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Die gezeichnete Literatur in Form der grafischen Novelle boomt. Art Spiegelmans »Maus« hat sie berühmt gemacht. Zwei Jahre nach der Verleihung des Pulitzerpreises an Spiegelman (1992) veröffentlichte der Zeichner Mark van Oppen (Marvano) einen Comic mit dem Titel »Berlin. Die sieben Zwerge« eine ebenso historisch verankerte Erzählung. Ende der 90er nimmt sein Verlag Dupuis den Titel aus dem Programm. Dennoch entschied sich der belgische Zeichner, seine Geschichte fortzusetzen. Der Dargaud-Verlag hat die Fortsetzung Geschichte nun in sein Programm aufgenommen. Seit 2005 haben Zeichner und Verlag die Neuauflage und Fortsetzung der Berlin-Geschichte geplant. Im vergangenen Sommer kamen die ersten beiden Bände (Die sieben Zwerge; Reinhard, der Fuchs) in den französischen Buchhandel, nun ist der abschließende dritte Band (Zwei Königskinder) erschienen.
Doch dies ist kein Klagelied eines Piloten, sondern vielmehr Plädoyer gegen den Krieg als solchen, in dem Existenzen ausgelöscht werden und die Barbarei die Oberhand über die Menschlichkeit gewinnt. Leidtragender, auch das macht Marvano deutlich, ist immer der Mensch. »Berlin oder London, was macht das schon für einen Unterschied für diejenigen, auf die die Bomben niedergehen?« Und was treibt einen Piloten wie David Auberson, 19 Jahre jung, unerfahrenen und voller Lebenslust, an, den Tod vor Augen jede Nacht in die Luft zu steigen und in den Kampf zu fliegen? »Wir treffen uns nach dem Krieg. Im ‚Grey House’ um acht Uhr!«, schreibt er an seine Geliebten in einem Brief. Allein dieser Brief, den dieser Comic bildhaft rezitiert, kann dem Leser die Geschichte des Piloten Auberson übermitteln. David Auberson, der in der Nacht vom 17. zum 18. August abgeschossen und später in Holland von der Gestapo verhaftet wurde, bleibt nach dem Krieg verschwunden. Auch keiner der anderen Besatzungsmitglieder der »Schneewittchen« hat den Krieg überlebt. Alle wurden sie der Möglichkeit beraubt, alt zu werden, und teilen so ihr Schicksal mit so vielen jungen Männern, die der Krieg verschlungen hat.
Marvano gelingt hier fast ein Thriller. Er strickt dabei viele Details ein, die das individuelle Elend dieser Zeit deutlich machen. So beschreibt er die ihr Leben lang nationalsozialistisch indoktrinierten Kriegswaisen, die sozial vernachlässigt zu extremer Gewaltbereitschaft neigen. Reinhard steht für diese scheinbar verloren gegangene Generation. Er scharrt eine Gang gewaltbereiter und höriger Jugendlicher um sich, mit der er sein Umfeld terrorisiert und die einst vermittelten nationalsozialistischen Werte hochhält. Gnadenlos macht Marvano auch deutlich, dass in einer Zeit des Übergangs jeder sich selbst am nächsten steht. Loyalität, Ehre und Verpflichtung wiegen in solchen Zeiten gering. Marvano sieht hier auch nicht den Krieg beendet, sondern allenfalls im Übergang zum nächsten Kampf. »Ein Krieg ist nicht beendet, wenn die Kanonen schweigen. Dann gibt es weniger, als während des Krieges. Weniger Nahrungsmittel, weniger Kohle, weniger Kleidung, Weniger von allem. Weniger Glaube, Hoffnung und Liebe.« So großartig Marvano die Erzählung nach Jahren fortsetzt, so eindeutig verändert sich die Erzählweise des Belgiers. Die historischen Einschübe auf abgesetzten Ebenen werden immer umfangreicher und lassen der eigentlichen comicalen Erzählung immer weniger Raum. Zwar machen die in allen drei Bänden präsentierten historischen und biografischen Hintergründe eine geschichtliche Einordnung der Erzählung und damit ein tieferes Verständnis möglich, allerdings tritt so die ausgeglichene Erzählung in Bild-Text-Kombination von Band zu Band zunehmend in den Hintergrund. Es entsteht mit dem die Trilogie abschließenden Band »Zwei Königskinder« jedoch vielmehr ein bebildertes Geschichtsessay, das seinen Sinn eher in der korrekten Reproduktion von deutsch-deutscher Historie, als in dem Erzählen eines historisch verankerten guten Plots findet. Dies kann jedoch nicht Anliegen eines Bildergeschichtenerzählers sein. Insofern stolpert Marvano als Comiczeichner über seine Detailverliebtheit.
Marvano entwirft hier ein historisches Puzzle, das sowohl Stuarts als auch Helenas Geschichte aus der Perspektive des allwissenden Generals Murphy erzählt. Ganz nebenbei werden die historischen Umstände des Jahres 1963 in Berlin, sprich der Mauerbau, seine Hintergründe und seine Auswirkungen auf die Menschen in Berlin und Umgebung, erläutert. »Die Hoffnungslosigkeit machte sich in Berlin breit, im Osten genauso wie im Westen. Aufgrund des Schließens der Grenzen wurden die Menschen voneinander getrennt, von ihren Freunden, von ihrem Partner, von ihren Eltern. Selbst Kinder, die bei Freunden oder ihren Großeltern im Osten der Stadt übernachtet haben, konnten nicht mehr zu ihren Eltern im Westen zurückkehren.« In diese Umstände pflanzt Marvano die Handlung eines Detektivromans um das Verschwinden von Helena König, das Verbleiben ihres Halbbruders Reinhard und den Piloten Stuart. Dieses triadische Beziehungsgeflecht voller Geheimnisse und Obskuritäten wird noch gefüllt mit den Ränkespielen der alliierten Geheim- und Militärdienste im geteilten Deutschland und den bekannten historischen Spannungen. Insgesamt lässt sich für den dritten Teil sagen: Grundsätzlich tolle Geschichte, jedoch weniger Comic als illustrierte historische Erzählung. Marvanos Stil steht mit seinen klaren Linien und dezenten Farben eindeutig in der Tradition der belgischen Schule. Seine Zeichnungen lassen zuweilen an E.P.Jacobs Welterfolg »Blake and Mortimer« denken – bedauernswerter Weise aber eben viel zu selten. Marvano verliert sich mit seinen später geschriebenen Bänden in historischen Abhandlungen und Rückblicken, die die Bände miteinander in einen logischen Zusammenhang bringen sollen. Die Querverbindungen zwischen den einzelnen Bänden sind oft leider nur mit Kenntnis der vorangegangen Bände nachzuvollziehen, eine isolierte Lektüre der einzelnen Geschichten ist kaum möglich. Besser noch wäre es, die drei Bände in einem Zug zu lesen – erst dann treten die tiefgründigen und zuweilen auch verborgenen Brückenschläge (vor allem zwischen Band 2 und 3) deutlich zutage.
Die Berlin-Trilogie von Marvano ist ein komplexes Werk auf einer
beachtenswerten historischen Grundlage. Es eignet sich hervorragend als
alternative Unterrichtseinheit für den deutsch-französischen
Geschichtsunterricht, als Comic zum darin herumblättern, sich den
Bilderwelten hingeben und schmökern ist Marvanos Berlin-Trilogie
bedauernswerter Weise eher ungeeignet.
Thomas Hummitzsch |
Marvano
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