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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik

 



Foto: © Lothar Struck

Der wunderbare Universaldilettant

In Düsseldorf gibt es eine Ausstellung über den vor zwei Jahren verstorbenen Wolfgang Welt

Von Lothar Struck

 

8. September 2018, 17.40 Uhr. Ich bin wie immer zu früh. Um 18 Uhr beginnt das Programm der Vernissage. Die Türen zur Ausstellung sind schon offen. »Aber ich schrieb mich verrückt« lautet ihr Titel. Daneben ein Ausschnitt des inzwischen fast schon legendären Fotos von Andreas Böttcher mit dem lässig-verschmitzten Wolfgang Welt 1982, natürlich mit Zigarette. Im Einlass gibt es kostenlose Ansteckbuttons mit diesem Foto. Man kann sich Wolfgang Welt an Revers stecken.

Ich kann nicht widerstehen und schlendere durch die Ausstellung. Sie ist nicht chronologisch gegliedert. Es beginnt mit den »Einflüssen«, was sowohl für musikalische wie auch literarische Einflüsse gilt. Links als Blickfang ein Buddy Holly Plakat, welches mehrfach gefaltet gewesen war, nun gerahmt. B. H. sieht ein bisschen aus wie der junge Peter Handke 1968 bei der Premiere der Publikumsbeschimpfung (nur ohne Pilzkopf-Frisur). Einen ganzen Schrein von Plakaten und Publikationen über und mit diesem Sänger hatte Welt zusammengetragen. Wie sie wohl in seiner Wohnung gruppiert waren?

Literarische Vorbilder sind neben Joyce, Hesse (»Der Steppenwolf«) und Kerouac unter anderem Hermann Lenz und Peter Handke. Die Lesezeichen stecken noch in den Büchern – es sind abgerissene Zeitungsschnipsel. Handkes »Angst des Tormanns beim Elfmeter« sei das erste gekaufte Buch gewesen schreibt Welt irgendwo. Und später, auf den wunderbaren Fotos (abermals von Andreas Böttcher) von seiner erster Dichterlesung 1981 (performativ unter anderem mit T-Shirt-Wechsel) liegt die Erzählung vom schizophrenen Tormann Bloch auf dem Tisch neben den eigenen Manuskripten und wer um die späteren »Verrücktheiten« Welts weiß (die er ohne mitleiderheischendes Pathos erzählt), mag lächeln über diese Volte.




Buddy Holly Plakat - Poster a.d. Box-Set "The Complete Buddy Holly Story", Coral, 1973 © Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Nachlass Wolfgang Welt

Die Ausstellung verleitet zum Hin- und Herlaufen; die Rubriken (u. a. Einflüsse, Journalist, Schreiber) verschwimmen. Aber wie macht man das, eine Ausstellung über dieses »Wildpferd«, wie ihn einmal ein Zeitzeuge nannte, den Unermüdlichen und auch - davon gibt es Belege – Unerbittlichen, der in den sich in den 1980ern etablierenden Musik- und Stadtmagazinen seine zum Teil wilden, mitunter auch bösen Kritiken schrieb während er als Schallplattenverkäufer und später Nachtwächter arbeitete? Der Buddy-Holly-Enthusiast, dessen Herz für diese »ursprüngliche« Musik Ende der 1950er/Anfang der 1960er Jahre nie aufhörte zu schlagen und der rigoros gegen jede Anbiederung an einen Massengeschmack polemisierte. Nichts konnte er beispielsweise mit Herbert Grönemeyer anfangen. Aber er schätzte musikalische Außenseiter wie Achim Reichel.   

