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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Artikel online seit 15.06.13

Foto: Jeremy Emerman
Malcolm McDowell – incredible 70

Von Peter V. Brinkemper










 

Malcolm McDowell, Jg. 1943, ist in der Vor-Baby-Boomer-40er Generation eine expressive Bombe, die keine kontrollierte Selbstdarstellung, sondern den unmittelbaren Ausdruck von Vitalität, Energie, Risiko und wilder, regelloser Freiheit verkörpert. In gewisser Weise kommt er dem ein Jahrzehnt älteren Jean Paul Belmondo und seinem Godardschen Start-Up »Außer Atem«, ein Film, der Avantgarde und Popularität aufs glücklichste verband, recht nahe.

Malcolm McDowells hungriger Direkt-Effet und seine Sprunghaftigkeit zwischen dem lauten Maschinengewehrsalven am Ende und dem oft leisen Kammerton am Anfang von »If....« (1968), seinem ersten Film mit seinem behutsamen Mentor und Regisseur Lindsay Anderson, zeigen die ganze Spannbreite seines Könnens an, mit dem er im Sinne eines Musilschen Törleß im Internat literarische Sensibilität beweist, aber auch dem schnöden und korrupten Sadismus seiner Upper-Class-Mitschüler widersteht, um dem unausrottbaren Establishment im Finale gehörig einzuheizen.

Malcolm McDowell brachte und bringt die dramatische Situation und die filmischen Einstellungen und Bilder zur Vibration, mit seinem hellwachen eisblauen Blick und seiner tänzerischen und sexuellen Präsenz. Mit ihm war ein Gesicht und ein Körper für die Kamera geboren, von und an dem sich Regisseure wie von keinem anderen inspirieren ließen: zu ungeahnter Agilität, aber auch einer offenen, keineswegs hinterhältigen, zügellosen Gewalt, zwischen Realität und plastisch-phantastischer Übertreibung, zu haarsträubend perversen Wunscherfüllungen, um das Publikum in einen Katarakt zwischen Sensationslüsternheit und Orgie, kontrolliertem Experiment und unübersichtlicher Überschreitung und Selbstbestrafung zu stürzen. Nicht auszudenken, was passiert wäre, wenn Sergio Leone und McDowell zusammengekommen wären. Und in Deutschland hätte ein junggebliebener Moritz Bleibtreu, der genau im »Clockwork«-Jahr das Licht der Welt erblickte, auch das Zeug zu einem anderen McDowell, wenn ihm mehr herausfordernde Parts angeboten würden.

Die Tragik des Talentes bestand darin, dass Stanley Kubrick McDowell in den Olymp stieß und dann wieder fallen ließ, noch ehe das komprimierte filmisch-schauspielerische Glück und Unglück von »A Clockwork Orange« (1971), der recht nahen Adaption von Anthony Burgess dystopischem Roman, zwischen kreativer improvisatorischer Leistung des Akteurs und der kalkulierten satirischen Manipulation durch den Regisseur im vollem Umfang begreifbar wurde. Dank McDowell wurde der mit schwarzer Melone, einseitiger Kunstwimper, Springerstiefeln, weißer Unterwäsche mit Golfgenitalschutz und Gummi-Messer-Schlag-Stock von Milena Canonero eingekleidete Alex(ander) DeLarge eine der präsentesten Filmfiguren aller Zeiten, mit jener zutiefst ambivalenten Sympathie in der progressiven Widerwärtigkeit eines komisch-dandyhaften Gestus und eines konsumistisch korrupten Charakters zwischen sexbesessenen Hippies und gewaltsüchtigen Neo-Nazis, ein athletischer Provokateur und Nerd, der sich sein Menü von »Ludwig van«, realen Prügeleien, Foltern und Vergewaltigungen im Drogenrausch mit seinen Droogies zu kinoreifen und pseudo-elitären rhythmischen Kunst-Vergnügungs-Sequenzen zu verbinden wusste, bis die Ludovico-Therapie mit Aversions-Serum und Nürnberger-Nazi-Wochenschau zu Beethovens Neunter seinen selbst-inszenierten Gelüsten scheinbar einen politischen Strich durch die Rechnung machte.

Wenn man so will, hat sich Malcolm McDowell von diesem frühen Ruhm als Kubrick-Wunderknabe in der Folge nicht erholt. Lindsay Anderson war für McDowell ein sensibler Freund, Kubrick, auf dem Weg zu seinem eigenen Erfolgsgipfel, ein napoleonischer Exploiteur. McDowell musste diesen Wunderknaben, das geniale Monster, das den gelangweilten Set so richtig aufräumt und wegputzt, später immer wieder geben. »I’m singin' in the rain.« Dieses musikalische Zitat rücksichtslos einzusetzen, das war auch ein Einfall von ihm. Er änderte damit die Logik des gesamten Drehbuchs. Und er gab diese Show stets uneingeschränkt und voll.

In der Folge fehlten Drehbücher und Angebote, die die souveräne Körperlichkeit des Darstellers auch in eine gewaltfreie Richtung hätten lenken können. Manches Script war dann auch wieder zu bieder und zu konservativ. Und selbst Andersons gutgemeinte Satire
»Britannia Hospital« (1982) bietet nur eine Karikatur der Potentials von McDowell nach »Clockwork Orange«. In Tinto Brass’ und Bob Gucciones »Caligula« (1979) brillierte er neben leicht abgetakelten Weltstars als inzestuöser Bruder der völlig entblößten Julia Drusilla und als wahnsinnigster aller tyrannisch-dekadenten Gott-Kaiser Roms, der auf der wasserlosen Bordell-Galeere die Senatorengattinnen als Huren zu Billigpreisen für die leeren Kassen Roms im Takt von Prokofjew antrieb.

Das Ideal des
»Over the top«, der exzessiven Darstellung und des einschüchternden Körpereinsatzes, nicht in der Weise sportiver Action-Stars, sondern im Zentrum des theatralischen Kino-Schauspielens, als Theater der Grausamkeit, gerade auch psychisch, wie bei Viscontis Helmut Berger, hat sich längst zur rationalen Kontrolle und einvernehmlichen Leistungs-Glättung zwischen vielbeschäftigten TV-Mimen und erfolgsgestressten, risikovermeidenden Klein-Regisseuren gemäßigt. Die letzte Klappe ist für Malcolm McDowell, diesen singulären, hochkalibrigen Auteur-Schauspieler zwischen aufregender High Art und hinreißendem Trash, grotesken Kampfrollen und subtileren Besetzungen, wie in »Katzenmenschen«, »The Player« und »Dorian«, noch lange nicht gefallen. Nur, wer führt bei dieser Unbändigkeit Regie und gibt ihr eine cinematographische Form?
 

Caligula (1979)
Mit Peter O'Toole, John Gielgud, Helen Mirren
 


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