Eine weitere Flaschenpost
Das Befassen mit dem
Faschismus scheint aus gegebenem Anlass wieder en vogue zu sein. Nachdem
Suhrkamp im letzten Sommer ein überraschender Bestseller mit einem schwarzen
Bändchen in Großschrift eines Vortrags von Theodor W. Adorno aus dem Jahre 1967
gelungen ist, zieht nun auch Hanser nach: ein ebenfalls schwarz gehaltenes
Quartformatbändchen – nun mit gelben, statt mit orangenen und weißen Lettern wie
bei Suhrkamp – enthält fünf entsprechende Reden von Umberto Eco (1932-2016). Sie
stammen aus den Jahren 1995-2011, werden als Beiträge zu einem
»Ewigen Faschismus« deklariert und von
einem Vorwort des Mafia-Kritikers Roberto Saviano eingeleitet, den Eco
maßgeblich unterstützte. Auf der Rückseite des Bändchens prangt daraus der
markante Satz: »Eco zeigt, was für ein riesiger Fehler es ist, den Faschismus
als ausschließlich historisches Phänomen zu begreifen.« Das bleibt allerdings
etwas rätselhaft: Soll das an eine Aktualität appellieren oder soll die
Geschichte ganz aus der Analyse seiner Rhetorik herausgehalten werden? Beide
Lesarten, eine synchronische oder eine diachronische, wie die
Semiotiker sagen (und Eco ist ein solcher) sind hier möglich. Zum Zweck der
Aktualisierung auf einen 25 Jahre alten Vortrag zu verweisen, wäre zumindest
ungewöhnlich. Etwas ähnlich Unzeitgemäßes hatte man allerdings auch schon
Suhrkamp anlässlich des über 50 Jahre alten Adorno Textes vorgeworfen.
Wie halten es Eco, Saviano und der Hanser Verlag mit der Geschichte und der
Aktualität des Themas?
Der Faschismus ist eine Rhetorik
Der erste Vortrag, der
dem Bändchen seinen Namen gibt, bildet den Haupttext; Eco hielt ihn 1995 in New
York. Den Anlass gab ein Symposium zum 50. Jahrestag der Befreiung Italiens vom
Faschismus. Eco setzt mit einer Jugenderinnerung des Zehnjährigen ein, der als
aufgeweckter Knabe 1942 einen Aufsatzwettbewerb zur Lobpreisung von Mussolini
gewinnt. Er beschreibt anschließend sein Staunen über die andere Welt, die sich
ihm und den anderen Italienern drei Jahre später auftut, als nach der Zeit der
ungebildeten Bleichgesichter in Schwarzhemden die ersten gebildeten schwarzen
Amerikaner in weißen Hemden erscheinen. Der italienische Faschismus ist zwar das
erste jener rechtspopulistischen Gebilde, das als »Bewegung« der Massen Europa
und die anderen Kontinente heimsucht, es ist aber anders als der Nazismus
weniger homogen als vielmehr heterogen und widersprüchlich. Das nimmt Eco dann
zum Anlass einer ungewöhnlich erscheinenden Beschreibung. Zunächst bezieht er
sich auf ein (Sprach-) Spiel Ludwig Wittgensteins: Der Faschismus sei seiner
Form nach ein solches rhetorisches Spiel mit permutierenden Merkmalen (S.
28-29); anschließend gibt er 13 solcher ineinander spielenden Elemente eines
»Ur-Faschismus« an, die er nun aber als »faschistische Archetypen« deklarieren
will (S. 30-39). Als einzelne sind die Charakterisierungen verständlich, ihr
Zusammenwirken bleibt indessen zunächst rätselhaft: gehört doch Wittgensteins
Methode dem Positivismus zu, während die Rede vom »Ewigen« und den »Urformen«
selbst zum faschistischen Jargon und dessen Mythos zählt. Man könnte solchen
»ewigen Faschisten« höchstens als ironisch zurückgespiegeltes Reversi des
»Ewigen Juden« verstehen.
