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Die Entzauberung des Überbuchs Von Wolfram Schütte »Was wird er damit machen?« hieß einer der zwei voluminösen Romane des Viktorianers Edward Bulwer-Lytton, die Arno Schmidt auf eigenen Wunsch zum Broterwerb & Gefallen des S. Fischer-Verlags in den Siebziger Jahren übersetzte. Ich habe das dicke Buch damals (1971) mit Vergnügen gelesen, wohl auch in der FR rezensiert, aber keine Erinnerung mehr daran. Als die Arno-Schmidt-Stiftung im Suhrkamp-Verlag als letzten Band ihrer Werkausgabe im vergangenen Jahr das aus dem ursprünglichen DIN A3-Typoskript in eine verkleinerte, druckfähige Vorlage umgesetzte opus magnum des »Solipsisten in der Heide« in gleich drei verschiedenen, unterschiedlich teuren Ausgaben (198, 298, 448 €) vorlegte, habe ich mich gefragt:
a) Was werde
ich damit machen? Wird einer, wenigstens einer, den 7kg schweren literarischen Koloss mit seinen 1513 Seiten von A bis Z (oder mindestens von A bis K oder dergl.) lesen, bzw. gelesen haben, bevor er die lobenswerte Übertragung eher zu besprechen als das längste Gedankenspiel des Autors zu rezensieren wagen würde? Denn das 1977 als Typoskript für 295 DM (& zugleich als dessen verkleinerte Raubdruckkopie für 90 DM) erschienene Drei- (& manchmal Mehr-) Spalten-Opus namens »Zettels Traum«, ist ja heute keine literarische Novität, sondern »nur« eine von Grund auf veränderte Wiedervorlage eines nun apostrophierten Solitärs, dessen bislang einzig wirklich umfassende Beschreibung seiner literarischen & essayistischen Form - vom Autor selbst stammt. Im Nachgefühl seines hohen Glücks, ein auch weltliterarisch (oder zumindest formal mit seinen drei Kolumnen) einzigartiges »Überbuch« in mehrjähriger Arbeitskonzentration geschaffen zu haben, hatte Arno Schmidt für den Rundfunk anderthalbstündig »Vorläufiges zu Zettels Traum« eingesprochen. Es war der detaillierteste Aufriss des erzählerischen Bauplans & der essayistischen Intention (& deren Ausführungen), den man sich denken kann. Der Mythos des Überbuchs Ich vermute, dass alle, die sich danach schreibend über ZT geäußert haben - außer den exegetischen Beiträgern des »Bargfelder Boten« oder »Registratoren« wie Dieter Stündel -, mehr oder weniger von Arno Schmidts Selbstanzeige seines Buchs gelebt (& nicht bloß profitiert) haben. Selbst das nun von der Arno-Schmidt-Stiftung als Appetizer hervorragend gestaltete dreißigseitige Begleitheft nährt sich von des Meisters ersten & letzten Worten zu »Zettel´s Traum«, wenn es sie auch subtil ironisch umspielt. Gewiss wird es damals Total-Leser von ZT gegeben haben (nicht nur in der Arno-Schmidt-Stiftung oder in der Fankurve des »Bargfelder Boten« ) und jetzt auch wieder geben, die Geld, Zeit & Muße dazu haben, die von Schmidt errechneten 5000 »Normalseiten« von A bis Z zu lesen & daran ihren Gefallen zu finden. (Siehe: »Zeit« v. 3.2.11.) Immerhin war & ist es auch jetzt noch ein teures Vergnügen, sich ZT zu kaufen & sich den Wälzer in wochenlanger Lektüre anzueignen. Aber von denen, die nach der Erstausgabe sich darüber geäußert haben, vermute ich, hat kaum einer wirklich ZT gelesen - wie Arno Schmidts Bücher davor oder seine zweieinhalb Typoskripte danach. Ich vermute das nicht nur, weil ich´s selbst so gehalten habe; sondern auch deshalb, weil ich noch nirgendwo eine auch nur angedeutete literaturkritische Beschäftigung mit der psychologischen Stimmigkeit oder der ästhetischen Intensität & Subtilität des zentralen erzählerischen Handlungsstrangs (Paul & Wilma, Daniel & Franziska) gelesen habe - geschweige denn eine kritische Beurteilung aller jener erzählerischen Kapriolen & Metamorphosen, von denen Schmidt behauptet, sie seinem polyphonen Sommernachtstraum eingewoben zu haben. Zweifellos hat es ZT geschafft, zu jenen literarischen Mythen zu gehören, die man nicht wirklich gelesen haben, aber über die man reden können muss, als habe man es getan - wie z.B. der »Ulysses« und die »Recherche«, oder im deutschsprachigen Raum »Der Mann ohne Eigenschaften« und (bereits problematischer) »Der Fluss ohne Ufer«. Geschafft hat es »Zettel´s Traum« durch seine schiere Monstrosität & die zuvor schon erkannte literarische Einzigartigkeit des Autors. Bis auf Reich-Ranicki hatte auch der vorletzte Depp der psychologisch-realistischen Literaturbetrachtung begriffen, dass man es bei dem Autor von z.B. »Nobodaddy´s Kindern«, »Kaff auch mare Crisium« oder »Kühen in Halbtrauer« mit einer Ausnahmeerscheinung der deutschen Literatur zu tun hatte. Und nachdem Schmidt mit »Caliban über Setebos« (1964) sich »erlaubt« hatte, »zweistimmig zu singen, mit 3000 Fiorituren und Pralltrillern, die eine erhebliche Kunst & Mühe erforderten«, wie er Jörg Drews gegenüber damals brieflich gestand, wollte er das ohnehin schon schwierige Meisterstück seiner Orpheus-Paraphrase & -Travestie mit »Zettel´s Traum« noch einmal im Großen übertreffen: als Prosa-Gespinst, das sich von Shakespeares »Sommernachtstraum«-Poesie & Freuds »Traumdeutung« herschreibt.