Der mit der zuweilen verletzenden Feder, wie an einer Kritik über den Sänger Heinz Rudolf Kunze von 1982 ausgiebig dokumentiert wird, den Welt in einer beispiellosen Suada als »Null« und »belesenen Rotzlöffel« verspottet. Eine ganze Seite Reaktionen werden daraufhin in der nächsten Ausgabe des »Musikexpress« abgedruckt – inklusive einer Stellungnahme des geschmähten Sängers (»Notzucht mit Abwesenden« bescheinigt Kunze dem »lieben Wolfgang«). Die Lesermeinungen sind gespalten (Lob bis »Tintenpisser«). Welt selber reagiert gelassen und schildert »zwischen zwei Plattenkritiken« »hingeschludert« eine Begegnung mit Kunze um dann zu enden: »Ich werde gegen jedermann Gewalt anwenden, der Dir mit einer Pershing oder SS20 den Mund verbieten will.«

Dann (dann? eher daneben) der Schriftsteller, den er schon früh in sich entdeckt. So schreibt er 1981 einen wunderbaren Brief an Hermann Lenz. Endlich habe er es geschafft ein Buch zu schreiben. Gemeint ist die Erzählung »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe«, die Diedrich Diederichsen in einer Anthologie publizierte. Die autobiografisch verfassten Eugen-Rapp-Bücher von Lenz hätten ihn ermuntert »den Sprung zu wagen«, so im Brief. Dennoch sieht er sich (noch!) nicht als Schriftsteller, lieber als »Universaldilettant«. Am Ende nennt Welt Lenz seinen »Bademeister«, weil er mit dessen Büchern über Wasser geblieben wäre. Fast unscheinbar daneben eine Widmung von Lenz (in seiner kleinen Schrift) an Welt. Man schätzte sich. Und korrespondierte seit 1974 miteinander.

Der wirklich erste Roman von WoW war dann »Peggie Sue« (der legendäre erste Satz!) und kam erst 1986 im Konkret-Verlag heraus. Das Buch verkaufte sich schlecht. Zwar ist Wolfgang Welt bekannt, aber er liegt nicht im Zeitgeist. Dabei ist die Zeit der Innerlichkeitsprosa vorbei, aber den radikalen, selbstentblößenden Gonzo-Stil, diese zuweilen drastisch-übergriffige Körperlichkeit von Welts Prosa mag man nicht (immer wieder kokettiert er über das Verdikt des von ihm so geschätzten Peter Handke, der diese zuweilen skurrilen Sexszenen Welts nicht mag).

Erhellend und fast programmatisch für das eigene Schreiben liest man den Aufsatz »Was wäre das Lesen ohne Musik« von 1986, der (vermutlich von der Redaktion) mit dem Rubrum »Neue Popliteratur« versehen wurde, der sich glücklicherweise in der Ausstellung findet. Hier nennt er seine »Helden« wie Jack Kerouac, Rolf Dieter Brinkmann und den heute nahezu vergessenen »Altmeister« Jürgen Theobaldy, dessen Motto Welt zitiert: »Oft sind es die scheinbar nebensächlichen Einzelheiten, die, weil ungewöhnlich und nicht vorhersehbar, am meisten aussagen…« Alles sei bei Theobaldy »scheinbar unbedeutend«, doch »eindringlich geschildert«. Es ist dieses »eindringlich«, welches den Unterschied machen sollte. So möchte Welt auch schreiben. Und hier liegt die auf den ersten Blick verblüffende Parallele zu Autoren wie Hermann Lenz oder auch Handke.

Dann wird zum Programm gerufen. Der Lesesaal füllt sich und ich frage mich, wieviele von denen, die hier sitzen, Wolfgang Welt gelesen haben. Ein großes Foto auf der Bühne, WoW mit Schnurrbart (an Jürgen Lodemann wird er schreiben, der Bart sei »app« [oft schreibt Welt im Ruhegebietsjargon]) und natürlich Buddy-Holly-T-Shirt, entschlossener Blick. Es gibt eine leichte Verspätung. Die Grußworte sind angenehm kurz. Musikalische Auflockerungen durch die beiden britischen Folk-Sänger Chris Webb und Lonely Tourist, die natürlich B. H. intonieren (und man weiß jetzt, dass Welt nicht irrte als er einmal feststellte, dass die Top 20 der britischen Hitparade in den 1960ern bequem in eine Radiostunde passten). Jan von Holtum, einer der beiden Kuratoren, dankt der Familie für den Nachlass. Gabriele Wörenkämper, die Schwester, deren Geburt Welt in der »Panschüppe« erzählt, ist anwesend. Martin Willems, der andere Kurator (wie man sehr schnell merkt, ein Kenner des Werkes), dann mit Frank Witzel im Gespräch. Welt hatte Witzel auf einen kleinen Fehler in dessen RAF-Roman aufmerksam gemacht. Daraufhin entspann sich ein Mailwechsel (der im »Schreibheft Nr. 88« vom Februar 2017 abgedruckt ist). Begegnet war er Welt nur einmal – auf der Buchmesse 2015, als Witzel überraschend der Deutsche Buchpreis zuerkannt wurde. Viel Zeit habe er damals nicht gehabt, was er heute bedauert. Lustig das Geplänkel über ein Fasttreffen 1988 in Frankfurt. Wenig bis nichts über die doch sehr bestimmenden psychischen Probleme von Wolfang Welt (über die er in seiner Prosa ohne Rücksichten und mit skurrilem Humor erzählt).  

