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Literatur und Zeitkritik


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»Interstellar« scheitert gekonnt

Christopher Nolan mit wildem Jockey-Science-Fiction-Mix

Von Peter V. Brinkemper

Christopher Nolans Science-Fiction-Abenteuer »Interstellar« (2014) ist ein gescheitertes Nebenwerk, eine Übernahme eines Steven-Spielberg-Projektes, ein wilder Mix aus zahlreichen Vorbildern und eigenen Konzepten und Varianten. Es wird gerade zu einem weiteren Opus Magnum des bisher gelobten Regisseurs hochgepuscht, vielleicht auch nur, weil es 169 Minuten dauert, und zwar von einer entgegenkommenden deutschen Presse, den Anhängern, den harten »Nolaniten« und einer intensiven Werbemaschinerie. Bezeichnend an dem Scheitern sind die internen Defizite, die auch auf dem sentimentalen Family-tainment der Ausgangsversion Spielbergs beruhen, und die externen Missverständnisse, mit denen sich die Gattung Science Fiction ganz allgemein im Dauertiefflug einer Genre-Exploitation von allen Seiten befindet.

Punktualität und leere Epik

Alfonso Cuaróns »Gravity« und James Camerons »Avatar« können derzeit als die beiden Pole für das Zusammenschrumpfen des Ereignishorizontes von Science-Fiction im Kino herhalten – zwischen fast punktuell-dokumentarischer Real-Science-Inszenierung (»Gravity«) und fantasy-mäßig und digital-3-D-medial überfrachtetem Weltraum-Epos (»Avatar«). Zu letzterem gehört auch der Umkreis der inzwischen vom Lucas’ Disney-Deal ernüchterten alten und jungen Star-Wars-Generation, die den Web-2.0-Dark-Force-Aufguss von Regisseur J.J. Abrams geliefert bekommt, der zuvor zweimal auch die TV-lastige Star-Trek-Filmästhetik für das jüngste Kinopublikum durch pure Schnitt-Beschleunigung und Verjüngung der Figuren renovierte. Die Beseitigung des Alters und der Geschichte von Themen, Sparten und Sujets und die allgemeine digitale Fusion der Produktionsverfahren drohen die Kinovielfalt der analogen Bildsprachen auf allen Ebenen abzuschaffen.

In seiner filmischen und dramaturgischen Konzentration ist Cuaróns Film »Gravity« ein erdnahes und recht realistisches Gegenwartsabenteuer, gerade angesichts einer von Sparmaßnahmen bedrohten US-amerikanischen Weltraumfahrt (siehe den zeitgleichen Absturz einer US-Privatträgerrakete mit NASA-Auftrag und des kommerziell-privaten Virgin-Galactic-Shuttles SpaceShip 2).

In Cuaróns »Gravity« wird durch den allgegenwärtigen Schrott von unkontrollierten Raketenteilen und Satelliten der längst angekratzte Traum der professionellen Shuttle-Forschung im Erdorbit in Stücke zerhackt und die überlebende Besatzung ins erdnahe All geschleudert. Die wissenschaftliche Passagierin und Protagonistin Dr. Ryan Stone (Sandra Bullock) tritt durch glückliche Zufälle, immer am Rand des Abgrunds, und auf dem Umweg über Raumschiffe und Stationen mehrerer Nationen (USA, Russland, China) den verzweifelten Fluchtweg zurück zur Erde an. Dabei wird jeder Schritt als tastender Versuch, als Kampf in letzter Minute dargestellt. Umgekehrt blähte James Camerons Milliardenerfolg »Avatar« die Raumfahrt (150 Jahre von heute aus)  zur interstellaren Kryo-Tiefschlaf-Reise und die Tomographie zur exobiologisch angewandten virtuellen Hirn-Kommunikation auf. So entstanden eindrucksvoll verzahnte Medien für ein postromantisches Abenteuerdrama auf einer Parallelwelt zur Erde, leicht alternativ politisiert, zwischen konzernförmiger Ausbeutung und idealistischem Widerstand zur Erhaltung der nachtleuchtenden Naturwunder des fremden Planeten, um die irdischen Sünden der Zerstörung und Vertreibung aus dem ökologischen Paradies in einer Parabel zu spiegeln und im Show-Down heroisch zu rächen. Realfilm und Trickfilm wurden opulent ineinander geblendet, die Epik wurde zur 3D-Emergenz eines sanften Alien-Biotops verdichtet.

