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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Der General in seinem Labyrinth der Einsamkeit

Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan

Von Wolfram Schütte

 

Fritz Bauer ist heute fast schon eine mythische Figur der westdeutschen Nachkriegsgeschichte. Der 1903 in Stuttgart geborene, 1968 in seiner Neubauwohnung im Frankfurter Westend  gestorbene hessische Generalstaatsanwalt, war schon zu seinen Lebzeiten eine singuläre öffentliche Figur – von  den vielen Altnazis der Nachkriegszeit & den Konservativen der Adenauerjahre gehasst & von wenigen, vor allem jüngeren Linken & Liberalen, hoch geschätzt, bewundert & geliebt.

Deshalb war sein überraschender häuslicher Tod (in der Badewanne) sofort von Gerüchten umwittert. Zu den Fragen Selbstmord oder Mord gehörte auch noch der unter verschwiegener Hand kolportierte Verdacht seiner möglichen Homosexualität. Sie war noch zu seinen Lebzeiten, seit Nazizeiten, in bestimmten Fällen strafbar & auf jeden Fall gesellschaftlich geächtet.

In dem jetzt mit dem Bundesfilmpreis ausgezeichneten fiktiven Spielfilm „Der Staat gegen Fritz Bauer“ -  der jüngsten filmischen Beschäftigung mit ihm - wird gemutmaßt, dass reaktionäre Seilschaften in der deutschen Bürokratie, die noch durchsetzt war mit ehemaligen Nazis, mit einer Erpressung erfolglos versucht hätten, Zeugen für die Diskriminierung des heftig schwäbelnden, sehr bedächtig artikulierenden antifaschistischen hessischen Generalstaatsanwalts aufzutun.

Fritz Bauer, der als Verfechter einer liberalen Justizreform sowohl im Sexualstrafrecht wie auch im Strafvollzug öffentlich furchtlos auftrat & auch eine umfassende juristische Verfolgung der Naziverbrecher in der BRD verlangte, war von dem mächtigen Hessischen Ministerpräsidenten Georg August Zinn (SPD) nach Hessen geholt worden. Als bekennender Sozialdemokrat seit 1920, war der aus einer jüdischen Familie stammende württembergische Amtsrichter (seit 1930) erst 1938 in die Emigration zu seiner in Dänemark verheirateten Schwester & 1943 nach Schweden geflüchtet, wo er auch verheiratet war.

Er gehörte – wie z.B. auch Willy Brandt, den er in der Emigration kennenlernte – zu jenen nicht-kommunistischen Antifaschisten, die nach der alliierten Niederschlagung des nazistischen Deutschlands in ihre Heimat mit der Hoffnung zurückgekehrt waren, einem neuen, anderen Deutschland bei der Rückkehr in die Zivilisation beizustehen. Fritz Bauer wollte die Barbarei mit Stumpf & Stil ausrotten. Schon in der Emigration dachte er – im Hinblick auf die Monstrosität der KZ-Verbrechen – „durch eine antinazistische Gegenrevolution … Gesetze und Tribunale mit rückwirkender Kraft zu schaffen“, um den Deutschen die Chance einer Selbstreinigung zu ermöglichen.

Diese moralische Chance wurde von dem Volk, das in seiner überwiegenden Mehrheit mit seinem Führer in den kollektiven Untergang marschiert war & seine kriegerische Niederlage nur als kränkende Demütigung statt als nachhaltige „Befreiung“ empfand (wie die in den KZs Überlebenden & die Emigranten) nicht ergriffen. Die Alliierten mussten mit den (zweiteiligen!) „Nürnberger Prozessen“ den Zivilisationsbruch der Naziherrschaft ahnden.

Konfrontiert mit dem gigantisch industrialisierten Verbrechen der „Endlösung“, erkannte Fritz Bauer sehr früh, dass eine Strafverfolgung nur sinnvoll sei,  wenn man in der “Tätigkeit eines jeden Mitglieds eines Vernichtungslagers“ eine justiziable Schuld sehe – eine folgenreiche Ansicht, die aber erst in unseren Jahren von der deutschen Justiz angenommen wurde. (Der Frankfurter Philosoph T. W. Adorno hat noch in seiner „Negativen Dialektik“ auf Fritz Bauers revolutionären juristischen Ideen sich bezogen).