Dann ist auch schon Schluss und es gibt Currywurst – stilgerecht von Dönninghaus (aus dem »Bermuda3eck«) mit Fiege-Bier. Die Wurst schmeckt gut. Ich trinke ein Wasser und gehe zurück zur Ausstellung, noch das Gespräch im Kopf und dann wieder der Blick auf den Text von Welt über Theobaldy. Natürlich ist die fast zwangsläufig aufkommende Einstufung des Welt'schen Schreibens als »Popliteratur« missverständlich, eigentlich sogar falsch. Zwar schreibt Welt über das, was man gemeinhin Pop nennt. Aber das macht ihn nicht zum »Popliteraten«.

Denn alles an seinen Texten ist unverstellt, im surrealistischen Sinne »automatisch« geschrieben, ohne jegliche Distanz (und doch nicht unreflektiert). Das unterscheidet ihn von den Selbstdarstellern und Poseuren der 1970er und 1980er Jahre, die sich mit zum Teil zwanghaftem Aktionismus, den sie dann in Textform gießen inszenieren. Daher konnte Welt beispielsweise mit einem Rainald Goetz, der sich »aufschlitzte« (WoW) um aufzufallen, nichts anfangen. Und ja, hinzu kam noch der Schmerz, dass es Goetz war, der von »seinem« Lektor bei Suhrkamp angenommen wurde und nicht er.

Fast wie eine Anklagemauer im anderen Saal finden sich drei, vier Absageschreiben aufgereiht, darunter auch von Rainer Moritz, damals bei Hoffmann & Campe, dem das Manuskript zwar gefiel, aber eben die Verkaufbarkeit zu schwierig war. Moritz' Schreiben sticht heraus; die anderen Absagen sind förmlich. 2000 dann ein lobend-fragender Brief von Peter Handke, eine Mischung aus Staunen und Achtung, ob er sich Notizen mache um derart »haar- und bierklein« schreiben zu können. Schließlich Jahre später, auf der Rückseite eines Fotos, die knappe Frage, ob er, Handke, sich bei Suhrkamp für ihn einsetzen solle. Begegnet sei er Wolfgang Welt nie, sagt Handke, der von der Ausstellung nichts wusste, aber Martin Willems schätzt. 2006 endlich der Sammelband, Suhrkamp-Taschenbuch 3776: »Buddy Holly auf der Wilhelmshöhe« mit einigen Texten (auch dem Titeltext) aber vor allen den drei Romanen »Peggie Sue« (1986), »Der Tick« (2001, vormals bei Heyne) und, als Erstveröffentlichung, »Der Tunnel am Ende des Lichts«. Drei Jahre später »Doris hilft« (mit dem grandiosen Text von 1991 zu Bob Dylans 50. Geburtstag: »Bob Dylan & Buddy Holly – Kein Vergleich« - wer diesem Text nicht kennt, kennt Wolfgang Welt nicht).

Als ich WoW 2014 traf war der äußerlich schüchterne Mann voller Tatendrang. »Peggy Sue« sollte verfilmt werden. »Fischsuppe« war gerade bei Engstler erschienen (ich sagte ihm, dass ich das Buch teilweise zu hektisch fand). Sein neues Buch (»Der Anstoß«) habe er bereits im Kopf. Es sollte vom Tod seiner Mutter handeln und zurückgehen bis 1977, dem Moment als er vom Tod Elvis Presleys hörte. Mein Text über unsere Begegnung hatte ihm gefallen. Dass ich erwähnte, dass er Peter Kurzeck schätzt, brachte ihm eine Einladung nach Staufenberg ein.

