Bilderreiche
Syrien-Saga
Über fast hundert Jahre lang beschreibt Khalifa die Entwicklung Syriens, indem
er die Geschichten mehrerer Familien erzählt. Der Christ Hanna wächst am Ufer
des Euphrat in einer muslimischen Familie auf, gemeinsam mit deren Sohn Zakaria.
In die Tochter Suad mit den schönen langen Wimpern verliebt er sich. Doch Hanna
und Zakaria sehnen sich nach einem freien Leben, das der gläubigen Muslimin Suad
nicht gefällt. Mit ihren besten Freunden, dem Juden Azar und dem Christ William,
ziehen Hanna und Zakaria nach Aleppo und errichten ein Freudenhaus, zu dem nur
auserwählte Persönlichkeiten Zugang haben. Dort befinden sie sich auch an dem
Tag im Jahr 1907, als der Fluss aus den Ufern tritt. Viele ihrer
Familienmitglieder ertrinken in den Fluten. Es ist eine Zeit, in der Christen
und Muslime noch nebeneinander auf dem Dorffriedhof begraben werden. Aber mit
der Hochwasserkatastrophe setzen Veränderungen ein, die nicht nur das Leben der
vier Freunde betreffen, sondern das ganze Land erfassen.
Rückblenden und Erinnerungen brechen die chronologische Erzählweise auf, die
Geschichten verzweigen sich. Hier ist ein großer Erzähler am Werk, der den
Bilderreichtum der arabischen Sprache gekonnt mit Reflexionen über Leben und Tod
verbindet und an die bedeutende kulturelle Vergangenheit Syriens erinnert, die
heute so weit weg scheint.
Khaled Khalifa Autor - Keiner betete
an ihren Gräbern - Roman -
Übersetzt von Larissa Bender - Rowohlt - 544 Seiten - 26,00 € -
978-3-498-00204-6
Monumentale
Biographie
Paul Auster nimmt den Leser mit auf eine lebhafte Reise durch die kurzen 29
Jahre von Stephen Cranes Leben. Crane war der strahlende Stern der US-Literatur
zur Jahrhundertwende, ein Frühvollendeter in jeder Hinsicht – wichtigster
Vertreter des amerikanischen Naturalismus und Autor des legendären
Bürgerkriegsromans «The Red Badge of Courage» («Die rote Tapferkeitsmedaille»).
In den wenigen Jahren, die ihm vergönnt waren, verfasste er neben diesem
ikonischen Roman ein reiches Werk aus Lyrik, Kurzgeschichten und Novellen und
führte ein abenteuerliches Leben u. a. als Kriegskorrespondent im
Spanisch-Amerikanischen und im Griechisch-Türkischen Krieg. Er erlitt
Schiffbruch vor der kubanischen Küste, wurde in eine skandalöse Liebesaffäre
verwickelt, die ihn zwang, seine Heimat zu verlassen, bereiste mehrere
Kontinente, wurde in Kriegseinsätzen beschossen – all dies vor dem Hintergrund
des pulsierenden, sich rapide wandelnden Lebens im blühenden Industriezeitalter.
Und so ist Austers liebevoll genaues und detailreiches Porträt des
Schriftstellers Crane auch eines seiner Zeit und der Welt im Fin de Siècle des
neunzehnten Jahrhunderts am Übergang zum zwanzigsten.
Paul Auster
Autor - In Flammen - Leben und Werk
von Stephen Crane - Biographie -
Übersetzt von Werner Schmitz - Rowohlt - 1200 Seiten - 34,00 € -
978-3-498-00167-4
Hierzu
auch:
Stephen
Crane wiederentdeckt
Seine »Geschichten eines New Yorker Künstlers« und der Roman »Die rote
Tapferkeitsmedaille«
Text lesen
Hommage
an die Liebe & Literatur
Der Göteborger Verleger Martin Berg steckt in einer Krise: Die Verlagsgeschäfte
stocken, Martins Frau Cecilia ist Jahre zuvor spurlos aus seinem Leben
verschwunden, sein großes Romanprojekt liegt unvollendet in der Schublade und
seine Freundschaft zu dem gefeierten Künstler Gustav Becker scheint endgültig
erkaltet. Während Martin in Erinnerungen an seine Studienzeit in der Göteborger
und Pariser Bohème versinkt, blickt seine Tochter Rakel an jeder Straßenecke in
die Augen ihrer verschwundenen Mutter, deren Porträt das Plakat einer großen
Gustav-Becker-Retrospektive ziert. Als Rakel glaubt, Cecilia in dem Roman eines
Berliner Schriftstellers wiederzuerkennen, scheint es an der Zeit, den Schatten,
der über ihrer Familie liegt, endlich zu vertreiben.
