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Philosophie - Gesellschaftstheorie Marx & Engels in Zitaten
 

 

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Marx ist Marx ist Marx

»Marx' Irrtümer und unerfüllte Prophezeiungen in Sachen Kapitalismus verblassen zur Bedeutungslosigkeit gegenüber der chirurgischen Präzision, mit der er die Natur der Bestie bloßgelegt hat.«
Francis Wheen erklärt das unbekannte Meisterwerk »Das Kapital«

Von Jürgen Nielsen-Sikora

Karl Marx wurde 1818 geboren. Drei Jahre zuvor zeichnete der Wiener Kongress nach der Niederlage Napoleons die geopolitische Landkarte des europäischen Kontinents völlig neu. Der national vereinte Einheitsstaat, der die Interessen des Volkes vertreten und seine Grundrechte schützen, darüber hinaus jedoch auch Möglichkeiten eröffnen sollte, sich in diesem Staat ökonomisch und sozial entfalten zu können, sollte von nun an Kennzeichen gleichberechtigter freiheitlicher Verfassungsstaaten des 19. Jahrhunderts sein. Das mochte in der Theorie richtig sein, taugte aber in der Praxis wenig. Denn die Zeit des Vormärz hatte grundsätzlich nicht nur mit dem Gegensatz von Ost und West in Europa zu kämpfen, sondern vor allem mit der sozialen Frage, die im Anschluss an zahlreiche Bankenzusammenbrüche, Fabrikschließungen und die beginnende industrielle Revolution zutage trat. Insbesondere im Anschluss an die Agrarkrise der 1840er Jahre, die Missernte 1847, die damit einsetzenden Hungersnöte (z.B. 1844 in Schlesien) sowie das schwin­dende Vertrauen in eine Politik, die als Restaurationspolitik angetreten seit Jahren eine restriktive Demagogenverfolgung betrieb, offenbarte zur »Blütezeit des Kapitals« (Hobsbawm) massive soziale Schieflagen, die die europäische Öffentlichkeit auf den Plan rief. So wurden zunächst in Paris, später, und zwar durch die Besetzung des Ständehauses des badischen Landtags in Karlsruhe, Forderungen gestellt, die auf die Meinungsfreiheit und Meinungsvielfalt in einer vom Pauperismus, von einer künstlich produzierten Armut bedrohten Epoche abhoben.
In den so genannten »Dresdner Forderungen« hieß es beispielsweise: »1. Freiheit der Presse (…). 2. Freiheit des religiösen Bekenntnisses und der kirchlichen Vereinigung. 3. Freiheit des Versammlungs- und Vereinsrechts. 4. Gesetzliche Sicherstellung der Person gegen willkürliche Verhaftung, Haussuchung und Untersuchungshaft. 5. Verbesserung des Wahlgesetzes (…). 6. Öffentlichkeit und Mündlichkeit der Rechtspflege mit Schwurgericht. 7. Vereidigung des Militärs auf die Verfassung. 8. Verminderung des stehenden Heeres, Umbildung des Militärwesens und der Bürgerbewaffnung (…).« Die Dresdner Forderungen schlugen sich unter anderem in den Formulierungen der Paulskirchenverfassung nieder. Doch die Verfassung vom 28. März 1849 war zwar die erste demokratisch beschlossene, jedoch nie in Kraft getretene Verfassung für ganz Deutschland. Auch wenn sie letztlich am Widerstand der deutschen Fürsten, insbesondere des Königs von Preußen, scheiterte, bedeutete sie einen enormen Modernisierungsschub für die europäischen Staaten. Mit der Einrichtung umfassender Bürgerrechte waren freilich die überzeugten Anti-Demokraten nicht einverstanden. Teile des alten Bürgertums betrachteten skeptisch bis missgünstig die jüngsten Entwicklungen von Paris bis Prag. Wünsche, die alte Ordnung wieder einzurichten ließen sich auch jetzt noch, knapp 20 Jahre nach dem Sturz Karl X., vernehmen. Doch die Entwicklung einer breiteren Öffentlichkeit, die sich Meinungsvielfalt, Pressefreiheit und ein größeres Parteienspektrum erkämpft hatte, war trotz der Gegenrevolution nicht mehr aufzuhalten. Interessierte Bürger und Lobbyisten, weit über tausend Zeitungen, unter ihnen zunächst auch Karl Marx´ Neue Rheinische Zeitung, erhielten Einzug in das europäische Gesellschaftsleben.
Gegen die »Hexenmeister« der bürgerlichen Revolution des Jahres 1789 setzten der Autor des Kapitals und sein Kollege Friedrich Engels (1820-1895), für den die Politik Napoleons die wahre Religion der modernen Bourgeoisie war, auf die proletarische Revolution und damit auf die Krise der bürgerlichen Gesellschaft insgesamt. Für Marx und Engels aber war 1789 der Prolog für den Aufstand des Proletariats zur Klärung der sozialen Frage, bei der mit dem Kapital, dem »Henker vor der Türe« (Engels), abgerechnet werden sollte. Nichtsdestotrotz konstatierte Marx bereits im Manifest, mit Heraufkunft der Bourgeosie seien die Gegensätze der Völker nahezu verschwunden, woran die Handelsfreiheit, der Weltmarkt und die industrielle Produktion wesentlichen Anteil gehabt hätten. Freilich könne erst die Herrschaft des Proletariats diese Entwicklung zu einem Ende führen, sowie die Ausbeutung der Individuen und damit letztlich der Nationen stoppen: »In dem Maße, wie die Exploitation des einen Individuums durch das andere aufgehoben wird, wird die Exploitation einer Nation durch die andere aufgehoben« heißt es noch im Manifest der Kommunistischen Partei von 1848.

