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Kriegerisches Klima

Überschwemmungen und Dürreperioden, Hungerkatastrophen und Epidemien sind die Folgen des Klimawandels. Sie lassen die Lebensräume für eine stetig wachsende Weltbevölkerung schwinden. Die Konkurrenz um die lebensnotwendigen Ressourcen wächst. Das Zeitalter der »Klimakriege« hat bereits begonnen.

Staaten wie auch Individuen werden stets bemüht sein, den Eigennutz ihres Handelns stetig zu maximieren. So oder ähnlich könnte man das wirtschaftsphilosophische Credo umschreiben, welches Adam Smith in seinem Aufsatz zum „Wohlstand der Nationen“ festgehalten hat. Wenn diese Parole weiter Geltung behalten soll, so besteht doch die Frage, wie dies in Anbetracht der jetzt schon absehbaren Folgen des Klimawandels und des nach wie vor steigenden weltweiten Bevölkerungszuwachses möglich sein soll? Die Prozesse der Globalisierung machen deutlich, dass Entwicklungs- und Schwellenländer, allen voran die sog. Vierergruppe um China, Indien, Brasilien und Südafrika, nicht auf ihren wirtschaftlichen Aufstieg verzichten werden, selbst wenn sich dieser zu Lasten der Umwelt vollzieht und damit zu einem weiteren Anstieg der Erdtemperatur beiträgt. Der moralische Appell der fortschrittlichen Länder vergisst meist den Aspekt, dass sie selbst den größten Teil der Schuld am Klimawandel tragen, während die nun aufstrebenden Länder bisher die wenigsten Treibhausgase emittiert haben. Darüber hinaus verschärfen die tiefgreifenden Folgen des Klimawandels (eingehend belegt von den Erkenntnissen des Intergovernmental Panel on Climate Change – IPCC) das bereits bestehende Ungerechtigkeitsphänomen der Lebenschancen. Diejenigen mit den geringsten Lebenschancen, werden am meisten unter den Folgen leiden, während die größten Verschmutzer wohl am wenigsten von den direkten Folgen spüren werden. Sie verfügen über die besten Kapazitäten, klimabedingte Problemen zu bewältigen, während die voraussichtlich am stärksten vom Klimawandel betroffenen Menschen die geringsten Möglichkeiten haben, den Folgen Herr zu werden.

Das Ansteigen der globalen Durchschnittstemperaturen um lediglich zwei Grad bis zum Jahr 2050 ist bereits jetzt nur noch mit großem technischen Aufwand und enormem politischem Wille aller Länder möglich. Eine solche oder noch stärkere Erderwärmung wird unweigerlich zu einem verstärkten Abschmelzen der Polareiskappen, einem Ansteigen des Meeresspiegels und Überschwemmungen in den weltweiten Küstenregionen führen, aber auch zu Veränderungen der Weltklimaperioden und damit zu größeren Dürrekatastrophen in den Trockengebieten, zur Ausweitung der Wüstenregionen, grassierendem Wassermangel und enormen Hungerkatastrophen. Dies sind nur einige wenige Folgen, die laut Intergovernmental Panel on Climate Change (IPCC) auf die Menschheit zukommen werden, denn die einzelnen Effekte des Klimawandels kumulieren und verstärken sich. Die Lebensräume und die Lebensressourcen für immer mehr Menschen (bis 2050 werden geschätzte 9 Mrd. Menschen die Welt bevölkern) werden schwinden und der Kampf um die lebensnotwendigen Ressourcen wird immer härter werden. Die Folgen der Erderwärmung werden daher zu einem direkten Beschleuniger des gewaltsamen Austragens von Konflikten, so der Direktor des Essener Center for Interdisciplinary Memory Research Harald Welzer. Aufgrund des Klimawandels wird es im 21. Jahrhundert zur verstärkten Gewaltanwendung und gewiss auch zu weiteren Massenmorden kommen, denn massive Gewalt sei ein oft erprobtes Mittel, gefühlten sozialen Bedrohungen zu begegnen, so der Soziologe in seinem aktuellen Buch „Klimakriege - Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird“. 

