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Petits riens (achtzehn) |
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Von Wolfram Schütte Foto: © Roderich Reifenrath |
Merkel semper triumphans - Wetten, dass die nächste deutsche Bundesregierung jetzt schon absehbar ist? Zwar werden CDU/CSU Stimmen verlieren & die SPD mit ihrem jüngsten, scheinbar links-liberalen Kurs Stimmen gewinnen, jedoch nicht im Entferntesten so viele, dass sie zur stärksten Fraktion würde. Aber weil die AFD zweistellig in den Bundestag einziehen wird, die Grünen & die Linke nicht hinreichend Mandate gewinnen – & noch weniger, sollte die FDP über die 5% Hürde kommen -, wird es für Rot-Rot-Grün numerisch nicht reichen, aber für Schwarz-Grün auch nicht, so dass die SPD »aus staatspolitischer Verantwortung« wieder keine Alternative zur Großen Koalition sehen dürfte. Denn den notwendigen Mut zu einer Minderheitskoalitions-Regierung von Rot-Rot-Grün darf man von ihr nicht erwarten. Ernsthaft traut sie sich jetzt schon keinen politischen Paradigmenwechsel zu. Erst recht nicht dann das strategische Kalkül eines absehbaren Regierungssturzes & das notwendige Risiko, mittels vorgezogener Neuwahlen die parlamentarische Legitimierung eines Links-Links-Grünen Projekts zu erreichen. Umso weniger, als dessen gemeinsame sozial- oder außenpolitische Ziele, wie sie die Brandt/Scheelschen Sozialliberalen hatten, heute nicht existieren. Fairerweise muss man aber zugeben, dass die einstige angeblich numerische Mehrheit links-liberaler deutscher Wähler mittlerweile abgeschmolzen sein dürfte, bzw. verschwände, wenn von ihnen strictenment eine linksliberale Option ohne wenn & aber & mit nachhaltigen Folgen & absehbaren Turbulenzen an der Wahlurne verlangt würde. Merkel wird deshalb zum 4.Mal eine Große Koalition führen, weil sie durch ihr überlegenes taktisches Geschick & ihre logistische Weitsicht dafür gesorgt hat, dass ihre Nominierung für CDU/CSU wahrlich ohne Alternative war. Ohne (personale) Alternative ist aber auch die SPD dank Merkel (& Gabriel!). Sie haben zusammen mit Seehofer den einzigen SPDler, der Merkel an Statur Paroli bieten & an Popularität hätte gefährlich werden können, im Stil feudaler Kabinettspolitik auf den Posten des Staatsoberhaupts abgeschoben. Selbst das von Merkel wenn nicht begrüßte, so doch taktisch geduldete politische Wrestling Seehofers mit ihr auf offener Bühne, wird für die Fischzüge des (un)christlichen Bayern nicht so erfolgreich sein wie Seehofers »ungebührliches« Betragen. Es treibt der scheinbar bedrängten Merkel bürgerliche Sympathisanten zu, die vermeinen, als Wähler ihr zur Hilfe kommen zu müssen: wider den CSU-Chef. Die Einzigen, die von der Fortdauer der Großen Kapitulation einen nachhaltigen Gewinn haben werden, wird die AfD sein – solange sie nicht Farbe bekennt, wes Kinds sie ist. * Erkennbare Missgeburt - »Warum denke ich an Ekel?«, fragt mich ein Freund, der gerade Andreas Kilbs Rezension von McEwans Roman »Nussschale« gelesen hatte. Er meint mit seinem Ekel-Gefühl nicht den Rezensenten, der »das seltsame Buch« unter dem Titel »Pränatale Prosa« in der FAS vom 6.11.2016 ausführlich rezensiert hatte, sondern McEwans spektakuläre Erzähler-Fiktion im Uterus seiner Heldin. Der Erzähler ist ein Embryo. «Natürlich«, schreibt Kilb über die Exzentrik der hier gewählten Erzählerposition, »kann der Fötus-Junge (…) im Bauch seiner Mutter nichts anderes berichten als das, was er von seinem biologischen Panikraum aus zu hören und sich über die Welt da draußen zusammenzureimen vermag. (…). Aber innerhalb dieser narrativen Zwangsjacke erlaubt sich McEwan die größtmögliche fiktionale Freiheit. Er erhebt seinen pränatalen Erzähler zum König im Reich der Ungeborenen. Er verleiht ihm das Wissen eines altklugen Schulkinds und die Weisheit eines Greises. Er schenkt ihm die reife Selbstironie eines Intellektuellen. Er macht ihn zum Weinkenner und Gourmet.