Verschiedene gegenwärtig laufende Projekte zwischen Kreativität und Kopie nutzen den Spielraum der Dramen im All und der beabsichtigten Raum-Zeit-Vervielfältigungen der Handlung im Kontext von künstlicher Intelligenz, von Klonierung oder außerirdischen Invasionen auf eher unauffällig pragmatische Weise einer veralltäglichten Science-Fiction und einer ganz gewöhnlich gewordenen Videospiel-Apokalypse: so Duncan Jones’ »Moon« und »Source Code« mit der Klonierung von Personen und Episoden in einem eher realistischen und jetztzeitlichen wissenschaftlichen Ambiente, und als nachfolgende Film-Nachahmungen dieser Konzepte Tom Cruise in Joseph Kosinskis »Oblivion« und in Doug Limans »Edge of Tomorrow«, die beide eher sci-fi-militärisch und cyberwar-futuristisch überhöht sind. Gavin Hoods »Ender’s Game« (nach Cards gleichnamigen Erzähl- und Buchvorlagen von 1977 und 1985) verbindet die ultimative interstellare Kriegsführung und autoritäres Gruppentraining mit der Lüge einer rein simulativen Übung des gleichwohl real eingetretenen Ernstfalls des Endkampfes verschiedener Species. So werden jüngste, fast noch kindliche Rekruten im Übungsmodus und im Situation-Room sträflich missbraucht. Neill Bloomkamps »Elysium« thematisiert die Zweiklassengesellschaft zwischen verelendeter Erde und exklusivem Raumstation-Wellness-Himmel (»Elysium«) mehr schlecht als recht als rabiat-biederes Sozialdrama. Hinzu kommt der für viele heutige Kinofilme gültige Umstand, dass die Entwicklung einer Story und die nur scheinbar unendlichen digitalen Möglichkeiten immer wieder zu kurzatmigen Special Effects, klischierten Bildern und abendfüllenden Video-Kampf-Spielen verengt werden, was sich auch bei manchen der genannten anspruchsvolleren Produktionen durchgängig oder an bestimmten Stellen spürbar ist.

Retro-Raumfahrt: Übertreibung schlägt Verschrottung

Die Raumfahrt und ihre technologischen Rivalen: vor allem die Bewusstseinstrips und die Zeitreisen, sie alle sind derzeit kein rechtes Vehikel einer per se vorwärtstreibenden Vision mehr, sie werden selbst entweder als Auslaufmodell und Abschaffungsobjekt oder als apokalyptisch, endzeitlich und militärisch überfrachtetes Gedankenspiel oder als chaotisches Surfbrett behandelt, als eine absurde symbolische Waffe oder sogar Bombe, deren nicht mehr filmische, sondern digitale Gedankensplitter alles und nichts, totale Niederlage und totaler, leerer Sieg, singuläres Fragment oder verschwörerische Vernetzung  bedeuten können. Dies liegt nicht allein am Stoff, sondern vor allem an der oft brachialen Inszenierungsform und dem mangelnden Sinn für die Behutsamkeit eines explorativen Erzählens, das sich neue Gattungen schaffen würde.

