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Eureka - A Secret Visit in Vineland

Ein klandestines Gespräch mit Thomas Pynchon
geführt von Goedart Palm und Herbert Debes

Geboren: 08.05.1937 - Beruf: Schriftsteller

 

Mit diesem unzulänglichen Steckbrief begaben wir uns zur amerikanischen Westküste, um den mysteriösen Schriftsteller zu finden. Seine Person hat sich bis auf spärliche Spuren in literarischen Kurzbiographien der frühen Jahre verflüchtigt.
Die Apparatniks des Kulturbetriebs haben bisher vergeblich versucht, Pynchon in seinem selbstgewählten Exil aufzuspüren. Das Schwierigste ist aber oft das Einfachste. Reden wir nicht von den Anstrengungen und Kautelen, die diese Zusammenkunft ermöglicht haben. Gehen wir – auf Geheiß des Meisters grob verfälschend – davon aus, daß wir ihn im Bodhi Dharma Pizza Temple, irgendwo zwischen Eureka und Humboldt Bay, trafen. Für die Dauer eines Big Mac Bodhi und eines Nirvana Happy Shake hat er auf unsere Fragen geantwortet.
Nie zuvor hat Pynchon ein Interview gegeben! Ein Autor mit Maske ist er geblieben. Biographische Fragen wurden nicht beantwortet. Aber jeder Autor, der sich in zahllosen Akteuren auf unzähligen Bühnen spiegelt, entlarvt sich ohnehin. Pynchon hat in dem folgenden Gespräch zwar sein Inkognito nicht gelüftet, doch außer für die Intimitätskiller der publicitysüchtigen Literaturboulevards wird das kein echtes Thema sein.

Glanz@Elend: ... Entropie, Thermodynamik und Chaostheorie sind mehr oder weniger ausdrückliche Dauerthemen ihrer narrativen Weltdesorganisation. Schreiben Sie gegen das Chaos an oder liefern Sie dessen Vexierbilder?

Pynchon: Kausalität ist der Trick des Lebens, offene Wahrscheinlichkeiten zu leugnen. In der Apotheose der Entropie feiern wir die Absetzorgien einer beschädigten Vernunft. Wir können nicht die Rationalitätsformen beliebig wechseln, aber wir können die angeschlagene Athene becircen, bis ihre Metastasen aufbrechen, und der Textausschlag ihr stählernes Korsett überwuchert. Diesen kleinen Äskulapsus der Chaos- Medizin wird sie den Dichtern schon verzeihen. Die Dichter flicken ja ohnehin schon solange vergeblich die Schnittstellen zwischen Welt und Werk, so daß ein Kunstfehler mehr oder weniger nicht weiter auffällt.

Glanz@Elend: In ihrer zusammengeflickten Parallelwelt zitieren Sie auch en passant die Schizo-Theoretiker Deleuze & Guattari. Ist die Paranoia, die SchizoPower der postmodernen conditio humana schlechthin?

Pynchon: Die Geburtsstunde der Paranoia schlägt, wenn die Mythen, die zum Logos treiben, aufgesaugt werden und der Logos zu halluzinieren beginnt. Paranoia wird zum Überlebenstraining in einer Welt, in der die Gewißheitsverluste in der Weltbeschreibung auf die Individuen abgelastet werden. In dem unendlichdimensionalen Raum der Quantenmechanik behauptet die Paranoia die deterministische Position gegenüber den stochastischen Prozessen, die sie nach dem Prinzip der Komplementarität aber zugleich auch reflektiert. So weit - so schematisch...

Glanz@Elend: Sie sind eine narrative Maschine. In ihren Texten produzieren Sie unentwegt Geschichten, Geschichtssplitter, Fäden, die aufgenommen und abgebrochen werden. Sie fressen Informationen wie ein digitaler Superscanner. Wo bleibt Ihr Widerstand gegen die Furzkühe des Informationsterrors?

