Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik
© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

Finanzen 
  

 

Home    

 Preisrätsel     Verlage A-Z     Medien & Literatur     Museen & Kunst     Mediadaten   Impressum

Ressorts

   

Belletristik Romane, Erzählungen, Novellen
Blutige Ernte Krimis, Thriller & Agenten
SF & Fantasy Elfen, Orcs & fremde Welten
Sprechblasen Comics mit Niveau
Quellen Biographien, Briefe & Tagebücher
Geschichte Epochen, Menschen, Phänomene
Politik Theorie, Praxis & Debatten
Ideen Philosophie & Religion
Kunst
Ausstellungen, Bild- & Fotobände
Tonträger Hörbücher & O-Töne
Videos
Literatur in Bild & Ton
Literatur Live Veranstaltungskalender
Zeitkritik
Kommentare, Glossen & Essays
Autoren Porträts, Jahrestage & Nachrufe
Verlage Nachrichten, Geschichten & Klatsch
Film
Neu im Kino

Klassiker-Archiv
Übersicht
Shakespeare Heute
Shakespeare Stücke
Goethes Werther, Goethes Faust I,
Eckermann, Schiller, Schopenhauer,
Kant, von Knigge, Büchner, Mallarmé,
Marx, Nietzsche, Kafka, Schnitzler,
Kraus, Mühsam, Simmel, Tucholsky


Die aktuellen Beiträge werden am Monatsende in den jeweiligen Ressorts archiviert, und bleiben dort abrufbar.

Wir empfehlen:





Andere Seiten
Joe Bauers Flaneursalon
Gregor Keuschnig Begleitschreiben
Armin Abmeiers
Tolle Hefte
Curt Linzers
Zeitgenössische Malerei
Goedart Palms Virtuelle Texbaustelle
Reiner Stachs Franz Kafka
counterpunch
»We've got all the right enemies.«

Riesensexmaschine
Nicht, was Sie denken?!

texxxt.de Community für erotische Geschichten
Wen's interessiert Rainald Goetz-Blog

 

Von Blasen und Spielen

Jürgen Nielsen-Sikora über George Soros
bescheidene Sicht der Dinge

Riesenblasen gibt es nicht erst seit Wrigleys HubbaBubba. So erinnert sich die ältere Generation vielleicht noch an die große Tulpenmanie im 17. Jahrhundert? An den Gründerkrach von 1873? Oder aber an den schwarzen Freitag, der ja bekanntlich in den USA auf einen Donnerstag fiel? Nein? Nun, nicht so schlimm. Denn alle genannten Spekulationsblasen waren schließlich nur eine Art vorgeschaltete Anzeige für das, was uns dieser Tage zwischen New York, Frankfurt und Tokio über den Bildschirm ins Haus flackert: Das Platzen der Superblase.

Es sind vor allem zwei Dinge, die auch weniger aufmerksame Zeitgenossen den Nachrichten der vergangenen Monate entnehmen mussten. Erstens: Es existiert kein Frühwarnsystem für Tsunamis auf dem Kapitalmarkt. Zweitens: Die Krise, in der wir uns seit August 2007 befinden, ist aus genau diesem Grunde keine Finanzkrise, sondern eine Sozial- und Gesellschaftskrise, in der das desorientierte und blass bleibende politische Personal agiert wie der Dorfrichter Adam, dem am Ende nur die Flucht vor der Wahrheit bleibt.

Verständlich ist, dass angesichts des Ausmaßes dieser Krise niemand mehr bereit ist, den Prämissen der klassischen Ästhetik von Aristoteles bis Hegel nachzuhängen. Denn dort markierte jede Krise bloß den Wendepunkt eines schicksalhaften Prozesses, dessen katastrophische Klimax in der Struktur von Handlungssystem und Persönlichkeitsstruktur der Protagonisten angelegt war, und die genau dann überwunden werden konnte, wenn es gelang, aus eigener Kraftanstrengung der mythischen Gewalt des Fatums zu entrinnen. Die gegenwärtige Krise jedoch hat nichts Moirenhaftes an sich; sie ist – im wahrsten Sinne des Wortes – hausgemacht.

Das weiß auch George Soros, Börsenspekulant und Multimilliardär. Der ist mit einer beinahe seismografischen Fähigkeit für die Turbulenzen auf dem Börsen- und Finanzparkett ausgestattet. Seinen Reichtum verdankt er seinen Fonds- und Aktiengeschäften der vergangenen Jahrzehnte. Die Krise sah er bereits nach dem Platzen der Internetblase 2000 heraufziehen. Damals hatte die US-Notenbank den Leitzins binnen Kurzem um drei Prozentpunkte auf 3,5 gesenkt. Nach den Anschlägen des 11. September 2001 betrug der Zinssatz dann nur noch ein Prozent. Die günstigen Kredite führten in der Konsequenz zu der Immobilienblase bekannten Ausmaßes, indem übliche Kreditvergabekriterien mehr oder weniger außer Kraft gesetzt wurden. So genannte Subprime-Hypotheken und Ninja-Kredite boten auch Menschen ohne Einkommen, Job oder Vermögen die Möglichkeit, Geld aufzunehmen. Die Eigenheimpreise stiegen und reizten zu Spekulationen. Die Blase wuchs und wuchs als wäre der Immobilienmarkt Teil eines gigantischen Monopolyspiels. Viele bildeten sich ein, reich zu sein. Doch das war im besten Fall das Hans-im-Glück-Syndrom. Der Kapitalismus, so der slowenische Philosoph Slavoj Žižek zuletzt, gleiche bloß noch einer Comicfigur, die stolz über den Dachfirst hinaus ins Leere läuft – um dann jäh abzustürzen.