Man darf sich von dem Titel des Buches nicht in die Irre führen lassen. „Klimakriege“ ist keine politologische Analyse der kriegerischen Konfliktaustragung der Zukunft, wie z.B. Herfried Münklers „Die neuen Kriege“. Die Studie ist auch keine strikte Untersuchung der Konfliktursachen im 21. Jahrhundert, wie es der Untertitel vermuten ließe. Welzers Metier sind Gewaltexzesse und deren subjektiv empfundene Wahrnehmung. Daher beschäftigt ihn als Soziologe weniger die konkrete Gestalt künftiger (Klima-)Kriege, sondern vielmehr die äußeren Bedingungen für kriegerische Konflikte sowie die Antwort auf die Frage, was Gesellschaften als eine Ansammlung von Individuen grundsätzlich zur Gewaltanwendung motiviert.

Dieser Ansatz hatte schon in seinem Buch „Täter. Wie aus ganz normalen Menschen Massenmörder werden“ für Furore gesorgt. In der 2005 erschienenen sozialpsychologischen Studie ging Wälzer der nahezu gleichgültigen Tötungsbereitschaft von Menschen auf den Grund und zeigte, wie das massenhafte Töten (insbesondere im nationalsozialistischen Deutschland sowie in Vietnam, Ruanda und Ex-Jugoslawien) aus der Perspektive des Tötenden zu einer ganz normalen Arbeit werden kann. Es sei der Wunsch nach sozialer Zugehörigkeit gewesen, der in den jeweiligen Fällen dazu geführt habe, dass Menschen massenhaft töten. Die Taten wurden von den Tätern als Erfüllung der gesellschaftlichen Pflichten im Sinne des nicht nur propagierten, sondern vor allem auch gelebten Weltbildes identifiziert. Mit der Definition einer Wir-Gruppe musste es gleichzeitig zum Ausschluss einer Gruppe der Nicht-Zugehörigen kommen. Wenn diese Gruppe erst einmal als Ursache aller sozialen Probleme ausgemacht sei, war es nicht mehr weit zum Genozid, so Harald Welzers Schlussfolgerungen in „Täter“. William Thomas’s sozialpsychologische Grundannahme „Wenn Menschen eine Situation für real halten, dann ist diese in ihren Folgen real.“ entfaltet so ihre absolute Bedeutung. Die massenhafte „Beseitigung störender Elemente“ im Sinne der propagierten Ideologie hatte laut Welzer letztlich nur die schlichte Funktion gehabt, den Opfern Ihre Identität zu rauben und so das Töten zu einer Sacharbeit, ähnlich der am Fließband, zu machen. Das bedeutet, dass der soziale Referenzrahmen, in den die Täter ihre Taten einordnen, es ihnen gemäß Welzer unmöglich machte, ihr Tun als Verbrechen zu identifizieren. Mit der „gelebten Ideologie“ kam es zu einer schleichenden Normalisierung der Verhältnisse, die aus heutiger Sicht völlig inakzeptabel und unverständlich erscheint. Allerdings sei es erst das Verschieben der „sinngebenden Referenzen“ (sog. Konzept der „shifting baselines“) in die Maßstäbe eines humanen Rechtsstaates, welches die Taten im Nachhinein als verbrecherisch identifiziere. Auch wenn diese Erkenntnisse durchaus sinnvoll für das Verständnis der gruppenpsychologischen Prozesse im Rahmen der Klimawandeldebatte sind, geraten Welzers Ausflüge in diesen sozialpsychologischen Bereich seiner vorangegangenen Täterstudie, die an verschiedenen Stellen des Buches vorgenommen weren, grundsätzlich zu lang.