Pynchon: Unsere babylonische Wortarchitektur hat die Spitze der Wortlosigkeit bald erreicht. Auch wenn von den Minaretten der Satelliten perkutane Gesänge durch den Äther heulen, hat der Muezzin die Schnauze voll – Feierabend. Weniger die fröhliche Sphärenharmonie all das reizüberflutende Geheul inkompatibler Geschichten beherrscht unseren alltäglichen Gedankenkompost. Wir flößen uns Wörter wie Placebos ein, Tranquilizer für die orale Impotenz. Fellatio corruptus. Zuletzt werden wir uns den goldenen Schuß aus den Pilzgiften schimmelnder Äolsharfen spritzen.

Glanz@Elend: Warum schreiben Sie dann überhaupt noch?

Pynchon: Den infiniten Differenzen, den Superfraktalen eines vollgesogenen Mengerschwamms (Anmerkung d. Übersetzers: Der Mengerschwamm ist ein höherdimensionales Analogon des sog. Sierpinski-Teppichs) in den wenig erschlossenen Herzkammern der Vernunft spüren meine Texte nach. Wenn die Komplexität der literarisch verunstalteten Welt hinter der realen zurückstände, und das ist ihr Regelschicksal, bliebe der Text besser ungeschrieben. Literatur, die nicht das Überbietungsrisiko eingeht, hinkt wie Quasimodo hinter dem obskuren Objekt der Begierde hinterher.

Glanz@Elend: Ihre Kinoleidenschaft ist bekannt. Ihr letzter Roman Vineland präsentiert ein cineastisches Totalprogramm, das von dem Death to the Pig Nihilist Film Kollective aus Berkeley betrieben sein könnte. Sind Ihre Arbeiten nicht Drehbücher für synästhetische Orgien im Post-Disco-Sound, die besser verfilmt würden?

Pynchon: Die Bedeutung einer Dichtung liegt in ihrem Gebrauch in der Sprache. Der Film hat sich noch nicht als Medium emanzipiert, das die erforderliche Kontrolle über das Material sicherstellt. Nur wer die Montageherrschaft des Autors über den Text wirklich erfahren hat, erkennt die technischen Widerstände des Films. Noch stehen die synästhetischen Potentiale des Films hinter der metonymischen Kraft der Sprache zurück. Noch ist der Text der bessere Film. Die Verträge mit meinen Schauspielern werden allesamt eingehalten. Wer sich schlecht aufführt, fliegt ‘raus.

Glanz@Elend: Ihre Arbeiten präsentieren unzählige solcher Figuren, die sich oft nur kurz auf den Schleudersitzen der Erzählung ausruhen können. Ihre psychologischen Charakteristika, ihre Handlungsformen, ihre Handlungsbedeutung transformieren sich in nuce in ihren Namen: Profane, Stencil, Squasimodo, Fergus Mixolydian, Graf Drogula. Sind Sie praktizierender Nominalist?

Pynchon: Namen sind Bedeutungsgaleeren. Im Irrgarten des Textes markieren sie Subjekte auf die radikalste Weise. Jeder Name trägt die Last eines ganzen Lebens. Transit ab ovo usque ad mala. Erst die Namen sichern der Welt die Existenz. Der Glaubensverlust in der universalistischen Weltdeutung ist zugleich die Geburtsstunde der Namen. So wie die Zahl der Namen Gottes unendlich sein mag, scheint es die der Menschen auch zu sein. Darin erträumt der Mensch seinen göttlichen Auftrag. (Lacht) Litt Joyce nicht auch an der Rotzkrankheit des Nominalismus? Wie im Talmud der Tod eines Menschen als der Tod einer ganzen Welt gilt, so erlösen uns die Namen von den Dornenkränzen des Sinnterrors.

Glanz@Elend: Massakrierte und geschundene Kreaturen, Krüppel, Absinthtrinker, Berufsentjungferer, Tyrosemiophile (Sammler französischer Käseschachteln), Gußeisen-Feministinnen, Thanatoide (Noch-Nicht-Ganz-Tote), Sadomasochisten und Perverse aller Art sind ihre kurzlebigen Protagonisten. Ist in Ihrer Welt kein Platz für Menschen mit aufrechtem Gang? Ist mens sana in copore sano ein Witz, den Pig Bodine in einer Bar in Valetta zu Entzücken der abwesenden Vomitonettes erzählt?