Feinfühlig und klug erzählt Lydia Sandgren in ihrem Debütroman von einer
besonderen Freundschaft und einer besonderen Liebe – und setzt nicht zuletzt der
Liebe zur Literatur ein Denkmal.
Lydia Sandgren - Gesammelte Werke
- Roman - mare - Aus dem Schwedischen von Stefan Pluschkat und Karl-Ludwig
Wetzig - gebunden mit Schutzumschlag und Lesebändchen - 880 Seiten - 28,00 € -
978-3-86648-661-4
Nah
an der Realität
Wolodja Slawin ist ein Oligarch mit politischen Ambitionen. Als der junge
Journalist Anton Quint enthüllt, dass der selbsternannte Patriot sein Vermögen
außer Landes gebracht hat und seine Familie lieber an der Côte d’Azur weilt als
in Russland, schwört Slawin Rache. Aus den Stimmen von Jägern und Gejagtem setzt
sich die Geschichte einer Menschenjagd mit fatalen Folgen zusammen. Temporeich,
schonungslos, literarisch meisterhaft komponiert – ein Roman, nah an der
Realität, von einem mutigen Kritiker der Zustände in Russland und seinem
Heimatland Belarus.
Ein Journalist, der zu viel weiß. Ein Sohn, der seinen Vater verrät. Ein
Oligarch, der keine Gnade kennt. Ein korrupter Schreiberling ohne jeden Skrupel.
Medien, die auf Bestellung einen Ruf ruinieren. Sasha Filipenko erzählt die
Geschichte des idealistischen Journalisten Anton Quint, der sich mit einem
Oligarchen anlegt. Worauf dieser den Befehl gibt, Quint fertigzumachen. Die
Hetzjagd ist eröffnet.
Sasha Filipenko - Die Jagd
- Roman - Aus dem Russischen von Ruth Altenhofer -
Diogenes - Hardcover Leinen - 288 Seiten - 23,00 € - 978-3-257-07158-0
Bongo
im Kongo
Im Grenzgebiet zwischen Angola und dem Kongo, in den Minen von Lunda Norte und
im Zentrum von Lubumbashi tanzen Frauen ohne Alter, Diamantensucher, Gauner und
Agenten aus aller Welt den „Tanz der Teufel“. Neben absurden Dialogen und einer
Fülle von Erzählsträngen und Abschweifungen ist es vor allem die Musik, die den
Rhythmus von Fiston Mwanza Mujilas neuem Roman vorgibt. Und die Ironie des
Romans lässt die Auswirkungen von Kolonialisierung, Globalisierung, Raubbau und
Bürgerkrieg nur noch deutlicher erscheinen. Mit seinem gefeierten Debüt „Tram
83“ hat Fiston Mwanza Mujila eine völlig neue Art von Roman erschaffen. Sein
neues Buch ist noch schillernder, noch virtuoser und dabei noch politischer.
Fiston Mwanza
Mujila - Tanz der Teufel - Roman
- übersetzt aus dem Französischen von
Katharina Meyer & Lena Müller - Hanser - 288 Seiten - 25,00 € -
978-3-552-07277-0
»Paradoxe
Schönheit«
»Am laufenden Band« ist die Geschichte eines jungen Mannes, der als Zeitarbeiter
in Fischfabriken und Schlachthöfen in der Bretagne arbeitet. In einer einfachen
und einfühlsamen Sprache erzählt Joseph Ponthus mit viel Humor von seinem
Arbeitsalltag. Er berichtet von Monotonie und Schichtarbeit, von Kälte und
Gestank, von körperlicher Erschöpfung und dem allgegenwärtigen Tod von Tieren,
aber auch von der Solidarität der Arbeiterschaft und der »paradoxen Schönheit«
der Hallen. Während er am Fließband steht und gegen Tonnen von Wellhornschnecken
kämpft, erinnert er sich an die Musikerinnen und Schriftsteller, die ihn
prägten. Dank Dumas wird er wieder Musketier, mit Apollinaire ist er Lous
Liebhaber, mit Marx kämpft er gegen die Auswüchse des Kapitalismus.
