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Seitwert


Kommunizierende Krisen
und solarer Sozialismus

Elmar Altvaters dezidierte Analyse der
Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur.




Von Karim Akerma


Mit »Der große Krach« legt Altvater ein Buch vor, das sich als Beitrag zur Aufklärung über Krisenprozesse der Gegenwart versteht und als Fortschreibung seines »Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen« (2005) gelesen werden kann und gelesen werden sollte. Mehr Altvater und weniger
Žižek täte gewissen gesellschaftskritischen Debatten gut. Aktuellste wissenschaftliche Daten und die Tagespresse auswertend, geht der Autor der Frage nach, ob und wie die Finanz- und Wirtschaftskrise, die Energiekrise angesichts schwindender förderbarer Erdölreserven, die Umwelt- und Klimakrise sowie der Hunger in der Welt zusammenhängen. Die einzelnen Krisen, so weist er überzeugend auf, gehören zusammen, sie sind Aspekte einer Systemkrise. Der Leser erfährt, weshalb die diversen Krisen nur scheinbar nebeneinander bestehen. In Wahrheit sind sie – kommunizierenden Röhren vergleichbar – miteinander verbunden. Kommunizierende Krisen, so lässt sich die Generalbotschaft des Buches fassen, lassen sich nicht jede für sich aufheben, sondern nur in der Weise einer solidarischen Zurückschraubung des Menschen und Natur zerstörenden – da erdölbefeuerten – Selbstverbrennungskapitalismus auf eine gemächlichere und sonnenbeschienene Gesellschaft des »solaren Sozialismus«.

Quellgrund seiner Gesellschaftskritik ist laut Altvater der von Marx herausgestellte Doppelcharakter aller Waren, zugleich Gebrauchswert und Tauschwert zu haben. Konsumenten sind zumal an ersterem interessiert, Produzenten und Spekulanten vornehmlich an letzterem. Solange die Rendite stimmt, sei es Produzenten und Spekulanten relativ gleichgültig, wenn der Stoffwechsel zwischen Mensch und Natur für Natur und Mensch ruinös ausfällt. Indem sie mit dem Doppelcharakter der Ware auch das Naturverhältnis berücksichtige, sei Marx’ Kritik der politischen Ökonomie anderen Ansätzen überlegen. Hier scheint es, dass Altvater Marxens überschaubare Äußerungen zum Mensch-Natur-Verhältnis in systematischer Hinsicht auf ähnliche Weise überfordert, wie es bereits Alfred Schmidt in seiner Studie »Der Begriff der Natur in der Lehre von Marx« (1971) getan hatte. Zwar »ist es nicht abwegig, auf die Marx’sche Kategorie des Doppelcharakters zu rekurrieren, wenn eine Systemkrise beide Seiten der Ware und der Arbeit erfasst« (15), doch fragt man sich, an welchen Stellen des Buches Altvaters Analyse der Jahrhundertkrise von der Kategorie des Doppelcharakters tatsächlich profitiert und nicht auch ohne sie ausgekommen wäre.

Warum können die Krisen nicht einzeln, jede für sich, gelöst werden? In absoluten Zahlen gerechnet, erläutert Altvater, mag unser Planet noch viel Erdöl bergen, doch wird seine Förderung immer aufwendiger und gefährlicher, wie zuletzt das Fiasko im Golf von Mexiko im Frühjahr 2010 zeigte. Und selbst wenn es gelänge, die Erdölkrise mittels neuartiger Extraktionsmethoden in den Griff zu bekommen, würden die Verbrennungsprodukte des Erdöls die Klimakrise verschärfen. Energiekrise und Klimakrise kommunizieren miteinander. Man kann die Finanz- und Wirtschaftskrise nicht in der Weise aufheben kann, in der man ein Bohrloch stopft. Weil die Krisen miteinander kommunizieren, bricht eine neue Krise auf, wenn an einer Stelle eine beseitigt scheint. So wurde in Deutschland – zur Ankurbelung der Wirtschaft – mittels Abwrackprämie für die Verschrottung von gebrauchsfähigen Autos mehr Geld zur Verfügung gestellt als zur Bekämpfung der Hungerkrise. Zugleich absorbiert die Herstellung neuer Fahrzeuge knapper werdende fossile Energie und schädigt das Klima. Unterschwellig kommuniziert die Klimakrise auch mit der Finanzkrise. Wäre das Klima eine Bank, zitiert Altvater den venezolanischen Präsidenten Chavez, hätte man es gerettet. Aber das Klima wird nicht in der Weise als systemrelevant angesehen wie gewisse Finanzinstitute. Systemisch interessant kann das Klima dort werden, wo man einen Handel mit Zertifikaten für CO2-Emissionen eingerichtet hat und darauf basierte Finanzinstrumente mit der Kaste der Händler von Verschmutzungszertifikaten entstanden sind. Dieser Zusammenhang ist nur ein Symptom für die von Altvater generell diagnostizierte Herauslösung spekulativ berauschter und durch die Konkurrenzsituation maßlos gierig gewordener Wirtschaftssubjekte aus jeglicher sozialen und natürlichen Einbettung.

