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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Glanz&Elend
Ein großformatiger Broschurband
in einer limitierten Auflage von 1.000 Ex.
mit 176 Seiten, die es in sich haben.

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Der Spanische Bürgerkrieg aus katalanischer Sicht

Nie war ein Krieg sinnloser als in dem Roman »Flüchtiger Glanz« von Joan Sales,
der die Dichotomie zwischen den Guten und den Bösen aufbricht – munter werden
bei Faschisten und Republikanern die Seiten getauscht.

Isabella Caldart

 

Der deutsche Buchmarkt konzentriert sich zumeist auf Romane aus dem englischsprachigen Raum und vergisst dabei die europäischen Nachbarn. So geschehen zum Beispiel bei Karl Ove Knausgård, dessen Romanreihe erst nach dem Erfolg in USA auf Deutsch erschien. Auch Joan Sales‘ großer Roman »Flüchtiger Glanz« über den Spanischen Bürgerkrieg, der in einer ersten Version 1956 und in der finalen 1971 veröffentlicht wurde, musste die Übersetzung auf Englisch im Jahre 2014 abwarten, um schließlich im Herbst 2015 im Hanser Verlag auch auf Deutsch zu erscheinen.

Der Bürgerkrieg, die Religion, die Wankelmütigkeit

»Manchmal stießen die unseren auf die Männer der Gegenseite und teilten ihre Funde brüderlich mit ihnen. Warum sollten sie einander umbringen, wo die Operationen doch gestoppt worden waren?«, heißt es an einer Stelle. Selten war ein Krieg sinnloser als bei Joan Sales (1912-1983). Immer wieder betont der katalanische Autor in seinem Werk »Flüchtiger Glanz«, wie fließend die Grenzen zwischen Republikanern und Faschisten sind. »An der Front vergeht kein Tag, ohne dass dieser oder jener überläuft«, ja, zwischen beiden Seiten geht es mitunter sogar harmonisch zu ...« Auch gemeinsame Fußballspiele sind keine Seltenheit.

Drei Teile umfasst der Roman über den Spanischen Bürgerkrieg (1936-1939), der zunächst die Geschichte von Lluís an der zumeist toten Front, im Mittelteil die von Trini, die in einem durch den Krieg erschütterten Barcelona lebt, und zuletzt die Version von Kriegssanitäter Cruells mit dem Abstand zweier Jahrzehnte erzählt. Heimlicher Held des Romans aber ist der mit allen drei Figuren verbundene Juli Soleràs, der lange und kryptische Reden schwingt und gerne ohne ein Wort verschwindet. Er ist auch für Trini, Lluís und Cruells die zentrale Person, an der sie ihr eigenes Leben messen. Was alle vier komplex dargestellten Protagonisten vereint, ist die Agonie, die der Krieg mit sich bringt. Sie sehnen sich nach Glanz, nach einem erfüllten Leben und nach ein wenig Ruhm, ein wenig Erleuchtung, ein wenig Leidenschaft, ein wenig Abwechslung im tristen Leben – so flüchtig dieser Glanz auch sein mag.

»Flüchtiger Glanz« ist trotz des Themas kein Kriegsroman, er ist vielmehr dessen Gegenteil. Lluís verbringt seine Zeit damit, einer älteren Dame nachzustellen und verschwendet nur dann ernsthafte Gedanken an den Krieg, wenn er zu einem Gefecht gerufen wird. Und während die Anarchisten in Barcelona kirchliche Oberhäupter abmetzeln und in Massengräbern verscharren, wendet sich die progressive Trini, die in einem liberalen und anarchistisch geprägten Haushalt aufwuchs, von ihren Werten ab und der Kirche zu. Sich taufen zu lassen gleicht in diesen schwierigen Zeiten einem rebellischen Akt und einem Suizidversuch – und doch stellt die Religion für die zerrissenen Figuren in »Flüchtiger Glanz« die einzige Konstante dar.