Nun hätte Christopher Nolan, der Schöpfer von »Memento« zum Spiel mit Zeit und Raum, zur Dekonstruktion, Auslöschung und Verschiebung von Identität und Erinnerung, ihrem Zerbrechen oder ihrer paradoxen Wiederherstellung, allerhand zu sagen. Aber Nolans Schwäche ist sein Hang zum beliebigen postmodernen Zitat und zur Glätte der Schauwerte. Selbst in »Memento« ist dies spürbar. Formalismus ist noch lange keine lebendige Form. Seine Domäne ist oder war die realistisch-psychologische Doppelbödigkeit, die gerade seine »Batman«-»Dark-Knight«-Umsetzung auszeichnet. Nolans intellektuelle Gefühlskälte und Mitleidlosigkeit gab den pompösen Ikonen des urbanen Vigilanten Batman zwischen den 1930er und den 1980er Jahren eine philosophische Bühne, die auch ein gefühlsbetontes Publikum ansprach, um mit seinen Projektionen die kühle Inszenierung zu ergänzen. Nun, wo es um Physik, Astronautik und interstellares Reisen in und jenseits von Raum und Zeit geht, also um noch kältere, tiefgefrorene oder ultimativ erhitzte Zusammenhänge von A-Kausalität, Statistik, Quantelung und Relativität, da kommt Nolan ins Rutschen. Der Intellektuelle wird zum blutigen Anfänger, der dazu an der Oberfläche des Plots von Spielberg eine sentimentale Ausgangsituation einer tiefen Bindung zwischen Vater und Tochter übernimmt. Diese Vater-Tochter-Beziehung wird nun einem fast dreistündigen quanten- und relativitäts-theoretischen Stresstest ausgesetzt. Ausgerechnet bei »Interstellar«, des von Spielberg wegen anderer Produktionen weitergegebenen Projektes, bedient sich Nolan scheinbar frei der guten alten Relativitätstheorie von Einstein in Verbindung mit den neueren Spekulationen des Physikers Kip Thorne (der schon vor Nolan im Boot war) zur Integration von Gravitations- und Kernteilchen-Theorie, um völlig bedenkenlos über Raum-Zeit-Diskontinuitäten und Wurmlöcher in Abkürzungstunnels und evolutionäre Paradoxa einzutauchen, und dabei doch recht mechanisch von Galaxie zu Galaxie, von Sonnensystem zu Sonnensystem und in Raum und Zeit zu springen. Der äußeren Reise entspricht ein Trip in die Untiefen der eigenen menschlichen, der planetaren und der kosmischen Identität. Dabei macht Nolan aber den (vielleicht noch Spielbergianischen) Fehler, dass die ökologische Krise, das Familien-Drama und die Abenteuer von Wissenschaft und Raumfahrt allzu direkt parallelisiert und kaum dialektisch ineinander gespiegelt werden. Die Supersymmetrie der Teilchen scheint auch für die nächsten Verwandten zu gelten. So klebt die Beziehung zwischen Vater und Tochter, dem Action-Mann und der sich abzeichnenden, aber noch unterschätzten Intellektuellen und Forscherin, über Millionen von Lichtjahren hinweg. Zwar meldet sich die zunächst tief enttäuschte und verlassene Murph in der entscheidenden Phase ihrer geistigen Entwicklung nicht mehr in den von Cooper ersehnten Familien-Videobotschaften.

Auch das eigentliche Erzählvorhaben ist so dick und unmissverständlich aufgetragen wie ein Big Mac in einem völlig unfilmischen Anfängerseminar. Die Prämisse der Geschichte zu Anfang, dass die Biosphäre der Erde und die Menschheit am Ende seien, wird eher verbal behauptet, ein paar lokale Disaster, Stürme, Wolken und verbrannte Felder im 1930er Look sowie ein paar in ihrer GPS-Lenkung irregewordene Mähdrescher reichen zur Unterstreichung der Thesen nicht aus. Und wenn gleich hinter der Holztafelwand des Konferenzsaals der unterirdischen Rest-NASA-Basis riesige Raketentriebwerke zur feurigen Zündung bereitstehen, ist der Gipfel der Absurdität des Set-Designs und munter komprimierten Bildcollagen erreicht. Der wiederholt von Nolan und der Presse vorgebrachte Vergleich mit Kubricks »2001« (Nolan sah ihn mit 7 Jahren, also 1977) bleibt ebenso vordergründig wie der Verweis auf Tarkowskis Stanisław-Lem-Verfilmung »Solaris« oder seine romantischen Raum-Zeit-Exil-Heimat-Spekulationen in »Der Spiegel«. Ein immer wieder dokumentarfilmisch inszenierter lokaler Ernteausfall ist noch keine planetare Dürreperiode, ein altes, austauschbares Farmhaus in der monokulturellen Mais-Anbau-Gegend von Oklahoma, das am Ende wie neu im Torus einer Raumstation mit Grün-Anbau wiederkehrt (im Gefolge von Wernher von Brauns frühen Bonestell-Illustrationen und späteren Varianten), ist noch lange keine verstörend-berückende Erinnerungs-Vision wie in der italienischen Klosterkirchenruine in Tarkowskis »Nostalghia«. Die anfänglichen paranormalen Aktivitäten auf der guten alten Erde im Farmhaus-Bücherregal mit den Revell-US-Raumfahrtmodellen -  Bände und Artefakte schieben sich wie von selbst heraus, lassen Staub rieseln und fallen herunter -  haben nicht den stringenten futurischen Bezug - wie sie Kubricks evolutionäre und dabei so plötzliche Erscheinung des makellosen Monoliths in der Urzeit zur Folge hatte, als sie die wild-zärtlichen Touch-Screen-Gesten der einsamen und hungernden Affen-Hominiden auslöste – auch wenn Nolan dann später von der Hyperraum-Rückseite her das Szenario des scheinbar gewöhnlichen Erzählanfangs auf der Erde durchlöchert und Matthew McConaughey an der unendlich gedehnten und gespiegelten Bücherwand als Astronaut, treulos-treuer Vater Cooper und als Poltergeist den Rüttel- und Morsecode-Rhythmus der Daten aus der nahen Zukunft des Wurmlochs zur wissenschaftlichen Aus- und Weiterbildung für die daheim auf der Erde und im Stich gelassene pubertäre Tochter Murph vorgibt, damit diese über Professor Brands Theorie hinaus eine Formel zur Rettung des eigenen Vaters aus dem endlosen Hyperraum-Gitter entwickele.

