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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Gralshüter versus bösen Bezos

Ein Versuch, zwischen der moralischen Keule und kapitalistischen
Gesetzmäßigkeiten, in der Auseinandersetzung zwischen amazon,
Verlagen und dem Buchhandel eine realistische Position zu finden.

Von Lothar Struck

I. Persönliches

Im Jahr  2012 erschien von mir eine mehr als 300seitige Studie über Peter Handke und Jugoslawien im Verlag Ille & Riemer ('Der mit seinem Jugoslawien' – Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik). Der Verlag bietet das Buch von Beginn an bei Amazon nur indirekt über den sogenannten "Marketplace" an, d. h. der potentielle Amazon-Käufer muss nicht nur den Preis des Buches bezahlen, sondern auch noch 3 Euro Versandkosten. Auf der Plattform Lehmanns und beim Verlag direkt ist das Buch versandkostenfrei zu erhalten. Auch Buchhändler können es über das Verzeichnis lieferbarer Bücher (VLB) zu üblichen Konditionen und versandkostenfrei beziehen.

Bekannte brachte ich nach einigem Überreden dazu, das Buch zu kaufen. Pflichtschuldigst besuchten sie den Buchhändler ihres Vertrauens bei dem sie ansonsten ihre Bücher von Suhrkamp, Hanser, Bertelsmann oder sonstwem beziehen. Aber Ille und Riemer kennen sie nicht und die Bücher liegen auch nicht bei ihnen aus. Also musste das Buch bestellt werden, was einige dann allerdings vor Probleme stellte. Es begann kurz nach Erscheinen, als mein Buch nicht auf dem Büchertisch des Handke-Symposiums in Mürzzuschlag lag. "Nicht lieferbar" habe man vom Händler gehört, so wurde mir gesagt. Diese falsche Aussage - das Buch war immer lieferbar - hörte ich im April 2013 nochmals. Und schließlich sagte mir ein Leser, sein Buchhändler (diesmal in Bayern) habe ihm nur missmutig das Buch ausgehändigt: Man verdiene nichts daran, weil man 3 Euro Versandkosten habe bezahlen müssen. Der Händler kaufte es über Amazon ein und kam nicht auf die Idee, es über VLB zu beziehen.

Im September 2013 richtete die wunderbare Buchhandlung Müller & Böhm in Düsseldorf eine Veranstaltung mit Peter Handke aus. Nachdem ich schon einige Monate vorher Herrn Müller angeschrieben und auf mein Buch hingewiesen hatte, übergab ich ihm überfallartig mein Buch (schnorrte mir damit den freien Eintritt) und bat ihn um Prüfung, ob er es nicht auf seinen Büchertisch mit auslegen könne. Er tat es nicht. Auch die Versuche meiner Verlegerin Barbara Miklaw bei Müller & Böhm mein im Mirabilis-Verlag erschienenes Buch über Peter Handke und den Film (Der Geruch der Filme) in das Sortiment aufzunehmen, scheiterten.

Es gibt zwar löbliche Ausnahmen, aber man kann durchaus sagen: Von kleinen Verlagen nehmen solche ansonsten grandiosen Buchhändler nur sehr ungern Bücher (= Ware) auf Lager. Jetzt ist es ja eine Sache, ein solches Buch in das Sortiment aufzunehmen. Eine andere Sache ist es, es vielleicht empfehlen zu können. Hier zeigt sich ein Teufelskreis: Empfohlen wird es nur, wenn es im Sortiment ist. Kein Buchhändler empfiehlt von sich aus ein Buch, dass er nicht sofort verkaufen kann. Zu flüchtig ist der Kunde.

Warum ist das so? Weil es für solche Bücher kein großes Publikum gibt. Und erst recht keine Laufkundschaft. Zwar gab es Rezensionen vom Jugoslawien-Buch in mehreren Publikationen und auch über das Filmbuch war eine kleine Erwähnung in der "Literarischen Welt" zu lesen. Aber diese Bücher bewegen sich trotzdem jenseits einer messbaren Aufmerksamkeitsökonomie. Sie sind vollkommen abseitig und verkaufen sich daher ziemlich schlecht. Es gibt mehrere Punkte, die kommerziell gegen solche Bücher sprechen: Zum einen ist ihr Autor (in diesem Fall: ich) unbekannt und ich habe nur innerhalb des sehr engen Kreises der Handke-Forschung inzwischen eine Bekanntheit. Zum anderen ist das Thema sehr speziell. Was dazu führt, dass beide Bücher zwar in –zig US-amerikanischen Universitätsbibliotheken stehen (übrigens deutlich mehr als in deutsch[sprachig]en), aber in kaum einer deutschen Buchhandlung. Und wenn man dann in einer solchen Buchhandlung danach fragt, erhält man – siehe oben – allzu oft eine falsche Auskunft.  

