eigenen Discovery-Mannschaft gegenüber den wahren Zielen des Fluges zum Jupiter, durch den Kälteschlaf der eingeweihten Wissenschaftler und das exklusive Vorwissen, das im fragilen Selbstbewusstsein des Bordcomputers HAL schwelt. Allesamt Schwellen und Grenzziehungen, die dahinschwinden auf dem Weg in die Unendlichkeit, in einer unvorhersehbar eleganten Mischung aus selbstmörderischer Routine, eingeschläferter Vitalität, maschineller Hybris, wissenschaftlicher Präzision und spekulativer Neugierde, die den navigatorischen Geist von »2001« bis heute von der virulenten Action in »Alien« und »Avatar« unterscheidet.

Artikel online seit 16.07.14
 



Piers Bizony, M/M (Paris)
The Making of Stanley Kubrick’s »2oo1: A Space Odyssey«
Taschen
Hardcover, 4 Bände im Metallschuber
19,8 x 44 cm,
1386 Seiten
€ 500,00

 


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