Wer
seinem polemischen Plädoyer »Für die Abschaffung des gebührenfinanzierten
Staatsfernsehens« den Titel gibt: »I have a stream«, will mit dem Witz des
Wortspiels zwei Fliegen mit einer Klappe schlagen. Er möchte annoncieren, dass
er wie Martin Luther King einen utopischen Traum hat, den der Untertitel
ausspricht & er deutet zugleich an, dass er die Zukunft des Fernsehens im
»Stream«, also übers Internet erblickt.
Berthold Seliger ist ein Berliner Musikveranstalter, der mit seinem vielgelobten
Buch »Das Geschäft mit der Musik« der Branche, in der tätig ist, rigoros die
Leviten gelesen haben soll. Das entnehme ich den enthusiastischen Kritiken des
in 6. Auflage in der edition tiamat vorliegenden Buchs. Diesen Erfolg will der
Autor nun ganz offensichtlich auch mit »I have a stream« wiederholen.
Die Auspizien dafür sind nicht schlecht. Denn über nichts wird im alltäglichen
Gespräch unter Alt & Jung schon seit geraumer Zeit mehr geklagt, als über das
»öffentlich-rechtliche Fernsehen«, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen. Ohne
polemisch werden zu müssen, kann man beim Blick auf das tägliche Programm von
ARD & ZDF entweder nur verzweifeln (& abstinent werden) oder in Wut geraten (&
ebenfalls sich ausklinken). Oder dabei bleiben & mit Fußball, Krimis,
Fernsehspielen etc. verblöden.
Wenn dann da endlich einmal einer auf die Pauke haut & mit lustvoller Empörung
die »Öffs«, wie er sie nennt, polemisch unter Beschuss nimmt: wer sollte davon
nicht begeistert sein?
Ich.
Niemand, der noch ein Quentchen Verstand hat, bezweifelt, dass das
»öffentlich-rechtliche« Rundfunk-& Fernsehsystem an Haupt und Gliedern einer
gründlichen & rabiaten Reform unterzogen werden müsste. Aber das verschmutzte,
korrupte, hässliche Kind nicht nur verbal mit Lust zu schrubben, sondern es auch
gleich mit dem Bade auszuschütten, wie es Berthold Seliger in seinem »I have a
stream« tut, ist in höchstem Maße unsinnig. Nicht nur Liebe, auch Hass kann
blind machen.
Dialektik von Linksradikalismus & Neoliberalismus
Der
eloquente Wüterich Seliger, der vermeintlich aufs Ganze geht, macht es sich denn
doch zu leicht. Soviel er an Skandalen, Fehltritten & -verhalten der »Öffs« zu
wissen meint, er weiß doch zu wenig von seinem Gegenstand oder dessen
Entwicklungsgeschichte & wirft Grundsätzliches & Peripheres wüst durcheinander,
damit er immer wieder zu seinem staccatohaftem »Ceterum censeo…« zurückkehren
kann: Nämlich zur »Zwangsabgabe« von monatlich 17.50€ pro deutschem Haushalt,
mit dem das »Staatsfernsehen« künstlich am Leben erhalten werde, damit die
Intendanten als »Fernsehdiktatoren« das »diktatorische System« fester
Sendezeiten exekutieren könnten & sich alle möglichen Leute – in & außerhalb der
Funkhäuser & Sendeanstalten – mit den intransparent verschwendeten, »von uns«
zwangsweise eingezogenen €-Milliarden, allermeist verfassungswidrig oder
korrupt, die privaten Taschen füllen können.
Berthold Seligers temperamentvolle Generalabrechnung mit ARD & ZDF ist geradezu
ein Musterfall vermeintlich linksradikaler Kritik, die vollmundig einen
neoliberalen Kollateralschaden herbeisehnt. Wenn er sich auf den letzten Zeilen
seines Buches das endgültige Verschwinden des verhassten Objekts seiner
Vernichtungsbegierde triumphalistisch imaginiert, weil »das Staatsfernsehen
seinen Sendebetrieb eingestellt hat und auf dessen Kanälen nur noch ein von
uns hergestelltes weißes Rauschen zu sehen ist«, fällt ihm bei diesem
Pyrrhussieg nicht einen Augenblick ein, dass dann ja nur noch jene Kanäle übrig
sein dürften, auf denen der bunte, triviale, werbeweltliche Schwachsinn bereits
jetzt schon tobt. Und ob es nicht eher eine fundamentale Resignation &
irreversible kulturpolitische Niederlage ist, einen öffentlichen Raum
abzuschaffen, statt um ihn mit allen nur möglichen Mitteln öffentlich & radikal
zu kämpfen: eine solche Wahrnehmung & Erkenntnis liegt für den selbstverliebten
pseudoradikalen Polemiker jenseits seines geistigen Horizonts.
