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Literatur und Zeitkritik


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Leichtsinnig wie ein wilder Stier

Amazing Epic Pulp – Quentin Tarantinos
Anti-Slavery-Western »Django Unchained«

 

von Peter V. Brinkemper


 

»Django« ist der trivialkulturelle Marken-Name des zunächst billig produzierten und auf Pulp, Trash, plakatives Außenseitertum, rächende Gewalt, Amoralität und politische Unkorrektheit getrimmten europäischen Italo-Western der 1960er und 70er Jahre, dessen Bildsprache und Erzählweise viele Genres veränderte. Ist Quentin Tarantinos »Django Unchained« (2013), ein »würdiger« Nachfolger des Genres? Und vor allem: im heutigen Sinne ernsthaftes Kino, wenn es in der Obama-Ära um das heikle Thema »Sklaverei in den USA vor dem Bürgerkrieg« geht? Oder ist der Film nur eine daneben gegangene blutige Minstrel-Show? Spike Lee hat Tarantino über Twitter zur Ordnung gerufen: »Die Sklaverei war kein Sergio-Leone-Spaghetti-Western.« Diese These unterschätzt eindeutig Leones Werk. Spike Lee hat Tarantino dazu noch in die Feder diktiert, sich zu den beiden Formen des »Holocaust« auf dem Boden Nordamerikas zu bekennen: der Vernichtung der Indianer und der Versklavung der Afroamerikaner. Tarantino, italienisch-irisch-cherokeesischer Mischling, ist dem auf seinen Pressekonferenzen zum aktuellen Film gefolgt.



Klassischer US-Western und Italo-Western

Der Italo-Western machte aus der Not eine Tugend: Er verabschiedete sich von der Dramaturgie des reaktionär-romantisierenden Gründungsmythos des US-Westerns der 40er und 50er Jahre mit seinem heroischen Westward-Ho! Hier »verteidigten« an der Hollywood-Front Trapper, Siedler und Kavalleristen ihre Landnahme gegen angreifende Indianer. Im expandierenden Hinterland gab es die ewigen Kämpfe von Cowboys, Landspekulanten, Rinderbaronen, Kleinstädter, Sheriffs, Richtern und Bankräubern um die noch nicht staatlich gesicherte Ordnung von Eigentum, Sesshaftigkeit, Mobilität und nationaler Identität. Der Italo-Western verschob die typischen Schauplätze in den Süden, in ein imaginäres und armseliges Grenzgebiet zwischen Mexiko und der sich ausdehnenden USA (gedreht auf der iberischen Halbinsel, zum Teil ergänzt durch Drehs in Amerika). Die dominierende Sozial-Psychologie des selbstbewussten WASP (White Anglo-Saxon Protestant) wurde mit der katholischen Martyrologie der Bevormundeten und Unterdrückten konfrontiert, der um ihre Unabhängigkeit, ihre Revolution und ihr Territorium betrogenen Habenichtse und Nachfolger der alten spanischen Kolonien. 1836 erklärte sich ein zunehmend fremdkapitalisiertes und nordamerikanisiertes Texas von Mexiko unabhängig, der Mythos »Alamo« wurde zur Heldenlegende des Krieges zwischen Texanern und Mexikanern, den Sam Houstons Streitmacht dann doch für die »Gringos« entschied. 1845 erfolgte die Annexion durch die USA – mit dem ausdrücklichen Ziel, die Zahl der bald gegen die Union sich stemmenden Sklavenstaaten zu erhöhen. Nach dem Mexikanisch-Amerikanisch-Krieg 1848 wurden Kalifornien, New Mexico, Arizona, Nevada, Utah und Colorado annektiert. Damit gelangten auch die Schauplätze und Postkartenlandschaften vieler berühmter Western unter das Dach der USA.

