Karl Kraus wird am 28. April 1874 im nordböhmischen Gitschin (heute:
Jicín) als neuntes Kind des jüdischen Papierfabrikanten Jakob Kraus und
dessen Frau Ernestine (geb. Kantor) geboren. Er ist drei Jahre alt, als
die Familie nach Wien umzieht. Nach dem Abitur immatrikuliert er sich
1892 auf Drängen seines Vaters an der juristischen Fakultät der
Universität Wien. Der junge Kraus ist häufig im Literatencafé »Griensteidl«
zu finden. Dort lernt er den Kreis um den Schriftsteller und Kritiker
Hermann Bahr kennen.
1894 wechselt Kraus, obwohl sein Vater es mißbilligt, an die
philosophische Fakultät und hört philosophische und germanistische
Vorlesungen. Schon als Student veröffentlicht er literaturkritische
Beiträge, u. a. in der Zeitschrift »Die Gesellschaft«. Er tritt als
Schauspieler, Regisseur und Vortragskünstler in Erscheinung und ist mit
Mitgliedern der Gruppe »Jungwien« wie Arthur Schnitzler und Hugo von
Hofmannsthal befreundet. 1897 verfaßt er die Satire »Die demolierte
Literatur«, in der er sich von der Dekadenz der Gruppe »Jungwien«
distanziert. Als Wiener Korrespondent veröffentlicht er Beiträge in der
»Breslauer Zeitung«.
1898 bricht Kraus sein Studium endgültig ab und beginnt für die
Zeitschrift »Wage« zu arbeiten. Er mußte jedoch bald erkennen, daß
betriebliche Rücksichtnahmen und von der Redaktion selbst auferlegte
Zensur seinen Vorstellungen von einer freien Presse widersprachen. »Als
Chroniquer der »Wage« hatte ich wöchentlich länger darüber nachdenken
müssen, was ich schreiben dürfe, als alles das zu schreiben Zeit
erfordert hätte, was ich nicht schreiben durfte.« (»Die Fackel« 5, 10)
So gründete er im April 1899 konsequenterweise seine Zeitschrift »Die
Fackel«, an der in den folgenden Jahren u. a. Persönlichkeiten wie Egon
Friedell, Peter Altenberg, Else Lasker-Schüler, Heinrich Mann, Arnold
Schönberg, Frank Wedekind und Franz Werfel mitarbeiten.
»Die Fackel« entwickelt sich zu einer führenden kultur- und
gesellschaftskritischen Zeitschrift, in der Kraus 37 Jahre lang alle
Bereiche des gesellschaftlichen Lebens analysiert und kritisiert. Von
November 1911 an ist Kraus alleiniger Autor der »Fackel«, von der
insgesamt 415 Ausgaben in 922 Nummern mit 23 000 Seiten erscheinen.
Im Oktober 1899 verläßt Kraus die jüdische Religionsgemeinschaft.
1902 erscheint sein Essay »Sittlichkeit und Kriminalität«, in dem er die
Doppelmoral von Justiz, Presse und Gesellschaft anprangert.
1909 erscheinen in dem Band »Sprüche und Widersprüche« erste Aphorismen.
1911 konvertiert er zum Katholizismus. Sein Essay »Heine und die Folgen«
behandelt kritisch das instrumentelle Verhältnis der zeitgenössischen
Literatur zur Sprache.
In den Kriegsjahren 1914-1918 wird »Die Fackel« mehrmals konfisziert,
weil Kraus in ihr für eine pazifistische Haltung eintritt und scharf
gegen die österreichische Kriegspolitik polemisiert.
1916 Mit »Worte in Versen« erscheint der erste von neun Gedichtbänden.
1918/19 erscheint sein Antikriegsdrama »Die letzten Tage der Menschheit«
in Sonderheften der »Fackel«, die nicht im Abonnement zu beziehen sind.
Dieses kulturpessimistische Sittengemälde vom Niedergang einer Welt, die
den Krieg als »heiligen Verteilungskrieg« begreift, ist als monumentale
Warnung an die Menschheit vor dem Untergang heute aktueller denn je.
Es erscheinen weitere Aphorismen in dem Band »Nachts« sowie Essays in
dem Band »Weltgericht«.
1923 Aus Protest gegen Max Reinhardts Welttheateraufführungen vor und im
Salzburger Dom tritt Karl Kraus aus der katholischen Kirche aus, einer
Kirche, die im Krieg die Waffen segnete und sich nun zur Theaterkulisse
benützen läßt.
Seine häufig polemische Kritik attackiert in den 20er Jahren besonders
die Machenschaften der Wiener Polizei und die Verlogenheit der Presse
sowie den Berliner Theaterkritiker und selbsterklärten Pazifisten Alfred
Kerr, den er schließlich als Verfasser blutrünstiger Kriegsgedichte, die
unter dem Pseudonym »Gottlieb« erschienen waren, entlarvt.
1925 hält Kraus mehrere Vorlesungen an der Sorbonne in Paris und wird im
selben Jahr von französischen Professoren für den Nobelpreis
vorgeschlagen. Immer wieder warnt Kraus in Vorlesungen und Artikeln
sowohl vor der drohenden »Entmenschlichung« durch den
Nationalsozialismus als auch vor dem Versagen sozialdemokratischer
Politik.