Pynchon: Wenn sich die Protagonisten nicht nur dieses Jahrhunderts in einer Bar der Untoten einfinden würden, wen würden wir treffen? Hitler, Mussolini, Stalin, Pol Pot, aber auf den unteren Etagen sieht es nicht anders aus. Walter Mitty, oder soll ich Woody Allen sagen, sind allemal Perverse, solange sie nicht ad usum delphini kredenzt werden. Meine Figuren sind Abziehbilder, aber realer, als sie bisher wahr-genommen werden. Surreal mag das nur jenen erscheinen, die zum Heil ihrer Selbstverfassung schon so tief in dem offiziellen Diskurs verstrickt sind, daß sie ihre eigenen Unheilspotentiale in einer geschlossenen Notzuchtanstalt verbergen müssen.

Glanz@Elend: Ihre Kombinatorik von Wörtern, Begriffen und Bildern schein gleichwohl Lautreamont, der die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf dem Vivisektionstisch imaginierte, zum Ahnherrn zu nehmen. Sind Sie Postsurrealist?

Pynchon: Der Koitus, nicht nur der literarischen Formen, sondern auch der Theorie der Praxis, der Kunst mit dem Leben, ja des Lebens mit dem Tod, ist keine aktuelle Tagesnachricht. Nur schreibt sich das Kamasutra der neuen Liebestechiken rasend schnell fort, immer mehr Anschlußstellen öffnen sich… Wer nur auf das Ideenbingo der Literatur setzt, kommt heute zu kurz. Vom Nutzen und Nachteil der Dichtung für das Leben handelt heute weit eher die Literatur der Bildschirme, der Videospiele, aber auch der Telefonbücher, der Speisekarten, der Fahrpläne und anderer nouveau romans des Alltags.

Glanz@Elend: Ist das der Grund, daß die ordinary-language bis hin zur ordinären Sprache immer wieder in ihren Texten regiert? Welche Bedeutung hat die Alltagssprache im Meer Ihrer Wörter?

Pynchon: Wissen Sie, ordinary-language-people liefern das Entsetzen frei Haus – rein netto. Hitler, selbsternannter Ordinarius des Schreckens, wollte die Sechste Armee, die in Stalingrad bereits Verlorenen, entsetzen (Anmerkung d. Übersetzers: Pynchon verwendet hier den deutschen Ausdruck). Verräterische Ambiguität der Sprache, spöttisch den Gegensinn versichernd. Transitlüsterne Untiefen öffnen sich hier. Wörter laufen über zu den Unwörtern. Antipoden aller Sprachen vereinigt euch, würde ich sagen. Himmler war Geflügelzüchter. Der real existierende Faschismus bezauberte mit der schwarzen Unkunst der subliminalen Transsubstantiation. Menschenblut für Hühnerblut. Konzentrationslager wie unsere Hühnmerfabriken. Jeder lebt mit dem Phantasma des Anderen … oder stirbt. Eichenlaub pflastert auch heute noch unseren Weg.

Glanz@Elend: Offensichtlich hegen Sie eine Afinität zu deutschen Leitmotiven. Nazi-Deutschland, SS, Peenemünde, V 2, Rheinlandschaften, preußische Offiziere, Karl Bopp … bis hin zu den Besonderheiten des sächsischen Dialekts gründeln Ihre Texte in deutschen Blut und Boden. Welches Faszinosum verbindet sich mit Deutschland?