Sehr überrascht war ich dann als 2017 im »Schreibheft Nr. 88« das unvollendete, aber wunderbare Manuskript »Die Panschüppe« abgedruckt wurde, welches bis in die Kindheit der beginnenden 1960er Jahre zurückreicht. In der Ausstellung kann man einige Seiten sehen; hektisch geschriebene Großbuchstaben. Darauf ein Zettel in Krakelschrift für alle Fälle: »Nicht wegschmeißen«.




© Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Nachlass Wolfgang Welt 

Überhaupt die Handschrift. Es gibt sehr viel Handschriftliches von Wolfgang Welt in dieser Ausstellung. Es beginnt in Schönschrift, wird ein bisschen unleserlicher und fahriger in den 1980er Jahren. Womöglich könnte man eine Seelengeschichte von Wolfgang Welt anhand seiner Handschrift erstellen.

War es tatsächlich ein »Lebensziel« bei Suhrkamp zu erscheinen, wie die Ausstellung suggeriert? Sicherlich war er enttäuscht, dass die »Fischsuppe« dort nicht angenommen wurde. Angeblich waren von den Büchern einfach zu wenige verkauft worden. Und Welts Mentor im Verlag, Hans-Ulrich Müller-Schwefe, gefiel das Manuskript nicht. Aber es ging Welt weniger um Ruhm, als um Anerkennung. In seinem (vorläufigen) Abschied als Redakteur des Magazins »Marabo« schrieb Welt bereits 1979: »Wenn nur ein ›Marabo‹-Leser in etwa so traurig ist wie ich über meinen, wie ich mich kenne, sicher nur vorläufigen Ausstieg (da ja alte Liebe nicht rostet), wäre ich froh und würde ihn (oder sie) gerne kennenlernen!« In seiner typischen Offenheit setzte er seine damalige Adresse unter den Text und ein enthusiastisches »I love you!« von »Wolfgang Welt und alle seine anderen Ichs«. Ahnte er bereits damals, was ihm noch bevorstand?

In einem undatierten, handgeschriebenen Manuskript des unpublizierten Theaterstückes »Der Portier«, dessen erste Seiten ausgestellt sind, sagt die Mutter zum dem Sohn »Deine Stunde wird noch schlagen…« So richtig ist die Stunde von Wolfgang Welt, dem Heimatdichter (mit der Haßliebe) und Erinnerungskünstler, der nicht nur sein Leben, sondern eben auch eine ganze Szene auf seine ganz eigene Art evozierte und zum Teil Einblicke gewährte, die für einige nicht ganz angenehm waren, nicht gekommen. Jan von Holtum und Martin Willems unternehmen in einer sorgsam kuratierten Ausstellung einen weiteren Versuch, WoW endlich einem breiteren Publikum zugänglich zu machen.

Neben all den Vitrinenobjekten gibt es auch interaktives, wie »Welts Platten 1980/81« (teilweise kann man sie anhören). Platz 1 ist natürlich Buddy Holly, dann folgen Phillip Goodhand-Tait (»Good Old Phil's«) und die Gruppe Fehlfarben (»Monarchie und Alltag«). Auf Platz 23 dieser Liste steht Bruno Ganz' Lesung von Peter Handkes »Wunschloses Unglück«. An anderer Stelle kann man Lobe und Verrisse von Welts Musikkritiken abreißen. Oder einfach einigen Lesern zuhören, was sie an seiner Literatur schätzen. Der sanfte Hintergrundton der Ausstellung ist Schreibmaschinengeklapper.

Bis 18. November gibt es all dies für lächerliche 4 Euro zu erleben (allerdings ohne Currywurst und Bier). Das Schöne: Die Ausstellung ist sowohl für WoW-Leser wie auch für neugierige Nicht-Kenner konzipiert. Als ich zu Hause war, stellte ich fest, dass ich nochmal hin muß. Mindestens noch ein Mal.

Heinrich-Heine-Institut Düsseldorf, Bilker Str. 12-14


Artikel online seit 13.09.18
 

 


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