Die fundamentale gesellschaftspolitische Phantasielosigkeit Berthold Seligers
ist sozusagen »hausgemacht«. Denn während er – übrigens weitgehend zurecht - die
allseits bekannten negativen Fakten der systematischen öffentlich-rechtlichen
Verfehlungen summiert, kommen ihm nie die »kommerziellen« Konkurrenten vor
Augen. Nicht auch nur einmal reflektiert er, dass deren von CDU/CSU/FDP
erwünschte & ermöglichte Existenz bewusst als politische Mehrzweckwaffe
gegen ARD/ZDF installiert wurde.
Dazu gehörte nicht nur die Dominanz von seichter Unterhaltung &
Entpolitisierung bei SAT1/RTL etc., sondern auch die damit einhergehende
politische Drohung, den öffentlich-rechtlichen Sendern den Geldhahn zuzudrehen,
wenn das Wählervolk mehrheitlich zu den »kommerziellen« abwandern würde.
Voraus-
& nacheilender Gehorsam für politisches Stillhalten
ARD/ZDF fiel nichts anderes ein, als die Autosuggestion mit der Quote & das
übertrumpfende Imitat des kommerziellen Programms & Programmschemas. Die Politik
»revanchierte« sich, indem sie ab 1. April 2015 (nicht zum Scherz) von jedem
Haushalt in Deutschland gewissermaßen steuerhaft einen »um 48 Cent ermäßigten«
Betrag von 17.50 € erließ & sich nur dann noch einmal einflussreich bemerkbar
machte, als es um die Vertragsverlängerung des ZDF-Chefredakteurs ging & ein
unabhängig-kritischer Journalist wie Nikolaus Brender gehen musste (weil das der
hessische Ministerpräsident Koch so wollte).
Dafür aber blickt »die Politik« in den Verwaltungsräten der Sender großzügig
darüber hinweg, wenn seit Jahren & Jahrzehnten in Funk & Fernsehen die im
»Staatsvertrag« fixierten Aufgaben, für »Kultur, Bildung, Information, Beratung
und Unterhaltung« de facto laufend außer Kraft gesetzt werden. Und dabei
Intendanten »für ihre Verantwortung« mit exorbitanten Gehältern »entlohnt«
werden, die durch nichts vernünftigerweise gerechtfertigt sind – es sei denn,
man unterstellte, hier würden öffentliche Mittel quasi als mafiöses Schweigegeld
in einer feudalistischen Organisation der
Landes(anstalts)fürsten-von-Politikers-Gnaden verschleudert werden.
In vorauseilendem Gehorsam hat die ARD ihre ursprünglich anspruchsvollen Dritten
Programme zu regionalen Landes-Provinz-Sendern zurückgebildet –
gewissermaßen die FAZ in Regionalausgaben z.B. der Aschaffenburger »Main Post«,
des »Gießener Anzeigers« oder der »Sächsischen Zeitung« umgeformt – damit auch
die Landespolitiker ein Auftrittsforum hätten & die einzelnen Bundesländer eine
jeweilige vornehmlich touristisch definierte »Identität« ausbilden.
Dass
sich aber das »öffentlich-rechtliche Fernsehen« als selbstreferenzielles System
zu seiner heutigen schauerlich-scheußlichen, phantasielosen, provinziellen,
debilen Gestalt entwickelt hat, die man nur als Spottgeburt des
»öffentlich-rechtlichen« Gedankens ansehen kann, hat vornehmlich mit zwei Fakten
zu tun.
Es ist der neoliberalen Ideologie gelungen, die politisch-gesellschaftliche Idee
der Demokratie mit ihrem Konzept der radikalen privatwirtschaftlichen globalen
Konkurrenz zu kontaminieren. Denn »demokratisch« heißt ja nicht nur, dass
jeweils durch geheime Wahlen legitimierte Mehrheiten regieren – das entspricht
in der Wirtschaft der größere Umsatz für das beim Konsumenten erfolgreichere
Produkt -, sondern auch dass in der Demokratie die Minderheiten, bzw.
unterlegenen politischen Konkurrenten von der regierenden Mehrheit geduldet,
geschützt, wo nicht gar gefördert werden. (Im neoliberalen Raubtierkapitalismus
werden der unterlegenen Konkurrenten schließlich geschluckt.)
Also ist der ungeschmälerte Minderheitenschutz die entscheidende Probe aufs
gesellschaftliche Exempel einer funktionierenden Demokratie. Und die in den
»Staatsverträgen« als Ziele der »Öffs« genannten »Kultur, Bildung, Information &
Unterhaltung« entsprechen jenem demokratischen »Minderheitenschutz« in der
Politik. Die derzeitig nahezu totalitär praktizierte Umkehrung ihrer von den
Gründern fixierten Prioritäten (also zuerst Unterhaltung) ist nicht nur
staatsvertragswidrig, sondern auch undemokratisch. »Die Quote« als allein
bestimmender Wertmaßstab für die Gestaltung des Programms steht dem
staatsvertraglich vereinbarten kulturpolitischen Auftrag diametral entgegen.
