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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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Artikel online seit 23.02.12

»Und er gedachte der Wegwarten ...«

Der trotzige Stoiker –
Hermann Lenz zum Hundertsten.

Gregor Keuschnig



 

Es ist wohl so etwas wie ein Sinnbild: Wenn man nach vielen Jahren noch weiß, wann und wo man die Bücher eines bestimmten Autors, einer bestimmten Autorin gelesen hat. Und wie es einem danach ging. Dabei kommt es nicht unbedingt darauf an, wieviel man aus dem Buch tatsächlich »behalten« hat. Sondern nur, wie man sich dieses Buch erlesen hat. Und mit welchen Bildern man herumläuft, wenn man den Titel oder den Autor hört oder liest.

Ich weiß heute noch, wie ich Hermann Lenz' Eugen Rapp-Romane gelesen habe. Ich sehe mich mit dem eher modrig duftende Exemplar von »Neue Zeit« aus der Stadtbibliothek auf dem Bauch lesend. Und staunend. Später dann das fast protokollhafte, für Lenz’ Verhältnisse zornige »Seltsamer Abschied«, in dem sein Alter ego Eugen Rapp durch seiner Schwester übel mitgespielt wird, die ihn nach dem Tod der Eltern aus dem Haus treibt, in der Rapp mit seiner Frau gelebt hatte. Rapp, der mit Hermann Lenz einerseits identisch, andererseits aber auch eine Kunstfigur ist, trauert ob dieser Vertreibung vom heimeligen Stuttgart ins hektische München (seine Frau hat dort ein Haus und sie ziehen dort ein) in der ihm eigenen Mischung aus Melancholie, Gleichmut und Ergebenheit. Irgendwann habe ich mir die Bücher dann gekauft. So etwas wollte ich besitzen.

Ich verhehle nicht, dass ich manchmal mit Rapps passiven Ertragen des Schicksals, das er dann in Worte sanft, aber durchaus ausführlich fasste, haderte. Immer nimmt sich Rapp zurück. Dass er einmal von Thomas Mann gelobt wurde? Nein, das soll niemand wissen. Skeptisch stand er der »neuen Zeit« in den 1930er Jahren gegenüber. Früh wurde ihm klar: Sie bedeuten Krieg. Seine größte Sorge war, wie es seiner Frau geht, die als soge­nannte Halbjüdin Straßenbahnen schrubben musste. Er selber hatte Angst in Russland von eigenen, übereifrigen Kameraden erschossen zu werden – und tatsächlich ereignete sich ein Vorfall, der dies fast bewirkt hätte. Als die Russen kommen, ballert er in die Luft. Nur nicht auffallen, so lautet seine Devise. Auch später als Schriftsteller und zeitweiliger Verbandsfunktionär oder im Konflikt mit seiner Schwester – Rapp blieb zaudernd und zog sich lieber zurück, statt Konflikte auszutragen. Nicht von ungefähr war der Stoiker Marc Aurel Rapps/Lenz’ Held. Aber es liegt auch ein anarchisches Moment in diesem Mann: Indem er sich aus den Weltläuften absentiert, sein »nebendraußen« pflegt (und zuweilen damit sogar posiert), erwirbt er sich sozusagen die Berechtigung »sein« Leben zu leben – sein Leben als Schriftsteller.
Ein Schriftsteller, der sich nicht für einen bestimmten Vereger oder den »Markt« verbiegt, der keine »Netzwerke« pflegt, um irgendwann selber davon zu profitieren (und dabei doch so sehr nach Anerkennung sucht) und die politischen Dinge meist ungleich komplexer wahrnimmt als so manch ein Bekenntnisliterat. Ein Schriftsteller, der, so würde man heute sagen, »sein Ding« durchzieht – und dies mit allen Konsequenzen, auch finanziellen.

Wer wollte damals Lenz’ Zeitreise in das k.u.k.-Wien mit dem »Kutscher und dem Wappenmaler« machen? Wer interessierte sich schon für den scheuen wie sturen Schreiber Eugen Rapp? Hermann Lenz bedingte sich nur eines aus: für die Literatur (und mit seiner Frau) leben zu dürfen. Seine Rapp-Romane sind voller Reflexionen und Selbstzweifel im Detail, aber eindeutig in seinem trotzigen Beharren. Er wusste, dass er dieses freie Leben seiner Frau verdankte, denn die Bücher verkauften sich sehr schlecht. Als dann noch Lenz’ Verlag aufgab, sah er sich vor dem finanziellen und, schlimmer noch, literarischen Ruin: Wer verlegt jetzt noch seine Bücher?