« Nicht genug damit: »Er lässt ihn Vorträge und Podcasts aus dem Nachtprogramm der BBC referieren, Sendungen über die Finanzkrise, die Klimakatastrophe, den Islamismus, das Pulverfass des Nahen Ostens, die kränkelnde Großmacht Amerika, die zerfallende Europäische Union, die unruhigen Mittelmächte Russland und China« usw. Kilb resümiert sein Inhaltsreferat: »Der Junge kommt zur Welt, aber seine Geschichte sprengt nicht den Kokon des Konzepts, in den ihr Autor sie eingesponnen hat. Man legt das Buch ohne Reue aus der Hand. Es schadet nie, sich drei, vier Stunden mit einem ausgebufften Erzähler zu unterhalten. Nur hat man diesmal das Gefühl, dass Ian McEwan nichts wirklich Wichtiges erzählen wollte. Er wollte nur etwas ausprobieren. Und siehe, es hat geklappt«. Ebendas ist jedoch zweifelhaft (es kann nicht »geklappt« haben) – behaupte ich, der das Buch gar nicht gelesen hat! Ich gebe zu, das scheint unseriös zu sein – so unseriös, wie die McEwansche Fiktion. Bei ihr hat möglicherweise der Grasssche Trommler Oskar Pate gestanden. Allerdings blickt der kleinwüchsige Erzähler der Blechtrommel als Insasse einer Heil- & Pflegeanstalt auf sein gelebtes Leben zurück. Und selbst der »Vater« aller kurioser Erzählerpositionen in der Weltliteratur – Tristram Shandy in Laurence Sternes gleichnamigem Roman – memoriert »Leben & Meinungen« eines erwachsenen & deshalb meinungsfreudigen Erzählers, der zwar darüber spekuliert wann & wie er gezeugt wurde, jedoch in seiner mehrbändigen »Lebensbeschreibung« kaum darüber zeitlich hinauskommt. Den Embryo, wie der englische Schriftsteller von heute suggeriert, mit allen Ansichten & Meinungen seines Autors auszustaffieren, heißt literarisch jedoch mit »gezinkten Karten zu spielen«. Will sagen: so phantastisch die Erzählerposition angesetzt wird – z.B. als Penis (bei Malerba) oder als Embryo (bei McEwan) –, literarisch gelingen kann diese phantastische Perspektive erzählerisch nur dann, wenn die damit verbundenen & imaginierten Einschränkungen der außergewöhnlichen Perspektive konstitutiv für den Erzähler sind. D.h. von literarischem Gelingen könnte im Falle einer embryonalen Erzählposition nur dann gesprochen werden, wenn das dem Embryo zugesprochene Bewusstsein (an sich schon prekär) aufgrund seiner Lokalisierung allerdings nicht über sein Erlebnis der Welt im Bauch seiner Mutter hinausginge. Anderes wären wortwörtlich metaphysische Spekulationen über das, was aufgrund von Geräuschen jenseits des mütterlichen Bauchs existieren mag. Ein weites Feld bislang nichtverbalisierter & nicht imaginierter Literatur! Nur das wäre wirklich »pränatale Prosa«; gewissermaßen die Geburt des Erzählers aus der uteralen Welt, der vielleicht im Fruchtwasser »plantscht«, wie es Döblin nach eigner Aussage in den Fakten tat, als er an seinem »Wallenstein«-Romans schrieb. Die von McEwan behauptete Situation eines menschlichen All-& Weltwissens & -Kommentierens in der fiktiven Existenz eines blinden Embryos, kann einem da schon »eklig« vorkommen – oder schlichtweg als literarische Missgeburt, die eine Lektüre nicht lohnt, weil selbst ihr vermeintlicher Witz abgeschmackt ist. * Kino-Vision – Der Tag wird kommen, an dem das Kino stirbt. Nicht das Mainstream-Kino, sondern das »arthaus-kino«. D.h. in den Metropolen wird sich am Ende vielleicht gerade noch eines halten, um nur minoritär interessante Filme zu spielen. Schon jetzt ist erkennbar, »wohin die Reise geht«. Die avanciertesten der »arthaus-kinos« bieten nicht einen Film, sondern zu den verschiedenen Zeiten des Tages verschiedene Filme, die alle nur einmal täglich zu besuchen sind. So diversifiziert man das Programm in einer gleichzeitigen Angebotspalette. Wenn sich einer der parallel laufenden Filme als Renner offenbart, kann