Und dennoch, die aufgeworfene Frage nach der „Wir-Identität“ und dem Ausschluss der „Anderen“ sowie das Konzept der „shifting baselines“ spielt auch in der aktuellen Untersuchung der sozialen Folgen des Klimawandels eine entscheidende Rolle. So stünde doch durchaus zur Debatte, wer eigentlich mit dem „Wir“ gemeint ist, wenn es darum geht, dies oder jenes verursacht zu haben und nun dies oder jenes tun bzw. unterlassen zu müssen, um „unsere“ Welt zu retten. Die hier unterstellte kollektive Wahrnehmung gibt es nicht, schon gar nicht ein kollektives Verschulden des Klimawandels, so Welzer. Die Folgen des Treibhauseffektes treffen die Menschen höchst unterschiedlich, so dass vor allem in jenen Regionen differente Zugehörigkeitsidentitäten entstehen, wo die Lebenschancen schwinden. Die Verknappung der Lebensräume, der landwirtschaftlichen Nutzflächen, der Rohstoffe und der lebensnotwendigen Ressourcen durch die Klimawandelfolgen in den am meisten betroffenen Ländern lassen die dort wachsenden Bevölkerungen immer stärker in Konkurrenz zueinander treten. Klimakriege bestehen in solchen Regionen – die oft zusätzlich von Entstaatlichung und privaten Gewaltmärkten (Warlordism, Söldnertum) geprägt sind – bereits jetzt. Die Akteure in diesen Gewaltmärkten haben kaum ein Interesse an einer Beendigung der Kämpfe, da sie von diesen profitieren, so dass es hier zu zermürbenden Dauerkonflikten (nach M.v.Creveld sog. low intensity wars) mit vielen Opfern unter der zivilen Bevölkerung kommt. „Man sät Gewalt und erntet Ressourcen!“ lautet das einfache Prinzip dieser Gewaltökonomien, in denen Einzelne aus dem Elend der Masse Profit schlagen. Aus diesem Grund seien Dauerkriege „eine zukunftsträchtige Form der Gewalt“, schreibt Welzer in seinem aktuellen Buch.

Der Klassiker unter den Klimakonflikten besteht in den erbitterten Auseinandersetzungen zwischen den Ethnien der nomadischen Viehzüchter und der sesshaften Feldbauern um die aufgrund des Klimawandels immer knapper werdenden landwirtschaftlichen Nutzflächen, wie sie in der jüngeren Vergangenheit immer wieder in Äthiopien, Somalia und Ruanda sowie aktuell auch in Darfur stattfinden. Das an solchen selbst verschuldeten Ressourcenkonflikten ganze Gesellschaften zugrunde gehen können, schilderte der amerikanische Geograph Jared Diamond 2005 in seinem Aufsehen erregenden Buch „Kollaps – Warum Gesellschaften überleben oder untergehen“. Welzer selbst bezieht sich wiederholt auf Diamonds Ausführungen zum Schicksal der Osterinselkultur. Passender im Zusammenhang mit den aktuellen Verhältnissen erscheinen jedoch Diamonds Erkenntnisse zum Untergang der mittelamerikanischen Maya-Gesellschaften, die Welzer nicht berücksichtigt. Das Schicksal der damals am höchsten entwickelten Kultur soll hier als Lehrstück für die drohenden Folgen des Klimawandels dienen. Die Bevölkerung der Maya stieg kurz vor ihrem Niedergang plötzlich stark an, so dass der Bedarf an landwirtschaftlichen Erträgen immer größer wurde, so dass die Wälder in den Bergregionen gerodet wurden. Dieser Eingriff in den natürlichen Wasserkreislauf verursachte das Auswaschen und Versauern der Böden, den Rückgang der Niederschlagsmenge und geringere Ernten. Natürliche Dürreperioden verschärften die Lage zusätzlich. Es konkurrierten schließlich immer mehr Menschen um immer geringere Ernten. Unterernährung und eine Verschlechterung des Gesundheitszustands waren die Folge. Dazu kamen die von unfähigen Eliten geführten, kostenintensiven Kriege gegen andere Mayastämme sowie die verheerenden Verteilungskonflikte um Wohnraum und die verbliebenen Felder. Dies alles führte zum Untergang dieser hoch entwickelten Kultur.

