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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Verwildert

Berthold Seligers »Klassikkampf«

Von Wolfram Schütte

Berthold Seliger, der bereits in seinem 2015 bei der »edition Tiamat« erschienenen Buch »I have a stream« das Kind mit dem Bade ausgeschüttet hatte, als er scheinbar radikal »für die Abschaffung des gebührenfinanzierten Staatsfernsehens« plädierte (anstatt für dessen grundsätzliche Umstrukturierung), hat sich nun die »Klassische Musik« vorgenommen & auf deren Terrain gewütet. Als Konzertagent (u.a. von Patti Smith) verdient sich Seliger seinen Lebensunterhalt, während er als Autor aus polemischer Lust & Kritiker-Laune Bücher schreibt – seit er 2013 mit seinem »Insiderbericht« aus eigener Erfahrung über »Das Geschäft mit der Musik« seinen Berufs-Kollegen die Leviten gelesen hatte.

Das Kraut & Rüben-Buch, das uns Autor & Verlag jetzt unter dem Titel »Klassikkampf« präsentieren, macht den Eindruck einer fast 500seitigen Pin Wand, auf der Seliger alle Anekdoten, Ansichten & Meinungen versammelt hat, die er sich seit Jahren & Jahrzehnten zu den Themen »Ernste Musik, Bildung und Kultur für Alle« (Untertitel) aus weitläufig erfassten (antiquarischen) Büchern & Broschüren, aus Interviews & Printzeitungartikeln herausgeklaubt & mit seinen privaten Kenntnissen als Konzertagent gemixt hat.

Munitioniert mit den in der Tat erstaunlich vielfältigen Mini-Zitaten, ballert er wild kreuz & quer in der Gegend herum – in der Annahme, mit der Fülle überraschend eingestreuter &  platzierter Namen (z.B. von Adorno über Boulez bis zu Eisler & Schönberg) seinen sprachlich & intellektuell  bescheidenen, ausufernd-mäandrierenden Textkorpus sowohl beeindruckend getrüffelt als auch einschüchternd schlüssig gemacht zu haben. Ist aber nicht so.

Irgendwann im Verlauf der Lektüre, über die man sich – trotz möglicher Sympathien für seine Kritik & seine politisch-gesellschaftlichen Intentionen – wegen ihrer vielfachen Redundanzen, Wiederholungen & Allgemeinplätzen schon grün & blau geärgert hat, wird einem der psychologische Grund für Seligers inflationäre Zitierwütigkeit klar. Denn mitten in seinem pamphletistisch gemeinten Rundumschwenk über die anspruchsvolle Musik, die neoliberale Zerstörung von »Bildung« & Kultur oder seine emphatisch gemeinte »Revolte mittels des >Prinzips Beethoven<«, drängt es ihn zum Geständnis seiner eigenen Klassik-Erweckung & fortdauernden Liebe, die ohne »die Segnungen des Bildungsbürgertums« auskommen musste: »Mein Vater war Schlosser …. Meine Mutter war Verkäuferin und meine Stiefmutter Sekretärin…« (S.276ff.).

Diese autobiographischen Passagen sind ebenso persönlich anrührend wie politisch naiv. Die mehrfachen Beschreibungen seiner Faszination von der »Klassischen Musik« & ihrer Interpreten oder Interpretationen waren jedoch negativ folgenreich für die Zitat-Überfütterung seines jetzigen »Klassikkampfs«. In dem kalauernden Wortkrampf soll »Klassenkampf« anklingen, ungewollt scheppert aber auch »Mein Kampf« mit, weil Seliger sich kraftmeiernd geriert wie ein Samson, der den Klassiktempel der »bourgeoisen Philister« zum Einsturz bringt. Nach dem Sprichwort: »Wes das Herz voll ist, geht der Mund über« wirft Seliger alles holterdiepolter aus, was ihm durch den Kopf geht & er sich angelesen hat.  Dank gebildeter linker Freunde & Geliebten sind es vornehmlich linksradikale Theoretiker oder Praktiker (z.B. Georg Knepler, Heinz-Klaus Metzger oder Friedrich Gulda & Michael Gielen). Als deren übereifriger vulgarisierender Trompeter betritt Seliger schmetternd die Szene.

Die »Klassische Musik steckt in einer tiefen Krise. War sie zu früheren Zeiten ein subversiver Einspruch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse«, lässt Seliger seinen »Klassikkampf« auf dem Cover der Broschur bewerben, «dominieren heute cleane Inszenierungen und grenzenlose Kommerzialisierung«.
 

