Home

Termine     Autoren     Literatur     Krimi     Quellen     Politik     Geschichte     Philosophie     Zeitkritik     Sachbuch     Bilderbuch     Filme





Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


Anzeige

Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

Ohne Versandkosten bestellen!
 



Die Poesie des Banalen

Die wagemutige filmische Idylle »Paterson« von Jim Jarmusch

Von Wolfram Schütte

 

»Paterson« ist der Name einer Kleinstadt im US-Bundesstaat New Jersey, in den USA berühmt auch wegen der gleichnamigen Wasserfälle des Passaic-Flusses. »Paterson« heißt aber auch ein dort einheimischer Busfahrer, dessen tägliche Route durch das Städtchen an einem touristischen Aussichtsplatz endet, von dem aus man die pittoresken Wasserfälle bewundern kann – im jüngsten Film Jim Jarmuschs, der »Paterson« heißt.

»Paterson« ist schließlich aber auch der Titel eines fünfteiligen lyrischen Porträts der gleichnamigen Stadt. Das einzigartige Buch gehört zu den Monumenten der angloamerikanischen Literatur des 20. Jahrhunderts. Geschrieben hat es William Carlos Williams. Er lebte als Arzt in dem nahebei gelegenen Rutherford & war befreundet mit Ezra Pound. WCWs »Paterson«  wurde von Joachim Sartorius & seiner Frau Karin Graf übersetzt & ist auf Deutsch bei Hanser erschienen. Der Film »Paterson« lief dieses Jahr im Wettbewerb von Cannes & ist seit Jarmuschs Debut 1980 sein 13. Spielfilm.

Auch wer die fast ein wenig demonstrative Hommage des bekannten Regisseurs & Drehbuchautors für den großen usamerikanischen  Poeten William Carlos Williams nicht kennt, versteht Jarmuschs Film ohne diesen sonoren literarischen Resonanzboden auf Anhieb. Wenngleich es gut ist zu wissen, dass WCW zusammen mit ein paar anderen Künstlern seiner Zeit & Gegend (wie z.B. Frank O'Hara) eine minimalistische Dichtung bevorzugte,  die das alltägliche Leben zumeist ohne Metaphern in den Blick nahm. Wie eben jener junge fiktionale Busfahrer, der seine lakonische Alltagspoesie in einem Notizbuch niederschreibt – ob in seinem häuslichen Poetenkeller oder beim morgendlichen Warten am Steuer seines Busses, bevor er von dem immer gleichen Dispatcher mit dessen immer gleichen privaten Problemen auf die immer gleiche Tagestour geschickt wird.

Das Immergleiche ist gewissermaßen die ästhetische Struktur von Jim Jarmuschs Film: bis in die Kamerapositionen, die Orte & die Montagefolge der Einstellungen hinein. Unverkennbar eifert der US-Regisseur mit der minimalistischen Form seiner Filmerzählung dem japanischen Meister Yasujiro Ozu (»Reise nach Tokyo) nach. Ozu hat die schönsten Filme gewissermaßen aus einem Nichts an Handlung oder (amerk.) »plot« entwickelt: erzählerische Meditationen über die Poesie des Banalen, Epiphanien eines leuchtenden Alltags.

Könnte man die Gedichte, die der junge Busfahrer in Paterson verfasst, nicht vielleicht auch »amerikanische Haikus« nennen? Und trifft der Amateur-Dichter am Ende nicht sogar einen japanischen Touristen, der als Bewunderer William Carlos Williams' sich die Wasserfälle anschaut & dem Busfahrer ein Buch schenkt, nachdem Patterson zwar schamhaft seine eigene poetische Existenz verleugnet, aber seine Liebe zu dem berühmten Kollegen WCW gestanden hat, die beide so herzlich miteinander teilen? 

»Paterson« ist das rare Beispiel einer Idylle der Selbstgenügsamkeit, der Sanftmut & des einfachen Lebens. Nur Jim Jarmusch kann sich diesen Hymnus in filmischer Strophenform heute erlauben, ohne dass die Idylle – seit langem ein ästhetisch prekäres Genre in den modernen Künsten – besonders auch in diesen (USA-)Tagen peinlich, süßlich oder sentimental würde. Die strenge ästhetische Form & der ironische Humor, mit dem Jarmusch sechsmal den Tageslauf Pattersons & seiner etwas exzentrischen Frau als ein junges Philemon-&-Baucis-Pärchen in einem einfachen Vorstadthäuschen aufblättert, verhindern jeden falschen Ton während der wie im Flug vergehenden 123 Minuten, in denen man sich an Adam Driver (Paterson), Golshifteh Farahani (seine Frau) & ihrem bulligen kleinen Boxerhund mit wachsender Freude & innerem Vergnügen am amüsanten Zusammenspiel der drei sattsehen kann.

