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»Dort, wo nichts ist«
Eine
visuelle Werkschau mit Essays zum künstlerischen Gesamtwerk |
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Boris Lurie gehört zu den Vertretern der NO!art-Bewegung. Die NO!art war eine radikale Avantgarde-Bewegung, die sich gegen das Kunst-Establishment richtete und 1959 in New York von Lurie, Sam Goodman und Stanley Fisher gegründet wurde. Sie begannen mit Ausstellungen in der March Gallery in der 10th St. in New York. Lurie umreißt ihr Programm in der Einleitung zu NO!art Pin-Ups, Excrement, Protest, Jew-Art wie folgt: »Die Ursprünge von NO!art entspringen der jüdischen Erfahrung, haben ihre Wurzeln in der größten jüdischen Gemeinde der Welt, in New York, einem Produkt von Armeen, Konzentrationslagern, Lumpenproletariat und Künstlern. Ihre Ziele sind die heuchlerische Intelligenz, die kapitalistische Kulturmanipulation, der Konsumismus … Ihr Ziel ist die totale, unverblümte Selbstdarstellung in der Kunst, die zu sozialem Engagement führt.« Lurie, 1924 in Leningrad in eine säkulare jüdische Familie hineingeboren und in Riga aufgewachsen, starb 2008 in New York. Als Jugendlicher verbrachte er ab 1941 mehrere Jahre in Arbeits- und Konzentrationslagern. 1941 wurden Teile seiner Familie Opfer des Massakers im Wald von Rumbula (Riga). Kürzlich erschien sein Fragment gebliebener Roman »Haus von Anita« (Wallstein 2021) auf deutsch. Darin residieren vier Herrinnen in Manhattan, New York, und halten sich vier Sklaven: Fritz, Hans, den Kapo Aldo und Bobby, aus dessen Perspektive die Geschichte erzählt wird. Bobby schildert den Alltag der freiwillig Versklavten, ihre Erlebnisse, ihre Gefühle und Gedanken. Dieser Alltag besteht allein aus purer Gewalt und einer Unzahl sexueller Handlungen. Das Buch ist eine Anklage gegen die Verdrängung der Gräueltaten, eine Aufarbeitung seiner eigenen Traumata, eine Kritik an der sexuell aufgeladenen Konsumkultur und eine böse Satire auf den (damaligen) Kunstbetrieb. Jonas Engelmann schreibt im Katalog sehr eindrucksvoll über das Buch. Der Titel seines Textes ist ein Zitat Luries: »Heimat ist dort, wo nichts ist.« Zum Buch erschien nun ebenfalls bei Wallstein ein Ausstellungskatalog, eine visuelle Werkschau mit Essays zum Künstlerischen Gesamtwerk von Boris Lurie (deutsch & englisch).
Zu sehen sind
darin neben den frühen Zeichnungen der War-Series und den Fetisch-Bildern der
Love-Series, auch die Porträts der ermordeten Mutter, Schwester und Geliebten.
Buch und Bilder werden in den Kontext der sogenannten »Holocaust-Kunst«
gestellt. Begleitet von vier Essays, die das Werk (und seine Bedeutung innerhalb
der Kunstgeschichte) einordnen, ist der Katalog eine äußerst hilfreiche
Orientierung zum Verständnis von Luries Werk insgesamt. »Alles, was er machte«,
schreibt Jürgen Kaumkötter, der die Ausstellung arrangiert hat, »war verbunden
mit der Shoah.« Doch der »Massenmord ist in seiner Gesamtheit nicht darstellbar.
Er existiert in der Kunst in der Darstellung von Massenszenen des Todes«, die
Lurie gewissermaßen im Rohzustand ungefilterter Erinnerungen wiedergibt.
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Jonas
Engelmann, Birte Fritsch, Eckhart Gillen, Jürgen Kaumkötter, Marcus
Stiglegger
Lesen Sie hierzu:
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