Im Dienste der Renditesteigerung, so der Autor, versuchen die Finanzmärkte, die Politik ins Schlepptau zu nehmen. Hierfür finden sich willfährige Politiker, die unter Verweis auf »Systemgefährdung« bereit sind, einen Transfer von Teilen des Bruttoinlandsprodukts an die Finanzmärkte zu etablieren. In der so ins Werk gesetzten Unterspülung »der sozialen Substanz der demokratischen Ordnung« durch ein »System der Plünderung«, so Altvater, liege die eigentliche Gefahr. Zur Finanzkrise komme es regelmäßig deshalb, weil die aus der Produktion von Gütern und Dienstleistungen entstammenden Gewinne mit den im Finanzsektor entstandenen Renditeansprüchen nicht Schritt halten können und der erdölbefeuerte Kapitalismus an Grenzen der Akkumulation gestoßen ist. Eine wachstumsversessene Politik muss einspringen, um Spekulationsverluste auszubügeln und gräbt dabei sich selbst (Grenzen der Legitimierbarkeit und sozialen Belastbarkeit sind Kipppunkte) und den stoffwechselnden Menschen nicht nur das sprichwörtliche Wasser, sondern die Luft zum Atmen, die Äcker fürs Getreide (Kipppunkt Agro-Treibstoffe) und den sozialen Frieden ab. Letzteres zumal dann, wenn ruchbar wird, dass der Stoff, aus dem private Gewinne erzeugt werden, öffentliche Schulden sind.

Ähnlich wie Robert Kurz in seinem »Das Weltkapital« (2005) erläutert Altvater die Finanzkrise als Ausdruck einer Krise der realen Wirtschaft: Realwirtschaft und Politik gerieten ins Schlepptau der Finanzmärkte, als seit Mitte der 80er Jahre des 20. Jh. die realen Zinsen höher ausfielen als die realen Wachstumsraten des Sozialprodukts. Indem Investmentbanken mittels Verbriefung gleichsam ex nihilo Werte schaffen, pflegen sie jene Verachtung der Arbeit, die expressis verbis allein Arbeitslosen vorgeworfen wird. In diesem Kontext zeigt Altvater auf, dass sich die Systemrelevanz von Finanzinstituten keineswegs an ihrer Bedeutung für die Realwirtschaft bemisst, sondern zumal an einer zweifelhaften Bedeutung, die ihr innerhalb des Finanzsektors zugesprochen wird. Als Herren dieser Bedeutsamkeitstitel stellt uns Altvater Rating-Agenturen vor, deren Macht bisweilen die von Nationalstaaten übertreffe.

