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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Aus der Ordnung gefallen

Anna Baars neuer Roman »Als ob sie träumend gingen«

Von Lothar Struck

"Nur der Liebende und offenen Herzens Staunende" vermag "gerecht auf ein Leben zu schauen", so bilanziert in einem kleinen Prolog die Erzählerin in Anna Baars Buch "Als ob sie träumend gingen". Und dann beginnt sie, die Geschichte von Klee (was für ein Name, denkt man), denkbar schlecht, denn Klee ist krank oder verwirrt oder gar irre, liegt in einem Krankenhaus oder einer Heilanstalt und die Erzählerin eröffnet den Reigen, schaut auf dieses Leben, chronologisch und nur manchmal unterbrochen von den Szenen am Krankenbett. Klee wurde irgendwann in den 1920er Jahren geboren, irgendwo und doch ist es nicht egal. Die Namen der Orte sind fiktiv, es ist vom Karst die Rede, es muss also in Slowenien oder Kroatien sein, in jedem Fall in dem Land, dass man einst das Königreich Jugoslawien nannte. Klee war der jüngste Sohn des Bauern Dorovan, man lebte in einem Dorf, weit weg von der Welt, aber nicht so weit weg, dass nicht die Faszination für Amerika grassierte, und schließlich machen sich mit einigen anderen zwei Brüder Klees tatsächlich auf den Weg und da entsteht dann ein Abschied, der sie, die Auswanderer, zu lebendigen Toten werden lässt und irgendwie die Bleibenden zu Hütern.

Natürlich könnte ich, der Leser, nun weitermachen mit den Aufzählungen, den Zusammenfassungen der Erzählungen, der Begebenheiten. Klee mit fünf Jahren, der "Steineschmeisser" des Dorfes. Dann das "Anstandskind" bei der Hebamme Jelka (man durfte ohne sittenwächterische Begleitung als Frau keine Männer außerhalb der Familie treffen und Jelka ist nicht nur Hebamme sondern "Engelmacherin" und noch mehr). Klees Belauern der Dörfler. Das Zusammenleben mit den sieben Jahre jüngeren Bruder (oder ist es nur ein Halbbruder?) Malik und vor allem Lily (eine ominöse Leihmutterschaftsgeschichte schwelt im Hintergrund). Klees Liebe zu Lily, sein Zurückziehen, der Einsatz in der Armee, die Bombardierungen, Rückkehr 1941. Besatzung ("Und das Dorf war nicht mehr das Dorf"), der heimliche Ungehorsam der Mägde. Klees Widerstand, er wird zum Helden, bekommt als alles vorbei ist ein Denkmal. Äußerlichkeiten. Baar erzählt mehr, von den immer wieder aufflammenden Erinnerungen an die verschollene (von SS-Schergen ermordete) Lily, die Heirat mit der eher ungeliebten Ida, das immer wieder neu notwendige Sich-Einfinden in ein Leben, das nie eine Chance hatte, erfüllt und glücklich zu werden.  

"Das Land war nur noch Landschaft" heißt es einmal, nichts Weltliches spendet Kraft (aber an das Andere glaubt er auch nicht mehr)."Kein Tag seither war ein Tag". Klee fährt zur See, hat Affären, die ihn nur kurz ablenken. Er richtet sich zu Hause ein, spielt Familie, hängt aber nur an den Erinnerungen, den verpassten Gelegenheiten. Dann ist plötzlich sein Heldentum nichts mehr wert und das Land stürzt sich in einen neuen Krieg. Er, der nie mehr wollte als ein Leben mit Lily (und dies nicht bekam), "war aus der Ordnung gefallen", gibt sich der Trunkenheit anheim, duldet seine Frau nur noch, sie, die auf seinen Bildern herumtrampelt. Allenfalls die Gesellschaft der Veteranen hellt kurzzeitig sein Gemüt auf. Immer wieder bricht sich die Erinnerung einen Pfad, verselbständigt sich. Er versucht sie auf Kassetten mit einem Rekorder festzuhalten, aber auch dies gibt keinen Trost. Und sein Vermächtnis würdigt man nicht, denn am Ende halten ihn alle für irre (ihn, nicht die Kriegstreiber, die das Land erneut verwüsten).

All dies wird erzählt. Aber eben auch mehr, viel mehr und das gekleidet, oder, besser: eingebettet in eine lavantesk-märchenhafte Sprache, die derart ihresgleichen sucht (und so schnell nicht findet), weil Baar sowohl der Versuchung des Pathos als auch eines Manierismus widersteht, nicht bereit ist, ein Trauerspiel mit vorhersehbaren Vorzeichen zu inszenieren und nur ganz selten in Mystische abschweift (etwa der gottesfürchtigen Ida einen Voodoo-Zauber praktizieren lässt).

Nein, das ist mehr als ein "Sound", das ist eine bilderzeugende Opulenz, die in den Leser hineinzieht und nicht nur die Figuren lebendig werden lässt, sondern auch das Ereignishafte evoziert, die Geschichte eines Landes. Dass dabei die personale Erzählerin immer ein bisschen klüger ist als die Protagonisten stört nicht, weil sie sich niemals über ihre Figuren erhebt (was den Leser in eine von der Autorin gewollte Kalamität stürzt, denn besonders sympathisch ist dieser Klee nicht). "Als ob sie träumend gingen" ist pure Erzählkunst, eine Kunst, die Staunen macht. Und damit ein großes kleines Buch.   



Artikel online seit 16.10.17
 

Anna Baar
Als ob sie träumend gingen
Roman
Wallstein Verlag
208 Seiten
20,00 €
978-3-8353-3124-2

Leseprobe

 


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