Obwohl der Bürgerkrieg und seine Auswirkungen im Hintergrund fast durchgehend die Handlung des Romans bestimmen, ist »Flüchtiger Glanz« dennoch zumeist ein Buch ausufernder Gedanken und Diskurse. Besonders Soleràs durchschaut von Anfang an die Sinnlosigkeit ihrer Taten. Keiner der Soldaten, die im katalanischen Niemandsland ausharren, ist sonderlich mutig oder willig zu kämpfen. Auch die oberen Kommandeure frönen lieber dem Alkohol, anstatt von einer Schlacht in die nächste zu ziehen. Joan Sales tappt nicht in die Falle, starke republikanische Krieger zu zeigen, sondern bleibt der Wahrheit treu und erzählt von wankelmütigen Männern, die durchaus mit der faschistischen Seite liebäugeln. Mehr als einmal stellen sich die Republikaner die Frage, warum sie diesen Krieg überhaupt kämpfen. Sie scheinen mehr durch den Zufall als dem eigenen Willen in den Krieg geraten zu sein.

In »Flüchtiger Glanz« gibt es keine großen Helden, die Protagonisten sind zum Scheitern verurteilt. Was ihnen bleibt, ist der Glaube an Gott. Wer den Kämpfern in den eigenen Reihen nicht vertrauen kann, nicht einmal seinen eigenen Überzeugungen vertrauen kann, der begibt sich auf Sinnsuche. Joan Sales, selbst 1943 zum Christentum konvertiert, will seine Leser aber nicht missionieren. Juli Soleràs selbst, der Gott für sich entdeckte und zutiefst religiös ist, betrachtet den Glauben aus einem distanzierten, ironischen Blickwinkel. Trotz des Glaubens überwiegt in »Flüchtiger Glanz« die Hoffnungslosigkeit, die der sinnlose Krieg mit sich bringt. Dass in dem Roman keine großen, glorreichen Sieger zu erwarten sind, sondern vielmehr Enttäuschung und Ernüchterung dominieren, verrät das dem ersten Teil vorangestellte Zitat von Gracián: »Was seht Ihr? Ich sehe, sagte Andrenio, dass die gleichen Bürgerkriege wie vor nunmehr zweihundert Jahren…«

Zu den Auszeichnungen, die »Flüchtiger Glanz« bereits erhielt (darunter den bedeutenden katalanischen Literaturpreis Premi Sant Jordi de novel∙la), könnte sich am 17. März ein weiterer hinzugesellen: Die Übersetzerin Kerstin Brandt ist gemeinsam mit vier weiteren Übersetzern für den Preis der Leipziger Buchmesse 2016 nominiert.

Der Bürgerkrieg, die Diktatur, die Literatur

In der spanischen und katalanischen Literatur ist die Auseinandersetzung mit dem Spanischen Bürgerkrieg und der Franco-Diktatur ein Dauerthema. Schon 1945, elf Jahre vor Joan Sales, veröffentlichte die erst 23jährige Carmen Laforet ihren Roman »Nada«. Die franquistische Zensur erlaubte die Publikation des auf Spanisch verfassten Romans, da die Kritik an Franco und dem Bürgerkrieg sehr subtil in die Geschichte eingeflochten ist und die katalanische Sprache und Kultur kaum Erwähnung finden. Außerdem maß man dem Roman so jungen Autorin, in der die Protagonistin eine noch jüngere Frau ist, keinerlei Bedeutung zu. Welch‘ Irrtum: »Nada« wurde ein großer Erfolg und zählt heute zu den Klassikern der spanischen Literatur. Der Roman dreht sich um die junge Andrea, die dazu gezwungen wird, bei den ihr fremden Verwandten in Barcelona zu leben. Die Wohnung ist heruntergekommen, die Bewohner zehren nur noch von der Erinnerung an ihre glorreiche Vergangenheit. Die hungerleidende Andrea spaziert durch ein Barcelona, das genauso düster wirkt wie die verhasste Wohnung.