Nolans heterogener Filmmix mit gewissen Qualitäten und Bezügen

Nolan will viel und erreicht wenig: viel Human Interest, Ich-Personalisierung und auch Intensiv-Kitsch, ganz auf der Linie von Spielberg, eine endlos schmerzende, aber in sich nicht so recht motivierte Familiengeschichte, einige Stilanleihen bei Kubrick, etwas poetischen Mystizismus von Tarkowski, musikartig-barocke Zeitraffung und Zeitdehnung, und theoretisch-abstrakte Anfänger-Diskussionen, endloses Gerede der Mannschaft vor und auf dem Flug (wie in De Palmas »Mission to Mars«), dauernde Dialoge, nicht immer mit den gewohnten paradoxen Wendungen. All das nimmt realistischen Szenen (wie die überaus gekonnte Drohen-Verfolgungs-Sequenz), vor allem aber den erhabenen Bildern vom All und von angeblich fernen oder die Zeit krümmenden, stauchenden und auseinanderziehenden Welten auch Luft weg. Familie, Wissenschaft, Erforschung, Diskurs und Erlebnis, vor lauter penetranten Akzenten kommt Nolans Partitur vieles abhanden: das Rätsel, das Unbekannte, der Sprung ins Offene, mehr noch die widerspruchsvolle Eleganz seiner früheren Filme. Vielleicht will er das ja. Vielleicht hat ihn die Sentimentalität des Ausgangsdrehbuchs infiziert. Dazu komponiert Hans Zimmer neue Töne und Tonlagen, reduziert, minimalistisch-pessimistisch-pseudoreligiös wie Philip Glass in Godfrey Reggios »Koayaanisqatsi«, und mit einem Hauch eines Melodie-Motivs aus Debussys  »La Mer«.