Heißt das, dass der Menschheit der Untergang droht? Nun, dies vielleicht nicht, aber die Neigung, zur Gewaltanwendung zu greifen, um soziale Probleme zu bewältigen, wird steigen. Die in diesem Kontext von Welzer geführte Diskussion um die zukünftigen Gewaltformen gerät zumindest um die Phänomene des Selbstmordattentats bzw. der „menschlichen Bomben“ sowie des Terrorismus zu lang. Es gelingt Welzer auch nicht, einen schlüssigen Zusammenhang dieser Erscheinungen zum Klimawandel herzustellen. Grundsätzlich gilt aber, dass die Folgen des Klimawandels zukünftig willkommene Anlässe zu Gewaltausbrüchen darstellen werden. Der Westen wird sogar ganze Länder aufgeben, wo „Leute unter sich kämpfen“, so Welzer. Der renommierte Soziologe bringt hier etwas auf den Punkt, was man als kulturellen Verfall bezeichnen könnte. Mit der Zunahme von Armut, Krieg und Elend in den am stärksten vom Klimawandel betroffenen Staaten vollzieht sich auch ein Ansteigen der Gleichgültigkeit gegenüber diesen Zuständen. Die Anwendung massiver Gewalt wird zur ethnischen Eigenschaft umetikettiert. So verfuhren z.B. die Europäer bei den sich vor ihrer Haustür vollziehenden Grausamkeiten der Jugoslawienkriege, die schlicht auf die „Mentalität des Balkans“ zurückgeführt wurden. Nach den tatsächlichen Ursachen von Gewaltausbrüchen und -exzessen wird selten gesucht. Nur wenn man den bisherigen Fokus von den ethnischen und ideologischen Faktoren der Konflikte auf deren ökologische Aspekte verlegte, würde deutlich werden, dass viele der in solchen Regionen stattfindenden Konflikte um basale Ressourcen wie Wasser, Boden und Luft gefochten werden. „Konflikte, die ökologische Ursachen haben, werden als ethnische wahrgenommen“, konkretisiert Welzer in seinem Buch.

Man mag jedoch fragen, inwiefern denn das von Diamond aufgeführte Schicksal der Maya überhaupt mit den Perspektiven unserer fortschrittlichen und hoch technisierten Gesellschaft vergleichbar ist? In Harald Welzers „Klimakriege“ wird deutlich, dass sich die hier am Beispiel des Untergangs der Mayakultur aufgeführten Aspekte bereits jetzt im Zusammenhang mit den Folgen des Klimawandels beobachten lassen:

Das Phänomen der Ressourcenknappheit kann man heute in großen Teilen des subsaharischen Afrikas, aber auch in Teilen Asiens, Südamerikas und Osteuropas feststellen. Immer mehr Menschen konkurrieren hier um immer weniger Ressourcen – und immer häufiger kriegerisch. Waldzerstörung und Bodenerosion kann man vor allem im Umkreis afrikanischer Flüchtlingslager und Großstädte finden, wo oft Hunderttausende Menschen nach Feuer- und Bauholz suchen und zur Desertifikation des Umlandes beitragen. Aber auch in Malaysia und Borneo, auf den Salomonen und Sumatra, den Philippinen und Neuguinea, im Amazonasgebiet und im Kongobecken kann man diese Umweltschäden feststellen, wo die Brandrodungen der Urwälder großflächig alles Leben auf Jahrzehnte hin zerstören. Gewalttätige Auseinandersetzungen um immer weniger Ressourcen werden bereits jetzt im Sudan und Kongo, in Somalia, Äthiopien und Ruanda, in Haiti oder Kolumbien, auf den Philippinen und Indonesien, in China, Indien und Pakistan, um nur einige der Konflikte zu nennen, sowohl regional als auch grenzüberschreitend ausgefochten. Der Klimawandel ist eine unwiderlegbare Tatsache. Die Politik der Industriestaaten, fossile Brennstoffe zu vernutzen, und die daraus folgenden klimatischen Veränderungen verschärfen die Lebensbedingungen in den ärmsten Regionen dieser Welt bereits jetzt. Zur kontinuierlich anhaltenden Erderwärmung trägt nicht zuletzt auch das globale Elitenversagen bei. So hat nicht einmal der Bericht des britischen Ökonomen Nicholas Stern vom Oktober 2006 zu einem globalen Umdenken geführt, obwohl der Wirtschaftswissenschaftler darin zu dem Schluss, dass die Kosten zur Bewältigung der Folgen des Klimawandels um ein vielfaches höher lägen, als die momentanen Ausgaben, die bei einem raschen Eingreifen zugunsten eines Stopps der globalen Erwärmung anfallen würden. Das fortgesetzte globale Verschmutzen der Süßwasservorräte, die Rodung weltweiter Baumbestände, die Verringerung landwirtschaftlicher Nutzflächen durch selbst verschuldete Bodenerosion, der Raubbau nicht nur fossiler Energien, sondern auch von Edelmetallen, -steinen und -hölzern, das Überfischen der Meere, die Ausrottung von Pflanzen und Tieren und die weiteren kumulierten Effekte des Klimawandels verschlimmern die Situation tagtäglich und machen eine klima- und umweltpolitische Umkehr immer unwahrscheinlicher.

