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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Mohamed lebt.

Über die Aktualität von Hamed Abdel-Samads Mohamed-Biographie.

Von Robert Schwarz

 

Hamed Abdel-Samad ist ein mutiger Mann. Den Namen sollten wir uns merken. Viele haben sich von Mohamed einschüchtern lassen und ihn aus Angst und Opportunismus über sich herrschen lassen, sagt er. Das kann man von ihm nicht behaupten. Seit er 2013 bei einem Vortrag in Kairo der Muslimbrüderschaft und dem Islam eine strukturelle Nähe zum Faschismus vorgeworfen hat (s. H. Abdel-Samad, Der islamische Faschismus. Eine Analyse. 2014), lebt der gebürtige Ägypter und Sohn eines Imams unter einer Todesdrohung. Zwei hohe ägyptische Geistliche haben dazu aufgerufen, ihn zu töten. Das konnte für ihn nicht überraschend kommen, hatte er doch die entsprechenden Mentalitätsmuster längst treffend analysiert. Muslim zu sein bedeute, so formuliert er etwas zugespitzt, »beleidigt zu sein«. Tödlich Beleidigte lassen nun einmal nicht mit sich spaßen. Wieso ließ er es dennoch darauf ankommen?

Mir imponiert an dem Islamwissenschaftler und politischen Publizisten, wie kämpferisch und leidenschaftlich er sich mit der Tradition der Aufklärung identifiziert, mit einer Verve, wie es unter hier akkulturierten Intellektuellen längst nicht mehr üblich ist. Das ist, als würde der Gast dem Gastgeber etwas schenken, was dieser längst in der Dachkammer verstaut hat, weil er es für selbstverständlichen Besitz hält. Natürlich wohnt Abdel-Samed schon länger in Europa, und von einer Liebe auf den ersten Blick – vor allem einer unproblematischen und zuckersüßen – kann man in seinem Fall nicht sprechen. Für den Mann aus dem ägyptischen Dorf, wo viele den Koran auswendig konnten, darunter (fast hätte er er geschafft!) er selbst, während bis vor kurzem niemand einen geschriebenen Koran sein eigen nennen konnte, der eine viel ältere Deutsche geheiratet hatte – wie weiland Mohamed seine Khadischa – und nach Deutschland gekommen war, um den Engen und der Heuchelei seiner Gesellschaft zu entfliehen, ohne recht zu wissen, was ihn dort erwarten würde, war das zwar kein lebensgefährlicher, aber ein zu großer Sprung gewesen, ein Sprung ins Unbekannte. Es wurde ein großer Schock, und wer die Geschichte dieser Versuche und Versuchungen, Enttäuschungen und Abstürze nachvollziehen möchte, die den Ägypter bis in eine geschlossene Anstalt gebracht haben, kann das in seinem ersten Buch, Mein Abschied vom Himmel. Aus dem Leben eines Muslims in Deutschland (2009) nachlesen. Schon in diesem Buch konnte man sehen, dass Abdel-Samad ein Autor ist, der nichts beschönigt, der im Gegenteil dann am meisten Kraft entfaltet, wenn er in eigener Sache und aus der eigenen leidvollen Erfahrung spricht. Nun ist im Herbst 2015 sein neuestes Buch, Mohamed. Eine Abrechnung erschienen.