An dieser Stelle setzt Soros Kritik an den bestehenden Erklärungsmodellen der Wirtschaftswissenschaften an. Insbesondere geht er gegen die Vorstellung vor, Finanzmärkte seien selbstregulierend und tendierten zum Gleichgewicht. Demgegenüber hebt Soros die Unwissenheit aller Beteiligten am Marktgeschehen hervor und unterstreicht die reflexive Wechselwirkung von kognitivem und manipulativem Verhalten, die es verunmögliche, Vorhersagen zu treffen. Die Philosophen mögen an dieser Stelle einwenden, dass sie das bereits ausführlich von Sokrates bis Max Müller erörtert haben. Exakt! Da aber die Ökonomie erst vor ein paar Tagen zu einer Wissenschaft der Blasen und Unberechenbarkeiten geworden ist, und auch die sozialwissenschaftliche Fakultät erst kürzlich Abschied vom homo oeconomicus genommen hat, ist Soros Erklärungsmodell für die Situation der Banken- und Finanzwelt für alle philosophisch ungeschulten Experten wohl etwas Neues. Und seine Theorie ist nicht falsch. Sie ist bloß brutal banal.

Das betrifft auch seine Feststellung, die USA und andere Industrieländer bildeten das Zentrum des Finanzsystems, weniger entwickelte Staaten die Peripherie. Nun aber sei eben dieses Spiel aus.

Soros philosophischer Horizont ist hier aber noch nicht zu Ende. Fehlinterpretationen, so bedeutet er uns, spielten eine herausragende Rolle für den Lauf der Dinge am Markt. Mit diesem börsenspekulativem Tiefsinn im Gepäck widmet er sich dann in einem längeren Exkurs Poppers Ansatz des kritischen Rationalismus. Doch auch dieser wissenschaftstheoretische Ausflug vermag dem Buch nur wenig Substanz zu verleihen. Denn für jeden philosophisch trainierten Leser bleibt Soros Reflexionsniveau eine bittere Enttäuschung. Und sein Abgesang auf den Marktfundamentalismus und seine Rede vom Ende der Vorherrschaft der USA, an der insbesondere Ronald Reagan und Alan Greenspan maßgeblichen Anteil gehabt hätten, ist zwar sympathisch und mag so manchen Antiamerikanismus befriedigen, bleibt aber sprachlich so bescheiden, dass die Lust am Lesen dieses Buches schnell verfliegt. Die vielen Wiederholungen tun ihr Übriges.

Soros kann zwar die Krise erklären, nicht aber, wie aus den Dilemmata herauszufinden ist, oder warum die gleichen Fehler immer wieder auftreten. Denn angesichts der Häufigkeit von Spekulationsblasen scheint es so, dass der Mensch in erster Linie ein repetitives Wesen (was durch Soros selbst eindrücklich bestätigt wird), und sein Vermögen in erster Linie ein mimetisches Vermögen ist. Der Eine ahmt die Andere nach so gut er eben kann. Alles, was Soros in diesem Zusammenhang einfällt, ist der Ruf nach strenger Regulierung – ausgerechnet von einem, dessen Vermögen durch Deregulierung ins Unermessliche gewachsen ist.

Fazit: Die ganze Krise kommt ohne echte Persönlichkeiten aus und bleibt  – anders als Wrigleys HubbaBubba – völlig farblos. Vielleicht sollte mal jemand wie in den guten alten Western-Filmen ein Plakat »Wanted« aufhängen. Unterschrift: Homo questiones solvens. Denn ist nicht alles Leben, wie Popper glaubte, Problemlösen? Und wäre das Spiel nicht erst dann wirklich aus? Doch vorerst regiert weiterhin der Konditional – vor allem in Sachen Finanzen.
 

George Soros
Das Ende der Finanzmärkte -
und deren Zukunft

Die heutige Finanzkrise
und was sie bedeutet
Finanzbuch Verlag
174 Seiten
24,90 €
978-3-89879-413-8

 

Glanz@Elend
Magazin für Literatur und Zeitkritik

© by Herbert Debes & Kurt Otterbacher

Startseite
Belletristik   Blutige Ernte   SF & Fantasy   Quellen  Geschichte   Ideen
Politik   Kunst  
Tonträger   Videos   Literatur Live   Zeitkritik   Autoren   Verlage
Film
   Preisrätsel   Verlage A-Z   Medien & Literatur   Museen & Kunst  
Mediadaten   Impressum