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Glanz&Elend
Literatur und Zeitkritik


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Die Raddatz Variationen

Mit seinen Erinnerungen an die
»Jahre mit Ledig« hat sich
Fritz J. Raddatz auf seine unnachahmliche Weise verabschiedet.

Von Lothar Struck




 

Zwölf Menschen ließ Fritz J. Raddatz in seiner Autobiographie "Unruhestifter" 2003 in besonderer Ausführlichkeit "auftreten". Menschen, die sein Leben geprägt haben - sowohl Scheusale wie auch Lieben. Es sind Erzählungen mit großer Unerbittlichkeit, die aber stets in einem seltsamen Gerechtigkeitsfuror mündeten, wie etwa bei dem "Pfaffen", dem "Verräter" oder dem "Herausgeber" -  alle real in Raddatz' Leben Vorgekommene und Verursacher unterschiedlich tiefer Wunden.

Einer von Raddatz' Dutzend war natürlich Heinrich Maria Ledig-Rowohlt, von sich selber und allen anderen knapp "Ledig" genannt. Raddatz arbeitete neun Jahre für Ledig und "seinen" Rowohlt-Verlag (allein zeichnungsberechtigt war Ledig paradoxerweise nicht) und nach allem was man von ihm so gelesen hat, dürfte es wohl Raddatz' schönste Zeit des Lebens gewesen sein. Der nicht einmal dreißigjährige Fritz, der gerade eben der DDR und dem Verlag "Volk und Welt" resigniert den Rücken gekehrt hatte, wurde binnen kurzer Zeit zu Ledigs Mann für (fast) alle Fälle und prägend für das literarische und intellektuelle Ansehen des Rowohlt-Verlags der wilden 1960er. "Jahre mit Ledig" nennt Raddatz sein bibliophiles Erinnerungsbuch – ein Tag nach seinem Freitod erschienen, natürlich bei Rowohlt. Das Buch ist (dem scheidenden) Alexander Fest gewidmet, "dem Wahrer des Erbes von Heinrich Maria Ledig-Rowohlt", so Raddatz mit Pathos und Verehrung zu Beginn. Freilich wäre er nicht Raddatz, wenn es da nicht diesen kleinen Zusatz in der Widmung gäbe, abgetrennt mit einem Semikolon: "und eines Quänt'chens des meinen". (Diminutive in diesem Buch durchgängig mit Apostroph.)

So beginnt denn Raddatz' Erbe, mal als "Erzählung" dann als "Bericht" bezeichnet, mit einer kleinen Prise Hybris. Natürlich ist es hübsch dekoriert, mit vielen Fotos, ausnahmslos in schwarz-weiß: Ledig in Pose, Ledig mit und ohne Raddatz, Ledig mit Frau, mit Camus, mit Faulkner, tischtennisspielend mit Henry Miller, beim Schreibtisch aufräumen, beim Purzelbaumschlagen (ein verwackelter, schwarzer Klumpen auf einem Parkett vor Menschen) oder einfach nur mit Zigarre – als Dandy, Großkotz, Clown oder Vaterfigur. Alles auf schönem Papier. So wird die Erinnerung an Ledig auch zu einer Erinnerung an Raddatz. Und zu einer Erinnerung an eine vergangene Zeit. Eine Zeit, in der Bücher noch jenseits von Bestseller-Listen und Kostenerwägungen auch einen ästhetischen wie intellektuellen Anspruch mit transportierten. Ledig war diesbezüglich auf Hilfe angewiesen; ein Intellektueller war er nicht (indirekt schreibt das Raddatz auch). Dafür ein Zirkuspferd, "majestätisch", barock; "Bücherperlentaucher" (das war Unseld auch), aber bei aller überbordenden Höflich- und Freundlichkeit "warmherziger Distanzvermesser", der allzu große Nähe zu Menschen nicht mochte.

Und ist das alles neu? Nein. Wer den "Unruhestifter" gelesen hat, kennt nahezu alle Anekdoten und Histörchen dieses Erinnerungsbuches. Raddatz hat seitenlang aus seiner eigenen Autobiographie abgeschrieben. Zu selten wirklich Neues, wie etwa die Wiedergabe des Telefonats mit Krupp-Mann Berthold Beitz, der unbedingt Hochhuths "Stellvertreter" verhindern und Ledig in Gutsherrenmanier einschüchtern wollte. Ansonsten wurden Nuancen geändert, zuweilen umgebastelt. Variationen des sattsam bekannten. So wurde aus dem Paradoxon eines "dünnhäutigen Elefanten" der Pleonasmus "sensibler Elefant". Immer wieder sucht Raddatz nach Attributen, die Ledig gerecht werden, ohne dabei jedoch psychologisieren zu wollen. Das gelingt nicht immer fehlerfrei, wirkt manchmal etwas gesucht. "Ledig war viele Ledigs" heißt es einmal, aber das kommt einem ein kleines bisschen banal vor. Anderes wird nur kurz angerissen, wie etwa die "Ballon-Affäre", die im "Unruhestifter" sehr ausgiebig referiert wird. Er schreibe keine Rowohlt-Chronik, begründet Raddatz die Kürze. Tatsächlich erfährt man über die Verlagslandschaft in den 1960ern im "Unruhestifter" mehr.