Für mich bedeutete die Lektüre des autobiograpischen »Mein Abschied...« den Einstieg in eine wenig bekannte Welt, die ich nun viel besser verstehe. Da ich sozusagen in die Gegenrichtung aufgebrochen bin – nicht, um in Ägypten zu leben, aber aus Interesse an dieser eigenartigen Religion des Islam, die mir rückständig erschien, aber eben auch durchsetzungsstark und resistent und aus unerklärlichen Gründen hochaktuell – habe ich zwischenzeitlich einige Bücher über den Islam und seinen Begründer gelesen. Über diesen Mohamed weiß die wissenschaftliche Welt ja im Grunde sehr wenig. Dabei mangelt es nicht an Material: Da ist der geoffenbarte Koran, von ihm selbst (?) und den Menschen seiner Umgebung zusammengesammelt und verschriftlicht; dann gibt es die einige zehntausend Anekdoten, Sprüche und Beobachtungen umfassenden Sammlungen von Begebenheiten aus seinem Leben, die Hadithen. Im Islam gibt es ja nichts Ehrwürdigeres, als das Heilige Buch und das Leben des Gesandten Gottes bis in die kleinsten Details zu studieren. Preisfrage: Woran erkennt man den Unterschied zwischen einem islamischen und einem »westlichen« Islamforscher? Ein gläubiger Islamforscher, und etwas anderes verbietet sich im Grunde von selbst, setzt bei jeder Namensnennung Mohameds die tasliya hinzu: Friede und Segen Allahs seien auf ihm! Die Kluft »zwischen den Kulturen« ist also schon auf akademischer Ebene groß. Wie soll da ein Gespräch in gegenseitiger Anerkennung möglich sein? Eine weitere Quelle zum Leben Mohameds ist seine erste Biographie durch Ibn Ishaq, etwa 130 Jahre nach seinem Tod als politisches Auftragswerk angefertigt, die allerdings nur durch die sich darauf stützende Schrift eines späteren Biographen, Ibn Hischam, bekannt ist. Alle späteren Darstellungen stützen sich auf diese Quelle, bei der es sich ganz offensichtlich bereits um einen ziemlich legendenhaften Bericht handelte. Moderne Darstellungen ließen dann zwar die unglaubwürdigsten Wundergeschichten weg. Aber wird das restliche Material dadurch glaubwürdiger? Mittlerweile wird in Fachkreisen die äußerst blasphemische Frage diskutiert, ob ein Mann namens Mohamed überhaupt jemals existiert hat. Einige Verdachtsmomente sprechen dafür, dass es sich bei dieser höchstprominenten Person um eine Geschichtsfälschung oder zumindest Überlagerung unterschiedlicher (Ge-)Schichten handelt... - Aber spielen solche Zweifel außerhalb gelehrter Kreise eine Rolle? Abdel-Samad schildert ein wenig diese Hintergründe der aktuellen Forschung, geht dabei aber von einem viel entscheidenderen, schwer von der Hand zu weisenden Faktum aus: Mohamed lebt.

Das Phantombild des Gesuchten hat es in sich. Dieser halbkriminelle – ich bitte um Verzeihung! – Araber aus dem siebenten Jahrhundert zeigt alle Zeichen eines Menschen, der zeit seines Lebens an den Folgen psychischer Störungen oder Traumata gelitten hat, die er in seiner zweiten, der Medinenser Lebensphase aber höchst erfolgreich externalisieren und in die Gestalt einer Weltreligion gießen konnte. Zumindest ihre Fundamente hat er gelegt. Aber gerade die sind nach der theologischen Dogmatik des Islam unantastbar. »Der, der Allah und Seinem Gesandten nicht gehorcht, geht wahrlich in offenkundiger Weise irre.« (Koran 33, 36) Aus dem kreisförmigen Legitimierungsszusammenhang Gott – Mohamed – Koran – Mohamed – Gott (usw.) gibt es eigentlich kein Entkommen. Gott zeigt in Seiner Religon durch Seinen Erwählten den rechten Weg, Punkt. Mohamed ist doch selbst ein lebendiger Glaubensbeweis, das wunderbarste Muster! Wer es unverschämterweise wagen sollte, die Wegpfeiler Mo. oder Ko. in Frage zu stellen, begeht die allerschwerste Sünde. Es gab trotz dieses Gefahr unzählige Reformversuche in dieser gar nicht so einheitlichen Religion, aber gerade die radikalsten Reformer kamen immer wieder auf dieselbe Losung: Zurück zu unseren glorreichen und sauberen Ursprüngen! Damals war unsere Religion noch unverfälscht und rein, es war klar, was zu tun war, buchstäblich klar, und der anfängliche, so unglaublich rasante Erfolg unserer Religion beweist doch, dass Gott seine wahrhaften Parteigänger untertstützte und belohnte.

Mohamed hat nach Ansicht Abdel-Samads tatsächlich gelebt. Der große Zusammmenhang spricht dafür. Vor allem, so Abdel-Samad, könnte man gar nicht alle die negativen Seiten der Prophetengestalt erfinden, die einem enttäuschten Auge wie dem Hamads, ehemaliger Muslimbruder, bewaffnet mit dem Willen zur psychologischen Analyse, nicht entgehen. Mohamed zeigt demnach narzisstische, paranoide, manisch-depressive, gewaltaffine und größenwahnhafte Züge, seine Persönlichkeit war immer instabil, und die Begleiterscheinungen der Offenbarungsanfälle lassen die gut begründete Vermutung zu, Mohamed habe an einer Form von Epilepsie gelitten. In einer Diskussion wurde Hamed Abdel-Samad gefragt, warum bisher noch niemand so eine »negative« Liste zusammengesammelt hat. Die Indizien haben es nämlich in sich. Schon allein die Art, wie er seine Frauen kontrollieren und vor möglichem Kontakt mit anderen Männern schützen musste, spricht Bände. Nach Abdel-Samads Ferndiagnose hat Mohamed zeitlebens versucht, den Enttäuschungen und Vernachlässigungen zu entkommen, die er als Kind erfahren hatte – im Grunde aber erfolglos. Während es nach außen hin für ihn immer glatter lief, die Offenbarungen des Gottes auch erstaunlich gut mit seinen eigenen Bedürfnissen zusammenpassten, wurden doch die inneren Kompensationszwänge nicht geringer. »Je mehr er trank, desto durstiger wurde er.« Seine Entscheidung, für die Verbreitung der Religion auf organisierte Überfälle und ganz prinzipiell auf Gewalt zu setzen, brachte zwar nach den vielen Jahren der mäßig erfolgreichen, pazifistischen Überzeugungsversuche in Mekka den ersehnten Erfolg, aber von einer erfolgreichen Therapie des Mannes Mohamed wird man dennoch nicht sprechen können. Wie soll auf dieser Grundlage der Persönlichkeit des Propheten, so fragt sich der erstaunte Leser, so etwas wie eine universalisierbare Ethik (als Geschenk der Religion) möglich sein?