Der Satz ist auch dort, wo er im Recht zu sein scheint (Subversion, Kommerzialisierung), barer Unsinn. Zum einen war die »Klassische Musik« nicht generell »subversiv« oder immer »Einspruch gegen die gesellschaftlichen Verhältnisse«. Was »cleane Inszenierungen« (außer Jargon) von »Klassischer Musik«  sein mögen, weiß der Himmel so gut wie, was sie »dominieren« sollten; & wenn die Kommerzialisierung der Klassischen Musik  "grenzenlos« noch wäre, steckte sie nicht »in der Krise«, die vornehmlich darin besteht, dass dem musealen Konzertbetrieb, der ohne die helfenden öffentlichen Hände (in Europa) auf ein Minimum schon zusammengeschrumpft wäre, kein jugendliches Publikum mehr zuläuft. »Grenzenlos«, bzw. vorauseilendes Omen ist aber der Verfall der Tonträger-»Kommerzialisierung«.

Weil der Terminus der »Klassischen Musik« erst anfangs des 20.Jahrhunderts erfunden wurde, negiert Seliger ihn & rekurriert auf die (paternalistische) Unterscheidung von E&U, also von Ernster Musik & Unterhaltungsmusik – als gäbe es keine Unterhaltungsmusik im Reich der »Ernsten Musik«  & auch keine Unterhaltungsmusik, die von höchster künstlerischer Qualität ist.

Der Terminus »Klassische Musik« ist ihm auch deshalb zuwider, weil er den »Imperialismus« der »Bourgeoisie« ausdrücke & unterstelle, dass es in anderen, z.B. asiatisch-afrikanischen Kulturen keine vergleichbare Musik gäbe. Deshalb renommiert Seliger mit seinen zumeist (angelesenen) Kenntnissen über die indische oder chinesische Musik & treibt seine lustvolle Relativierung der (europäischen) Klassischen Musik bis in subtile Spekulationen über die geheimen Musiken der südafrikanischen Pygmäen.

Ebenso bizarr sind seine Connoisseur-Bemerkungen über hierzulande unbekannte sowjetische »Meisterwerke« aus der Zeit des Stalinismus oder seine hymnischen Hinweise auf Youtube-Spezialitäten moderner musikalischer Avantgardisten. Warum aber die »Klassische Musik« des alten Europa rund um die Welt reist &  in Afrika oder Asien enthusiasmierte Kenner & Liebhaber findet, wohingegen die von Seliger gegen sie ins Feld geführte jeweils autochtone Musik über ihre regional-kulturelle Bedeutung nicht hinausgelangt, reflektiert er in keinem Moment.

Ich habe ohnehin die Vermutung, dass der Pop-Konzertmanager Seliger gegen die weltweite Charakterisierung «Klassischen Musik« vornehmlich deshalb polemisiert, damit er die von ihm als Agent betreute gegenwärtige Musik ernstlich »auf  Augenhöhe«, sprich: auf das Renommee eines adäquaten künstlerischen Niveaus mit der »Klassischen Musik« heben kann. Ob da seine privilegierte Information von Wert ist, dass die von ihm betreute Patti Smith die »Eroica« besonders schätzt,  sei dahingestellt; interessanter dagegen ist sein Hinweis, dass zahlreiche Pop-Größen eine solide Klassische musikalische Bildung besitzen. Aber gegen Seligers enthusiastisches, detailliertes Plädoyer für eine intensive schulische Beschäftigung mit der Musik & allen anderen Geisteswissenschaften – ein schon vielfach von anderen ebenso entschieden wie erfolglos erhobene humanistische Forderung – ist so wenig zu sagen - wie auch seine bewundernde Erinnerung an die einzigartige Institution der »Arbeitersinfoniekonzerte« in der Zwischenkriegszeit Österreichs von großem Wert ist, weil sie offenbart, dass »Klassische Musik« zu genießen, kein »bourgeoises« Vergnügen oder gar Vorrecht ist.

Wenn man als arg gebeutelter Leser Berthold Seligers wüsten, wirren & verkrampften Kampf mit & für die »ernste« Klassische Musik durch- & überstanden hat, erinnert man bestimmt die eine oder andere überraschende Volte zu Ein- & Ansichten, die der Autor in seiner Zitatkladde gesammelt hat - & blickt zurück auf ein Mixtum Compostum, das einer Quadratur des Kreises gleicht: brutalistischer Linksradikalismus als Bindemittel für die esoterische Arroganz eines streetfightin man, dem, nach den von ihm eingangs zitierten Worten von Hector Berlioz, die Musik »das Einzige ist, was (…) über diesen Abgrund voller Elend hinweghilft«. Ein tragikomischer Fall verzweifelter Liebesverwirrung.

Artikel online seit 13.02.18
 

Berthold Seliger
Klassikkampf
Ernste Musik, Bildung und Kultur für alle
Matthes & Seitz, Berlin 2017,brosch.
493 Seiten
24,00 €

Leseprobe

 


Glanz & Elend
- Magazin für Literatur und Zeitkritik
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