Nach seiner als
»überwältigendes Revolutions-Oratorium« bejubelten Inszenierung von
»Dantons Tod« am Frankfurter Schauspiel waren die Erwartungen hoch
gesteckt, ob Ulrich Rasche mit dem Doppelabend »7 gegen
Theben/Antigone« ein ähnlicher Theater-Coup gelingen würde. Sie
wurden teilweise erfüllt, seine Inszenierungen haben sehr starke
Momente aber auch Schwachstellen.
Nach dem Tod von Ödipus sollen seine Söhne Eteokles und Polyneikes
abwechselnd über Theben herrschen. Doch einmal im Besitz der Macht
weigert sich Eteokles, den Thron wieder zu räumen. Polyneikes
schwört Rache und zieht mit sieben verbündeten Heerführern gegen
seine Heimat. Es kommt zu einem Gemetzel vor den Toren der Stadt,
von dem wir einzig durch die Berichte der Boten erfahren. Beide
Brüder fallen in der Schlacht und mit ihrem Tod scheint der Fluch
des Ödipus erfüllt. Nun ist Kreon der neue König von Theben. Er
verfügt, dass Polyneikes nicht bestattet werden darf. Antigone,
Polyneikes’ Schwester, indes widersetzt sich Kreons Edikt und
bestattet ihren Bruder, wissend, daß dieser Akt des Widerstands
ihren Tod bedeutet.
SIEBEN GEGEN THEBEN
Regie: Ulrich Rasche
Christoph Pütthoff, Sam Michelson, Alexander Fehling, Sebastian
Schneider, Justus Pfankuch, Toni Jessen, Foto: Birgit Hupfeld
Die
Schlacht um Theben zaubert Rasche als ein interdisziplinäres Raum-
Sprach-und Klangtheater auf die Bühne des Bockenheimer Depots. Das
Inferno ist in überwältigender Weise sinnlich erfahrbar. Dabei
wird, wie bei seiner Danton-Inszenierung, der Text durch den
Rhythmus der Bewegung gebunden und gehalten. Es gibt nur eine
Richtung: nach vorn, gegen jede Vernunft. Die Schlacht um Theben
eskaliert mit der Dynamik eines Boleros in sieben Schritten
unausweichlich der Katastrophe entgegen. Die wirkungslosen Warnungen
und Klagen der weißen Frauen, voran Antigone und Ismene, kulminieren
schließlich in den Rufen »Weh! Wehe! Ihr Verrückten!«, mit dem sich
der Zug der Verzweifelten langsam bis in die ersten Zuschauerreihen
hinein bewegt, um sich dort zu verlieren. Der starker Abgang eines
lange nachhallenden Theatererlebnisses.
ANTIGONE
Bettina Hoppe, Keith Bernard Stonum (Tenor), Justus Pfankuch,
Sebastian Schneider, Toni Jessen, Christoph Pütthoff, Foto: Birgit
Hupfeld
Doch so unwiderstehlich und formal stimmig wie Rasche den Wahnsinn
der Herrschenden und die Schrecken der Schlacht um Theben auf die
Drehscheibe gestellt hat, so klar offenbaren sich nach der Pause die
Schwächen seines formalistischen, ruhelosen Bewegungstheaters.
Das agitatorische Deklamieren des Textes in der Danton-Inszenierung
durch die im Strudel der revolutionären Dynamik gefangenen Figuren
war nachvollziehbar und gab dem Ganzen noch seinen unwiderstehlichen
Drive.
Jedoch. Das von Trauer, Wut und Trotz getragene Sprechen und
Widersprechen der Frauenfiguren Antigone und Ismene, der Rasche auch
den Text des Kreon-Sohnes Haimon zuschreibt, variiert zwangsläufig
zwischen zwischen Zartheit und Zorn, braucht Denk-Zeit zur Reflexion
über Kreons willkürliche Anmassungen gegen das "natürliche
Menschenrecht" und die mit der Auflehnung implizierten Folgen.
Um glaubhaft Widerspruch leisten zu können, müssten Antigone und
Ismene bei sich sein können, müssten sich sammeln und finden können,
aus der Zwangsyynamik der Laufbänder heraustreten können, um ihre innere Ruhe
zu finden, aus der heraus ihr Widerstand erst glaubhaft seine Energie
entwickeln kann. Das Tempo der gegenläufig arrangierten Bänder, auf
denen die SchauspielerInnen sich bewegen müssen, läßt dies indes
nicht zu, die textimmanenten Dimensionen können sich nicht
entwickeln. Antigones Widerspruch verkümmert so zu einer zwanghaft
wirkenden, monotonen Litanei. Ob Innehalten und Ruhe nicht auch
Elemente der Bewegung sein können, darüber wäre mit Ulrich Rasche
sicher fruchtbar zu streiten.
Aber was wäre das auch für ein Theater, wenn man nach dem letzten
Vorhang nach Hause ginge und dächte, »Ach, war ja mal wieder alles
ganz in Ordnung, soweit.«
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