Man wird sich diese gesellschaftlichen Entwicklungen zur Mitte des 19. Jahrhunderts vor Augen führen müssen, will man Marx verstehen und sich von seinen Adepten des 20. Jahrhunderts nicht gänzlich den Blick auf seine Schriften verstellen lassen. »Moi, je ne suis pas marxiste« ließ Marx selbst verlautbaren: Marx ist Marx ist Marx. Liest man ihn also im politischen Kontext, in dem seine Thesen entstanden sind, zeigt sich erst, wie scharfsinnig er die veränderten Lebens- und Arbeitsbedingungen, die Modernisierung und Rationalisierung seiner Zeit analysiert hat.

»Das Kapital«, das zum Jahresende 1867 erschien, diskutiert die Entstehung, die Organisation und die Gesetze der Ökonomie des 19. Jahrhunderts. Es zeichnet den Weg vom Handwerk zur Fabrik nach und stellt den Menschen auf Grund des Verkaufs seiner Arbeitskraft als Ware dar. Arbeitskraft und Arbeiter werden bei Marx zur elendesten Ware. Der Arbeiter bleibt in seinem Tun stets der Knecht des Kapitals. Das Kapital andererseits ist für ihn die Regierungsgewalt über die Arbeit und ihre Produkte. Dem Arbeiter bleibt die Arbeit stets äußerlich. In ihr verneint er seine eigene Existenz, so dass er letztlich in und durch seine Arbeit an seiner eigenen Existenz leidet, wohingegen der Kapitalist, der müßige Gott, der nie für den Bedarf, sondern immer nur für den Profit Waren produziert, am »Gewinn seines toten Mammons« leidet. Heißt es noch in Matthäus 6, Vers 24: „Ihr könnt nicht Gott dienen und dem Mammon“, so widerlegt Marx ebendiese These durch eine kritische Anatomie der Bourgeosie, deren Wesen er in der politischen Ökonomie sucht. Die politische Ökonomie ist zugleich das Skelett der bürgerlichen Gesellschaft, ohne dass sie zusammenbrechen würde. Die Bourgeosie hat grundsätzlich neue Bedingungen der Unterdrückung geschaffen, indem sie Kapital akkumuliert und durch diese Akkumulation eine Akkumulation des Elends auf Seiten der Arbeiter in Kauf genommen hat. Deshalb wachse nicht nur die Widerwärtigkeit der Arbeit, sondern im selben Atemzug nehme auch noch der Lohn ab. Je mehr das produktive Kapital wachse, desto mehr Arbeitsteilung gebe es. Dies führe zu einer schärferen Konkurrenz unter den Arbeitern, so dass sich der Lohn letzten Endes zusammenziehe. Marx Forderung ist deshalb die Abschaffung des Privateigentums.

