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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
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»Die einsame Soldatin«

Peter Stephan Jungk erzählt Geschichten eines Lebens
»Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart«

Von Lothar Struck

 

Edith Tudor-Hart ist die Tochter des Bruders seines Großvaters mütterlicherseits. Und so ganz genau weiß der Schriftsteller, Übersetzer und Filmemacher Peter Stephan Jungk nicht, ob sie nun seine Großtante oder seine Großcousine ist. Aber das hält ihn nicht ab, über sie ein kluges, staunendmachendes, ergreifendes und stellenweise geheimnisvolles Buch zu schreiben.

Edith Tudor-Hart, geborene Suschitzky, Tochter eines Wiener Buchhändlers, später durchaus bekannt als renommierte Fotografin, lebte von 1908 bis 1973. Zu Beginn des Buches "Die Dunkelkammern der Edith Tudor-Hart" erinnert sich Jungk an einen gemeinsamen Ausflug mit ihr als 15jähriger, 1967 im Riesenrad im Wiener Prater. Damals unterhielt man sich ein bisschen zwanghaft über Musik. Rolling Stones und Beatles versus Mozart, Beethoven, Haydn. Schließlich erwähnte sie einen Freund, der die Fahrt im Riesenrad kaum ausgehalten habe: Übelkeit, Angstschweiß. Heute fragt sich Jungk, ob der Freund, dem im Riesenrad schlecht wurde weil er unter extremer Höhenangst litt, ihr damaliger Liebhaber Arnold Deutsch war oder sogar Kim Philby, jener sagenumwobene Agent des sowjetischen Geheimdienstes NKWD bzw. KGB, der als hoher Offizier des britischen Geheimdienstes jahrzehntelang für die Sowjetunion spionierte.   

Wien, Riesenrad, Spionage - die Szene erinnert an Graham Greenes "Der dritte Mann" (ein Zitat von Greene ist dem Buch vorangestellt). Und Edith Tudor-Hart kannte denjenigen, den man seinerzeit den dritten Mann nannte nicht nur, sie gilt heute als diejenige, die Harold Adrian Russell Philby, genannt Kim, einen aus wohlhabender britischer Familie stammenden Sohn eines Kolonialoffiziers und Teepflanzers, Anfang der 1930er Jahre in Kontakt zum sowjetischen Geheimdienst brachte. Philby war bereits als Student ein glühender Anhänger des Kommunismus. Bei einem Auslandsaufenthalt in Wien kam er mit Edith in Kontakt, die ihn dann einige Zeit später in London mit Arnold Deutsch zusammenbrachte. Deutsch überredete Philby nicht als Aktivist tätig zu werden, sondern sich als Agent in höchste Kreise einschleusen zu lassen, pro forma eine stramm antikommunistische Haltung einzunehmen und somit "der Sache" mehr zu dienen, als in muffigen Kellern Flugblätter zu drucken. Deutsch war ein Meister der Rekrutierung; auf sein Konto gehen die sogenannten "Cambridge Five", fünf Studenten aus Cambridge, vereint in ihrem Glauben an den Kommunismus, die unabhängig voneinander teilweise jahrzehntelang konspirativ für die Sowjetunion arbeiteten.

Deutsch war in den 1930er Jahren der Geliebte von Edith Suschitzky. Auch Edith war von der kommunistischen Idee begeistert und arbeitete für die später verbotene KPÖ. Als das österreichische Dollfuß-Regime 1933 unter anderem auch die Kommunisten verfolgte, gingen ihre Anhänger in den Untergrund oder verließen das Land. Edith heiratete den englischen Arzt Alexander Tudor-Hart, der ebenfalls ein kommunistischer Sympathisant war und emigrierte 1933 nach London. Dort wurde sie unmittelbar nach der Ankunft schon verhört, der Nachrichtentätigkeit für den Kommunismus beschuldigt. Nachgewiesen wurde ihr nichts, obwohl sie sicherlich damals bereits Agentin des russischen Geheimdienstes war. Bis heute ist nicht klar ist, ob ihr Zenit mit der Zuführung Philbys an Deutsch vielleicht schon überschritten war. Jungk bemüht sich hierüber mehr Informationen zu finden, schreibt sogar die Archive in Russland an, reist trotz nichtssagender und ablehnender Antworten nach Moskau um sich quijotesk dort Zugang zu verschaffen. Über einen Kontakt scheint es schließlich zu klappen – aber am Ende erfährt er auch hier nur das, was längst publik ist. Geheimdienste bleiben geheim. Vielleicht auch, weil es am Ende sogar banal ist, was dort als Staatsgeheimnisse gehütet wird und die "Geheimniskrämerei" dient nur dazu, eine gewisse Aura aufrecht zu erhalten.