Den mechanischen Wecker braucht Paterson nicht; seine biologische Uhr weckt ihn frühmorgens, wenn die Kamera in Aufsicht das schlafende Paar im Bett zeigt. Nach seinem allein eingenommenen Frühstück läuft der junge Mann mit seinem Heft immer den gleichen Weg zum Busbahnhof; während er am Steuer seines Buses sitzt & ein erstes Gedicht niederschreibt, erzählt ihm der Dispatcher von draußen an der offenen Bustür seine immer gleichen privaten Probleme - bis er merkt, dass Paterson ihm gar nicht wirklich zuhört & er daraufhin etwas beleidigt über den schreibenden Solipsisten sein morgendliches Lamento einstellt.

Wenn der Bus-Driver dann durch Paterson, die Stadt, kurvt, kann er nicht umhin, gelegentlich die Gespräche von den nächst ihm sitzenden wechselnden Passagieren mitzuhören & sich über dieses Alltagsgeschwafel grinsend zu amüsieren (& es als poetisches Material zu sammeln). In der Mittagspause, in Sichtweite der berühmten Wasserfälle, beugt der Poet sich dann wieder über sein Notizbuch & schreibt ein neues Gedicht.

Wenn er nachmittags nachhause kommt, überrascht ihn seine künstlerisch ambitionierte, aber de facto bloß überkandidelte schwangere Frau mit ihrem jeweils jüngsten Irrtum: der von ihr schwarz-weiß neu eingestrichenen Wohnung, einem selbstgeschnittenen Gewand, dem talentlosen Gekrächze auf der teuer erstandenen Gitarre als Hillbillysängerin oder mit einem von ihr kreierten Gericht, dessen geschmackliche Scheußlichkeit man trotz seiner Diskretion an den Verwerfungen von Patersons Miene ablesen kann.

Widerstandslos & nachsichtig nimmt ihr geduldiger Mann das unglückselige häusliches Treiben hin. Immerhin findet seine liebe Frau seine Gedichte schön & träumt davon, dass er sie kopiert & einem Verlag schickt, damit alle Welt erfährt, dass er ein »Dichter« ist (der mit seiner Kunst etwas Geld verdient); mit den massenhaft von ihr gebackenen Muffins macht sie auf einem Regionalmarkt überraschenderweise sogar ein gutes Geschäft. Das Geld kann das bescheiden lebende Pärchen gut gebrauchen.

Die schmale Haushaltskasse erlaubt Paterson nur 1 Bier am Abend, wenn er den Boxerhund ausführt (oder besser dieser ihn) & in der immer gleichen Kneipe am Tresen mitbekommt, wie ein unglückliches Liebes-Pärchen auf immer die gleiche Weise sich streitet.

The same procedure as every day – bis eines Tages der unbeaufsichtigte (eifersüchtige?) kleine Boxer das zuhause in einem Sessel liegengebliebene Gedichtheft schreddert & das gesamte lyrische Oeuvre Patersons damit vernichtet. Der mit dem Stoizismus eines einsamen Samurais ausgestattete Dichter (dessen kleine Bibliothek ihn als ausgepichten Kenner der amerikanischen Lyrik ausweist) lässt sich von dieser Katastrophe jedoch nicht aus seiner Ruhe bringen oder den Vernichter seins poetischen Oeuvres strafen.

Bescheiden wie er nun mal ist, wird der Sanftmütige in der amerikanischen Westküsten-Provinz dem unverhofften Wink des japanischen Literatur-Touristen folgen & wie der unermüdliche Sysiphos seinen Stein den Hügel weiterhin klaglos hinaufwälzen – wenn es auch in seinem unheroisch-alltagsbanalen Fall nur das bescheidene private Vergnügen ist, der kleinen Welt seiner Heimatstadt während dem Trott des Tages & der Monotonie der Arbeit das »Lied, das in allen Dingen schläft,« (Eichendorff) abzulauschen & dank seine poetischen Ader es ganz unromantisch reimlos vor & für sich hinzuschreiben.

Jim Jarmuschs »Paterson« ist eine märchenhafte, leichthändig & subtil dargebotene filmische Phantasie über das ebenso seltene wie seltsame solipsistische »Glück im Winkel«; die ästhetisch wagemutige, aber doch vollauf gelungene Apotheose einer bescheidenen Poesie alltäglichen Lebens; ein tief bewegender symbolischer Gegenentwurf zur brutalen Gesellschaft der USA, in der sich »Donald & Hillary« wie Gladiatoren im Circus Maximus der Öffentlichkeit entwürdigt & zerfleischt haben.

Artikel online seit 17.11.16

 

Paterson
Regie: Jim Jarmusch
Mit: Adam Driver, Golshifteh Farahani, Kara Hayward, u.a.

Zum Trailer

 

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
Home   Termine   Literatur   Blutige Ernte   Sachbuch   Politik   Geschichte   Philosophie   Zeitkritik    Filme   Impressum - Mediadaten