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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Voreilige Himmelfahrt

Ein paar kritische Wider-Worte zu  Frank Witzels Roman-Monstrum
»Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven
Teenager im Sommer 1969«

Von Wolfram Schütte

 

Mancher, dem nun das Siegerbuch des diesjährigen »Deutschen Buchpreises« unter den Weihnachtsbaum gelegt wurde, wird bald entdecken, dass der vermeintliche Langzeit-»Schmöker«, auf dessen nostalgische Lektürereize er sich gefreut hatte, weil die deutsche Kritik das Buch einhellig ebenso enthusiastisch wie vage in den Himmel gehoben hatte, gar keiner ist. Dabei spräche doch so vieles dafür, vor allem schon die über 800 Seiten des  »fulminanten, ebenso intelligenten wie spannenden« Romans - wie die von dem durch seine Ungewöhnlichkeit eingeschüchterte deutsche Kritik behauptete.

Hätte der Verlag Matthes & Seitz nicht eine kleinere Schriftgröße als üblich gewählt (was die Lektüre nicht gerade leichter macht) -: das Buch wäre noch dickbäuchiger geworden. In früheren Jahrhunderten, als (z.B. im Barock) derart gewundene Titel wie »Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969« nicht ungewöhnlich waren, wäre ein umfängliches Buch wie dieses aber gleich in mehreren Bänden erschienen - & damit auch besser, nämlich in Portionen, lesbar gewesen. Jedoch hätte es dann auch entschieden teurer als sein jetziger Preis von 29.90 € sein müssen.

Eher gleicht Frank Witzels auffälliges Buchmonstrum einer vollgestopften »Wundertüte«, wie man sie in der Nachkriegszeit als Kind zur Einschulung bekam - als der epischen Roman-Form, von der man sich ein breites, ununterbrochenes Strömen der Erzählung erwartet (wie etwa in jüngster Zeit bei Peter Kurzeck & Gerhard Henschel). Jedoch die dem Buch den Titel gebende Erzählung – ein ironisch-minimiertes fiktives Pastische der realen Terrorgruppe RAF – ist nur ein erzählerischer Strang neben andern in dem Buch, dem die deutsche Kritik eine Ambition zum signifikanten Epochenbild unterstellt, vergleichbar Musils »Mann ohne Eigenschaften«. Schon möglich, dass der Autor – der sympathischerweise zumindest Jean Pauls  »Siebenkäs« zu kennen scheint, aber damit hinterm Berg hält – so etwas wie dessen vergleichbar umfangreichen, ähnlich aus- & abschweifenden »Hesperus« im Sinn hatte & durch seine ästhetische Buntscheckigkeit zu erreichen versuchte.

Frank Witzel ist ein mit allen Wassern des modernen hybriden  Romans gewaschener Schriftsteller, er spielt also (teilweise sehr witzig & ironisch) auf der farbigen Klang-Klaviatur von Essay, Dialog, Dokument, Bericht, Selbst-Reflexion ed.al.; ist aber zum Pech des Lesers vor allem auch infiziert von dem, was der Tübinger Philosoph Manfred Frank einmal vor langer Zeit polemisch-ironisch »die Franzosenkrankheit« genannt hat: Witzel hat, (wie Faust stöhnt), Philosophie bei den Strukturalisten & Dekonstruktivisten von Barthes & Derrida über Foucault bis Lacan studiert und leider auch die Theologie nicht links liegen gelassen, ganz zu schweigen von seinen ermüdend-langwierigen, verschwörungstheoretisch-sophistischen Exegesen mancher Songtexte der Beatles.

Dergleichen Engführungen mit dem modischen Irrationalismus haben in »Der Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch depressiven Teenager im Sommer 1969« weitläufige Folgen in ausgedehnten geistigen Geröllfeldern des Buches hinterlassen. Wer klug ist & jeweils »den (kalten) Braten riecht«, meidet, bzw. überblättert die Vielzahl solcher literarischer Ödnisse, die das ästhetisch wie stofflich verwilderte Mixtum Compositum nichtsnutzig aufblähen.

Das Buch macht den Eindruck, als habe der Autor, der natürlich auch über seine Befindlichkeiten beim Schreiben schreibt – z.B. von einer »Schreibblockade« –, alles, was er zum Komplex BRD, RAF, Rock'n'roll & Pop gesammelt hatte, in seine literarische Wundertüte gepackt hat, aus der einem, wenn man sie aufmacht, dann alles entgegenpurzelt, was ihm im Laufe der Zeit an weitreichenden (psychoanalytischen) Spekulationen & auftrumpfend tiefsinnigen Spielanordnungen auch noch eingefallen ist.

Vermutlich aber wird nur ein Zeitgenosse des 1955 geborenen Autors, der mit ihm Witzels Lebens-, Lese- & Popmusic-Bildung  teilt, das durch eine Menge von alltags- & mentalitätsgeschichtlichen Signalements beschworene BRD-Ambiente noch assoziativ aufschlüsseln können. Es ist möglicherweise diese enge generationstypische Wiedererkennungsfreude der gleichaltrigen Kritiker – ineins mit der Transponierung des einst (gefährlich) Politischen ins distanzierend »Poetische« -, was zur einhelligen, kritiklosen Verhimmelung von Frank Witzels literarischer »Wundertüte« samt ihren tauben Nüssen  geführt hat. So wird mancher Leser zu einem bösen Erwachen kommen. Statt des erwarteten Traumgeländes eines (nostalgischen) Schmökers findet er sich im Albtraum einer literarischen Überanstrengung wieder.

Artikel online seit 28.12.15
 

Frank Witzel
Die Erfindung der Roten Armee Fraktion durch einen manisch-depressiven Teenager im Sommer 1969
Roman
Verlag Matthes & Seitz, Berlin 2015
827 Seiten
29.90 €

 


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