Schuld daran sind nicht zuletzt auch psychologische Prozesse, so Welzer. Die Landschaftsvergesslichkeit des Menschen bewirkt, dass die schlechteren Lebensverhältnisse nicht als solche wahrgenommen werden, da die vor 50 oder 100 Jahren herrschenden Umstände nicht mehr Teil des kollektiven Gedächtnis’ sind. Schleichend tritt eine Akzeptanz der gegebenen Verhältnisse ein, die letztlich als „gar nicht so schlimm“ wahrgenommen werden. Dazu tritt eine besondere Form des Interessenkonflikts, die der amerikanische Ökologe Garrett Hardin 1968 als „Tragik der Allmende“ bezeichnet hat. Diese ergibt sich eben auch aus der Smith’schen Logik der permanenten Steigerung des persönlichen Eigennutzes, denn selbst wenn die Ressourcen nicht mehr zur individuellen Gewinnmaximierung aller ausreichen, wird es dennoch ein jeder versuchen. Die Kosten des dann entstehenden Raubbaus trägt jedoch die anonyme Allgemeinheit. Und diese „Allgemeinheit“ lebt zu großen Teilen auf der südlichen Erdhalbkugel. Ursache und Wirkung liegen bei dem Prozess des Klimawandels für Welzer daher nicht nur zeitlich und biografisch auseinander, sondern eben auch regional. Das macht eine kollektive Einsicht zum dringenden Handlungsbedarf umso unwahrscheinlicher.

Doch die Staaten und Gesellschaften der nördlichen Hemisphäre haben keinen Grund, sich in Sicherheit zu wiegen. Die Folgen des Klimawandels, die primär in Afrika, Asien und Südamerika sowie an den Polkappen zu spüren sein werden, und die darauf folgenden Reaktionen werden die Industriestaaten in vollem Maße treffen. Überschwemmungen und die Ausbreitung der Wüsten sowie die bevorstehenden gewaltsamen Ressourcenkonflikte werden eine neue Form der Massenmigration hervorrufen, die das aktuelle Ausmaß der Süd-Nord-Wanderung um ein Vielfaches übersteigen wird. Welzers in diesem Teil des Buches geführte Argumentation könnte treffender und schärfer kaum sein. Experten gehen demzufolge davon aus, dass die aktuell geschätzte Zahl von 25 Mio. Klimaflüchtlingen bis 2050 auf bis zu 200 Mio. steigen wird. Die aktuelle Abschottungspolitik, die die Europäische Union ebenso wie die Vereinigten Staaten der USA vor allem an ihren Südgrenzen vornimmt, sei nur ein Probelauf für das, was in den kommenden Jahren an ihren Grenzen umgesetzt werden wird. Die Aufrüstung der Grenzanlagen und des Sicherheitspersonals sowie die Vorverlagerung der Grenzen und damit einhergehend die Delegation der Gewaltanwendung gegen Migranten in die Hände anderer Staaten und privater Sicherheitsdienste seien lediglich erste Präventivmaßnahmen gegen den Flüchtlingsdruck, der sich in den kommenden Jahrzehnten an ihren Grenzen aufbauen wird. Und je stärker die klimabedingte Migration von den EU- und US-Bevölkerungen als Bedrohung wahrgenommen wird, umso stärker wird sich in den Industriestaaten der Bezugsrahmen für die sicherheitspolitischen Einstellungen verändern. Die Prioritäten werden sich von der persönlichen Freiheit auf die kollektive Sicherheit verschieben und ein immer rigoroseres Vorgehen der Staaten gegenüber den Klimaflüchtlingen und deren Herkunftsstaaten tolerieren. Je stärker die Folgereaktionen des Klimawandels in den Industriestaaten zu spüren sein werden, umso unwahrscheinlicher ist es, dass massive Gewaltanwendung oder gar Klimakriege auf die Staaten und Gesellschaften der Südhalbkugel beschränkt sein werden, schreibt Welzer in seinem Buch. Diese Schlussfolgerung nimmt nicht Wunder, denn schon der Soziologe Heinrich Popitz schrieb 1986, dass Gewalt „eine Option menschlichen Handelns, die ständig präsent ist“ sei.