Zugrunde
& vor die Hunde gehen
Dieses mit Augen & Ohren sicht-& hörbare Faktum wird aber nicht nur nicht als
das wahrgenommen, was es ist, weil der Demokratie-Begriff ökonomistisch
kontaminiert ist, sondern ebenso sehr, weil es eine relevante,
kontinuierliche, professionell-kundige öffentliche Kritik en gros et en détail
an der Produktion & den Produkten, am Programm & den Programmierungen von ARD &
ZDF nicht gibt.
Die Printmedien & besonders der sogenannte Qualitätsjournalismus, in dem einmal
»Momos« (Walter Jens) in der »Zeit« & »Telemann« (Martin Morlock) im »Spiegel«
wöchentlich die öffentlich-rechtlichen TV-Sender & -sendungen kritisch unter die
Lupe nahmen – von den aktuellen Tageszeitungskritiken ganz abgesehen –, haben es
billigend hingenommen, bzw. opportunistisch sogar gefördert, dass eine
relevante, respektable, an Prinzipien orientierte Fernsehkritik bei ihnen
verschwand - zugleich mit der schleichenden Versandung der
Öffentlich-Rechtlichen zu den Untiefen von Fußball, Krimi, Traumschiff- &
Degeto-Schmus, Nonnen- & Arzt-Serien, Zoo-Geschichten, Kochsendungen, Talkshows
& Reise-Tourismus allerorten.
Heute gibt es nichts mehr, was mit der einstigen TV-Kritik noch zu tun hätte.
Eine kontinuierliche kritische Kontrolle durch & in der Öffentlichkeit findet
also nicht mehr an den »öffentlich-rechtlichen Sendern« statt. Die wenigen dort
verbliebenen «Überzeugungstäter« der älteren Generation oder neu hinzugekommene
uneitle, verstreute Einzelkämpfer in TV-Redaktionen finden keine
lautstarke & seriöse öffentliche Anerkennung oder motivierende Unterstützung –
allenfalls punktuell oder temporär, nicht kontinuierlich & konzeptionell sondern
vor allem nur, wenn wieder ein (Korruptions-) Skandal oder eine Promi-Eitelkeit
boulevardesk zu melden ist.
So gehen die einen langsam zugrunde, während die anderen vor die Hunde gehen.
Berthold Seligers vielfachen Zitatanleihen bei (post)strukturalistischen
französischen Meisterdenkern wie Foucault, Derrida, Barthes, Virilio e tutti
quanti täuschen eine intellektuelle Höhe, Stringenz & Aktualität bloß vor, um
Seligers pauschale Tabula Rasa als logisch-intellektuell gerechtfertigte
Konsequenz gegen die »öffentlich-rechtliche Disziplinargesellschaft« erscheinen
zu lassen. Einschüchterung durch die Namhaftigkeit, prunkvolles angeberisches
Namedropping von angesagten Eideshelfer, deren in anderen Zusammenhängen
geäußerten Zitate von ihm zwangsweise zum Waffendienst in seinem Sinne
herangezogen werden.
Nein,
dieser Berthold Seliger ist leider kein Martin Luther & dessen 95 Thesen
entsprechen nicht die 15 Kapitel von »I have a stream«, die wider den
augenfälligen Verfall des öffentlich-rechtlichen »Staatsfernsehens« gerichtet
sind, das (metaphorisch gesprochen) sich in einem verblüffend ähnlichen
korrupten Zustand befindet wie es der Katholizismus & sein Papsttum im Europa
des 16. Jahrhunderts waren.
Die Zeit verlangte längst für unser immobiles »Opas Fernsehen« ein Manifest wie
einst das von Oberhausen gegen den westdeutschen Nachkriegsfilm. Wie er damals
einer radikalen Reform an Haupt und Gliedern bedurfte, so wäre sie heute für
unser öffentlich-rechtliches Fernseh-System notwendig. Dazu wäre ein
mutig-weitsichtiger Herkules von Nöten, der die »Öffentlich-Rechtlichen«
gründlich ausmistet und kein wütend-blinder Samson, der davon träumt, den
Tempel der Philister zu liquidieren - selbst wenn er damit »3000 Philister mit
sich in den Tod risse«, wie die Bibel behauptet.
P.S.
Nachdem Stefan Niggemeier kürzlich angekündigt hat, er arbeite an einem TV-Blog,
besteht ja noch die Hoffnung, dass doch noch das so notwendige Ausmisten
beginnen kann.
Artikel
online seit 30.08.15
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Berthold Seliger
I have a stream.
Für die
Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehen.
Edition Tiamat. Berlin 2015
304 Seiten, broschiert
16 €
Leseprobe |