Pynchon: An deutschem Wesen wird die Welt verwesen. Wer könnte dem widerstehen? Der deutsche Faschismus hatte eine totalistische Dimension, die nicht nur die Weltherrschaft anstrebte, sondern sie auch mit paranoiden Technologien ausstattete. Auf dem Grat, wo die realen Verhältnisse in den Traum umkippen, werden Balanceakte nötig. Die Wunderwaffen sind so real wie irreal, Konstrukte der Phantasie, die mit imaginärer Energie betrieben wurden. Die verdinglichte Kraft, die die mechanoiden Skulpturen von Thorak und Brecker predigten, inhalierte auch das Diszept der nekrophilen Politik. Der Faschismus Made in Germany war die realste Alptraumwertarbeit, die die Welt je gesehen hat.

Glanz@Elend: Nicht nur in diesem Bezug sind Ihre Welten teuflische Komödien, des Welttheaters, Pandämonien der Vernichtung und Verdrehung. Gibt es kein Prinzip Hoffnung, mindestens aber einen Hoffnungsschimmer in Ihrer literarischen Wertarbeit?

Pynchon: Allein die semantische Elektrizität spendet das Licht im Nachtrausch der menschlichen Veranstaltungen. Die splendid isolation der literarisch aufgehobenen Wörter mag dem als Hoffnung gelten, der, dantisch gesprochen, alle Hoffnung fahren läßt. Ich schreibe mich in das Kondolenzbuch der tödlichen Hochzeit von Vernunft und Sein ein. Von der rationalistischen Sprachverseuchung und dem Textsortenfetischismus werde ich bis auf die Blutkörperchen gereizt. Erst der Traum im Nachtlied-Express oder die künstlichen Paradiese des Drogendiskurses suspendieren eine kurze Zeit von der Verzweiflung über die Widerständigkeit der Verhältnisse. Dabei hintertreibt der Wunsch sich selbst, um noch mächtiger zu werden. Nur das ungestillte Begehren kann auf Erfüllung hoffen. Der Wunsch schießt wie eine verrückt gewordene cruise missile über sein Ziel hinaus. Turner delirierte im Sterben: »Mehr Licht.« Nun denn, wenn das eye of heaven, die göttliche Reflektion, versagt, muß man es eben mit der Lichtmaschine versuchen. Oder mit dem Schwarzgerät.

Glanz@Elend: ... was immer das sein mag?

Pynchon: Fragen Sie Leutnant Slothrop!

Glanz@Elend: Versuchen wir es anders! Ihre Arbeiten sind verschlungene Fabeln auf der Suche nach der Decodierung von bedeutungsschwangeren Chiffren. Das Rätsel verschafft Ihren Figuren die Gewißheit zu leben. Nach dem Ende der humanen Erzählungen entziffern Sie wie der berühmte Detektive aus der Baker-Street die enigmatischen Embleme auf den Elixieren des Teufels, um wenigstens zu wissen, welcher Fusel auf der Beerdigung von Kanaan gereicht wird. Ist die Weltkonstruktion als Fuge, Rebus oder Kreuzworträtsel nicht eine verdeckte Durchhalteparole, um mit dem Nichts fertig zu werden?

Pynchon: Literatur ist eine Art Russisches Roulette mit nur einer leeren Kammer. Wer abdrückt, darf auf das Schlimmste hoffen. Wer sich aber in das Haupt der Medusa vernarrt, genießt die steingewordenen Qualen eines hypothetischen Antlitzes. Die Macht der Sprache vermachtet zuletzt sich selbst. Das Spiel der Wörter bleibt aber eine produktive Konstante der Vernichtungsspirale, die sich zum globalen Schrecken der politischen, sozialen, ökologischen, emotionalen Katastrophen hochschraubt. In der viktimogenen Totalen ist der Schriftsteller aber nur der Protokollant der Schmerzen, nicht das Opfer der Verhältnisse.

Glanz@Elend: Sind Sie lediglich der Protokollant der Schmerzen oder zehren Sie auch von den Restposten der engagierten Literatur, dem j’accuse´?

