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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Ein Olympier unerschütterlicher Vielseitigkeit

Hilmar Hoffmann zum 90. Geburtstag

von Peter V. Brinkemper

Hilmar Hoffmann habe ich zunächst näher bei der Stiftung Lesen als Leiter und Auftraggeber kennengelernt. Später folgten Anfragen vom Präsidenten des Goethe-Instituts und weitere Projekte. Anfang der 1990er war seine Zeit als Kulturdezernent in Frankfurt vorbei, aber seine Bilanz konnte sich sehen lassen: eine Fülle von ausgebauten und neu errichteten Museen am Mainufer und in der Innenstadt, die eine Kulturlandschaft bilden. Miteinander thematisch kontrapunktierende oder sich gegenseitig erläuternde Hot Spots für alle Besucher, aus nah und fern. Das galt bereits als Hoffmanns Verdienst und Vermächtnis, entstanden in Prozessen der glückenden Anbahnung, Vermittlung, Konzeption und Finanzierung, auch durch die öffentliche Hand quer durch das Parteienspektrum und mit wechselnden Bürgermeistern. "Kultur für alle" und später "Kultur als Lebensform" waren die Formeln für das ebenso eingängige wie konstante Credo des aus Bremen stammenden, aber in Oberhausen anläßlich der Kurzfilmtage und des Jungen deutschen Films zwischen freier Kulturvermittlung und städtischer Organisation entscheidende Brücken schlagenden Repräsentanten.

So bildete sich die Aura des Tausendsassas und Proteus, des unaufdringlichen Inszenators und Genussmenschen, der als Organisator, Verwalter, Leiter und "Funktionär" sowie Finanzakquisiteur nie nur funktionierte, sondern die Kunst der Kommunikation einer Volonté générale culturelle beherrschte, um alte und neue Kulturansprüche zwischen elitärer Geste und sozialer Breite, Tradition und Avantgarde zu fördern, ohne Niveau, Diskurs und Unterhaltung auseinanderzudividieren.
Opas Kino war tot. Opas Kultur auch. Kultur war jetzt für alle da. Aber die waren sich keineswegs einig. Also musste Vielfalt zum Allgemeininteresse einer pluralistischen Gesellschaft erhoben werden. Literatur, Theater, Oper, Film und Architektur waren für Hoffmann gleichberechtigte Terrains, um Verflechtungen und Synergien, Chancen und Versäumnisse, Wahrheiten und Ideologien (wie er, Jahrgang 1925, erleuterte, so in "Der Film im Dritten Reich" 1988 und "Mythos Olympia", die Ausbeutung der Berliner Spiele 1936 durch Hitler, Goebbels und Riefenstahl im Zuge der erneuten Berliner Bewerbung 1993) im Kern und auf dem Gipfel sichtbar werden zu lassen, aber auch an der Peripherie die Einladung zur Annäherung an neue Besucher- und Publikumsschichten überzeugend auszusprechen.

Gerade aus dem Paradigma des Films zog er viele Überlegungen zu Montage, Assoziation und Kontrast, Dynamik und Stabilität von sozialer und medialer Wahrnehmung, die im öffentlichen Raum zwischen musealem Expertentum und breitenwirksamer Rezeption intuitiv für Bewegung und Gespräch sorgten. Der Begriff der Kultur reichte von den großen Inszenierungen über die Lebenskunst in verschiedenen Erlebnismilieus bis zur nostalgischen Beschäftigung mit dem Taubenflug als Modell für weitgespannte Entfernungen und gezielt überbrachte Botschaften. Episch bewegte sich Hoffmann zwischen der Tradition, der mittlerweile klassisch kanonisierten Avantgarde und sozialem Engagement. Das Bürgerrecht auf lokale und globale, ja weltbürgerliche Bildung und damit auch einer Kultur als Produktivkraft für soziale und politische Inhalte, Formen und Visionen weit über das Alltagsgeschäft hinaus hat Hilmar Hoffmann immer ernsthaft propagiert, als einklagbares Recht einer jederzeit möglichen Vollfinanzierung von Produktion, Distribution und Rezeption von wissenschaftlichen Teams und künstlerischen Ensembles in einem dichten Netz von Institutionen vor Ort, die auch durch Bibliotheken und Mediensammlungen in enger Kommunikation mit den Bürgerinnen und Bürgern stehen, und die sich in der Folge als Standortfaktor und Veranstaltungsmagnet erweisen sollten, jenseits hauchdünn importierter Teilzeitkräfte und zusammengebastelter Events in den Zeiten von heruntergesparten Etats und alternden Zielgruppen.

Dieses Konzept eines Rechts oder einer Option auf Kultur als Lebensform bezieht sich auf einen vitalen, keineswegs einheitlichen, sondern soweit wie möglich diversifizierten Kulturraum, in dem sich die soziale und geschichtliche Entwicklung für alle Gruppen und Bürger begreifbar bleiben und durch die Provokation genuiner Kunst diskutierbar werden. Sowohl für diejenigen, die bereits um diesen Wert von kulturellem Erleben, Schaffen und Evaluieren wissen, aber auch diejenigen, die diese Erfahrung, aufgrund bisheriger Schranken und Defizite noch machen sollten. Wie hoch der Wert von Bildung und Kultur sich ausnimmt, kann erst ermessen werden, wenn man aus der eigenen kleinen Nische der Gewohnheiten die Chance und Herausforderung annimmt, die eigene Reflexion auszuweiten und den Dialog mit den Themen der klassischen und zeitgenössischen Werke in Literatur und Kunst, Theater, Film und Architektur aufnimmt. Der Dialog mit Hilmar Hoffmann, zwanglos im Gespräch wie in der gemeinsamen Arbeit an Projekten, die zu konzipieren oder zu redaktionieren waren, war immer von der Heiterkeit der Kunst der kreativen Zusammenarbeit geprägt. Wie hätte es anders sein sollen. Die konkrete Utopie einer Vielbeschäftigung im Goetheschen Olymp, in dem Depression, Überdruss und Burnout einfach nicht vorstellbar sind. Dieser Gipfel war verbunden mit einer ungeheuerlichen Ruhe und Beständigkeit, die nie in Trägheit oder Getue ausarteten, sondern die Vielzahl der Projekte immer weiter bewegten.

Happy Birthday.

Artikel online seit 24.08.15
 

 


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