Die Politisierung des Westerns

Aber die filmische Darstellung der politischen und ökonomischen Geographie des Western ist, angesichts der stark stagnierenden Drehbücher, Figuren und Ikonen immer noch ein unvollendetes Puzzle: ein fragmentarisches Naturschutzgebiet von teildramatisierten und vorurteilsvollen Mythenfetzen – vor, im und nach dem Bürgerkrieg, zwischen Expansion, Sezession und Konsolidierung, Industrialisierung und Plantagenwirtschaft, Demokratisierung und Sklavenhaltung, Indianer-Vernichtung und multiethnischem Schmelztiegel. Überall ist viel Raum für unendlich viele und andersartige Skripte.

Leones »Dollar«- und »Amerika«-Trilogie, also gerade mal sechs Filme, sind bis heute Vorreiter komplexerer Dramen und vor allem wahrhaft epischer Erzählungen. Seit Leones drittem »Dollar«-Film »Zwei Glorreiche Halunken« (»The Good, the Bad and the Ugly«, 1966) – mit dem rivalisierenden Trio: dem Mexikaner Tuco Ramirez (Eli Wallach), dem namenlosen jungen Blondem, »Blondie« (Clint Eastwood) und dem alten Sentenza, »Angel Eye« (Lee Van Cleef) – erhält die Politisierung des Western-Diskurses das Fundament einer aufwendigeren und aussagekräftigeren Produktion. Vor dem Hintergrund des Bürgerkriegs wird der Western zu einem zynischen Spiel der Ökonomie transformiert: die Kapitalisierung des gesamten Spiels und aller darin involvierten Figuren - vermeintliche Helden, Gangster, Terroristen, Soldaten und Spione mit wechselnden Uniformen, Deserteure, Tote und verstümmelte Veteranen. Die perverse Spekulation um Kopfgeldjäger-Jobs und heuchlerisch inszenierte Exekutionen und die unbarmherzige Jagd nach der Kriegskasse eines Konföderierten-Regiments. Die dargestellten Anti-Helden treten dabei keineswegs nur als freie Desperados oder Vagabunden auf, sondern als jederzeit in ihrer Gier und in ihrem Wissensstand aneinander gekettete Sklaven und Strategen auf der Suche nach dem endlich unabhängig machenden Reichtum. Die Themen der rapiden Kapitalisierung des neuen Landes im Wilden Westen, der unterdrückten (mexikanischen) Revolution und der korrumpierten Politik (in den USA der 1920er, 30er und 60er Jahre) werden dann in der »Amerika«-Trilogie auf jeweils eigenständige, komplexe und doch ineinander verflochtene Weise behandelt, wobei neben die todesbereiten Helden immer stärker (scheinbar) zivile oder nachträglich zivilisierte Charaktere auftreten, wie Morton (Gabriele Ferzetti) und Jill McBain (Claudia Cardinale) in »Spiel mir das Lied vom Tod« (1968), oder Dr. Villega (Romolo Valli) in »Todesmelodie« (1971) sowie Noodles (Robert De Niro) und Senator Bailey (James Woods) in »Es war einmal in Amerika« (1984), – Figuren, die es ertragen müssen zurückzubleiben und die im Zoom aus den Epitaphen der alten Freundschafts- und Rivalitätsmuster sowie der Western-, Revolutions- und Gangster-Mythen herausgefahren werden.

Manche härtere und kritische US-amerikanische Western der 1970er und 80er Jahre wären ohne den Italo-Western nicht denkbar gewesen. Allen voran Michael Ciminos »Heavens Gate« (1980). Clint Eastwood, Leones »Dollar«-Star, gab seinen später durch ihn selbst inszenierten Western eine konservative, bisweilen nostalgisch-reaktionäre Note.