Pynchon: Wer heute noch von Betroffenheit faselt, sollte sofort liquidiert werden. Wir sind Aussätzige, aber erzählen gleichwohl Messiaden. Der Gekreuzigte ist eine – wie die evangelistischen Geschäftsberichte zeigen – lukrative Metapher, aber ein Autor, der sich narzißtisch im Spiegel des Weltschmerzes reflektiert, leidet an Hybris. Eine semantische Mitrailleuse, die das Trommelfeuer auf die Sprachwichser richtet, ist die letzte humanitäre Notoperation vor dem Untergang. An der Sprachfront sollte scharf geschossen werden. Der zum Abschuß freigegebene Knochensturm läuft gegen die Beinhäuser der sprachlos gewordenen Vernunft. Da halte ich es lieber mit den alttestamentarischen Vögeln Hitchcocks, die nicht säen, aber trotzdem töten.

Glanz@Elend: Ihre ornithologischen Kenntnisse haben wir schon auf dem Papageienschmuggler Der unsichtbare Vierte bewundert, der verkaterte Primärfarbenbündel als erzählfreudige Einschlafhilfen für Kleinkinder nach Vineland importiert. Sehnen Sie die Wahrheit durch Ihre Manie, Alles zu erzählen, herbei?

Pynchon: Textzerleger, die dem Leser Wahrheit wie Hautgout ausströmende Schuhsohlen präsentieren, mögen ihre chaplineske Ausbeute für Hermeneutik halten. Wahrheit in Konserven ist die Speisung von Pop-Artisten für die Gläubigen der fast-food-Tempel. Wahrheit, die im Straflager wahrheitsfähiger Sätze einem Spießrutenlauf entgegensieht, interessiert mich nicht. Wir brauchen keine neue Literaturtheorie, sondern Schreibmodelle. Der Pragmatismus hat den vergeblichen Theorieanspruch der Nützlichkeit des jeweiligen Modells für den Eigentümer geopfert. Damit wird die Frage nach dem Gebrauchswert von Texten aufgeworfen. Es lohnt sich danach, die Speisekarten auch auf ihre Apokryphen hin gründlich zu studieren.

Glanz@Elend: Ihre Speisekarten quellen über davon! Prosa, Poesie, Lieder, wissenschaftlicher Diskurs, Metapher, Metonymie, Collage, Montage – Ihre Textsortenpromiskuität und rhetorische Fertilität haben sich von einer geschlossenen Gattungsidee verabschiedet. Ist die Romanform, wenn es denn je eine gab, nicht nur Ihr Vorwand, Mikrotexte zu verketten, Textkorpuskel zu addieren? Gefallen Sie sich als Tristero-Postbote, der codierte Telegramme verteilt, oder vielleicht als versteckter Aphoristiker, der dem Leser Aphrodisiaka aus Hühnerspeed und Spanischer Fliege als letztes Vademecum einträufelt?

Pynchon: Aphorismen drehen die Wahrheit solange durch den Sprachwolf, bis sie gequält aufschreit. Erst die lexikalischen Litaneien und die Liturgien des Rock’n’ Roll leiten den Wärmestrom in den Text. Jenseits der Wostkaskaden verdichtet sich die Sprachlosigkeit zum Sprachparoxysmus? Verbindliche Sätze? Wer oder was soll noch verbunden werden? Wörter als Mullbinden für die malträtierten Helden – Pixel für Pixel mumifiziert? Die Falten im Gesicht der Literatur sind unübersehbar geworden. Aber die Psycho-Nauten im semantischen Dümpel sollten nicht jeder Schlammflocke hinterherhecheln, als wäre sie Teil des adamitischen Urschlamms.

Glanz@Elend: Ihre Texte gelten als komisch. Oft genug schrecken Sie auch vor Kalauern nicht zurück, die vielleicht Joyce als erster in die moderne Literatur eingeführt hat. Graffitis wie Nonsens-Figuren, etwa ein Kilroy als Schaltungsbild,oder eine mathematica maleficia mit grotesken Gleichungen tauchen in Ihren Romanen auf. Das Groteske leitet sich etymologisch von Grotte, mithin unterirdischen Ruinen, ab. Ihre Topographien führen immer wieder das untergründig Groteske und die archetypischen Verliese zusammen. Die Erdschweinhöhle oder die Krokodile in der Kanalisation mögen dafür paradigmatisch stehen. Ist ihre pornogroteske Komik ein höllischer Abgesang vor der Rutschpartie in den Hades?