»Am laufenden Band« ist sowohl Versroman als auch soziologische Studie über die
Mechanismen der Fabrikarbeit und die moderne Sklaverei in der
Lebensmittelindustrie. Es vereint die Stimme des Arbeiters mit der des
Intellektuellen – eine Liebeserklärung an die Kunst und eine zutiefst
menschliche Hommage an die Arbeiterklasse.
Joseph Ponthus - Am laufenden Band -
Aufzeichnungen aus der Fabrik - Übersetzt von Mira Lina Simon & Claudia Hamm -
Matthes & Seitz, Berlin - 239 Seiten, Hardcover - 22,00 € - 978-3-7518-0043-3
Alle
Register
Witz – das heißt nicht nur Scherz, sondern auch Sohn. Benjamin ist der
einzige Sohn und das dreizehnte Kind von Hausfrau Hanna und Rechtsanwalt Israel
Israelien, die von Überlebenden der Shoa abstammen. Er kommt am letzten
Weihnachten des letzten Jahrtausends vollständig ausgewachsen und mit Bart und
Brille in New Jersey auf die Welt, als eine mysteriöse Seuche die gesamte
jüdische Bevölkerung der USA dahinrafft. Benjamin überlebt als Einziger und wird
zunächst zur Kultfigur, als das aufs Neue ausgerottete Judentum auf einmal
schick wird. Doch in diesem Roman der Umkehrungen und Rollenspiele, in dem nun
die Nichtjuden verfolgt werden, wird auch Benjamin wieder zum Ausgestoßenen und
Gejagten und wiederholt das Leben in der Diaspora.
Gegen die Verkitschung des Holocaust zieht Joshua Cohen, der vielbeachtete Autor
von Buch der Zahlen, alle Register der Komik und Parodie, mischt
Biblisches mit Standup-Comedy, Hochkultur mit Trash, Familiengeschichte mit
Slapstick. So gelingt ihm ein fulminantes Opus magnum: mit Witz.
Joshua Cohen - Witz - Roman - Umschlagbild von
Carnovsky - Aus dem Englischen von Ulrich Blumenbach - Schöffling & Co. 912
Seiten - Gebunden - Lesebändchen - € 38,00 € - 978-3-89561-629-7
Weltpolitische
Bestandsaufnahme
Jahrzehntelang konnten sich Deutschland und Europa auf die USA verlassen. Doch
die Weltmacht ist angeschlagen. Sie konzentriert sich auf ihr nationales
Interesse und die Auseinandersetzung mit China. Zu glauben, die USA würden
unsere Interessen mitvertreten, ist die transatlantische Illusion. Der
USA-Experte Josef Braml analysiert unsere geopolitische Lage und zeigt, warum
wir selbstständiger werden müssen: militärisch, politisch, wirtschaftlich. Das
geht nicht von heute auf morgen. Aber wenn wir jetzt nicht
damit anfangen, dann werden wir zu den Verlierern der neuen Weltordnung gehören
und die Grundlagen verspielen, auf denen unser Wohlstand beruht.
Die neue Weltordnung stellt Deutschland und Europa vor große
Herausforderungen. Die Zeiten, in denen wir uns im Schatten der USA
durchlavieren konnten, sind vorbei. US-Präsident Donald Trump hat Europa mit
Strafzöllen belegt, den Zusammenhalt der NATO infrage gestellt und die liberale
internationale Ordnung durch seine America-First-Politik mit dem Rammbock
traktiert. Zwar legt Joe Biden wieder mehr Wert auf die Einbindung von
Verbündeten, doch wer garantiert, dass in vier Jahren nicht wieder Donald Trump
im Weißen Haus sitzt? Das eigene Schicksal von den Ergebnissen der
US-Präsidentschaftswahlen abhängig zu machen, ist in etwa so nachhaltig, wie im
Kasino beständig auf Rot zu setzen. Josef Braml liefert eine schonungslose
Bestandsaufnahme der weltpolitischen Gegebenheiten und zeigt, was auf dem Spiel
steht, wenn Europa nicht lernt, für seine Interessen selbst einzustehen.
