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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Große Geste ohne Inhalt

Zum »Manifest« von Lisa Kränzler und Tomaso Carnetto.

Von Jürgen Nielsen Sikora

Im Jahre 1926 besprach Walter Benjamin den kurz zuvor erschienenen Roman »Bella« von Jean Giraudoux, Pressechef im Pariser Ministerium des Auswärtigen. Die Rezension brachte er im »Querschnitt« unter. Die Zeitschrift, mit der er sich wenig später überwarf, war damals eine der bekanntesten Kulturzeitschriften der 1920er Jahre. Benjamin beabsichtigte auch eine deutsche Übersetzung dieser modernen Romeo-und-Julia-Geschichte, zu der es jedoch nie kam. Seine Besprechung von Giraudoux´ Werk, das in den Jahren des Ersten Weltkriegs spielt, führt einen eigenwilligen Begriff mit sich: Riesenschreibmaschine.

Benjamin schreibt über das Buch und seine Metaphorik: »Wenn dort Worte sich in den Buchstaben schneiden, so stehen hier Bilder, welche unter sich im Ding, im Namen, im Begriff sich überqueren. Ein Rätsel, dessen gelöstes Bild die wildesten Züge des politischen und erotischen Kampfes in seinen atemraubenden Kreuzungen gibt. Ausschnitte dieser Kreuzwortmetaphorik: das Parlament ist Riesenschreibmaschine, an deren Klaviatur der Präsident sitzt; so leicht wie eine Urne trägt sich das Dossier mit einem Todesurteil; ein Baum ist Grabmal und zugleich trigonometrisches Signal. Le Puzzle du paradis perdu par l´homme stellt in solchen Bruchstücken sich wieder her.«

Man hätte erwarten dürfen, das »Manifest« von Kränzler und Carnetto nähme Bezug auf Benjamins Begriff, dächte ihn weiter, spielte mit ihm, reflektierte seine Möglichkeiten. Doch vieles, ja nahezu alles im Konzept der neuerlich erfundenen »Riesenschreibmaschine« bleibt nebulös: Das Manifest spricht lediglich davon, dass während des Schreibaktes nicht nur der Geist aktiv ist, sondern der ganze Körper; es träumt von einer Schreibmaschine, die infolgedessen den Körper fordert, und nicht nur dies: »Die körpergroße Schreibmaschine fordert eine Notation der Gegenwart, die nur mit dem Körper im Bewusstsein meiner / unserer Körperlichkeit vollzogen werden kann, zuerst und zuletzt um den Zustand der Körperlichkeit in der Sprache (im Angesprochen-Sein) aufzuheben.«

Was immer das auch heißen mag...

Der Text ist zudem überhaupt kein Manifest, denn Manifest bedeutet wörtlich: Deutlichkeit. Dieses »Manifest« aber ist ein einziges Stakkato dunkel bleibender Bilder, zusammenhanglos und wirr, durchbrochen von einigen Zeichnungen und typografisch ansehnlich gestalteten Seiten, die an eine Manuskriptvorlage erinnern und von Übermalungen durchsetzt sind.

Halbsätze dominieren das Buch: »... das Verfassen der Notation und die zeitlich bedingte Ausführung voneinander trennen, gleichwohl sie wechselseitig auseinander hervorgehen, solange wir noch nicht abgestorben sind...«

Was soll das nur bedeuten? Unzweifelhaft scheint den Autoren jedenfalls, dass die geforderte Riesenschreibmaschine einen »Eintritt in die Mechanik« (?) zur Folge habe: Ein solcher Eintritt sei »ein Heraustreten aus allem Sinn, ein Sich-Überlassen der Bewegung Hin-zu ... Die Mechanik ... ist vorgegebene Teilung unserer selbst, wie wir sie auf die eine oder andere Art beständig zum Vorschein bringen.«

Auf die eine oder andere Art wird vor allem recht unbedacht mit großen Begriffen jongliert ohne je einen einzigen genauer zu erklären. Es bleibt dem Leser überlassen, wie er mit dem Gedankenwust fertig wird. Ein solch Leser verachtendes Vorgehen knüpft nahtlos an zahlreiche künstlerische und kunstwissenschaftliche Ausführungen an, die es ganz offensichtlich nicht nötig haben, Begriffsarbeit zu leisten. Es genügt ihnen, ihren Worten den Anschein zu verleihen, selbst Kunstwerk zu sein. Kontexte bleiben somit unberücksichtigt, Worte sinnentleert. Das vorherrschende Gestaltungsprinzip ist, die Ausführungen mit großen Gesten und entsprechendem Pathos zu schmücken. Manch einer hält dies fälschlicherweise selbst für Kunst, obgleich es nur wildes Geschwafel ist. Le Puzzle du paradis perdu par l´homme stellt in solchen Arbeiten sich leider nicht wieder her.

Artikel online seit 20.09.16
 

Lisa Kränzler / Tomaso Carnetto
Manifest
Verbrecher Verlag
Broschur, 120 Seiten
22,00 €
9783957322142

Leseprobe


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