Pynchon: Olympisches Lachen hat seinen Preis. So zu lachen, als sei das Lachen nie erfunden worden, das ist der Spaß. Wenn die Weisen über das Klatschen einer Hand meditieren oder zwanzig Jahre vor einer Felswand sitzen, um schließlich zu wissen, daß sie nichts wissen, kann uns die Zeit nicht lang werden. Von den zenbhuddistischen koans bis zu den Weltwirtschaftsberichten schreibt sich die Jokologie (Anmerkung d. Übersetzers: Wissenschaft der Witze) solange als untergründige Wissenschaft fort, bis staatlich konzessionierte Witzbolde auf den Lehrstühlen unserer Universitäten sitzen.

Glanz@Elend: Worüber lachen Sie, wenn Sie nicht gerade schreiben?

Pynchon: Über die Glühwürmchensatoris des Litarturbetriebs!

Glanz@Elend: Sind Sie denn erleuchtend?

Pynchon: Der Holzweg ist das Ziel, oder soll ich sagen, das Medium ist die Frohbotschaft. Die magischen Kanalarbeiter verheißen uns die Erleuchtung, die wir während der nassen Träume in den New-Age-Warenhäusern vergeblich gesucht haben. Gebannt von den Cliffhangerclips der neobhuddistischen TV-Maniacs jagen wir jeder ultravioletten Bildschnuppe hinterher, die verheißt, uns zu einer ultramedialen Supernova zu leiten. Mag somit der Kannibalismus der Bilder das Erleuchtungsmodell einer Verfallsgesellschaft sein, im Augenblick unseres eigenen Falls verliert sich der selbstverliebte Erleuchtungsglaube an die Weltseele.

Glanz@Elend: Es hat ganz den Anschein, als verstecke sich die Weltseele im Arschloch des degenerierten Mathematikprofessors Weed Atmans. Konstituieren Gott und die übrigen metaphysischen Restposten Ihr absentes Prinzip, das immer wieder beschworen werden muß? Führen Sie einen scholastischen Gottesbeweis es absurdo?

Pynchon: Jede Gottsuche umzirkelt sich, unendlich, immer weiter kreisend, bis zuletzt, wenn die jüngste Nacht angebrochen ist. Solange hält sich Gott eine Mickey Mouse, die er duch eine enge Röhre in das Herz unserer Sprache schickt. Mickey jagt mit Quantensprüngen Schrödingers Katze hinterher, die immer schon da ist, wo sie nicht ist. Tom und Jerry wird jetzt als Quantendrama aufgeführt. Immerhin – wer der Weisheit den Mäusezahn der Zeit ziehen will, muß sich auf göttliche Wurzelbehandlungen verstehen.

Glanz@Elend: Sind Sie ein Agent der medi-zynischen Gegenaufklärung?

Pynchon: Diesseits der Aufklärung schnappen wir im Doppelnelson der Wortwürger nach Luft, bis uns die Augen überquellen. Das halten wir dann für ein Existenzzeichen. Auch wenn in der Anstrengung der Wörter das Unterschlagene gegen seinen Begriff revoltiert, gibt es erst im Jenseits der Aufklärung die Erlösung von ihrer Dialektik. Solange versöhnen uns die wuchernden Plastikorchideen von Hollywood mit den frühen Filmschnitten, die uns selbstverloren in der Kindheit zugefügt wurden, uns zu ödipalen Insektioden einer brüchigen Vernunft gemacht haben.

Glanz@Elend: Wenn unsere neuscholastische Dogmatik auseinanderbricht, die Gläubigen aller Länder auseinanderstreben, der Erdkreissegen unserer Medienseelsorger zum Video-Clip verkommt, reduzieren sich Menschen danach auf digitale Ziffern in Gottes Computer, wie wir es in Vineland lesen?