Als Lenz 60 Jahre alt war, wurde er für den »Betrieb« durch den jungen Peter Handke »entdeckt«. Er sorgte dafür, dass Lenz in der Suhrkamp-Gruppe publizieren konnte. Die Ignoranten, die ihn jahrzehntelang mit spitzen Fingern angefasst hatten, belobigten ihn nun. Die Scheinheiligkeit und Verkommenheit des Literaturbetriebs der Nachkriegszeit zeigt sich exemplarisch an seinem Namen. Sein Durchfallen bei der »Gruppe 47″ wurde endlich korrigiert. Die Skepsis auch gegenüber dem Lob behielt Lenz sein ganzes Leben.

Ich halte »Jung und Alt«, diese unprätentiöse, menschenfreundliche Lebensgeschichte des Malers Robert Roß, für Hermann Lenz’ bestes Buch. Roß wohnt in seinem geliebten Stuttgart, »alles ziemlich eng, aber die Weite drang trotzdem herein«. Und vor allem sind es die Erinnerungen, die hineindrängen. Niemand hat das Umland Stuttgarts derart wunderbar beschrieben wie Hermann Lenz. Dessen Naturbeschreibungen sind, da hat Peter Handke recht, Naturbeschwörungen, die noch im kleinsten das Große sehen: »Und er gedachte der Wegwarten, die blaue Sternblüten sehen ließen, wenn’s geregnet hatte. Oder wie die Radspuren im Straßenstaub aussahen, wenn Anfang September die ersten Bratbirnen von den Bäumen fielen, die Münchingen zu die Straße zwischen weiten Feldern säumten, bis die Kirchhofsmauer zu sehen war. Der Asperg schaute her, falls er nicht verdeckt wurde.« Wie Eugen Rapp bei der Reflexion über sein Schreiben so stellt sich bei Robert Roß beim Betrachten seiner Bilder zuweilen eine Ahnung über den Sinn von Leben und Werk ein: »Es war etwas dahinter, und das Glitzern deutete auf etwas hin, doch war’s nur ein Gefühl. Aber vermittelte Kunst etwas anderes als Gefühle?«

In seinem letzten Eugen-Rapp-Roman »Freunde« von 1997 zieht der Erzähler in elegischem Ton eine Art Bilanz, schreitet noch einmal sein Leben vor dem geistigen Auge ab: »Und er erinnerte sich an eine Stelle in einem seiner Bücher. Darin hast du beschrieben, wie du mit deinem Vater in der ‘Restauration Zur Kiste’ sitzt, obwohl du niemals mit ihm dort gewesen bist. Und gesprochen über deine Arbeit hast du nie mit ihm. Das ist alles erfunden, und du hast es nur geschrieben, um mit deinem Vater nachträglich ins Reine zu kommen, als konziliante Geste sozusagen. In Wirklichkeit warst du mit ihm im Trüben… Und Eugen schaute weiterhin aufs graue Wasser, kehrte um und ging über die Brücke, dann unter hohen Platanen und Buchen, bis er zum Erfrischungshäuschen kam, wo er hoch oben über einer einzeln dastehenden Pappel eine Fledermaus taumeln sah.«

»Das eigentliche Studium der Menschheit ist der Mensch« schrieb Ottilie in Goethes »Wahlverwandtschaften« in ihr Tagebuch. Dieser Satz durchdringt die Bücher von Hermann Lenz wie ein spezifisch neues, sanftes Gesetz. Immer hat sich er sich mit den Menschen in ihrer Zeit in liebevoller und gleichzeitig kritisch-distanzierter Form beschäftigt. Aber es blieben wenige. Im letzten Satz von »Freunde« artikuliert Eugen Rapp nur einen Wunsch: er möge vor seiner Frau sterben, »dem einzigen Menschen, der zu dir gehört«.

Um nicht an sich und anderen zu verzweifeln, wurde Hermann Lenz zum Stoiker. Und damit fiel er natürlich gänzlich aus der Zeit; und zwar: immer wieder. Dabei ist es schade, dass man diese Formulierung fast immer pejorativ verwendet; viel zu selten als positives Merkmal. Dabei ist das Aus-der-Zeit-Gefallene an Lenz’ Büchern ihr großer Schatz. Man muss sich schon in die Gedankenwelt begeben wollen, die Evokationen wirken lassen, ja: zulassen. Wer rasche und schnell eingängige Lektüre bevorzugt, sollte es lassen. Aber irgendwann wird der Leser reich beschenkt und mag nicht mehr aufhören zu lesen.

Am 26. Februar 2013 wäre der großartige Schriftsteller Hermann Lenz 100 Jahre alt geworden. Was für ein Anlass! Das Angebot steht. In Ihrer Buchhandlung.
 

Norbert Hummelt
Im stillen Haus
Wo Hermann Lenz in München schrieb
Mit Fotografien von Isolde Ohlbaum
edition monacensia
Allitera
76 S., Paperback
€ 10.00

978-3-86906-024-8

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Neue Zeit
Mit einem Anhang:
Briefe von Hermann Lenz
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