Andere ausstehenden Fragen versucht Jungk durch Gespräche mit Bekannten und der Familie wenigstens teilweise zu beantworten. So reist er zu Alexander Tudor-Harts Sohn aus erster Ehe und dessen Frau nach Wales. Die rustikale Liebeswürdigkeit der beiden ändert sich, als Jungk insistiert, ob sie auch heute noch Anhänger des Kommunismus sind. Andere Verwandte, wie etwa der inzwischen 103jährige Bruder von Edith, Wolf Suschitzky, ebenfalls ein berühmter Fotograf und Kameramann, hält bis heute die geheimdienstlichen Verstrickungen Ediths für ein Märchen.

So eindeutig Jungks Positionierung in Sachen Kommunismus ist – er richtet nie über seine  Protagonisten. Gelegentlich fragt er nur, ob nicht die brutalen Verbrechen des Stalinismus hätten bekannt sein können oder gar müssen, selbst man wenn man nicht den historischen "Rückspiegel" anwendet. Einen Zeitzeugen, der nichts von Stalins Verbrechen gewusst haben will, zitiert Jungk: "Die Kommunisten waren doch die Einzigen, die erhobenen Hauptes gegen die Nazis einschritten, die Einzigen, die nicht kuschten. Wir hatten die besten Motive". Dies zeigt deutlich, wie die Anhänger des Kommunismus für sich und ihre Ideologie heute noch moralische Absolution beanspruchen, weil man die richtigen Gegner bekämpft hat. Jungks Buch zeigt an einigen Stellen diese pseudomoralische Überlegenheit – ohne diese zu kommentieren. Möge der Leser entscheiden.

Immer wieder stößt Jungk auf Fragen über Ediths Spionagetätigkeit, die am Ende nur spekulativ beantwortet werden können. Was hat sie außerhalb ihrer kurzen Wiener Zeit für die sowjetischen Dienste geleistet? Was kam danach? Den letzten Kontakt mit dem KGB soll es Ende 1953 gegeben haben. Und dann? Blieb Tudor-Hart trotz der in der Chruschtschow-Zeit bekannt gewordenen Verbrechen Stalins und der blutigen Niederschlagungen der Aufstände in Budapest und Berlin (1953) sowie Prag (1968) aus Überzeugung dem Kommunismus treu oder geschah dies nur aus Angst vor Repressalien? Jungk vermutet zwar Zweifel bei Edith, aber an einen Verrat dachte sie nie. Oft ist sie in das Visier britischer Dienste und der Polizei gekommen und immer blieb sie standhaft. Für Jungk steht fest, dass man sie von russischer Seite mindestens teilweise beobachtet haben muss. Schließlich wusste sie über die Besetzung hoher und höchster Spione Bescheid.

Und dann dieses Privatleben. Die unglückliche Liebe zu Deutsch. Fast eine Flucht, die Heirat von Alexander, der kurz nach der Geburt von Tommy Martin 1936 nach Spanien auf und half dort als Arzt den republikanischen Truppen. Zwei Jahre blieb er schließlich dort, während Edith als alleinerziehende Mutter klarkommen musste. Die Verhältnisse waren schwierig trotz ihres inzwischen herausragenden Rufs als Fotografin und Verfasserin brillanter, sozialkritischer Fotoreportagen. Dabei immer diese Angst, nicht enttarnt zu werden Agentin und Fotografin – zwei "Dunkelkammern" der Edith Tudor-Hart.

Zuweilen wurde sie vorgeladen, später gab es unregelmäßig Hausdurchsuchungen – immer ohne Belege für eine geheimdienstliche Tätigkeit. Tommy blieb geistig zurück, entwickelte schizophrene Schübe, wurde mit seinen auch physischen Attacken praktisch unerziehbar. Als Alexander endlich zurückkam, zerbrach die Ehe. Nichts ließ Edith unversucht, dem Kind zu helfen. Tommy wurde in den unterschiedlichsten Sanatorien und Nervenheilanstalten untergebracht; Besserungen gab es nur kurz. Weltverbesserer Alexander zog es vor, keine Unterhaltszahlungen zu leisten, meldete sich nur sporadisch. Das Geld für Tommys Unterbringungen kam aus Alexanders Familie, die jedoch keinen Unterhalt für Edith zahlten.