man ihn auch wieder mehrfach am Tag zeigen. Trotz dieser Multiplizierung des Angebots für Cinéphile bleibt die Fortexistenz der »arthaus-kinos« in den Innenstädten der Metropolen langfristig prekär. Und zwar deshalb, weil ein Kinobesuch (z.B. für 2 Personen) mit Privatauto oder öffentlichen Verkehrsmittel leichthin in die Nähe & Höhe von 30€ kommt. Allein schon deshalb wird ein wöchentlich mehrfacher Kinobesuch finanziell problematisch – obwohl das Angebot dafür vorhanden wäre. Auf einem Filmfestival traf ich ausgesprochene Cinéasten (zumindest waren es einmal welche), die erklärten, kaum noch ins Kino zu gehen & zuhause vor einem »Riesenbildschirm« zu sitzen & sich die Filme ihrer Wahl anzuschauen. Und die Auswahl des Festivalprogramms, hörte ich, ist längst nicht mehr vom sündhaft teuren postalischen Kopienversand & der Kinovorführung abhängig. Über Video-Kassetten & DVDs ist man im Laufe der letzten Jahre mittlerweile dahin gelangt, dass die angebotenen Filme von den Festivalveranstaltern aus dem Netz gefischt werden – und zwar mit der Angel eines jeweils geheimen Codes. D.h. seit die Filmproduktion, der Verleih & die Kinoprojektion »elektronisiert« wurden, könnte jeder einzelne potentielle Zuschauerkonsument, der über einen Netzzugang verfügt, privat bzw. zuhause erreicht werden. Das Kino als einziger öffentlicher Ort eines profitablen Massenkonsums der Filme wäre künftig nicht mehr notwendig, damit die filmindustriell hergestellten Waren sich weltweit amortisieren, bzw. Gewinn machen. Will sagen: im Gegensatz zu klassischen Zelluloidfilm- & Kino-Zeit (»Cinema Paradiso« erzählt davon) eröffnet die heutige technische Entwicklung die Möglichkeit, jeden Film jedem Interessierten an jedem Ort zu offerieren (z.B. durch»Streaming«, das immer häufiger von jüngeren benutzt wird.) Langfristig könnte diese omnipräsente, multiple Individualrezeption des Films das Kino obsolet machen. Erst wenn es verschwunden wäre, würde begriffen werden, dass es mehr, bzw. auch anderes war als bloß ein kommerziell notwendiger Umschlags- & Verkaufsplatz des Films. Nämlich Ort & Ambiente, wo der Film seinem Rezipienten die eigene Phantasie mobilisiert & die Zunge löst. Der Film kommt erst in der gemeinsamen Reflexion & dem nachträglichen Gespräch über sein individuelles Erlebnis wirklich bei einem an: als temporäre Einlösung einer Sehnsucht & eines Glücksversprechens, das als unbewusste, unausgesprochene Erwartung dem Kino-Besuch zugrunde liegt. Die
Enthusiasten der Kinokultur wissen das jetzt schon. Sie ahnen auch, wie die
Zukunft des Kinos nach seinem Untergang aussehen wird. Wie einst bei der
»Filmclub-Bewegung« der Fünfziger Jahre (Truffauts »Peau douce« bezieht sich
darauf) werden sich einmal wieder kenntnisreiche, neugierige Enthusiasten
zusammenfinden, um gemeinsam zu festen Zeiten & Orten alte & neue Filme ihrer
Wahl in der exklusiven Club-Atmosphäre gemeinsam anzusehen & sich im Gespräch
unter Kenner & Liebhabern auszutauschen. (Es gibt ja bereits solche privaten
Literarische Clubs.) Es wird zu einer ganz anderen Organisationsform Kino
kommen, die mit der heutigen Art, im Kino Filme zu sehen, nichts zu tun hat.
Denn so großartig es ist, heute jeden Film seiner Wahl zuhause allein sehen zu
können, so unbefriedigend ist auf Dauer die solipsistische Isolation der
einsamen Film-»Lektüre« – nicht nur bei Komödien.
Findlingstückchen –
Es war wohl bei Jean Paul
(bei wem denn sonst?), dass ich einmal folgenden aphoristischen Gedankenblitz
von seinem Sprachwitz erleuchtet fand: »Er mied jeden vertraulichen Umgang mit
dem Tod. Nie ging er auf Beerdigungen. Selbst zu seiner eigenen musste er
getragen werden.« Aus gegebenen Anlass hat ihn mein Gedächtnis jetzt ausgegraben
& mir lächelnd vor die Füße geworfen. |
»Petits
riens«, |
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