1933 beginnt Kraus die Arbeit an einer Analyse der Nationalsozialisten
und ihrer Sympathisanten, »Die dritte Walpurgisnacht«, von der zu
Lebzeiten das Fragment »Warum die Fackel nicht erscheint« veröffentlicht
wird. Vollständig wird sie erst posthum 1952 publiziert.
Kraus nimmt seine Arbeit an einer Sprachlehre, die er schon in den 20er
Jahren begonnen hatte, wieder auf. Sie erscheint jedoch erst 1937
posthum unter dem Titel »Die Sprache«.
Im Februar 1936 erscheint die letzte Ausgabe der »Fackel«.
Bereits seit 1933 leidet Karl Kraus an einer Herzerkrankung. Er stirbt
am 12. Juni 1936 an einer Herzembolie. Das Grab befindet sich auf dem
Wiener Zentralfriedhof in der Gruppe 5 A, Reihe 1, Nummer 22.
»Im Anfang
war die Presse
und dann erschien die Welt.
Im eigenen Interesse
hat sie sich uns gesellt.
Nach unserer Vorbereitung
sieht Gott, daß es gelingt,
und so die Welt zur Zeitung
er bringt […]
Sie lesen, was erschienen,
sie denken, was man meint.
Noch mehr läßt sich verdienen,
wenn etwas nicht erscheint.«
„Das Lied von der Presse“, aus: „Literatur oder Man wird doch da sehen“,
1921, in: Dramen, Suhrkamp, 1. A., 1989, S. 57
Seine in Aphorismen gegossenen Ansichten, Essays und Kritiken über die
Verhältnisse zwischen Männer und Frauen, den Zustand der Kultur der
Österreicher und Deutschen, insbesondere über ihren Umgang mit der
deutschen Sprache, polarisieren noch siebzig Jahre nach seinem Tod die
mittlerweile post postmodernen Zeitgenossen.
Was Karl Kraus zu einer der herausragenden publizistischen Größen seiner
Zeit machte, liegt nicht zuletzt darin begründet, daß er über sein
eigenes Medium, die kulturkritische Zeitschrift »Die Fackel«, nach
Belieben verfügen konnte. Er mußte keine Rücksichten auf konservative
Verleger oder umsatzorientierte Anzeigenleiter nehmen. »Die Fackel« ist
mit ihren 415 Ausgaben in 922 Nummern (viele Hefte waren Doppel-,
Dreifach- oder Mehrfachnummern) auf 23 000 Seiten ein publizistischer
Erfolg geworden, was belegt, daß Karl Kraus mit seinen Beiträgen meist
auch den Nerv des Themas getroffen und freigelegt hat. Am Ende war er
freilich pleite.
»Ich
lese keine Manuskripte und keine Drucksachen,
brauche keine Zeitungsausschnitte,
interessiere mich für keine Zeitschriften,
begehre keine Rezensionsexemplare und versende keine,
bespreche keine Bücher, sondern werfe sie weg,
prüfe keine Talente,
gebe keine Autogramme […]
besuche keine Vorlesungen außer den eigenen […]
erteile keinen Rat und weiß keinen,
mache keinen Besuch und empfange keinen,
schreibe keinen Brief und will keinen lesen und
verweise auf die völlige Aussichtslosigkeit jedes Versuchs, mich zu
irgendeiner der hier angedeuteten oder wie immer beschaffenen, schon in
ihrer Vorstellung meine Arbeit störenden, mein Missbehagen an der
Außenwelt mehrenden Verbindungen mit eben dieser bestimmen zu wollen,
und habe nur noch die Bitte, die auf alle derlei Unternehmungen
vergeudeten Porto- und sonstigen Kosten von jetzt an der Gesellschaft
der Freunde Wien I, Singerstraße 16, zuzuwenden.«
Weigel, Kraus oder die Macht der Ohnmacht, S.86
Sein publizistisches Credo, die Dinge klar und schnörkellos bei ihrem
Namen zu nennen, sensibilisierte die Leserschaft. Den einen war Kraus
immer für einen Skandal gut. Anderen galt er als unbestechliche
moralische Instanz. Er schaute den agierenden Personen des politischen
und kulturellen Zeitgeschehens auf’s Maul, entlarvte rhetorisch brillant
die Inkompetenz seiner Kollegen, sezierte mit seinem Schreibwerkzeug die
Verlogenheit der Politiker und attackierte genüßlich die Doppelmoral der
klerikalen und staatlichen Sittenwächter.
Die Aphorismen und Statements von Karl Kraus zeigen seine
thematische Bandbreite und demonstrieren eindrucksvoll seine
stilistische Virtuosität. Sein kulturpessimistisches und
medienkritisches Werk hat die Zeit überstanden, und er wird aktuell
bleiben, solange die tatsächliche Dimension des Geschehens in den
Floskeln der Ereignissprachen der Medienmacher verschwindet.
Herbert Debes
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Aphorismensammlung:
Sprüche und Widersprüche
Pro domo et mundo
Nachts
Die Fackel
online als gratis Volltext
Die 922 Nummern und rund 22.500 Seiten der vom
österreichischen Schriftsteller Karl Kraus 1899 gegründeten Zeitschrift
"Die Fackel" sind ab sofort dank eines Projekts des Austrian Academy
Corpus der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) online
abrufbar.
Um Zugang zu erhalten, ist auf
aac.ac.at/fackel eine
Gratis-Registrierung nötig, auch eine Volltext-Suche ist möglich.
Getestet, und es funktioniert. |