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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 24.06.14

Eine vielschichtige Gesamtschau

Jörn Leonhards Geschichte des Ersten Weltkrieges
»Die Büchse der Pandora«
ist eine lohnende Lektüre
in der Flut der Weltkriegsliteratur.


Von Klaus-Jürgen Bremm


 

Ambivalenz war das prägende Element der internationalen Politik in den Jahren vor dem Ersten Weltkrieg. Trotz wachsender Einkreisungsängste vor allem bei den Mittelmächten, trotz hochgerüsteter Militärarsenale und düsterer Prophezeiungen von einem neuen Dreißigjährigen Krieg mit mehr als zehn Millionen Toten aus der Feder so unterschiedlicher Persönlichkeiten wie Friedrich Engels oder Helmuth v. Moltke (d. Ä.) war der Weg zur Julikrise und zum Kriegsausbruch im August 1914 keine Einbahnstraße.

Es hätte nach Ansicht von Jörn Leonhard auch ganz anders kommen können, denn zurecht weist der Freiburger Historiker in seiner breit angelegten Geschichte des Ersten Weltkrieges darauf hin, dass trotz der steten Verfestigung der bipolaren Bündnissysteme in Europa die Welt zugleich bereits in eine Phase der Protoglobalisierung eingetreten war. Mit Beginn des neuen Jahrhunderts hatten die internationalen Beziehungen sowie der Austausch von Waren, Wissenschaft und Weltanschauungen unübersehbar eine neue Qualität erlangt, die erst wieder nach dem Ende des Kalten Krieges erreicht werden sollte. Der Weg zum großen Zivilisationsbruch war durchaus nicht vorgezeichnet. Doch was genau gab den Ausschlag, dass es gleichwohl dazu kam?

War es vielleicht eine Notbremse der überlebten Eliten im Deutschen Reich, in der Donaumonarchie sowie in Russland, mit der sie im Jahre 1914 auf die Karte des Krieges setzten? Ein bellizistischer Befreiungsschlag gegen Modernisierung, die Erosion der bürgerlichen Welt und die drohende Entmündigung nationaler Regierungen durch internationale Konferenzen und Schiedsgerichte?

Jörn weist zurecht daraufhin, dass es doch unmittelbar in den Jahren zuvor bei weitaus gefährlicheren Krisen (Balkankriege) noch zu einer effektiven Zusammenarbeit der Großmächte gekommen war. Im Sommer 1914 aber drängten nur wenige Stunden nach Bekanntwerden des Attentats von Sarajewo Kaiser Franz-Josef und fast sein gesamtes Kabinett, von den Deutschen sofort bedingungslos unterstützt, auf einen Krieg gegen Serbien und damit auch auf einen Test der russischen Kriegsbereitschaft.

In seinen ersten Tagen erschien der Krieg vielen dann auch wie eine Befreiung. Man sei nun endlich über den Graben, beglückwünschten sich Anfang August 1914 die Offiziere auf den Fluren des Großen Generalstabes und zumindest in den größeren Städten Europas begrüßte das bürgerliche Publikum vielleicht nicht den Krieg an sich, wohl aber die klaren Grenzen, die er zu ziehen versprach. Er wolle nicht Parlaments- und Parteiwirtschaft, welche die Verpestung des gesamten nationalen Lebens mit Politik bewirke, schrieb noch 1918 Thomas Mann in seinen Betrachtungen eines Unpolitischen und wandte sich damit wie Hunderte seiner Kollegen aus der schreibenden Zunft gegen den Westen und seinen Parlamentarismus. Gerade das „Augusterlebnis“ mit seinen heute absurd klingenden Versuchen der nationalen und kulturellen Selbstvergewisserung lassen sich auch als massive Gegenbewegung zu der drohenden Auflösung der eigenen vertrauten Welt auf einem zunehmend entgrenzten Globus begreifen. Handfeste Kriegsziele gab es daher zunächst auf keiner Seite. Erst nach den deutschen Anfangserfolgen entwickelte Reichskanzler Bethmann-Hollweg sein berüchtigtes Septemberprogramm, während etwa Briten wie der Novellist Herbert G. Wells sogar dafür eintraten, dass erst ein radikaler Systemwechsel in Deutschland den Krieg beenden und zukünftige Waffengänge verhindern könnte.

Leonhard widmet dieser Vorgeschichte des Krieges mit ihrem ungeheuren Erwartungsüberschuss breiten Raum, ehe er sich den folgenden Ereignissen zuwendet. Sein Text überzeugt durch eine kluge Gliederung. Entlang einer chronologischen Grundordnung greift er die wichtigsten Themen wie etwa die Kriegsplanungen, das Augusterlebnis, Propaganda oder die Kriegswirtschaft auf und erörtert sie im vergleichenden Kontext, so dass ein Bild für alle Kriegsparteien entsteht. Wenn auch dabei der erzählerische Spannungsbogen eindeutig zu kurz kommt, so gelingt es Leonhard doch, das facettenreich Geschehen in einer gut lesbaren Gesamtschau zu präsentieren, die seinem Anspruch einer Weltgeschichte des Krieges durchaus gerecht wird.

Leonhard Darstellung eignet sich vor allem als Hand- und Nachschlagewerk, da der weniger vorgebildete Leser zu sämtlichen Stichworten recht schnell gute Synopsen vorfindet. Fachleute jedoch werden darin kaum Neues finden, zumal Leonhard sich fast ausschließlich auf gedruckte Quellen stützt. Seine Dachthese von den »Übeln der Pandora«, die angeblich durch Weltkrieg freigesetzt wurden, erscheint dagegen etwas vorgeschoben und auch nicht überzeugend. Jedenfalls macht Leonhard daraus zu wenig, gleichwohl bleibt sein Buch eine lohnende Lektüre in der Flut der Weltkriegsliteratur.
 

Jörn Leonhard
Die Büchse der Pandora
Geschichte des Ersten Weltkrieges
C.H. Beck
1157 Seiten
39,90 €
978 3 406 66191 4

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