Josef Braml
- Die transatlantische Illusion - Die neue
Weltordnung und wie wir uns darin behaupten können - C.H. Beck - 176 Seiten -
16,95 € - 978-3-406-78502-3
Von
einem, der auszog,
die Welt zu erforschen,
und dabei ein anderer wurde
Von
1799 bis 1804 reist Alexander von Humboldt nach und durch Amerika, später nach
Russland und bis an die Grenze des chinesischen Kaiserreichs. Was seine Reisen
begleitet, ist das Schreiben. Aus seinen veröffentlichten, aber auch
unveröffentlichten Schriften entsteht in Oliver Lubrichs Untersuchung ein Bild
des Reisenden selbst: neugierig und trotz Vorurteilen stets bereit, genau diese
an seiner Umgebung zu überprüfen. Das macht seine Aufzeichnungen bis heute so
brisant: Sie sind das Zeugnis einer Wissenschaft, die versucht, der Welt so nah
wie möglich zu kommen, so genau wie möglich von ihr zu berichten und auch das
eigene Scheitern unbedingt produktiv zu machen. Während Humboldt das Wissen über
die Welt im Namen der Forschung verändert, verändert die Welt, die er entdeckt,
auch ihn: Da ist der missglückte Aufstieg auf den Chimborazo, die unüberwindbare
Felsschlucht, die sich in einem wahnwitzigen Verfahren im Text niederschlägt. Da
sind der Orientalismus und die Antikisierung der überseeischen Kulturen –
erfahren, die Humboldt dekonstruiert. Und da ist die Zensur seiner Schriften im
zaristischen Russland, die ihn dazu zwingt, verdeckte Formen für die Erzählung
einer Reise unter politischem Druck zu finden, die brandaktuell sind. Immer mehr
erscheint Humboldt nicht nur als Schreibender, sondern auch als Geschriebener.
In jedem Buch wagt er einen anderen Entwurf, um Objektivität und Subjektivität
neu zu vermitteln. Seine intellektuelle Biografie zeigt, dass in der Veränderung
selbst der größte Erkenntnisgewinn liegt.
Oliver Lubrich - Humboldt - oder wie das Reisen
das Denken verändert - Matthes & Seitz, Berlin - 525 Seiten, gebunden - 34,00 €
- 978-3-7518-0337-3
Sprachverlust
»... hatte er ein merkwürdiges Gefühl, dass dies kein richtiger Mensch, sondern
eine Art Puppe war. Hier sprach nicht das Gehirn eines Menschen, sondern sein
Kehlkopf. Was dabei herauskam, bestand zwar aus Worten, aber es war keine
menschliche Sprache im echten Sinne; es war ein unbewusst hervorgestoßenes,
völlig automatisches Geräusch, wie das Quaken einer Ente.« George Orwell, »1984«
Sprache wird immer unmenschlicher. Begeistert, mindestens reflexhaft übernehmen
die Zeitgenossen, auch die akademisch gebildeten, die Sprach- und
Sprechbausteine der Apparate, des Frühstücksradios, der Sportsendung, der
Werbung; und also reden sie, wie das Reklameradio und all die anderen Agenturen
der Verblödung reden. Von Wortschatz will man, tagtäglich zugemüllt von
Knallervokabular wie lecker, mega, nachvollziehen und
alles gut, im Ernst nicht mehr reden.
Über Orwell wissen sie alle immer Bescheid, aber wie doppelplusgut sie
daherschwätzen, dafür fehlt ihnen genau jener Sinn, den die konforme als
Terrorsprache liquidiert. »Nur, was sie nicht erst zu verstehen brauchen, gilt
ihnen für verständlich; nur das in Wahrheit Entfremdete, das vom Kommerz
geprägte Wort berührt sie als vertraut«, wusste Adorno, und also werden Kinder
selbstverständlich zu Kids und Mädchen natürlich zu Mädels,
und wer so spricht, ist einverstanden, auch wenn er, als Wutbürger oder
wenigstens kritische Zeitungsleserin, vom Gegenteil überzeugt ist.
Stefan
Gärtner - Terrorsprache
- Aus dem Wörterbuch des modernen Unmenschen -
edition Tiamat - Critica Diabolis 289 - Broschur - 144 Seiten - 14,-€ -
978-3-89320-271-3
Artikel online seit 12.04.22
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