»Django«

Sergio Corbuccis »Django« (1966) mit Franco Nero in der Hauptrolle, ist gegenüber Leones in die A-Klasse aufsteigendem Western-Werk eindeutig B-Kategorie und Exploitation-Kino. Drehbuch, Titelcharakter und Nebenfiguren kondensieren in direkter, duellnaher dramatischer und polemischer Verdichtung, was bei Leone über Jahrzehnte in nuancierter epischer Breite und motivisch verwirrender Vielfalt entwickelt wird: Django als Grenzgänger und Rächer, als Frauenretter und Frauenverachter, als Pistolero, Sarg-Vampir und Maschinengewehr-Operateur, der vor sadistisch-sexistischen Mexikanern und noch böseren, weil rassistischen US-Amerikanern, Horden mit jeweils wechselnden Anführern nicht haltmacht, und der die Hauptschurken seiner verschwiegenen Vendetta immer wieder genüsslich davon laufen lässt, bis der entscheidende Moment zur rituellen Gesamtabrechnung kommt, während im tödlichen Spiel der Kräfte unzählige Leichen von allen Parteien hingemäht werden.

Quentin Tarantinos »Django Unchained« ist eine gezielte anachronistische Mischkalkulation, die aus Corbuccis »Django« und Leones »Dollar«-Trilogie einen epischen Mix zwischen Plakativität und Differenzierung herstellt (und angeblich auch auf Francisis »Hercules Unchained« verweist). Dafür spricht nicht nur der gecoverte Soundtrack der Sixties und Seventies, oft authentisch mit Vinylkratzern, Popballaden-Stücken von Luis Enríquez Bacalov (Original-Musik zu »Django«), Rizz Ortolanis Easy Listening Crime Sound (beide bereits in »Kill Bill« verwendet) und den individuell-charakterisierenden Ariosi Ennio Morricones (Leones Stamm-Komponist). Zu hören sind auch: »Unchained«-Mash-Up vom Godfather of Soul and Funk, James Brown, (»The Payback«) und dem Rap-East-versus-West-Coast-Battle-Märtyrer Tupac (»Untouchable«), neue Originalkompositionen von Rapper Rick Ross mit Jamie Foxx (»100 Black Coffins«), John Legend, und Anthony Hamilton mit Elayna Boynton (»Freedom«).