Der britische Journalist Francis Wheen, der bereits durch eine Marx-Biografie in Erscheinung trat, hat nun das „unbekannte Meisterwerk“, so die Einleitung, einem breiten Publikum zugänglich gemacht. Das englische Original erschien 2006 unter dem Titel „Marx´s Das Kapital. A Biography“ und wurde von Kurt Neff ins Deutsche übertragen. In drei Kapiteln erläutert Wheen darin die Vorgeschichte des „Kapitals“ durch zahlreiche biografische Hinweise, widmet sich dann dem Buch selbst sowie seinen Wahrheiten und Irrtümern, die er in wesentlichen Zügen rekapituliert und deutet, um abschließend „das Fortleben“ dieses wirtschaftsphilosophischen Klassikers zu untersuchen. Sein Fazit: »Der Untergang der Bourgeosie und der Sieg des Proletariats sind ausgeblieben. Aber Marx´ Irrtümer und unerfüllte Prophezeiungen in Sachen Kapitalismus verblassen zur Bedeutungslosigkeit gegenüber der chirurgischen Präzision, mit der er die Natur der Bestie bloßgelegt hat. Während nach wie vor alles Ständische und Stehende verdampft, wird die anschauliche Schilderung, die das »Kapital« uns von den Kräften gibt, die unser Leben bestimmen, und von der Unbeständigkeit, Entfremdung und Ausbeutung, die sie hervorbringen, niemals an Klang und Bedeutung verlieren wird, und auch nicht die Kraft, uns die Welt scharf ausgeleuchtet ins Blickfeld zu rücken. (…) Weit davon entfernt, unter den Trümmern der Berliner Mauer begraben zu sein, tritt Marx vielleicht erst jetzt in seiner wahren Bedeutung ins Licht. Er könnte durchaus noch zum einflussreichsten Denker des 21. Jahrhunderts werden.«

Dieser Prophezeiung schließen sich auch zwei weitere Bände aus dem Münchner dtv-Verlag an, für die der Publizist Klaus Körner verantwortlich zeichnet, und die allesamt zum 125. Todestag erschienen sind. Sein Marx-Lesebuch sowie seine Marx-Biografie bilden zusammen mit Wheens Interpretation eine erfrischende Einführung in Marx´ Denken und regen dazu an, den Vater der Kapitalismuskritik wieder im Original zu lesen. Zudem lassen die drei schmalen Bände daran erinnern, dass Marx recht wenig mit dem Marxismus zu tun hat, der ihn nach seinem Tode instrumentalisiert hat. Schließlich zeigen sie, dass Marx´ Kritik der politischen Ökonomie trotz der veränderten Lebensbedingungen im 21. Jahrhundert und den veränderten Vorzeichen des »Katastrophenkapitalismus« (Naomi Klein), in dem die Arbeit zusehends einem international agierenden Devisenmarkt weicht und Arbeitskraft mehr und mehr als Dienstleistung ausbuchstabiert wird, immer noch so aktuell ist wie sein Versuch, einen Beitrag zur Demokratisierung der Gesellschaft insgesamt zu leisten. Man betrachte in diesem Zusammenhang nur einmal den Transformationsprozess der Demokratie in den vergangenen 30 Jahren, in denen sich eine Verformung der politischen Ordnung vollzogen hat, die nicht wirklich hinterfragt worden ist. Zwar sind die demokratischen Institutionen weiterhin intakt, aber die politischen Verfahren und Regierungen zeigen verstärkt Züge vordemokratischer Zeiten, so dass der Einfluss von Eliten, Lobbyisten und »spin doctors« immer größer wird. Zugleich geht der Anteil der arbeitenden Bevölkerung gegenüber der Kapitalvermehrung zurück. Der begrenzten Macht der Regierung steht zusehends die unbegrenzte der kapitalistischen Wirtschaft gegenüber. Der britische Politikwissenschaftler Colin Crouch spricht aus diesem Grunde gar von der »Entropie der Demokratie« bzw. von »Postdemokratie«. Diese Diskussion wird so schnell nicht beendet sein. Und möglicherweise hat Marx auch dann ein Wörtchen mitzureden. Das hat dtv richtig erkannt. Jürgen Nielsen-Sikora
 

Francis Wheen
Karl Marx, Das Kapital
Bücher, die die Welt veränderten
Aus dem Englischen von Kurt Neff
dtv
128 Seiten
ISBN 978-3-423-34458-6
Euro 9,90

Klaus Körner, (Hrsg.)
Karl-Marx-Lesebuch
Herausgegeben von Klaus Körner
dtv
304 Seiten
ISBN 978-3-423-34464-7
Euro 8,90

Klaus Von Körner
Karl Marx
dtv portrait
192 Seiten
ISBN 978-3-423-31089-5
Euro 10,00

Iring Fetscher (Hrsg.)
Karl Marx – Das grosse Lesebuch
Fischer Taschenbuch Verlag
544 Seiten, Broschur
ISBN 978-3-596-90002-2
Preis € (D) 8,00



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