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Glanz&Elend Literatur und Zeitkritik


 

















»Aber Suhrkamp bleibt.«

Zum 90. Geburtstag von Siegfried Unseld, am 28.09.2014, ist ein reich illustrierter Band erschienen, der das Leben des Verlegers
erstaunlich offenherzig als Kulturgeschichte der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts in Bildern und Texten dokumentiert.

Von Herbert Debes
 

»Wenn Shakespeare der größte Dichter und Minetti der größte Schauspieler ist, dann ist Unseld der größte Verleger,« verlautbarte Thomas Bernhard, überzeugt, selbst des größten Verlegers größter Autor zu sein.

Dabei bedürfte es keineswegs solch vollmundiger und deshalb gern zitierter Trötentöne, um die berufliche Lebensleistung jenes Mannes zu würdigen, der am 01. April 1959 im Alter von 35 Jahren angetreten war, das verlegerische Erbe von Peter Suhrkamp zu wahren und den gleichnamigen Verlag fortzuführen. In den 43 Jahren seines Wirkens, bis zu seinem Tod am 26.Oktober 2002 entwickelte Siegfried Unseld das Haus Suhrkamp zu einer Adresse mit Kultstatus, welche das europäische Geistesleben und den deutschen Literaturbetrieb qualitativ wie thematisch prägte, und zu Beginn der 70er Jahre so etwas wie die geistig-moralische Deutungshoheit über den Zeitgeist gewann, als George Steiner im Kontext einer Besprechung der Gesammelten Schriften von Theodor W. Adorno im Times Literary Supplement vom 9. März 1973 den Begriff von der Suhrkamp-Kultur erfand.

Die Suhrkamp-Kultur habe »in unseren Tagen die literarisch und intellektuell führende Schicht Deutschlands bestimmt. Ganz auf sich bestellt, kraft seiner kulturpolitischen Vision und seines verlegerischen Scharfsinns hat der Suhrkamp Verlag einen Maßstab für moderne Philosophie geschaffen. Insofern als der Suhrkamp Verlag die bedeutendsten, herausfordernsten philosophischen Stimmen unserer Epoche einem breiten Publikum zugänglich gemacht hat, insofern als er die deutschen Bücherregale mit der Gegenwart jener deutsch-jüdischen intellektuellen uns stimulierenden Kraft erfüllt hat, welche der Nazismus auslöschen wollte, war und ist seine Initiative ein dauerndes Verdienst.«

Nun war der, mit Ernst Boch gesprochen, »Ins Gelingen verliebte« Verleger Siegfried Unseld eine ausgesprochen charismatische, seine Umgebung meist dominierende Persönlichkeit mit stark ausgeprägten patriarchalischen Zügen. Das werden jene Mitarbeiter, die ihn noch erlebt haben, bestätigen können, teils, weil er sich, ganz der sorgende Pate, selbst um Lösungen für familiäre Probleme seiner Mitarbeiter bemüht hat, aber auch, weil er Anmaßung und Inkompetenz auf große Entfernungen meinte wittern zu können, und ganz im Sinne seiner Auffassung von verlegerischer Pflichterfüllung, nicht zögerte, sie umgehend auszumerzen.

Bei aller Schaffenskraft und unternehmerischem Geschick ist ihm eines jedoch nicht gelungen: eine Dynastie zu gründen. Und es ist auch ein Verdienst dieses Bild & Textbandes, daß er den tragischen Prozeß der Entfremdung von Vater Siegfried und Sohn Joachim bis hin zum endgültigen Bruch am 16. Februar 1993 überraschend offen dokumentiert: »Abends Treffen mit Joachim im Frankfurter Hof. (...) Mein Angebot des Berlin Verlages käme für ihn nur in Betracht, wenn er als Geschäftsführer angestellt sei, d. h. Gehalt bekäme und die Finanzen bei Suhrkamp/Insel eingebunden seien. Ich lehnte dies ab, und damit war auch das letzte Angebot, das ich ihm machte, erledigt. (...) Er sagte, ich sei nicht mehr sein Vater, und er nicht mehr sein Sohn. Ich sagte, das habe er mir bereits geschrieben, und das habe er in der ganzen Zeit nie widerrufen oder sich dafür entschuldigt. Er stand auf und ging. Ist dies mein Sohn? Wäre er je in der Lage gewesen, mein Werk weiterzuführen und das von mir Geschaffene zu achten? Nur weil ich diese letzte Frage jetzt eigentlich verneinen muß kann ich mit dem 'Ende' zurechtkommen.« (S.U. Chronik, 16.Februar 1993)

Recht machen konnte es ihm aber auch kein anderer, und selbst sein langjähriger Geschäftsführer Gottfried Honnefelder, mit dem er 1981 den Deutschen Klassiker Verlag gegründet hatte, verließ 1996 den Verlag.
Und so klingt sein »Letzter Gruß an die Mitarbeiter« zum Abschluß dieses in jeder Hinsicht unverzichtbaren Prachtbandes denn auch eher trotzig als daß er überzeugend Zuversicht vermittelt:

»Liebe Mitarbeiter,
ich habe auf euch gebaut, und ihr auf mich. Vielleicht kann es in einer anderen Weise so bleiben. Und eine große Bitte: Stärkt Ulla den Rücken. Sie wird alles geben, diese Verlage zu halten in schwieriger Zeit. Und mit meinen Grüßen an Sie alle verabschiede ich mich.
Aber Suhrkamp bleibt. Die Stiftung ist eingerichtet, sie wird auch Ihnen und den Autoren helfen, unsere Stellung zu bewahren. Aber Suhrkamp bleibt. In diesem Sinne, alles Gute.«

Und so schauen wir fasziniert wie betroffen auf das Leben dieses großen Verlegers
und Literaturliebhabers und lesen dabei eine lehrreiche und erstaunlich offenherzige deutsche Kultur- und Familiengeschichte der 2. Hälfte des letzten Jahrhunderts.

Als tragischer Schlußpunkt dieser Dokumentation bleibt noch zu vermerken, daß
das Buch mit einem Vorwort von Frank Schirrmacher eingeleitet werden sollte. Schirrmacher, der sich 1994 gegen ein Angebot Unselds als alleinverantwortlicher Verleger zugunsten seiner Herausgeberschaft bei der FAZ entschieden hatte, starb »während der Vorarbeiten« zu seinem Text.

Nicht indes ist geblieben vom Suhrkamp Haus in der Frankfurter Lindenstrasse. Eine Bilderstrecke von Stefan Geyer erinnert an den Abriß des Verlagsgebäudes 2011. Zu den Fotos



Artikel online seit 02.10.14
 

Raimund Fellinger, Matthias Reiner (Hg.)
Siegfried Unseld
Sein Leben in Bildern und Texten
Suhrkamp
335 Seiten
58,00 €
978-3-518-42460-5



 


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