Um eine Beschleunigung wirtschaftlichen Wachstums zu erzielen, analysiert Altvater, muss die Politik Maßnahmen zum Ansteigen der tendenziell fallenden Profitrate ergreifen. – Als da sind: Umverteilung der Einkommen zu Lasten der Lohnabhängigen durch Drehen an der Steuerschraube, in der Hoffnung, dass Teile der nach reduzierten Steuern höher ausfallenden Nettogewinne wachstumssteigernd in die reale Wirtschaft investiert werden. Derlei Maßnahmen zur Steigerung der Profitrate mittels Aushöhlung direkter und indirekter Masseneinkommen disqualifiziert Altvater als »das politische Projekt einer die Substanz der sozialen Demokratie auszehrenden Umverteilung.« (222)

Einen echten Ausweg aus der Schuldenkrise könne es unter den Vorzeichen des modernen Kapitalismus nicht geben; denn das Schuldenmachen sei nicht Ausdruck von Inkompetenz oder Waghalsigkeit, sondern für die Aufrechterhaltung der gegenwärtigen Wirtschaftsform unabdingbar. Wenn Deutschland im Jahr 2010 einen das Wirtschaftswachstum beflügelnden Exportboom verzeichnen kann, so scheint die Krise aus nationaler Sicht überwunden. Wäre da nicht die von Altvater aufgeworfene Frage, wie die saldenmechanisch dem deutschen Exportüberschuss entsprechenden Außenhandelsdefizite – gerade auch innerhalb der EU – finanziert werden sollen. Kommunizierende Krisen auch an dieser Stelle. Altvaters »ökonomische Alphabetisierung« kommuniziert hier mit seinem Buch »Konkurrenz für das Empire. Die Zukunft der Europäischen Union in der globalisierten Welt« (2007).

Aus dem Titel von Altvaters Buch »Das Ende des Kapitalismus wie wir ihn kennen« (2007) spricht, dass es mit dem Kapitalismus weitergeht, wenn auch anders als bisher. Zu Beginn von »Der große Krach« plädiert er für einen solaren Sozialismus des 21. Jahrhunderts – jenseits des Kapitalismus. In der Mitte seines Buches angekommen, erörtert Altvater den Umstand, dass bei »erneuerbaren« Energieträgern das Verhältnis von eingesetzter und gewonnener Energie sehr viel ungünstiger ist als beim Erdöl. Und er wirft die Frage auf, wie der Übergang von einem fossil-industriellen zu einem post-fossilen System zu denken sei – »wie ist dieser Übergang innerhalb kapitalistischer Verhältnisse möglich? Oder ist er nur jenseits der kapitalistischen Formen von Produktion und Konsumtion, von Arbeit und Leben zu denken und zu realisieren?« (141) Den Ausweg aus der Krise weisen weder einzelne Reparaturmaßnahmen, noch ein grüner Keynsianismus, der Verzicht predige, aber vom Kapitalismus schweige. »Wenn sich dafür soziale Bewegungen stark machen«, werde »der Übergang zum ‚Sozialismus des 21. Jahrhunderts’, in eine solidarische Ökonomie und solare Gesellschaft eingeleitet.« (209) Gegen Ende des Buches scheint die Antwort gefestigt: »Das Projekt der Zukunft ist weder neoliberal noch keynsianisch. Es ist solar und solidarisch. Und es ist daher sozialistisch.« (246) Kurz darauf indes schraubt Altvater die Zukunft doch wieder nur auf ein Ende des Kapitalismus wie wir ihnen kennen zurück, indem er sein Buch mit den Zeilen beschließt: »Der Kapitalismus wäre staatsgetrieben, aber der Staat würde nicht vor allem im Interesse der Banken und in deren ‚Schlepptau’ funktionieren. Der Staat selbst wäre nämlich getrieben von sozialen Bewegungen, von Bürgerinnen und Bürgern in öffentlichen Räumen demokratischer Partizipation.« (247) Auch im solaren Sozialismus wird somit die gesellschaftliche Synthesis keine Photosynthese wie im Reich der Pflanzen sein. Und wir erfahren, dass der Markt – und damit wohl auch geldvermittelter Warentausch – zur Koordinierung der Bedürfnisbefriedigung unabdingbar bleibt. Ist der solare Sozialismus am Ende doch nur ein vom Erdöl auf die Sonne umgepolter Kapitalismus, der als letzten uneroberten weißen Flecken auf der Landkarte – und zugleich als erste fiktive Inbesitznahme – die Langsamkeit entdeckt?
 

Elmar Altvater
Der große Krach
Oder die Jahrhundertkrise von Wirtschaft und Finanzen, von Politik und Natur
Verlag Westfälisches Dampfboot
261 S.
ISBN 978-3-89691-785-0
EUR 19,90



 


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