»Unchained«: Sensible Epik und zornige Blaxploitation

Die mysteriöse Schweigsamkeit um den alten »Django«-Plot wird schon in der eher an Leones »Dollar«-Finale erinnernden Paarbildung aufgebrochen, mit dem schwarzen Django (Jamie Foxx), und dem weißen Dr. King Schultz (Christoph Waltz), einem »Amazing Painless« deutschen Zahnarzt, rheinischer Wagnerianer und Menschenfreund, der unauffällig unter die Kopfgeldjäger gewechselt ist. Djangos Kleidungspalette reicht von der Little-Joe-Kluft bis zum »Blue Boy« von Gainsborough. Im »Antebellum«, der Ära vor dem Bürgerkrieg, in dem die Nordstaaten die Sklaverei schrittweise gesetzlich abgeschafft haben, aber die Missstände und Folgen sich allenthalben zuspitzen, befreit Schultz Django aus den Händen von Sklavenhändlern und bildet ihm zum Kopfgeldjäger aus. Django erzählt, wie er und seine heimliche schwarze Ehefrau (die verbotene Heirat auch als Mittel, sich individuell gegen externe Zuchtwahl und Vergewaltigung zu wehren) von den Sklavenbesitzern gefoltert, gebrandmarkt und getrennt wurden. Djangos Frau ist eine gebildete Persönlichkeit mit dem seltsam deutschstämmigen, wehrhaften und zugleich auf 1970er-Blaxploitation-Action-Krimis verweisenden Namen Broomhilda von Shaft (Kerry Washington). Schultz erblickt in dieser Geschichte ausgerechnet eine Parallele zu Richard Wagners Genese von Siegfried, dem von Wotan gewollten freien und unschuldigen Helden, auf Umwegen gezeugt aus inzestuösem Wälsungenblut, und seiner spirituellen Götter-Tante, Wotans Lieblingstochter und Walküre Brünhilde, der Geburtshelferin und in der Folge tragischen Geliebten Siegfrieds – eine etwas schräge Analogie von Identität und Differenz, Offenbarung und Camouflage, die der Ontologie des »Ring der Nibelungen« zwischen Göttern, Riesen, Zwergen, Helden und Menschen nicht ganz gerecht wird, oder doch, angesichts des allgemeinen Zwangs zu Verträgen von Walhall bis Nibelheim? Schultz hat Django nicht zufällig ausgewählt. Er verspricht ihm die endgültige Freiheit (Darf er das laut Gesetz der Nordstaaten?), wenn er ihm zunächst zu Diensten ist. Durch ihn und seine Erinnerungen will Schultz weitere Sklavenhandels-Schergen ausfindig machen, um sich bis zu Calvin J. Candie, einem Plantagenbesitzer in Mississippi, vorzuarbeiten. Die Plantagen der Südstaaten waren der ökonomische Grund für den  Direktimport von Sklaven aus Afrika, ohne den gewohnten Umweg über die Karibischen Inseln. Bei allem kühlen Geschäftssinn erweist sich Schultz mit seinem Abscheu gegenüber der Sklaverei als ein sensibler Sympathisant des Abolitionismus. Candie (Leonardo Di Caprio) ist ein gewissenloser, neureicher, halbgebildeter, abstrakt frankophiler Baumwoll-Imperiums-Erbe. Seine Bösartigkeit ist eng verbunden mit seinem kompensatorischen Ästhetizismus. Er ist entartet zum Miniatur-Sonnenkönig, Möchte-Gern-Caligula und zweiten Simon Legree, also jenem brutalen Master von Uncle Tom, der legendären Titelfigur im Anti-Sklaverei-Roman von Harriet Beecher Stowe, der ideologischen Bibel der Nordstaaten im Sezessionskrieg. Dabei ist schon Uncle Tom ein lohnenswerter Gegenstand der Blaxploitation-Diskussion: Noch heute wird er wegen seiner hohen Loyalität und seines Mangels an ethnischer Militanz kritisiert und verachtet. Doch er ist ohne Zweifel ein integerer moralischer und christlicher Charakter, ein subversiver Samariter und Märtyrer, der die ihm befohlene Gewalt gegenüber den Mitsklaven gemäß seiner weißen Christianisierung auch unter Todesstrafe verweigert. Beecher Stowes Roman bietet mehr als nur eine sentimental moralisierende Erzählung, sie dringt auf ihre Weise zum Kern der Exploitation vor: Simon Legree wird als »stummer Beobachter von Toms Brauchbarkeit« beschrieben.  »Er schätzte ihn als einen seiner allerbesten Arbeiter, und doch fühlte er eine geheime Abneigung gegen ihn – den angeborenen Widerwillen des Schlechten gegen das Gute.« Legree fühlt sich in seiner willkürlichen »Gewalttätigkeit und Rohheit« gegenüber insbesondere »Hilflosen«, Frauen, Kindern und schwachen Männern, einer anderen wortlosen Macht ausgesetzt, gegenüber der er sich selber als hilflos erfährt: der Macht der Empfindsamkeit, der »Weichheit des Gefühls« und der »zärtlichen Teilnahme für seine Leidensgenossen«. »Er hatte Tom in der Absicht gekauft, mit der Zeit eine Art Aufseher aus ihm zu machen, dem er manchmal während kurzer Abwesenheiten seine Angelegenheiten anvertrauen konnte; und seiner Ansicht nach war das erste, zweite und dritte Erfordernis für eine solche Stelle unnachsichtige Härte. Legree war darin mit sich einig, dass Tom, da er noch nicht hart genug sei, hart gemacht werden müsse; und einige Wochen nach Toms Ankunft beschloss er seine Kur zu beginnen.« Was wir hier vorliegen haben, ist eine Form systematischer faschistischer Lager-Abrichtung: Die Austreibung von ausgleichender Vernunft und fürsorglichem Einfühlungsvermögen aus einer zukünftigen Führungsperson durch Dressur und Nivellierung nach den niederträchtigen Maßstäben eines engstirnigen, feigen und menschenverachtenden Despoten.

