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Artikel online seit 14.03.13

Gut, dass der Geist keine Substanz hat

Die Echte falsche Pracht des Erhard Schütz.
Seine großartigen kleinen Schriften zur Literatur
sind beim ehrenwerten Verbrecher Verlag erschienen.

Von Jürgen Nielsen-Sikora

 

Als Alfred Polgar einmal für zwei Wochen verreiste, vergaß er, sein Radio abzustellen. Der Kopfhörer blieb auf dem Tisch liegen und musizierte, dozierte und redete ohne Unterlass in die Tischplatte hinein. Dramen und Börsenkurse, Wetteransagen und Lyrik: Hunderte Stimmen teilten sich dem Tisch mit. Nach seiner Rückkehr fand Polgar den Kopfhörer vor und wunderte sich, dass die Dauerbeschallung des Tisches keine Spuren hinterlassen hatte. Polgar schreibt: „Wenn ich denke, ich hätte während der vierzehn Tage den Wasserhahn offen gelassen! Es ist doch gut, dass der Geist keine Substanz hat.“

Ich muss wohl so vor mich hingeschmunzelt haben, als ich Polgars Anekdote in der Bahn las, denn die ältere Dame mir gegenüber beäugte mein Buch mit dem Titel „Handbuch des Kritikers“ und fragte ein wenig ungläubig: „Ist das lustig, was Sie lesen?“ Ich erwiderte, das müsse Sie selbst entscheiden, erzählte ihr die kurze Geschichte und erwähnte beiläufig, ich sei auf das Buch durch die Lektüre eines anderen gestoßen.

Es waren Erhard Schütz´ Essays zur Literatur, die mich auf Polgars wundervolle Miniaturen aus dem Jahre 1937 stießen. „Echte falsche Pracht“ nennt sich die Sammlung von Schütz´ journalistischen Arbeiten, Kritiken, Rezensionen und Portraits, die 2011 im Verbrecher Verlag erschien und nicht nur wegen des Hinweises auf Polgar der Lektüre lohnt.

Erhard Schütz, emeritierter Professor für Neuere deutsche Literatur, ist ein exzellenter Kenner des Feuilletons und seiner Autoren in Geschichte und Gegenwart. Sein knapp 600 Seiten umfassender Streifzug durch die Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts bietet einen ausgezeichneten, ersten Einblick in sein viel umfassenderes Werk. Hier tauchen wir ein in die Welten von Ransmayr, Jirgl und Kurzeck, lernen die Figuren von Paul Auster, Thomas Pynchon und Philip Roth näher kennen, und wir treffen die Klassiker wieder: Jünger, Koeppen, Benn, sogar Hermann Löns und Walter Benjamin. Bei Schütz tritt Victor Auburtin mit Wiglaf Droste in den Dialog, spricht Max Goldt mit Joseph Roth, und Berlin kommuniziert mit dem Ruhrgebiet. Die Lindenstraße und Luhmann, Lethe und Lethen bilden sich zu ungewohnten Paaren. Döblin und Gernhardt geben sich die Hand. Rühmkorf und Blumenberg, Fontane, Gundolf und Virilio werden zu literarischen Komplizen.
Schütz zeigt sich als wilder Leser, dessen Kritiken kleine Kunstwerke sind.

Nur ganz selten stellt sich im Text ein Satz quer, etwa wenn Schütz schreibt, der Autor „unternimmt zu zeigen, wie das Pathos der gefährlichen, in der Riskanz reizvollen Künstlichkeit virulent wird gegen die vermeintlich durch den Krieg vollends desavouierte, allzu harm- und hilflose, allzu weich und sanft harmonistisch behauptete Natürlichkeit.“
Dann hilft einmal mehr, sich Alfred Polgars Radio zu erinnern, wissend, dass der Geist auch an dieser Stelle keine Beulen hinterlassen wird…
 

Erhard Schütz
Echte falsche Pracht
Kleine Schriften zur Literatur
Verbrecher Verlag
Broschur, 608 Seiten
15,00 €
9783940426932

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