Zu den bekanntesten katalanischen Autoren gehört Mercè Rodoreda, die wiederrum den bekanntesten katalanischen Roman veröffentlichte: »La plaça del Diamant«. Am 11. April wird der für die deutsche Übersetzung verantwortliche Suhrkamp Verlag eine Neuauflage im Geschenkbuchformat veröffentlichen. Protagonistin Natàlia ist eine junge, naive und ungebildete Frau, als sie Draufgänger Quimet kennenlernt, ihn kurz darauf ehelicht und zwei Kinder von ihm bekommt. Als Quimet aufbricht, um an der Seite der Republikaner im Bürgerkrieg zu kämpfen, bleibt Natàlia mit ihren Kindern allein in Barcelona zurück. Die bittere Armut und der immerwährende Hunger der kleinen Familie werden immer schlimmer, bis die junge Mutter keinen Ausweg mehr sieht. »La plaça del Diamant« ist ein komplexer, intensiver Roman über das Leben der einfachen Menschen vor, während und nach dem Spanischen Bürgerkrieg, den Rodoreda erstmals im Jahre 1962 im Exil veröffentlichte.

Der für interessierte Leser empfehlenswerteste Roman dieser Liste stammt von Jaume Cabré. »Die Stimmen des Flusses«, erschienen 2004 im katalanischen Original und in der deutschen Übersetzung von Kirsten Brandt im Jahre 2007 im Insel Verlag, ist ein hochkomplexer Roman, der mehrere Zeitebenen miteinander verknüpft. Die Lehrerin Tina Bras findet in einer katalanischen Dorfschule ein Tagebuch, in den 1940ern verfasst von dem damaligen Schulleiter Oriol Fontelles, hinlänglich als eifriger Franco-Anhänger bekannt. Beim Lesen der Aufzeichnungen wird Tina klar, dass Fontelles seine politische Gesinnung vernebelte, um Kämpfern der Gegenseite zu helfen. Cabré lässt in seinem Meisterwerk keine Zweifel offen: Die Geschichtsschreibung bleibt den Mächtigen überlassen.

Ein ungewöhnliches, aber gelungenes Romanexperimenten wagten die in Frankfurt lebende Schriftstellerin Rosa Ribas und Sabine Hoffmann, Dozentin an der Goethe-Universität in Frankfurt. Ihren Roman »Das Flüstern der Stadt«, veröffentlicht 2014 bei Rowohlt, schrieben sie gemeinsam. Soll heißen: Beide Autorinnen schrieben abwechselnd die Kapitel, die eine auf Spanisch, die andere auf Deutsch, und übersetzten dann den jeweiligen Gegenpart in die eigene Muttersprache. Entstanden ist ein spannender Krimi, der den Leser ins Barcelona im Jahr 1952, in die erste und bitterste Phase der Diktatur, versetzt. Gemeinsam mit ihrer Cousine Beatriz versucht die Journalistin Ana, einen mysteriösen Mordfall aufzuklären und bringt sich dadurch selbst in tödliche Gefahr.

Von Lluís Llach, in Katalonien primär als Sänger bekannt, veröffentlicht der Suhrkamp Verlag am 7. März den ersten Roman in deutscher Übersetzung: »Die Frauen von La Principal« erzählt zum einen die Geschichte dreier Generationen starker Frauen, zum anderen geht es um einen Mordfall, den ein ambitionierter Polizeiinspektor aufzuklären versucht. Zwar nie als Hauptthema, bilden der Bürgerkrieg und die Diktatur die Kulisse dieses Romans.

Artikel online seit 23.02.16

 

Joan Sales
Flüchtiger Glanz
Roman
Aus dem Katalanischen von Kirsten Brandt, mit einem Nachwort von Eberhard Geisler
Hanser Verlag
Fester Einband
576 Seiten
ISBN 978-3-446-24910-3
26,00 €
ePUB-Format
ISBN 978-3-446-25008-6
19,99 €

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Gebunden, 325 Seiten
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978-3-518-46706-0
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978-3-518-46049-8
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Lluís Llach
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