 

Tarantinos Candie genießt sein bloß ererbtes, aber nie selbst erarbeitetes Jungherrentum, indem er die Erfordernisse des rationalen Plantagenmanagements durch Gesten und Rituale wie antikische Schaukämpfe und Abschlachtungen ersetzt, nach dem Vorbild jenes tödlichen Überraschungsbesuches in der friedlich geführten Gladiatoren-Schule in dem älteren »Spartacus«-Film (1960). Wenn man so will, ist Uncle Toms Weichheit seine eigentliche Härte und die Härte Candies Ausdruck seiner eigentlichen Weichheit und Dekadenz. Candie liebt sogenannte »Mandingo Fights«, bei denen der Unterlegene sterben muss, und lässt Sklaven bei inszenierter Flucht von Hunden genüsslich in Stücke reißen. Dazu einige film- und kulturhistorische Reminiszenzen zum unvergesslichen Woody Strode. Strode spielte in Kubricks und Kirk Douglas’ »Spartacus« den versklavten Äthiopier, der im blutigen Schaukampf vor dem reichen und skrupellosen Crassus antreten muss und sein eigenes Leben dafür hingibt, Crassus auf der Tribüne anzugreifen und den zukünftigen Rebellen Spartacus das Leben zu retten. In »Spiel mir das Lied vom Tod« (1968) tauchte Strode als sanfter schwarzer Scherge am einsamen Wüstenbahnhof auf, kunstvoll auf den Schädel und in die Hutkrempe betropft vom Wassertank für die Eisenbahn, um den eintreffenden fremden Rächer »Mundharmonika« (Charles Bronson) im Auftrag des Gangsters Frank abzufangen. Die Nazis schlossen die offizielle Kunstausstellung zu den Olympischen Spielen in Berlin 1936, weil sie an einem Akt des Athleten Strode und an Darstellungen anderer schwarzer und jüdischer Sportler Anstoß nahmen. Spätestens in solch divergenten und doch stimmigen Bezügen: äthiopischer Sklave, Rebell, Märtyrer des kommenden Aufstandes, Gunman, maurischer Wasserkünstler, verbotener antifaschistischer olympischer Athlet – wird das Potential der epochenübergreifenden Blax-Politisierung von »Django Unchained« und seiner ausufernden Story im Medium des unterhaltsamen, oft anachronistischen Kompilations-Pulp deutlich.

 

Zurück zu Tarantino: Candie ist seinen Sklaven am nächsten im Tode und im versteinerten Rassenwahn, in seiner intensiven Beschäftigung mit der Schädelkunde, dem Aufmarsch der alten Sklavenköpfe, in seiner blasierten Verwunderung über die mangelnde Renitenz der eingeschüchterten, abgerichteten oder ehemals loyalen Leibeigenen. Seine ästhetizistisch verbrämten Exzesse sind die dunkle Seite einer opulent entgleisten Südstaaten-Filmoper. Candies Herrensitz und dessen Innenleben sind die Karikatur des White House und ein Edelbordell, in dem verschiedene Themenzimmer für Buñuelsche Perversionen und Intrigen zur Verfügung stehen.
Durch den im Übermaß selbstverliebten Candie allein sind der vorgeschützte Sklaven-Ankauf durch Schultz und Django und die dabei geplante Befreiung Broomhildas nicht aufzuhalten. Die Zuspitzung der Situation, in der sich die düstere Aussichtslosigkeit der alten »Django«-Filme einstellt, leistet ein anderer: der seriöse Hausdiener Stephen (Samuel Jackson), an der Oberfläche eine perfekte Karikatur des angenehmen schwarzen »Uncle Ben« auf der Minuten-Reis-Packung, dahinter die Inkarnation des prinzipienlosen, sich und seinesgleichen verratenden Aufsehers vom Typ des Uncle Ruckus (eine Figur aus Aaron McGruders Comic- und TV-Serie »The Boondocks«), der die Vorurteilsstrukturen seines bornierten weißen Herrn ungebremst übernimmt und dessen Wünsche bedenkenlos als die eigenen exekutiert. Selbstverständlich stellt sich die Frage, ob die Darstellungen des rassistischen Selbsthassers Ruckus und des Reichsverwesers Stephen kritische Reflexionen des Rassismus oder selbst Teil des Rassismus sind. Stephen misstraut Schultz und Django in ihren Rollen gerade als einträchtig schwarz-weißes Sklavenhändler-Duett und entlarvt sie als Spione, Kopfgeldjäger und Sklavenbefreier. Im Show Down – Weiß-gegen-Weiß und Schwarz-gegen-Schwarz – öffnet sich der Abgrund der auf der Plantage kollektiv eingepflanzten Gewalt, und Django muss auch ohne seinen Partner kämpfen, um sich, Broomhilda und die moderaten Plantagen-Arbeiter aus den Fängen des Systems zu retten.