Man kann an diesem Ansatz kritisieren, dass Ferndiagnosen immer unseriös sind. Man kann Hamed Abdel-Samad auch vorwerfen, dass er sich für seine Diagnosen auf genau das Material stützt, dass in der westlichen Islamforschung längst als unseriös gilt. Allerdings hat seine Argumentation auch vieles für sich: Die Mohamedverehrung stützt sich ja gerade auf diese Überlieferungstradition, und es ist höchste Zeit, auf die Bruchstellen und das Unschöne darin aufmerksam zu machen. Denn mit der Überidealisierung Mohameds ist niemandem geholfen. »Fundamentalismus und Intoleranz sind nicht eine Folge der Fehlinterpretation der Texte, sondern eine Folge ihrer Überhöhung.« Die Herausforderung an die Gläubigen ist sicher keine geringe. Es wäre für die Muslime und für die an massiven Minderwertigkeitskomplexen und zugleich Größenwahnsymptomen leidenden, zu allem entschlossenen extremistischen Parteigängern Mohameds viel besser, wenn sie diesen Mann, der vor vielen, vielen hundert Jahren gelebt hat, Mensch sein lassen und auch endlich sterben lassen könnten.

Das wird aber nur gehen, wenn sich ihnen auch tatsächlich andere gangbare, erfolgversprechende Wege zeigen, auf denen sie ihren kulturellen Wert, ihre Einzigartigkeit und Besonderheit erfahren können. Und hier zeigt sich, dass auch die Worte, die Einstellungen und vor allem die politische Praxis »des Westens« eine große Rolle spielen, der ja in Gestalt seiner Repräsentanten so gerne Wasser predigt und Wein trinkt. Der Umgang »aufgeklärter« Nichtmoslems mit der Person Mohamed ist folglich eine ziemliche Herausforderung. Geht es doch darum, Menschen, die sich ohnehin »weltpolitisch« in der Defensive fühlen, nicht zu beleidigen, andererseits aber den eigenen Anspruch auf Wahrheit und Wahrhaftigkeit ernst zu nehmen. Wahrheit tut manchmal weh. Was tun? Sicher kann es nicht schaden, mehr über Mohamed und seine Rolle in dieser Religion zu lernen. Ich glaube, das ist wünschenswert. Zweitens, und das scheint mir viel wichtiger, denn nicht jeder will sich mit einer Sache beschäftigen, die ihn vielleicht mehr abstößt als anzieht; ich habe noch das Wort eines Freundes im Ohr: »Warum müssen wir uns jetzt wieder mit diesen Fragen des Glaubens herumschlagen, wo wir die Religion doch längst abgelegt haben!« - zweitens also schickt es sich bei jeder Art von Befremdlichkeit, sich auf das gemeinsame Menschliche zu verständigen, in tatsächlicher Achtung von jedem Beteiligten. Das liegt nicht auf der Hand. Es ist nicht so einfach, wie es klingt. Denn dieses »Menschliche« kann nicht postuliert, sondern muss gesucht, gefunden und geübt werden. Bequem ist das nicht.

Als Biograph eines religiösen Idols, Ideals, Helden und Vorbilds in Mohamed gerade den verdrängten fehlbaren Menschen zu sehen und zu suchen, ist sicher nicht der schlechteste Weg. Die Frage nach der letzten Bedeutung der Offenbarungen Mohameds lässt Abdel-Samad übrigens dann doch offen. Aber er legt den Finger in eine offene Wunde.

Zum Autor: Dr. Robert Schwarz, geb. 1970 in Klagenfurt, lebt als Autor und Lehrer in Wien. Studium der Philosophie und Psychologie in Wien, Paris und Los Angeles. Lehrtätigkeiten in Plovdiv und Bratislava.

Artikel online seit 06.01.16
 

Hamed Abdel-Samad
Mohamed
Droemer
240 Seiten
19,99 €

978-3-426-27640-2

Leseprobe

 


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