Ein Ewigkeitsdispositiv
Des Rätsels Lösung zeigt
sich aber, wenn man sich die erste dieser Bestimmungen genauer anschaut. Ähnlich
wie in Arthur Schopenhauers Eristischer
Rhetorik, mit deren Hilfe man jede Debatte gewinnen soll, alle der 33
Tricks im allerersten stecken (der auch heute wieder von den rechten Populisten
wieder bemüht wird; davon gleich mehr), so sind auch alle späteren Bestimmungen
Ecos im ersten Merkmal des »Ur-Faschismus« in nuce enthalten. Diesen
beschreibt er als einen synkretistischen Kult einer antisemitischen Gnosis – vom
Heiligen Gral über Alchemie und jüdischer Weltverschwörung bis zu den Apologeten
der Gegenaufklärung wie De Maistre und Bonald. Diese und weitere Elemente
tauchen jeweils neu gemischt sowohl in modernen Zeiten im Faschismus aus auch
wieder in der New Age Bewegung auf; sie werden ebenfalls von der Neurechten
Bewegung um Julius Evola und heutzutage von den »Impfgegnern« und
»Freiheitsfreunden« wieder aufgerufen. Dazu gesellen sich die anderen Merkmale
wie die Ablehnung der Moderne, der Heroenkult, die Misogynie oder die
Fremdenfeindlichkeit. Mit anderen Worten, es sind das Motive einer
Verschwörungstheorie, die Eco bereits in seinen Romanen
Der Name der Rose oder
das Foucault’sche Pendel aus einer immanenten Kritik heraus kritisch
beschreibt. Der »ewige Faschismus« ist bei Eco also selbst nicht ewig, sondern
wird von ihm als ein solches Ewigkeitsdispositiv in einem bestimmten
Diskurs verstanden, der jetzt im neuen rechten Denken auch seinen
technokratischen Kopf wieder erhebt.
Der andere Flickenteppich kultureller Bildung
Der erste Vortrag bildet
wie gesagt, den Hauptbeitrag des Büchleins; die anderen vier Texte sind kürzer;
sie sind Eröffnungsreden anderer Kongresse. Sie haben im engeren Sinne nur wenig
mit Faschismustheorie zu tun, wenngleich sie sich auch mit Fremdenfeindlichkeit,
Intoleranz oder Migrationsbewegungen befassen. Immerhin kann man hier wie immer
bei Eco vieles lernen über den kulturellen Hintergrund der westlichen Kultur und
des Christentums; seine Texte impfen also gleichsam auf profunde Weise in
jedem Detail gegen Populismus und Fremdenfeindlichkeit. Diese Argumente sind
daher nicht allein in Debatten mit irrationalen »Impfgegnern«, die angeblich
»nur ihre Meinung« sagen wollen und anderen »Wirrköpfen« anwendbar, sondern sie
machen den unvermeidlich als Patchwork erscheinenden Teppich der Bildung aus,
auf den man sich im Kampf gegen Intoleranz selbst beziehen muss. Das ist ein
anderer Synkretismus als der faschistische; er besitzt vielmehr eine Nähe zur
modernen Kunst als Collage. Und hier hilft jedes Detail, da das Wissen gegen den
Faschismus selbst nicht hierarchisch geordnet ist, sondern sich aus solchen
offenen kleinen elementaren Aufklärungsakten zusammensetzt. Diese
Auseinandersetzung zwischen beiden Modellen von homogener oder heterogener
Kultur bildet den wahren Gegenstand des Büchleins, das ebenfalls wie das von
Adorno noch zu einer Zeit kommt, in der man mit Argumenten vielleicht noch etwas
bewegen kann, wenn es hier heißt:
Manche Werte, die typisch für die europäische Sicht der Welt sind,
repräsentieren ein Erbe, auf das wir nicht verzichten können. Zu entscheiden und
anzuerkennen, was innerhalb einer toleranten Weltsicht für uns intolerabel wäre,
ist die Art von Grenzlinie, die wir Europäer jeden Tag neu ziehen müssen, mit
Sinn für Gerechtigkeit und ständiger Ausübung jener Tugend, welche die
Philosophen seit Aristoteles Klugheit nennen. Klugheit in diesem philosophischen
Sinn heißt nicht Risikoscheu, und sie fällt auch nicht mit Feigheit zusammen. Im
klassischen Sinne von
phronesis
ist Klugheit die Fähigkeit, sich zu beherrschen und durch Gebrauch der Vernunft
zu disziplinieren, und als solche ist sie zu einer der vier Kardinaltugenden
erhoben und oft mit Weisheit und Einsicht assoziiert worden, das heißt mit der
Fähigkeit, zwischen tugend- und lasterhaftem Handeln zu unterscheiden, nicht nur
im allgemeinen Sinne, sondern im Hinblick auf richtiges Handeln zur gegebenen
Zeit am gegebenen Ort. (S. 65-66).