 

»Django Unchained« ist ein gelungener Blaxploitation Western, weil er die Selbst-und-Fremd-Ausbeutung von White-and-White, White-and-Black, Black-and-Black in glühenden anachronistischen, historischen und aktuellen Farben ausmalt und episch herleitet. Lustvoll trägt Tarantino den Zorn – über den freiwilligen und erzwungenen Ausverkauf und darüber, wie weit innere Selbstentfremdung und existenzielle Auslieferung zwischen imaginärer Macht und realer Ohnmacht gehen können – in das Zentrum der Geschichte und in ihre Abgründe, ähnlich wie ein anderer unterhaltsamer Zornkünstler, Alexandre Dumas, der Mischlingssohn mit französisch-haitianischem Ursprung und dem Stolz einer noch global gedachten und in Schrift und Tat praktizierten Französischen Revolution. Nicht umsonst heißt eine schwarze Filmfigur »D’Artagnan«, verkörpert von Atoh Essandoh. Spike Lee, der bekanntgab, er werde sich, »rein persönlich«, Tarantinos Film nicht ansehen, weil die Befreiung der Afroamerikaner nicht in Form eines zynischen Spaghetti-Westerns darstellbar wäre, könnte darüber nachdenken, weshalb sein historistisch und gutmenschlich verzetteltes Drama »Buffalo Soldiers ’44« (2008, Titel nach Bob Marleys Song) über eigens aufgestellte afroamerikanische US-Einheiten im Kampf gegen intolerante weiße Vorgesetzte, deutsche Soldaten und italienische Nazi-Kollaborateure in der Toskana, trotz wichtiger Aussagen und eindrucksvoller Momente, insgesamt behäbig wirkte. Die Metapher von den abschussbereiten Büffeln, welche Indianer den schwarzen Soldaten der Unionsarmee im Bürgerkrieg verliehen, ist mehrdeutig. Sie ist nicht nur geographisch und ethnisch, sondern auch soziologisch gemeint: Afroamerikaner, die in eigenen »Farbigenregimentern« antraten und sich damit der offenen Diskriminierung und Segregation sogar im Krieg ausgesetzt sahen. Dem kam Spike Lee maximal politisch korrekt nach. Dagegen springt Tarantinos »Django Unchained« leichtsinnig wie ein wilder Stier über alle Grenzen und Banden.

Thanks to: Racquea Nuriyah Bey, A Metaphysical Look at Django Unchained

 

»Django Unchained«
Regie & Drehbuch:
Quentin Tarantino Kamera: Robert Richardson
Schnitt:  Fred Raskin
Hauptdarsteller: Leonardo DiCaprio, Jamie Foxx, Kerry Washington, Samuel L. Jackson, Christoph Waltz, Don Johnson
Filmstart: 17.01.13

 


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