Pynchon: Die Tanzschritte des Rock’n’ Roll und die Kerosinetüden des Bebop haben das klerikale Mysterienspiel überholt und den Klassenkampf marxophiler Präpotenz de-klassiert. Neue Geschwindigkeitsapostel haben uns das Evangelium von relativer Zeit und relativem Raum gelehrt. Der Mensch wird immer kleiner. Odysseus wird zum Incredible Shrinkung Man Ulysses, der in seiner Tagesewigkeit nicht mehr als eine Stubenfliege in ihrem Zeitraffer-Leben erlebt. Gott würfelt nach Einstein nicht, vermutlich weil er noch an die schäbigen Würfelwürfe der römischen Legionäre zurückdenken muß, die seine irdischen Habseligkeiten aufgeteilt haben. Es sieht aber so aus, als wäre er jetzt ein geschwindigkeitsvernarrter cyber-space-Fan, der neue digitale Schweinereien ausheckt.

Glanz@Elend: Woran denken Sie?

Pynchon: Nun ja, nach den Pestdramen des Mittelalters und der Franzosenkrankheit wird AIDS kaum das letzte Wort in Sachen Sintflut für Liebestolle sein.

Glanz@Elend: Lepröser Pointillismus, katatonischer Expressionismus..., an Wortungetümen hat es Ihnen nie gefehlt. Sie schreiben dazu in V: Je nachdem, wie man die zur Verfügung stehenden Bausteine zusammenfügte, galt man als intelligent oder doof. Sind Sie danach intelligent oder doof?

Pynchon: Ein Autor, der eine Apologetik benötigt, ist ein Hanswurst. Im Gegensatz zum Wahrheitsanspruch einer Frischhaltepackung entbehrt Literatur der gesicherten Aussagen über Haltbarkeitsdaten. Selbstverständlich ist es für mein Lebensfraktum relativ belanglos, ob meine Literatur jetzt oder später oder nie gelesen wird. Wer das eigene Zentrum von fremden Zentren kolonisieren läßt und sei es durch die Anerkennung, hat nicht viel begriffen. Dichter, die bei Kräften sind, revitalisieren sich selbst nach einem festgestellten Verfallsdatum. Die posthume Energie der Literatur, nennen wir es Phoenix-Syndrom, liegt in einer Imagination, die über den Bedeutungsgrad der Wörter hinaus in die Ewigkeit schielt. In den Texten kriechen gleichwohl die Maden; jeder Dichter wird zuletzt in seinem eigenen Remitendensarg begraben. Der Werbeslogan eines Bestattungsunternehmens Warum spazieren Sie halbtot herum, wenn wir Sie beerdigen können dürfte auch das Motto der neuen analphabetischen Leser sein. Mit dem Ruhm beginnt der Untergang.

Glanz@Elend: Ist das der Grund, daß bis auf dieses Interview Ihre Person nicht wirklich vorhanden ist?

Pynchon: Nur im Exil läßt es sich wie Gott in Frankreich leben. Schriftschausteller, die sich in das Schlangennest des Betriebs eingenistet haben, aber nicht nur diese, verlieren die Fluchtpunktperspektive, die allein gute Aufnahmen garantiert. Die Deprivation, die der öffentliche Zirkus bereithält, ist wohl ein hoher Preis für nichts. Unsere schöne neue Telekommunikation demokratisiert das Geschwätz, aber liquidiert die Dichtung. Wenn sich diese Welt in mein Leben einschneiden würde, wäre nicht nur meine raison d’etre, sondern auch die meiner Spießgesellen und Weggefährten gefährdet. Im Grunde ist die öffentliche Einsamkeit die Vorhölle, die literarische Höllen bei weitem übetrifft.

Glanz@Elend: Mr. Pynchon, wir danken Ihnen für das Gespräch. 
 














Thomas Pynchon
Vineland
Roman
Rowohlt
Deutsch von Dirk van Gunsteren
480 S., Tb
€ 9,90
ISBN 3-499-13628-7

 


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