Der Champagner fließt in Strömen. Also klingeln die Kassen. Raddatz steuert hierzu keine Erkenntnisse bei; die Buchhaltung, das Kommerzielle war Terra incognita für ihn, den Geistes- und Kopfmenschen. Wie zwei Unzertrennliche müssen sie gewirkt haben. 1967 schickt Ledig Raddatz ein Telegramm, in dem er ihm ewige Treue schwört ("we shall go for ever and ever or until death us parts"). Immer wieder weist Raddatz darauf hin – und dann, zwei Jahre später ebenfalls per Telegramm die Kündigung. Beide Dokumente sind faksimiliert. Die Unterschrift auf dem Treue­-Telegramm erwähnt Raddatz nicht. Sie zeigt sich auf der Kopie: "THE BOSS" steht dort. Und genau das war, wie Raddatz selber zugibt, mit der Zeit das Problem. Es gibt Haarrisse, die im Arbeitstrubel kaum wahrgenommen werden. "Fritzchen" sagte irgendwann zu oft "ich" und nicht mehr oft genug "wir". So auch in diesem Buch, freilich gemäßigt. Er war es, der Ledig auf Bilder und Kunstwerke aufmerksam machte. Und er war derjenige, der den Verlag in den 1960er Jahren entscheidend mitgestaltete. Er, Raddatz, "entdeckte" die "junge österreichische Literatur", heißt es da: Ossi Wiener, H. C. Artmann, Elfriede Jelinek. D'accord, Monsieur. Aber Thomas Bernhard und der von Raddatz nicht besonders geschätzte Peter Handke (der en passant als "geldgeil" charakterisiert wird; ausgerechnet von FJR!), hatten sich für Siegfried Unseld entschieden.

Erklärt sich also mit der zunehmenden, vielleicht anmaßend empfundenen Dominanz Raddatz' das Zerwürfnis? Womöglich ein Unterlegenheitsgefühl? Einerseits. Und sonst? Raddatz ist (war) am Ende immer noch ratlos. War es das alleine? Gab es Intrigen gegen ihn? Es ist auch ein Ausriss aus einem Brief Ledigs an Raddatz vom 18.12.1969 wiedergegeben. In Druckschrift ungelenke Formulierungen: "Wir haben beide Fehler gemacht, aber es ist zu spät und zu früh darüber zu rechten". Wie aus einem Groschenroman. Und man ahnt, warum es Raddatz war, der die wichtige Korrespondenz normalerweise erledigte.

Ledig verlor dann, wie Raddatz in einer Mischung aus Trauer und Triumph bemerkt, im Laufe der 1970er Jahre, also nach der Trennung von ihm, mehr und mehr die Lust. Schon zu Raddatz' Zeiten schmiss Ledig Autoren, deren Verhalten ihm nicht gefiel, aus dem Verlag. Arno Schmidt etwa (zu "roh und selbstgewiss") oder Walter Jens ("Besserwisser"). Andere Autoren wechselten. Der Verlag wurde sukzessive veräußert; 1983 ging er vollständig in Besitz der Holtzbrinck-Gruppe, Ledig schied als Geschäftsführer aus. Fast gleichzeitig frischte die Freundschaft mit Raddatz wieder auf. Ledig machte sich für Raddatz' Roman "Kuhauge" stark, der 1984 bei Rowohlt erschien. Man wechselte vom "Sie" zum "Du". Wieder die üblichen Dönkes; tagebuchbekannt. Am Ende dann fast ungekürzt Raddatz' Nachruf auf Ledig aus der "Zeit" 1992.  

Ein Fehlerchen hat sich im Buch auch eingeschlichen: Der "Große Preis" (vulgo: "Prix International") im Rahmen des "Prix Formentor" ging nicht zu gleichen Teilen an Uwe Johnson und Samuel Beckett. Johnson bekam den Preis 1962 alleine; Beckett teilte sich 1961 den Preis mit Borges. Raddatz kann man diesbezüglich keinen Vorwurf machen. Ein Lektor, eine Lektorin hätte das allerdings nachprüfen können.

Vergleicht man die Opulenz, mit der der Suhrkamp-Verlag Siegfried Unselds 90. Geburtstag gedachte (Siegfried Unseld - Sein Leben in Bildern und Texten) und dessen Wirken akribisch für die Nachwelt aufbereitet (die letzte Ausgabe von Unselds Chroniken werde ich bei der eingeschlagenen Publikationsfrequenz nicht mehr erleben), wirkt Raddatz' Erinnerungsbuch im Verhältnis zur Eitelkeit beider Protagonisten nahezu spartanisch. Immer wenn das Gedenken einsetzt, ist eine Epoche zu Ende gegangen. Wer wohl von den aktuellen Verlegern später einmal eine ähnliche Hommage wie Ledig oder gar Unseld erhalten wird? Es fallen einem tatsächlich noch Namen ein, die mit den Genannten vergleichbar sind (nimmt man auch gerade zurückgetretene Persönlichkeiten hinzu). Aber wo sind diejenigen, die dies in 50 Jahren noch lesen wollen?

Artikel online seit 17.03.15
 

Fritz J. Raddatz
Jahre mit Ledig
Rowohlt
160 Seiten
16,95 €
978-3-498-05798-5

Leseprobe

 


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