Der Faschismus ist ein rhetorischer Mythos: Aufklärung gegen Verschwörung
Umberto Eco stellt so
insgesamt die Analyse der um sich greifenden Verschwörungstheorien in den
Mittelpunkt seiner Überlegungen. Diesen kann man aufklärerisch beikommen, wenn
man ihren wichtigsten rhetorischen Trick enthüllt. Bereits Arthur Schopenhauer
bezeichnet als diesen die Verlängerung einer rationalen Begründung über ihre
trennscharfen Grenzen hinaus ins Absurde und die anschließende
Verächtlichmachung des Arguments durch eine hypostasierte Rückübertragung des
Absurden auf den Ausgangssachverhalt. So wird in der Corona Krise den Virologen
vorgehalten, sie sagten heute dies und morgen das; daher könne man ihnen also
insgesamt nicht trauen.
Diese Rabulistik als Form auch unabhängig vom Inhalt zu erkennen, dazu
tut das Büchlein des Rhetors Eco seinen Teil hinzu. Adorno spricht von solchen
Debatten als sozialer Laborsituation, in welcher der »Chemismus von
Massenbewegungen« zu studieren sei. Darauf zielt auch Eco. Hier zeige sich eine
bereits faschistische Gestimmtheit noch ohne »Führer«. In Ländern wie Brasilien
sind bereits solche Leute an der Macht, die die Populisten und Rabulisten in
Deutschland sich noch erst wünschen.
Zwischen Sprachspiel und Mythos: die Geschichte?
Der
italienische Faschismus war historisch anders als der deutsche
Nationalsozialismus. Entsprechend ist auch ein italienischer Bildungsbürger,
auch wenn er ein Citoyen ist, anders kultiviert als ein aufgeklärter
Deutscher. Von daher verlohnt es sich gerade in Deutschland, Ecos Büchlein
zu lesen. So handlich wie es ist, so sind seine Aussagen doch keineswegs
banal und zu unterschätzen. Sie haben, eingedenk der möglichen
Vergeblichkeit der Aufklärung, ihre Gültigkeit bis heute leider nicht
verloren. Wir haben eingangs anhand des Satzes von Roberto Saviano nach
Aktualisierung oder Eliminierung der Geschichte gefragt. Saviano, der heute
im Untergrund lebt, weil die Mafia ihn wegen seiner Aufklärungsarbeit
weiterhin bedroht, bemüht am Ende seines Vorworts allerdings eine
Platonische Sternenmetapher, die auf die zweite Lesart außerhalb der
Geschichte hinweist: »Die vorliegenden Seiten zu lesen, ist wie in den
Himmel zu blicken, um die Navigationsrichtung neu zu justieren.« Ob das aber
auf der Erde hilft? Der Semiotiker Eco war auch Romancier; über die
Bedingungen dieser Profession schreibt Georg Lukács zu Beginn der offen
autoritären Dekaden des vorigen Jahrhunderts in seiner
Theorie des Romans 1920 den
berühmten Satz: »Selig sind die Zeiten, für die der Sternenhimmel die
Landkarte der gangbaren und zu gehenden Wege ist und deren Wege das Licht
der Sterne erhellt.« Diese Zeit des Epos aber ist in der Moderne vorbei.
Savianos Bemühung der idealistischen Ideensphäre der Sterne mag zwar dem
tröstlichen Gedenken an Eco geschuldet sein; zum Verständnis des Faschismus,
weder des historischen noch des aktuellen, ist sie wenig zielführend. Dessen
prekäres Verhältnis zur Geschichte zwischen Sprachspiel und Mythos dauert
fort; Ecos Titel »Der ewige Faschismus« bleibt sich selbst ein Pfahl im
Fleisch.
Artikel online seit 19.05.20
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Umberto Eco
Der ewige Faschismus
Mit einem Vorwort von Roberto Saviano
Aus dem Italienischen von Burckhardt Kroeber
Hanser Verlag 2020
80 Seiten 10,00 €
978-3-446-26576-9
Leseprobe
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