II. Von Weglassern und Büchern des Monats

Wenn ich nun in diesen Tage im fast schon obsessiven Amazon-Bashing lese, der Internetriese manipuliere Empfehlungslisten oder steuere das Marketing ausgesuchter Bücher, so muss ich wirklich lachen. Als wären Bestsellerlisten und Büchertische nicht manipuliert. Das Wort "Weglasser" beispielsweise ist keine Erfindung von Amazon. Verlage kennzeichnen damit Bücher aus ihrem Programm, die nicht intensiv vermarktet werden und sozusagen nur das Programm auffüllen. Sie können bei der Bestellung des Sortiments, so der Tenor, "weggelassen" werden. 

Man mache sich nichts vor: Empfehlungen der Buchhändler sind immer nur aus einer begrenzten Auswahl. Sie sind subjektiv. Das müssen sie sogar sein, ja, es ist eine Aufgabe des Buchhändlers, solche Empfehlungen auszusprechen, denn hierin liegt seine Kernkompetenz. Und jede Empfehlung ist abhängig vom Wissen des Buchhändlers. Wer zum 70. Geburtstag Handkes 2012 in Buchhandlungen nach Lektüre zu "Handke" und "Jugoslawien" fragte, wurde mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht auf mein Buch hingewiesen. Weil es schlichtweg unbekannt war. Wer es bei Amazon suchte, fand es. Ich weiß nicht, wie viele Menschen tatsächlich meine Bücher über Amazon gekauft haben. Was aber für mich als Autor zählt: Es gibt immerhin eine Möglichkeit aus dem Dunstkreis des Empfehlungskartells berücksichtigt zu werden.

Wer direkt bei Amazon aktiv ist, muss auch als kleiner Verlag (vor allem als kleiner Verlag) bei jeder Bestellung 55% Rabatt an Amazon bezahlen. Und um es ganz klar zu sagen: Ich halte diese Rabattforderung für unverschämt. Aber die Forderungen der Buchketten wie Thalia. Hugendubel, usw. gingen (gehen?) in ähnliche Dimensionen. Und 2008 zeichnete die Branche in Deutschland in Bezug auf die großen Buchketten ein düsteres Bild. Man sprach von "Rabattkrieg" und witterte ein Konditionenkartell. Neben Rabatten mussten die Verlage noch zusätzlich bezahlen um ihre Bücher günstig platziert in den Läden vorzufinden. Den Titel "Buch des Monats" von Thalia kostete 50.000 Euro, war (ist?) also käuflich. Und diese Leute wollen also plötzlich eine moralische Karte ausspielen, wenn es gegen Amazon geht?

Seit drei, vier einigen Jahren sind die bösen Buben Thalia, DBH und wer auch immer plötzlich die Guten. Weil es gegen das "Monopol" von Amazon geht, wie es im Dummschwätz vereinfachend heißt. Zwar werden 75% der im Internet verkauften Bücher über Amazon verkauft, aber der Anteil am Gesamtbüchermarkt (D, A, CH) ist umstritten. Inzwischen ist Amazon mit 1,6 Milliarden Euro Branchenprimus, was den Verkauf von Büchern angeht, aber eine Monopolstellung in Bezug auf den Gesamtmarkt sähe anders aus. Thalia setzte 2012 984 Millionen um, DBH (Hugendubel, Weltbild) 695 Millionen. Tatsache ist: Alle verlieren Umsatz zu Gunsten von Amazon. Daher die Panik. Von einem Monopol am Gesamtbuchverkauf kann im deutschsprachigen Raum aber keine Rede sein, selbst wenn man BWL-Professoren zu einer gegenteiligen Meinung hat überzeugen können. Eher könnte man ja die Frage stellen, ob das bisherige System nicht selber monopolistisch bzw. kartellrechtlich bedenklich angelegt war.