Man kann sich heute, wo die Beschäftigung mit dem Nazismus, seinen personalen & ideologischen Folgen in der BRD eine vergangene Geschichte ist, kaum noch vorstellen, mit welchen Enttäuschungen ein enthusiastischer politischer Idealist wie Fritz Bauer umgehen & fertig werden musste. Obwohl ihm & seiner Initiative der Frankfurter „Auschwitz“-Prozess zu verdanken war, musste er hinnehmen, dass die Angeklagten während der Prozesspausen frech in der Öffentlichkeit herumstolzierten & nach den bestehenden Gesetzen, die den Nachweis einer individuellen Täterschaft verlangten, am Ende vergleichsweise milde davon kamen. Es ist nur zu verständlich, dass Bauer – als ihm bekannt wurde, wo einer der höchsten Schreibtischtäter der „Endlösung der Judenfrage“, Adolf Eichmann, sich aufhielt -, lieber insgeheim den israelischen Geheimdienst darüber informierte, der Eichmann entführte, als die westdeutschen Behörden darüber in Kenntnis zu setzen.

Wenn auch Fritz Bauer im Laufe seiner  Zeit eine Schar von Vertrauten in Teilen seiner Behörde oder unter den Frankfurter Intellektuellen & Literaten um sich scharen konnte, dürfte die von seinem Freund, dem RA Manfred Amend, übermittelte bittere Bemerkung des Generalstaatsanwalts dennoch cum grano salis zutreffen: „Wenn ich mein Büro verlasse, befinde ich mich im feindlichen Ausland“.

Das Gefühl des allein in Frankfurt lebenden Fritz Bauer, „von Gott und der Welt verlassen“ zu sein, dürfte im Laufe seine Amtszeit stetig zugenommen haben. Er musste erleben, wie sich die Bundesrepublik von jener Imago eines neuen Deutschlands entfernte, das sich der Zurückgekehrte als Ziel seiner Emigrantenträume vorgenommen hatte.  Er empfand sich nazijustizpolitisch als gescheitert,  ergriff aber jede Gelegenheit als Essayist, Buchautor, Beiträger, Interviewpartner oder Kongressredner für seine liberalen gesellschaftspolitischen Ideen einzutreten. Ohne es zu ahnen wurde Fritz Bauer - von heute aus historischer Distanz erst wahrzunehmen -  einer der kritischen geistigen Wegbreiter der sozialliberalen Koalition, ja der APO. In Alexander Kluges erstem langen Spielfilm „Abschied von gestern“ von 1966 ist sein Auftritt ein zeitdokumentarisches Zeugnis.

Umso glücklicher dürfte der Einsame gewesen sein, als sich 1960 der 23 Jahre jüngere Thomas Harlan bei ihm meldete. Geradezu idealtypisch traf auf ihn Fritz Bauers Wunsch-Vorstellung von einem jungen Deutschen zu. Mit äußerster Leidenschaft, wissenschaftlicher Akribie & gesellschaftlichem Engagement betrieb Harlan gewissermaßen im Alleingang die Aufdeckung der systematischen Judenmorde der Nazis. Und zwar als Sohn aus der ersten Ehe des weltbekannten, berüchtigten „Jud Süß“-Regisseurs Veit Harlan, des bedeutendsten deutschen Filmregisseurs zwischen 1933/45.

Thomas Harlan war 1959 nach Warschau gegangen: allein das war mit bundesdeutschen Augen gesehen, wenn zwar nicht verboten, so doch höchst ungewöhnlich. Die polnischen Kommunisten ließen ihn dort die von den Deutschen hinterlassenen Dokumente ihrer Vernichtungsaktionen im besetzten Polen  studieren. Thomas Harlan konnte die in den bürgerlichen BRD-Alltag untergetauchten KZ-Verbrecher namhaft machen, seine belastenden Funde den bundesdeutschen Behörden – z.B. der Ende 1958  in Ludwigsburg gegründeten „Zentralen Stelle der Landesjustizverwaltungen zur Aufklärung nationalsozialistischer Verbrechen“ – in großem Umfang mitteilen. Der Rechercheur Harlan wollte für einen polnischen Verlag seine gesammelten Dokumente unter dem Titel „Das vierte Reich“ herausgeben.

Weder ist es dazu gekommen, noch zu einer deutschsprachigen Ausgabe, die der linksradikale italienische Verleger Giangiacomo Feltrinelli  herausgeben wollte. Mit ihm stand der mittellose junge deutsche  Naziforscher in freundschaftlichem Kontakt, der italienische Multimillionär hat Harlan regelmäßig (Bauer hin & wieder) auch finanziell unterstützt. Harlan hat später,  wieder mit Feltrinellis Hilfe, sogar einen römischen Unterschlupf für die Flüchtigen RAF-Gründer Bader & Ensslin 1968 besorgt.