Die tragenden Hauptpersonen stehen für eindeutige letzte Prinzipien und müssen diese auf Teufel komm raus verkörpern: Matthew McConaughey, vital als unzufriedener Farmer Cooper, unglaubwürdig als gespaltener Familienvater (mit Sohn, Tochter und Großvater), aber beeindruckend als geborener, waghalsiger Astronaut und unzeitgemäßer Spacejockey (in Anspielung auf Philip Kaufmans »The right stuff« nach Tom Wolfs brodelndem New-Journalism-Buch über die risikofreudige und schwarzhumorige Generation der ersten Mercury-Astronauten zwischen Affen-Tierversuchen, Überschalltests, ballistischem Raketen- und Orbitalflügen). Aber woher nimmt Cooper diesen Elan, der für die Nachkriegs-Flieger noch greifbar war? Cooper lockt die Unendlichkeit, immer noch und trotz allem, um in jeweils kürzester akademischer Unterweisung durch entsprechende Expertisen anderer mit den Zeitebenen der verlangsamten Zeit (Reise im All) und beschleunigten Zeit (je nach Eigenzeit der Planeten und der Position am und im Schwarzen Loch und zur Singularität) virtuos zu spielen und für sich und seine Mannschaft ein Optimum an chronologischem Gewinn und Verlust herauszuschlagen. Hinzu setzt Nolan den unvermeidlichen, immer wieder köstlich verführerischen und unzuverlässig epischen Onkel: Michael Caine als NASA-Professor Brand mit Tochter Dr. Amelia Brand, gespielt von Anne Hathaway, beide als geheime Repräsentanten einer fast untergegangen Institution und als trotziges Wissenschaftskomplott, das die in der ökologischen Endphase der Erde längst abgeschriebene Raumfahrt erneut zum überlebensnotwenigen Projekt erhebt (zwischen Rettung der vorhandenen Menschheit, Plan A, und dem Neubeginn weniger irdischer Auserwählter mit genetischem Zuchtmaterial, Plan B). Und da ist Coopers verzweifelte Tochter, Murph, zwischen Todes- und Trennungserfahrung, Pubertät, dämmernder Bewusstheit, Aberglauben, übersinnlichem Scharfsinn und neuster, forcierter Wissenschaftlichkeit (dargestellt durch drei hervorragende Darstellerinnen: jung: Mackenzie Foy; erwachsen: Jessica Chastain; titanisch-alt: Ellen Burstyn). Sie ist Aufbruch, Umbruch und Ankunft in einer Person, ein weiblicher, auf der Erde verwurzelter und doch weltbewegender Einstein. Eine Gegenfigur zu Harey/Hari, der Duplikation der selbstmörderischen Ehefrau von Kelvin, dem Wissenschaftler und Helden von Lems und Tarkowskis »Solaris«; und doch auch eine Parallelfigur zur Erinnerung an die suizidale Mal in »Inception«, die verstorbene Frau des Traumagenten Cobb, die nicht mehr aufwachen wollte und vergaß, wann der Traum zuende geht und Realität beginnt. Was im Gedränge der Ideen, Zeichen, Bilder und Impulse beim Raktenritt von »Interstellar« vom untergehenden Planeten und auf der Suche nach einer lebensfähigen Parallelwelt fehlt, könnte mit dem Terminus »Inception« nicht besser beschrieben werden: die subtile inszenatorische Einfädelung von Gedanken, die dem Zuschauer nicht als Plot, als Position, als Lehrmeinung oder als Bildeindruck aufgedrängt werden, sondern subtil in einen durchdachten Weltentwurf eingepflanzt sind zwischen Objektstatus und latenter Bewusstseinsfähigkeit, ein spiritueller Garten überall lauernder Perspektiven, in dem man glaubt, man könne das Rätsel der Bilder und Szenen entschlüsseln und werde dabei von einem Mysterium angesogen wie in »2001«. So aber bleibt es oft leider beim astronautischen Hau-Drauf-Seminar für eine junge Generation, die den am nicht durch künstliches Licht verschmutzten Himmelszelt flimmernden Sternbildern und der majestätischen Ruhe eines durch das lautlose All ziehenden Schiffs ohne Radau nichts mehr abgewöhnen kann, sondern dauernd auf irgendeinen belanglosen Anruf und auf eine neue Apps wartet. Und die Fusion von Gravitation und Kernteilchen zu einer neuen Feldtheorie erscheint wie die religiös überhöhte Klebmasse des Vater-Tochter-Inzests, auch wenn am Ende die zur Großmutter gealterte Übertochter ihrem geretteten und jung gebliebenen Vater die Weisung gibt, ohne Reue erneut ins All aufzubrechen, natürlich auf der Route zum diesmal richtigen Planeten. Bis zum Ende wird der Aufbruch zu den Sternen den »Mehltau« des Retro der Ideen und Einfälle nicht los. Mitunter erstarren die avanciertesten theoretischen oder narrativen Annahmen zu sakral-erbaulichen Supersymmetrien aus alten Sachbüchern, ohne dass die filmische Rechnung in einem lebendigen Bioscop aufginge.

Artikel online seit 11.11.14

 


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