Im Mai 1952 erlitt sie einen Nervenzusammenbruch. Zwei Agenten des britischen Geheimdienstes besuchten sie und vergatterten sie, ihren Beruf als Fotografin nicht mehr auszuüben. Das war zuviel. Auch Edith kam nun unter Initiative einer Freundin in eine Nervenheilanstalt, erholte sich nur langsam. Sie nahm Gelegenheitsjobs an, teilweise inkognito in einer Fotowerkstatt, dann als Sozialarbeiterin, zum Schluß, 1962, als Antiquitätenhändlerin. Da war sie in den letzten zehn Jahren neunmal umgezogen.

Zuweilen vermeidet Jungk die Quellennennungen, sicherlich aus gutem Grund. Die Berufsverbotsepisode beispielsweise, die das Leben bis zu ihrem Tod zu einer wahren Höllentour machte, bleibt mysteriös. Wie stark mag ein solcher Imperativ an der Haustür gewesen sein, dass Edith ihm folgte? Was hatte man ihr angedroht?  

Dezent beschäftigt sich Jungk mit den zumeist unglücklichen Liebesaffären von Edith Tudor-Hart, die am Ende wie allegorisch in Bezug auf ihr Leben wirken. Besonders interessant wird es, wenn Jungk Rekurse auf seine Eltern anstellt und sich an familiäre Sonntagnachmittag-Treffen zwischen seinem Vater, dem Zukunftsforscher und Friedensaktivisten Robert Jungk und Engelbert Broda erinnert. Auch Broda war, wie sich später herausstellte, ein KGB-Agent und Jungk überlegt, ob sein Vater nicht ein "fellow traveller" war, betrachtet sogar noch einmal die Denunziationen Friedrich Torbergs aus den 1960er Jahren gegen seinen Vater unter diesem Blickwinkel. Schließlich gehörte Robert Jungk der "Pugwash"-Bewegung an und reiste häufig in die UdSSR. 1964 wurde Robert Jungk der amerikanische Pass entzogen; formal korrekt, aber dennoch "ein wenig befremdlich". Eine wie auch immer geformte Karriere als Spion traut er seinem Vater nicht zu, aber womöglich genügte es seinen sowjetischen Gesprächspartnern, "dass er nicht selten publizistisch gegen die atomare Aufrüstung des Westens" Partei ergriff  "und sich für die internationale Friedensbewegung einsetzte."  

Viele Leerstellen muss Jungk meistern, aber er macht deutlich, wenn es fiktional und spekulativ wird. Gelegentlich werden auch Anekdoten eingebaut; "Geschichten eines Lebens" lautet der adäquate Untertitel des Buches. Angenehm, wie Jungk einem Betroffenheitston in Bezug auf Edith widersteht. Dadurch gerät die einzige Stelle, in der er bekennt, dass ihm Edith Tudor-Hart leid tue, umso intensiver: "[I]n der Nachzeichnung ihres Lebens spüre ich ihre Ängste, fühle ihre Verzweiflung. Ihre Einsamkeit. Den Zweifel an sich selbst. Ihren Eindruck, alles im Leben falsch gemacht zu haben. Ihre Sorge um Tommy. Ihren Zorn auf Alex. Auf die Männer. Auf alle Menschen, die sie kannte." Nein, als glücklichen Menschen vermag man sich Edith Tudor-Hart, "die einsame Soldatin" (Jungk), nach dieser Lektüre nicht vorstellen.

Subtil und fast wie unabsichtlich, dafür umso eindringlicher räumt das Buch mit der Legende des tollen Glamour-Spionagelebens à la John le Carré oder gar James Bond auf. Vier der "Cambridge Five"-Aktivisten wurden enttarnt. Viele Spione, die aus Idealismus für den Kommunismus arbeiteten, wurden von den eigenen Leuten als Abweichler ermordet. Besonderes Augenmerk richtet Jungk immer wieder auf Kim Philby, der am Ende zwar Exil in der Sowjetunion bekam, aber dem Alkoholismus verfiel.

Man liest dieses Buch in einem Zug. Und freut sich sofort auf den Film, den Peter Stephan Jungk über Edith Tudor-Hart gerade dreht.

Artikel online seit19.06.15
 

Peter Stephan Jungk
Die Dunkelkammern
der Edith Tudor-Hart

Geschichten eines Lebens
Biographie
S. Fischer
320 Seiten
€ (D) 22,99
| € (A) 23,70 | SFR 32,90
978-3-10-002398-8

Leseprobe

 


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