Schrieb Welzer in seiner sozialpsychologischen Studie der Massenmorde noch, dass nicht jeder Krieg Genozide, ethnische Säuberungen und Massenmorde hervorbringe und „nicht jeder geöffnete Handlungsraum zum erweiterten Anwenden von  Gewalt eskaliert“, so kommt er in seinem aktuellen Buch zumindest zu dem Schluss, dass die Folgen des Klimawandels den Rückgriff auf extreme Gewalt zumindest attraktiv und wahrscheinlich machen. Denn wenn eine Vielzahl von Menschen um immer geringere Güter streitet, neigt sie zu radikalen Lösungen – und was wäre attraktiver, als die Dezimierung der konkurrierenden Menge zum eigenen Vorteil. „Das 21. Jahrhundert ist in Ermangelung zukunftsfähiger Gesellschaftsmodelle utopiefern und ressourcennah – es wird getötet, weil die Täter jene Ressourcen beanspruchen, die die Opfer haben oder auch nur haben möchten.“ Die globalen Folgen des Klimawandels könnten zu einer Auflösung der Kulturen und ihrer Errungenschaften führen, die nichts als die „Unterschiedslosigkeit bloßen Überlebenswillens“ zurücklässt und an der die Aufklärung als Gegenbild zur Herrschaft purer Gewalt scheitern könnte, so Welzers pessimistisches Fazit.

Harald Welzer ist mit „Klimakriege“ ein in weiten Teilen hervorragendes Buch zu den konkreten gewaltsamen Folgewirkungen der Erderwärmung gelungen. Faktenreich und fächerübergreifend zieht der Soziologe haarscharfe Schlüsse aus den historischen Erfahrungen und überträgt diese passgenau auf die Aktualität. Dass die sich daraus ergebende Perspektive für das 21. Jahrhundert eine vorwiegend Negative ist, liegt nicht an Welzers Pessimismus, sondern an den Fakten der Zeit. Es gäbe Bücher, die schreibe man „in der Hoffnung, dass man Unrecht hat“, so Harald Welzer zu Beginn seines Buches. Die Möglichkeit bestünde! Das technische Know-how, den Klimawandel langfristig in Griff zu bekommen, ist vorhanden. Allein der politische Wille, gemeinsam gegen den Klimawandel vorzugehen, hat sich noch nicht durchgesetzt. Es ist zu hoffen, dass Politiker weltweit aufwachen und durch kollektives und innovatives Handeln die Befürchtungen des Soziologen widerlegen. Es läge auch in seinem Interesse. Thomas Hummitzsch
 

Harald Welzer
Klimakriege
Wofür im 21. Jahrhundert getötet wird
Verlag S. Fischer, Frankfurt am Main 2008
336 Seiten
19,90 €.
ISBN 3100894332

 

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