Welche außergewöhnliche Biographie der langjährige Freund & Briefpartner Fritz Bauers hatte, kann man nun staunend dem kurz gefassten Porträt Jean-Pierre Stephan entnehmen. Es begleitet die hier anzuzeigende Edition der Briefe Fritz Bauers, die der Generalstaatsanwalt vom 1.4. 1962 bis zum Mai 1968 an Thomas Harlan richtete. Der 2010 gestorbene Adressat hatte sie bewahrt, während Thomas Harlans Briefe an Fritz Bauer nicht erhalten sind.

Der Herausgeber des verdienstvollen Buchs, Werner Renz, der – soweit ihm möglich – Bauers Briefe mit Anmerkungen versieht, findet es allerdings „einigermaßen irritierend“, dass in den Briefen der politische Generalstaatsanwalt  zu „überaus wichtigen, auch Harlan interessierenden Ereignissen“ nichts schreibt.

Diese Enttäuschung des Herausgebers ist jedoch für den Rezensenten „irritierend“, weil Renz doch selbst von Bauers „vollkommener Fokussierung auf den Autor Harlan“ spricht. Es sind ohnehin meist kurze private Nachrichten, keine „Herzensergießungen“ oder politische Bekenntnisse. Eine (gewissermaßen) ersatzväterliche Freundschaft des 26 Jahre älteren Bauer ist aus ihrem Ton erkennbar: - zu einem „nicht wenig schwierigen Freund“, wie Renz den umtriebigen, eigenwilligen Thomas Harlan übervorsichtig charakterisiert.

Über Fritz Bauers „sozialistischen Idealismus“ mokiert sich mit diesen ironischen Worten der in der hohen kommunistischen Nomenklatura Polens & Italiens verkehrende, jugendlich-bohemehaft lebende Dramatiker mit dem weltberühmten/berüchtigten Namen. Bauer ist ganz  offenbar fasziniert von ihm & seiner politischen Energie – was man noch heute vollkommen verstehen kann. Der von jeher den Typus des Schriftstellers bewundernde Jurist hat die oftmaligen Treffen im Tessin oder Italien genossen & fungierte eine Zeit lang auch als Lektor, Förderer, Vermittler & Promoter von Harlans künstlerischer Entwicklung zum Dramatiker & Drehbuchautor.(Erst lange nach Bauers Tod hat Harlan seine 3 Prosa-Bücher geschrieben.)

Obwohl er sich ein künftiges enges Zusammenleben mit Harlan & dessen Freund, dem Schauspieler & Filmregisseur Max Friedmann,  im Alter vorstellen konnte, musste er sich jedoch mehrfach dem Ansinnen der beiden in Ascona lebenden Künstler-Freunde widersetzen, ihn zu einem gemeinsamen Hauskauf  in der Schweiz nicht bloß zu überreden, sondern (wie man als Nachleser der verzweifelten Briefe Bauers annehmen könnte) auch unter Druck zu setzen, bzw. „über den Tisch zu ziehen“.

Immerhin sind diese späten Briefe Bauers im kritischen Ton entschiedener als alle seine früheren, die ohnehin meistens der Verabredung von Treffen oder gemeinsamen Urlauben gewidmet sind. Dabei hebt sich das Charakterbild des selbstlosen & hingebungsvollen Hessischen Generalstaatsanwalts vor dem Hintergrund eines schemenhaften, wenn nicht gar unvorteilhaft-problematisch erscheinenden Phantombild Thomas Harlans ab.

Während der junge Harlan mit seinen künstlerischen Projekten scheitert & sich politisch radikalisiert (sein Dokumentarfilm „Wundkanal“ wird zum Skandal), ist Fritz Bauer bis zur körperlichen Erschöpfung als (justiz-)kritischer Autor allerorten tätig. Er weiß selbst, dass er in diese öffentlichen Diskussionen, Vorträge, Kongress-Reden, Artikel buchstäblich flieht, um seinem persönlichen Leben einen Sinn & Zweck zu geben, den er nicht im Alltag seines Berufs als Hessischer Generalstaatsanwalt sieht.

Fritz Bauer war ein großer & großzügiger Mann, der nicht nur Harlan, sondern viele Menschen finanziell unterstützt & durch sein persönliches Engagement geholfen hat, wo immer er konnte oder man ihn darum gebeten hatte. Es ist gut, dass seiner mit diesem Buch gedacht wird. 

Artikel online seit 12.05.16
 

Werner Renz(Hg.):
»Von Gott und der Welt verlassen«.
Fritz Bauers Briefe an Thomas Harlan
Campus Verlag, Frankfurt a.M. 2015
299 Seiten, zahlr. Abb.,
29.90 €

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