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Kombination aus Sitzen & Gehen Offenbar war aber Schmidt derart überwältigt von seinen »Erkenntnissen«, dass er einen literarischen Weg suchte, deren Explikation am Beispiel Poe (u.a.) mit ihrer poetischer Applikation im eigenen Erzählen zu verbinden. Er fand sie in der Vermischung seiner zwei erzählerischen Grundmuster. Einerseits in der stationären Situation des mehrstimmigen Zimmer-Gesprächs über Literatur, wie er sie in den Funkfeatures seiner »Nachrichten von Büchern und Menschen« praktizierte; und andererseits in den Wanderbewegungen befreundeter Paare in Bargfelder Umgebung, wie sie mehrfach mit unterschiedlicher Besetzung z.B. in den »Ländlichen Erzählungen« anzutreffen sind. So konnte er das sowohl Dozierende als auch Reflektierende seiner Personen-Konstellationen mit einem rudimentären erzählerischen Plot unter einen Hut bringen; und indem er sich ein umfangreiches Repertoire von zusätzlichen Satzzeichen schuf, gelang ihm für seine Prosa so etwas, wie eine Partitur des Gestisch-Mimischen zu entwickeln. Mit dieser Leseanleitung kann er subtilste Veränderungen im Verhalten & Sprechen der Personen zueinander dynamisch fixieren; aber indem er die phonetische (Ver)Schreibweise weitreichender und flexibler als in »Kaff« oder »Caliban« handhabt, verlangsamt er den Lektürevorgang, weil der Leser sich permanent gezwungen sieht, durch ein inneres Nachsprechen den angetippten oder sichtbar gemachten Polyvalenzen in den Wörtern nachsinnend gerecht zu werden. Das führt am Ende zu einem eher zirkulären Lesevorgang, bei dem man laufend damit beschäftigt ist, die von Schmidts assoziativer Sammelleidenschaft & seiner totalisierten seriellen Sammelwut angezettelte Asservatenkammer zu durchforsten, in der er unzählige »Belegstellen« für seine »Beweisführung« ebenso gehortet hat, wie das Allerlei damit verwandten oder weit hergeholten Sprach- & Gedankenmaterials, das er unablässig über die Seiten streuselt. Man ist nicht ungestraft Autodidakt Die subtile Mikroskopie, mit der Schmidt von den Beziehungen & Erlebnissen der »Viererbande« & ihre Verbandelungen im Laufe der 24 Stunden, die sie gemeinsam in & um Ödingen verbringen, aufs Genaueste erzählt, kann aber kaum evokativ zum Zuge & zur Dominanz kommen. Denn das Narrative von ZT wird permanent sowohl von den Poe-Etym-Exkursen durchsetzt, als auch vom »pornografischen Lachkabinett« unterwandert, das der Autor (im Potenz-Zustand seiner »Vierten Instanz«) aus jeder Poeschen Wortsilbe hervorkitzeln und jedem eigenen Wort injizieren zu können sich unendlich schmeichelt. Man ist nicht ungestraft Autodidakt! So hat Stephan Wackwitz´ kritische Bemerkung in der TAZ (20.11.10) einiges für sich, wenn er sich bei der kursorischen ZT-Lektüre an die Gesprächstechnik des Malers Leo Zink in Thomas Manns »Doktor Faustus« erinnert fühlt und zwar durch Zinks »langweilige Art, im Gespräch auf jedes Wort aufzupassen, ob ihm nicht ein geschlechtlicher Doppelsinn beizulegen sei, in den er einhaken konnte«. Abgesehen davon, dass man sich fragt, was Paul & Wilma Jacobi mit Daniel Pagenstechers etymistischem Lektüre-Modell bei ihrer Übersetzer-Arbeit anfangen sollten (nichts nämlich), gerät Schmidt das von seiner Theorie provozierte Paradox nicht in den Blick, dass Edgar Allan Poe trotz seiner ihm angedichteten unbewussten sexuellen Konnotationen & Fixierungen, die sich im Semantischen niedergeschlagen haben sollen, jedoch poetisch, erzählerisch & intellektuell stimmige & schlüssige Gedichte & Prosa geschrieben hat - wie jeder andere »DichterPriester« auch. Deren ästhetische Gelungenheit, Interpretation oder Verständnis wird durch die subversive Spekulation über E.A.Poes »verdrängte« (?) sexuelle Neigungen an keiner Stelle & in keinem Augenblick beflügelt oder vertieft. So what? Als ZT zum ersten Mal erschien, resümierte der kluge & bedachtsame Dieter E. Zimmer in der »Zeit« das monströse Unikum mit den Worten: »Es könnte schon sein, dass in ZT das literarische Meisterwerk des Jahrhunderts steckt; es könnte sein, dass es sich um eine Art Streichholzeiffelturm in Originalgröße handelt, von einem Hobby-Bastler um den Preis seines Lebens erstellt. Vielleicht auch beides«. Das literarische Meisterwerk des Jahrhunderts ist es wohl doch nicht, um es höflich zu sagen. Aber ein Faszinosum des spökenkiekerischen Lettrismus, die High Fantasy des elaborierten Selbstgesprächs, das ein in sich versunkener literarischer Eremit mit sich in seinem Bargfelder Gehäuse führt: - das wird Arno Schmidts »Zettel´s Traum« bleiben - wie kein zweites Buch der deutschen Literatur. * Eben dieser höchst intime, exklusive, hermetische Charakter, literarisch-spekulativ nur der eigenen spielerischen Passion zu folgen & das daraus hervorgegangene Werk quasi handwerklich entstehen zu lassen & als Unikat vorzulegen, dessen fotoexakte Kopie die denkbar engste Kommunikation, um nicht zu sagen »Mimesis« war, die zwischen dem solipsistischen Autor & seinen passionierten Lesern gestiftet werden konnte: - das war die adäquate Aura des einzigartigen literarischen Schreibunternehmens »Zettels Traum«. Der Verlust der besonderen Unschuld Arno Schmidt entwickelte für sein opus magnum »Produktivkräfte«, die nicht nur den semantischen Mikrokosmos atomisierten (Phonetismus etc. in der Nachfolge von »Finnegans Wake«), sondern auch den literarischen Darstellungsmodus (Seite, Satzspiegel, Text) makrokosmisch erweiterten und illustrativ überschritten. Mit der Wahl von DIN - A3- Seiten verschaffte er sich ein »Produktionsmittel«, das in der Lage war, nicht nur als Kommandovorlage für einen zu Entstehungszeit von ZT noch unmöglichen Drucksatz zu fungieren, sondern auch das Manko von dessen satztechnischen Unmöglichkeit in den Vorzug umwidmete, den potentiellen Leser zugleich zum Lektor, i.e. dem ersten Leser nach dem Autor - zu machen. Damit sprengte »Zettels Traum« sowohl die herkömmlichen Produktions- als auch die üblichen Konsumptionsverhältnisse! Schmidt ist von diesem anderen Zustand, den er mit dem ersten Typoskript von ZT erreicht hatte, nie mehr abgegangen. Wenn jetzt zur Ehre von Friedrich Forssman und Günter Jürgensmeier - die für Typographie und Satz des in jahrelanger Fitzelarbeit druckfertig gemachten »Zettel´s Traum« verantwortlich waren - in der Begleitbroschüre resümiert wird: »So ist Zettel´s Traum nun von allen Besonderheiten befreit, die lediglich auf technische Gegebenheiten zurückgehen«, könnte man aber auch bedauernd bemerken, dass dieser »Befreiungsakt« das einzigartige Werk in eine bloß durch avancierte Technik herbeigeführte »Normalität« übersetzt & dabei jedoch um seine singuläre Besonderheit gebracht hat, die der Ur-Zettels Traum zwischen Autor, Werk und Leser gestiftet hatte. Eine Intimität, die der solipsistischen Welt, in welche der Autor mit seinem Werk ab ZT eingetreten war, aufs Nachhaltigste entsprach.
(Und
besser lesen oder verstehen kann man das Buch auch nicht in seiner jetzigen
Druckfassung. Und billiger als die Urfassungen ist der um ein Apostroph
verbesserte »Zettel´s Traum« auch nicht! - Also: ?????) |
Arno Schmidt
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