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»Ausnahmezustand« |
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Ein guter
Journalist ist mit seinem Fachgebiet vertraut, recherchiert unmittelbar an der
Quelle seiner Story, zieht so viele diverse Quellen heran wie irgend möglich,
ist Meister seines Stifts und trachtet mit der Gewissheit des sicheren
Scheiterns dem Ideal der Objektivität nach. Was allerdings einen Guten von einem
sehr guten Journalisten unterscheidet, veranschaulicht Navid Kermani in seinem
neuen Buch Ausnahmezustand – Reisen in eine beunruhigte Welt.
Zum einen ist
Kermani als habilitierter Orientalist wie auch vielgerühmter Autor und
Journalist mehr als nur Vertraut mit dieser beunruhigenden Welt, die sich von
Nord-Indien, über Pakistan, Afghanistan, Iran, Syrien bis nach Palästina, ja
sogar Lampedusa zieht. Ausnahmezustand ist eine Sammlung von Kermanis
ungekürzten Reiseberichten, die zwischen 2005 und 2012 entstanden.
Man kann fast
nicht näher am Geschehen recherchieren als Kermani, der als einziger westlicher
Journalist die Zerschlagung der Massenproteste in Teheran miterlebte. Aufgrund
seiner Herkunft, Religion, Sprachkenntnisse und Erfahrungen ist er immer
mittendrinn, ob bei den Opfern in Krankenhäusern, den Soldaten auf Patrouille
oder sogar im Schneidersitz bei den tanzenden Sufis.
Doch auch
Kermani stößt hier und da an die
»Grenzen
des Berichtbaren«,
wie zum Beispiel in Afghanistan, wo sich die Lage zwischen den Mauern Kabuls
verbessert hat, aber viele Teile des Landes unbereisbar geworden sind. Dort, wo
sich die Geister anscheinend zwischen Fressen und Moral scheiden, zwischen
Sicherheit und Freiheit, Taliban und »Besatzern«.
Auf der Suche
nach den Gründen für den Ausnahmezustand in diesen Ländern beobachtet Kermai
sogar die scheinbar Nebensächlichkeiten, spricht mit Beobachtern und Führern
beider Seite, aber vor allem auch mit den Menschen, die in den meisten Medien
kaum Gehör finden. Den einfachen Menschen auf der Straße, den Betroffenen.
Egal, wo er
sich der Autor befindet, immer wieder trifft er auf die gleichen Paradoxien und
Konflikte. Am Ende scheint es, als wäre es die Macht Weniger, zumeist
Außenstehender, - ob die des Westens, oder der angeblich zunehmend von
»Ausländern« kontrollierten Islamisten - die das Schicksal der Mehrheit
kontrolliert. Eine Mehrheit, die »fed up« mit dem ewigen Krieg ist und sich nichts mehr als Frieden wünscht, während sich die entgegenstehenden Mächte im Teufelskreis der Vergeltung, des Auge um Auges gegenseitig verblenden.
Eine Mehrheit,
die wie auch manch ein Söldner oder Soldat von Medien und Schulbüchern falsch
informiert ist, oft unter psychischen Schäden leidet und welche in der
Verzweiflung oft nur noch das Radikale als Ausweg kennt. Und trotz alledem haben
alle diese Menschen so etwas wie Hoffnung gleich.
Umschrieben
wird dies alles mit einer Feder, die für journalistische Verhältnisse ungemein
leicht über das Blatt hinwegschwebt. Kermani ist nun einmal einer der Männer des
Stifts, der ahl al-qalam, der - während die alltäglichen Zeitungsartikel uns
eine mehrfach redigierte Welt vorsetzt - erst dann einen Punkt setzt, wenn auch
alles geschrieben wurde, was geschrieben werden muss.
So unverhohlen
ist er dabei, dass er, wenn er zum Bespiel über die vermeintlichen Missetaten
des indischen Staates in Kaschmire und Gujarat schreibt, wahrscheinlich nur
aufgrund seiner Staatsangehörigkeit einem indischen Gefängnisaufenthalt à la
Arundathi Roy entgeht.
Indessen viele
Journalisten ihre Parteilichkeit hinter dem quixotischen Begriff Objektivität
verstecken, kapituliert Kermani sogar kurzzeitig als unparteilicher Autor.
Nachdem er wie ein Tier durch eine Schleuse in Palästina getrieben wird und von
einem israelischen Soldaten gefragt wird, ob er ein Tierarzt sei, gibt er zu:
»Ich sympathisierte nicht mehr, sondern bin parteiisch geworden.« Zumindest was
den Okzident anbelangt hat Peter Scholl-Latour seinen Nachfahren gefunden.
Ausnahmezustand – Reisen in eine beunruhigte Welt ist ein Buch, das einen
weiter als die unter finanziellen Mittel leidenden Artikel der
Nachrichtenagenturen und großen Zeitungen bringt. Es führt einen an das Herz des Geschehens, etwas näher an das Warum, wenn es so etwas denn überhaupt wirklich gibt. Die Geschehnisse in diesen Ländern werden unser Leben beeinflussen, ob wir wollen oder nicht. Und für jeden, der das Gesicht hinter der Zeitung sehen will, ist dieses Buch eine Pflichtlektüre. |
Navid Kermani
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