Bei allen Unzulänglichkeiten eines (intransparenten) Amazon-Algorithmus können dort im Gegensatz zum originären Buchhandel auch abseitige, exotische, verrückte Bücher gefunden werden, die nicht in einem großen Verlag angeboten werden. Das ist kein Vorwurf gegen die ehrlichen Buchhändler, denn natürlich kann niemand die Zigtausende von Neuerscheinungen eines Jahres kennen. Das ist unmöglich. Aber man möge mir bitte nicht erzählen, das alleinseligmachende Bücherkaufen sei in den "verketteteten", im Mainstream wie ein Schwarm Heringe schwimmenden Buchhändler am besten aufgehoben. Und auch mit den Kenntnissen des Personals ist es nicht immer zum Besten bestellt. Man ist zwar ausreichend gebrieft was die jeweils aktuelle, marketingaufbereitete Belletristik und Unterhaltungsschreibereien angeht ("Buch des Monats"!), aber von Literatur haben leider zum größten Teil immer mehr erschreckend wenig Ahnung. Jeder kann sich davon ein Bild machen, etwa wenn er sich die Profile und "Rezensionen" der Thalia-Buchhändler und –innen auf deren Webseiten anschaut. Danach wird man so manche Amazon-"Rezension" mit Milde betrachten.

III. Dem Kunden ein schlechtes Gewissen einreden hilft auf Dauer nicht

Was ich nicht hören kann ist dieses gönnerhaft-flauschige "Wir-sind-doch-alle-Freunde-des-guten-Buches". Das ist – siehe oben – oft genug nur ein Teil der Wahrheit. Wie hilflos man den Herausforderungen gegenübersteht, zeigt sich im aktuell aufgezogenen Kasperletheater der Branche. Sie stellen einem vor die Wahl: "gut" oder "böse". Amazon als die  Buchmarkt-Wandalen. Stefan Weidner wirft den Protagonisten des bestehenden Buchmarkts Arroganz vor. Vielleicht ist das ein bisschen übertrieben. Sicher ist jedoch: Die deutsch(sprachig)en Verlage haben versäumt, eine eigene Online-Verkaufsplattform einzurichten, die mindestens den Service von Amazon bietet. Wie es gehen könnte, zeigt Jan Brandt in einem provokativen Artikel. Wir brauchen einfach – einfach?- ein besseres Amazon. Das schafft man nicht mit multinationalen Verlags- oder Buchhandelskonzernen, die um ihre Pfründe fürchten und den Leser, die Leserin schlichtweg ein schlechtes Gewissen einreden wollen, wenn diese ihre Bestellung(en) bei Amazon platzieren und für den eigenen E-Book-Reader als Ablassinstrument gegen das Böse werben.

Meines Wissens wird übrigens bis heute kein Verlag gezwungen, seine Bücher über Amazon zu vertreiben (es gibt, siehe oben, auch noch den "Marketplace"). Stattdessen handelt jeder Verlag immer noch separat seine eigenen Konditionen mit dem Paria aus. Hauptsache, man bleibt im Geschäft. Danach folgt dann das Gejammer.

Die wenigen noch gutbevorschussten Bestsellerautoren in Deutschland, die sich nun als Wortführer mit überhasteten und an der Sache vorbei schrammenden Unterschriftenaktionen gegen das "schreckliche Kind" (Peter Sloterdijk paraphrasierend) Jeff Bezos und seine Krake wettern, fürchten – ja, was denn? Sie fürchten, dass sie den Kuchen zukünftig mit noch mehr Teilnehmern zu teilen haben? Sie fürchten, dass ihre Vorschüsse geringer werden oder ganz ausfallen? Sie fürchten, dass Verlage zweitrangig werden? Haben sie kein Vertrauen zu ihren Büchern? Warum diese Furcht vor Self-Publishern, die doch angeblich alle nur Müll produzieren? Warum Furcht vor einem E-Book, wenn das "normale" Buch doch so toll ist? Unterschriftslisten befriedigen kurzfristig das aktionistische Temperament und rütteln vielleicht den ein oder anderen Buchkäufer auf, doch wieder mal die Buchhandlung um die Ecke zu besuchen. Aber wer glaubt, man könne einfach nur so weitermachen oder gar nach dem Staat als Regulierungs- und/oder Subventionsmacht rufen, der geht bestimmt auch noch im Tante-Emma-Laden einkaufen und hat zu Hause einen Commodore 64 als PC.

Amazon galt bisher als reine Distributionsmaschine. Jetzt mischt sich diese Maschine in das Verlagswesen ein und versucht, ihre Machtposition auch als Verleger von disparaten und qualitativ heterogenen Self-Publishern auszuspielen. Dass das Buch eine Ware ist, hat nicht Amazon erfunden. Dass Amazon Steuervorteile in EU-Ländern in Anspruch nimmt, ist nicht ehrenrührig. Die Politik könnte mit einem Handstreich diese Situation verändern.

Ob einem das gefällt oder nicht: Amazon handelt gemäß den Gesetzen des Kapitalismus. Unternehmen streben nach Wachstum. Manche möchte sogar monopolistische Strukturen implementieren und locken zunächst Marktteilnehmer an, um danach vollendete Tatsachen zu schaffen. Es gibt auch zahlreiche Beispiele für Firmen, die sich mit der Ausweitung ihres Angebots übernommen, aber es gibt auch Mischkonzerne, die Marktmacht aufgebaut und durch geschickte Zukäufe ihr Geschäft ausgeweitet haben. Wie es bei Amazon ausgehen wird, ist durchaus offen. Nur für die Akten: Amazon macht derzeit Verluste.

Es müsste nun für die anderen Marktteilnehmer darum gehen, eigene Geschäftsmodelle zu entwickeln, um diesem Streben des "Störenfrieds" entgegen zu wirken. Es ist ja nicht so, dass die Wettbewerber von Amazon zahnlose Tiger sind. Das soll lediglich in der Kampagne suggeriert werden – hier Goliath, dort David. Statt Innovationen anzustoßen, idyllisieren sie das alte System.

Ich erspare mir jetzt die üblichen Bekenntnisse über das Schöne am Buch, dessen Aura, den wichtigen und guten Verlagen und dem hehren der Kunst. Das scheint längst zum Ritual geworden zu sein, wenn man sich ein bisschen aus der Deckung wagt. Mein Text ist nicht "Pro-Amazon", er ist eher gegen das bräsige Getue einer Branche, die glaubt, man könne die Zeit mit einer gehörigen Portion Aufregung einfach anhalten und die Versäumnisse der Vergangenheit vergessen machen. In diese Kategorie gehört die Erfindung eines Superhirns, der einen Button kreiert hat, den man sich anstecken kann: Ich habe es nicht bei Amazon gekauft", steht dort. Ich will nicht von der Assoziation erzählen, die ich sofort hatte (das wäre ungerecht). Aber es ist nicht einmal armselig. Es ist ohne "selig". Einfach nur arm.

Artikel online seit 22.08.14
 

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Lothar Struck
»Der mit seinem Yugoslawien«

Peter Handke im Spannungsfeld zwischen Literatur, Medien und Politik

»Als Jugoslawien anfing, mir etwas zu bedeuten, war Tito schon am Verwesen.«
(Peter Handke)
Strucks Analyse stellt die bequemen Urteile über Handkes Äußerungen zu Jugoslawien infrage und öffnet so den Weg zu einer Neubewertung. Dabei wird gezeigt, wie Biographie, Sprachkritik und Politik einen Dreiklang bilden, in den Handke seine Stellungnahmen für ein Jugoslawien bettet, das für ihn zu einem Ideal eines möglichen Europa wurde, eines Europa, »wie es sich gehört hätte oder wie es hätte werden können«.
Verlag Ille & Riemer

 

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Lothar Struck
Der Geruch der Filme

Peter Handke und das Kino

Lothar Struck analysiert das bisher kaum untersuchte cineastischen Werk Peter Handkes, zeigt Parallelen zwischen der Bildsprache der Filme und seinem schriftstellerischen Werk auf und bietet überraschende Deutungen an. Der Band widmet sich auch ausgiebig den Filmen, die Handke als Regisseur und/oder Drehbuchautor geschaffen hat. Ein wissenschaftlicher Essay mit umfangreichen Quellenangaben sowie ausführlicher Bibliografie und Filmografie im Anhang - spannend zu lesen für alle Kinogeher und unverzichtbar für Handke-Interessenten.

Mirabilis Verlag


 


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